Das Glasdach leuchtet in der Sonne, die Holzkonstruktion lässt chinesische Tempel alt aussehen – allein der Anblick imponiert. Es ist ein perfekter Tag, um sich Kundschaft und neugierigen Besuchern zu zeigen. Aber es geht nicht nur um die Show beim ersten Rewe Green Farming-Markt, der seit Ende Mai in Wiesbaden-Erbenheim geöffnet hat.
„Unser Supermarkt der Zukunft ist vor allem eins: nachhaltig“, erklärt Rewe in seinem Media Center. „Hier werden Lebensmittel nicht nur verkauft, sondern auch ressourcenschonend produziert. Mit einer eigenen Dachfarm werden Fische und Basilikum gezüchtet und direkt im Markt sowie in der Umgebung vertrieben.“ Ist das der nachhaltigere, vielleicht sogar der Supermarkt der Zukunft? BioHandel hat sich das Rewe-Vorzeigeprojekt genauer angeschaut.
Erreichbarkeit: Rewes Pilotprojekt ist Teil eines Neubaugebiets am Rand von Wiesbaden-Erbenheim und für Anwohner auch fußläufig erreichbar. Für die 1500 Quadratmeter Verkaufsfläche gibt es einen in sich gedrehten Auto-Parkplatz, das soll Fläche sparen. Das gesamte Außengelände ist so unversiegelt wie möglich. Außerdem stehen E-Ladesäulen zur Verfügung und 30 Fahrradparkplätze.
Gebäude: Seit zehn Jahren baut der Filialist alle neuen Ladengeschäfte als „Green Buildings“ mit viel Holz, Glas und alternativen Kühlmitteln. Für den neuen Green Farming-Markt sei all das nochmals signifikant gesteigert worden, sagt Jürgen Scheider, Geschäftsführer von Rewe Region Mitte. Als Sahnehäubchen kommt in Erbenheim nun die „Aquaponik“-Dachfarm, die Fischzucht und Pflanzenanbau kombiniert, obendrauf.
Zudem sei der sogenannte „Cradle to Cradle“-Ansatz mit eingeflossen, was übersetzt etwa vom Ursprung zum Ursprung heißt und sich am biologischen Kreislauf orientiert. Beim Rückbau müssen dann alle verwendeten Materialien wiederverwendet werden können, sodass am Ende kein Müll anfällt. Dazu Jürgen Scheider: „Die Holzprofile der Säulen etwa sind miteinander verschraubt. So kann das Holz sortenrein in einem Stoffkreislauf weitergeführt werden.“
Energie und Wasser: Verwendet wird ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien. Für den Wasserbedarf wurden zwei getrennte Leitungen installiert – einmal für Trinkwasser, einmal für Regenwasser.
Plastik: „0 Plastik“ steht auf den Papiertüten des Basilikums. Rund 14.000 Pflanzen sollen pro Woche unterm Dach plastikfrei verpackt werden. Die hellblauen Aufzuchttöpfe bleiben im Glashaus und werden wiederverwendet. So spart Rewe nach eigenen Angaben zwölf Tonnen Plastik im Jahr. Das passt gut zum erklärten Ziel, Menschen mitzuziehen und zu nachhaltigerem Handeln anzuregen. Aber hier ist auch noch Luft nach oben: Denn das Prinzip ließe sich auch bei anderen Artikeln anwenden, vor allem beim Bio-Basilikum der Rewe Hausmarke.
Goodie: Für alle, die mehr wissen wollen, hat Rewe ein sogenanntes „Besucherzentrum“ eingerichtet. Eine Wendeltreppe führt nach oben zum Glashaus, wo man dem Basilikum beim Wachsen und dem Farmpersonal beim Arbeiten zuschauen kann. Schautafeln informieren über Aquaponik (siehe Infobox) und ein Bildschirm zeigt Videos der Buntbarsche. Sie werden eine Etage tiefer in Tanks ihre Runden drehen, sobald beim Wasser alle Wohlfühlparameter stimmen.
Basilikum + Barsch = Aquaponik
Die Grundidee von Aquaponik basiert auf der Beobachtung, dass Fische unter anderem Nitrat ausscheiden und Pflanzen unter anderem Nitrat zum Gedeihen brauchen. Direkt unter dem gläsernen Dach wird das Basilikum angebaut, ein Stockwerk tiefer stehen 13 kreisrunde Tanks, in denen Nil-Buntbarsche aufgezogen werden. Der Aquakultur-Kreislauf findet im Fischbecken statt.
Das Glasdach fängt Regenwasser auf, das gefiltert in die Fischbecken geleitet wird. Die Fische reichern das Wasser durch ihre Ausscheidungen mit Ammonium an. Bakterien wandeln es in Nitrat um – und mit diesem Wasser werden dann die Kräuter versorgt. Indem sie die Nährstoffe aufnehmen reinigen die Pflanzen das Wasser. Es schlägt sich als Dunst im Gewächshaus nieder, wird aufgefangen und zusammen mit Regenwasser wieder ins Fischbecken geleitet. Zudem nehmen die Basilikumpflanzen auch das von den Fischen produzierte Kohlendioxid auf und wandeln es in Sauerstoff um. Der Sauerstoff reichert dann wiederum das Wasser für die Fische an.
Lob aus der Bio-Branche
Simon Döring von der Bio-Beratungsagentur Klaus Braun findet die Idee Besucherzentrum genial: „Sowas sollten wir uns unbedingt abgucken. Und die Pressearbeit! Da heißt es bei uns oft: ‚Ach, sowas können wir nicht.‘ Wirklich nicht? Ich meine, da sollte man sich von diesem Rewe eine dicke Scheibe abschneiden“.
Auch Daniel Kükenhöhner vom
Berater und Ladenplaner Petzinger applaudiert neidlos der gelungenen
Pressearbeit und merkt an: „Alles, was Rewe da zeigt – Aquaponik,
Regenwassernutzung, Tageslicht – gehört eigentlich als erstes in den
Biobereich. Wir müssten solche Pilot-Läden bauen, auch wenn das Zeit und
Geld fordert. Das ist ein Testfeld – und dafür muss es gar nicht so
gigantisch sein.“
An Beispielen fallen ihm gleich eine Handvoll Läden ein, die längst auf solchen Wegen sind, nur dass es niemand weiß, weil sie Pressearbeit für nicht so wichtig halten. Das sieht Rewe definitiv anders und doch bleibt auch hier das eine oder andere Potential ungenutzt. Denn obwohl der große Claim „Nachhaltigkeit“ heißt, verkauft der Markt etwa plastikverpackte Zuckerperlchen statt einer nachhaltigeren Alternative.
Keine Naturnähe, gut für die Natur
Aber jetzt mal ein Blick hinter die Kulissen: Beim Basilikum setzen die Dachfarmer Bio-Samen ein, nutzen Bio-Erde, gießen mit Regenwasser und setzen, wenn nötig, Nützlinge statt Gift ein. Auch beim Fisch liege die Messlatte hoch, versichert Nicolas Leschke, Co-Gründer und Co-Chef des Berliner Start-ups „Ecofriendly Farmsystems“ (ECF), das die Anlage geplant und gebaut hat.
Er führt aus: „Nilbuntbarsche sind robust, Schwarmfische, Allesfresser und werden bei uns vegetarisch mit Biofutter ernährt. Ich mache das seit zehn Jahren, unsere Fische waren nie krank, sie brauchen also keine Medikamente.“ Dennoch gibt es kein Biosiegel. Das Basilikum könnte zertifiziert werden, der Barsch dagegen nicht, denn Kreislaufsysteme wie dieses sind nicht „naturnah“, und nach den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung bislang nicht zertifizierbar.
Von Naturnähe kann bei den Tanks tatsächlich keine Rede sein. Nicolas Leschke betont jedoch, was auch Naturland auf Nachfrage positiv vermerkt: dass dieses System der Natur keine Fläche nimmt, keine Gewässer belastet und schließlich auch keine Zuchttiere ausbüxen und die natürliche Fauna verdrängen können. Immer wenn es um Landnahme und Tierwohl geht, geht es auch um grundsätzliche Fragen: Auf wessen Kosten lebe ich? Was will ich? Was kann ich dafür in Kauf nehmen? Und wer setzt das für mich am besten um?
Lokal vor regional vor bio
Das Basilikum kann man übrigens jetzt schon unten kaufen, wo es in der „Schnippelküche“ auch zu Pesto verarbeitet oder den hausgemachten Bratwürsten hinzugefügt wird. Auch der Fisch wird in ein paar Monaten hier zu haben sein. Ein kürzerer Lieferweg geht nicht. Außerdem werden 480 Filialen in der hessischen Umgebung mit Fisch und Basilikum beliefert.
Das gesamte Sortiment im grünen Rewe umfasst 25.000 Artikel, davon 200 mit Demeter-Siegel. 1800 Produkte sind laut Jürgen Scheider, „Naturland, Bioland, EU-Bio oder nachhaltig produzierte, regionale Waren.“ Zu finden sind sie auf der gesamten Verkaufsfläche.
Gegenüber vom Eingang, am Ende der Filiale, stehen drei Regalmeter Bio. Gegenüber ein ebenso langes Regal mit Unverpackt-Abfüllstation. Am Kopf des Gangs ein Bio-Gewürzregal. Des Weiteren gibt es im Theken- und Frischebereich Käse, Fleisch und Wurst von Bio-Erzeugern, die Rewe gemeinsam mit konventionellen Betrieben als Erzeugergemeinschaft „Landmarkt“ beliefern. Bei diesen Produkten steht das Prinzip regional vor bio – dementsprechend werden sie gleichwertig und nebeneinander in Kühltheken oder Aufstellern angeboten.
Basics wie Mehl oder Nudeln sind direkt neben der konventionellen Ware platziert. Regional sieht Rewe übrigens sehr eng und will künftig sogar eher die „Lokal“-Karte spielen. Dazu Scheider: „In diesem Markt vermarkten wir mehr als 70 lokale und 130 regionale Lieferanten. Lokal heißt für uns dabei immer ‚rund um den Kirchturm‘, mit einem Radius von maximal 25 Kilometern. Regionale Lieferanten kommen aus dem Bundesland Hessen oder dem nahegelegenen Rheinland-Pfalz.“
Mehr Mehrweg, bitte!
Direkt am Eingang laden drei Geräte dazu ein, selbst Nussmus (mit Schokolade) herzustellen und in Pappschalen zu füllen. Auf selbst mitgebrachte, wiederverwendbare Behälter ist der neue Markt bislang jedoch nicht eingestellt – weder an der Unverpackt-Station (Papiertüten) noch bei den Nussmühlen (Pappbecher mit PE-Folienschutz). Anfangs hätte man solche Behälter angeboten, doch das sei nicht angenommen oder korrekt genutzt worden, sagt Scheider und betont: „Wiesbaden-Erbenheim ist unser Pilotprojekt. Wir werden diverse Möglichkeiten durchspielen und dann einsetzen, was am besten funktioniert.“
Aktuell aber gibt es zum Thema Mehrwegverpackungen nur die üblichen Systeme im Getränke- und Mopro-Bereich. Hier ist definitiv noch Luft nach oben. Mancher Bioladen, wie etwa die Kornblume in Lingen mit integriertem Unverpackt-Bereich ist da längst weiter.
Immerhin: Inmitten der Mopro-Kühlschränke prangt noch ein Novum: Hier wartet ein 180-Liter-Milchautomat auf seinen Einsatz. Sobald die Info-Aufkleber drauf sind und die Milch drin, wird es so sein: Klappe auf, Milchflasche rein, bis zu einem Liter einfüllen, Flasche raus, Klappe wieder zu. Das Gerät spült danach automatisch durch, und ist bereit für die nächste Mehrweg-Milchflasche. Die Milch liefert das Kronberger Hofgut Hohenwald. Konventionell, aber immerhin mit Milchkühen auf der Weide.
Flexibel, fix, freundlich
Es gibt noch etwas, das auffällt, obwohl es unsichtbar ist: Es herrscht eine sehr entspannte Grundhaltung bei allen Menschen, die hier arbeiten. Ob das die Verkäuferin am temporären Erdbeerstand von Paul’s Bauernhof ist oder ein Mitarbeiter der Dachfarm, der geduldig jede Frage beantwortet, jede Tür öffnet.
Und da ist das Leuchten von Amy Seiffert, einer Rewe-Mitarbeiterin, die auf Nachfrage vom wohltuenden Tageslicht schwärmt und sagt: „Die vielen lokalen Erzeuger, die uns beliefern, und von denen wir Produkte ordern können – das macht das Arbeiten abwechslungsreicher und das Angebot flexibel. Ich bin Slowfooderin der ersten Stunde. Ich finde, so ein Konzept war längst fällig.“
Zahlen – Daten – Fakten
Inhaber: Rewe Region Mitte (Mieter bei Rewe-Group)
Adresse: 65205 Wiesbaden-Erbenheim, Berliner Str. 277-279
Öffnungszeiten: Montag - Samstag 7 bis 22 Uhr
Ladenfläche: 1500 Quadratmeter
Eröffnung: Mai 2021
Anzahl Produkte: 25.000; davon Bio: 200 (Demeter), 1800 (Mix aus Verbands-/EU-Bio sowie regionaler und „nachhaltig“ produzierter Artikel)
Anzahl Mitarbeiter: 80
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