Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

14. Marktgespräch

Türöffner vs. Innovator: Mit LEH und Fachhandel zu Bio 30/30

Verlorene Marktanteile, Umsatzschwund. Im Wettbewerb mit dem LEH tut sich der Fachhandel schwer. Der BÖLW appelliert beim 14. Marktgespräch an den Mut und das Vorstellungsvermögen der Unternehmen. Hilfestellung kommt von den Anbauverbänden – die auch ihr Engagement im LEH begründen.

Von manchen Beobachtern werden die derzeitigen Umsatzrückgänge im Bio-Bereich nur als Delle gesehen. Nach der Krise soll es mit dem Konsum von Bio-Produkten wieder aufwärts gehen. Wie sich dann der Naturkostfachhandel aufstellen muss, um seine Rolle als treibende Kraft für die Ernährungsumstellung wahrnehmen zu können, war eines der Themen beim 14. Marktgespräch „30 Prozent Bio – aber wie?“.

Während der eintägigen Veranstaltung der BioHandel-Akademie, die an heimischen Bildschirmen interaktiv verfolgt werden konnte, hatte zunächst BÖLW-Vorsitzende Tina Andres die Bio-Branche dazu aufgerufen, die Herausforderungen der Krise anzunehmen und „das Schiff auf Kurs zu halten“. Die Kunden seien noch da, aber ihr Kaufverhalten habe sich verändert, sie seien verunsichert. „Wir sind gefordert, mit Kraft, Mut und Vorstellungvermögen eine Lösung für unsere Unternehmen zu finden“, appellierte sie. Das Stigma der Hochpreisigkeit müsse durchbrochen werden, sonst drohe der „transformationsrelevante Wirtschaftsmarkt Bio“ einzubrechen.

„Auch unter der Ampelregierung bleiben die Boxhandschuhe an.“

Tina Andres, BÖLW-Vorstandsvorsitzende

Andres mahnte Unterstützung durch die Bundesregierung an, zum Beispiel durch Senkung der Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte. Durch Inwertsetzung der ökologischen Leistung müsse das Ende der Wettbewerbsverzerrung eingeläutet werden. Aktuell reichten die geplanten Energiekostenhilfen für kleine und mittlere Unternehmen nicht aus. Eine Gleichstellung mit der Industrie sei erforderlich. Außerdem seien Liquiditätshilfen und Personalkostenentlastungen vonnöten.

Mit Blick auf die Produktions- und Handelsstrukturen plädiert Andres für Diversität, die für die Stabilität des Systems unerlässlich sei. „Wir müssen kämpfen wie die Löwen. Auch unter der Ampelregierung bleiben die Boxhandschuhe an“, so Andres, zu deren Forderungen auch wissenschaftliche Forschungen zur Ertragssteigerung im Bio-Anbau gehören.

Um das Bio-Schiff auf Kurs zu halten, haben Anbauverbände schon vor einigen Jahren Partnerschaften mit dem konventionellen Handel geschlossen. Wenn der bis 2030 geplante Zuwachs der Bio-Anbaufläche von sieben auf 30 Prozent erreicht werden soll, ist der LEH mit seinen gut 30.000 Verkaufsstellen wichtiger denn je. Der Wettbewerb gegenüber dem Naturkostfachhandel dürfte jedoch zunehmen, so dass sich dieser klarer positionieren muss. Wie soll das gehen, wenn bekannte Label wie Bioland, Demeter und Naturland auch in den Regalen des LEH zu finden sind?

Lokale Lebensmittel mit Profil als USP

Bioland-Präsident Jan Plagge sieht durch das Engagement seines Verbandes im LEH die Möglichkeit, einen Kulturwandel im Einkauf zu befördern – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bioland wolle Kompetenz in der Umstellung auf die ökologische Landwirtschaft aufbauen, auch um zu verhindern, dass vermeintlich nachhaltige Ernährungsformen auf technischer und gentechnischer Basis für die restlichen 70 Prozent des Lebensmittelumsatzes zum Zuge kommen. Das anvisierte Ziel sei schließlich 100 Prozent Bio.

„Nähe zum Verbraucher und Nähe zum Produkt, das kann der Naturkostfachhandel besser als der LEH.“

Jan Plagge, Bioland-Präsident

Für den Fachhandel empfiehlt er lokale Lebensmittel mit Profil als USP sowie lokale Wertschöpfungsketten. „Nähe zum Verbraucher und Nähe zum Produkt, das kann der Naturkostfachhandel besser als der LEH“, so Plagge. Beim Aufbau stabiler Wertschöpfungsketten helfe der neu eingeführte Artikel 210a der Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GMO), der Erzeuger, Verarbeiter und Händler zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaft aus der kartellrechtlichen Überwachung entlasse. Freigestellt werden können Absprachen zwischen Marktteilnehmern der Lebensmittelversorgungskette, die darauf abzielten, einen Nachhaltigkeitsstandard anzuwenden, der über gesetzliche Anforderungen in der EU oder dem jeweiligen Mitgliedstaat hinausgeht.

Demeter bietet dem Fachhandel Unterstützung beim Aufbau lokaler beziehungsweise regionaler Wertschöpfungsketten an. Geschäftsführer Alexander Gerber empfiehlt Läden zur Profilierung und zur Bindung von qualitätsorientierten Kunden das vollständige Demeter-Sortiment. Schließlich sei der Verband im Fachhandel vor der Krise doppelt so stark gewachsen wie der Fachhandel selbst und schrumpfe im Krisenjahr 2022 nur etwa halb so stark wie der Fachhandel, sagte Gerber. Der Markt „Bio am Hafen“ in Greifswald sei ein Beispiel für einen „Demeter-Spezialisten“.

LEH als Abholer und Türöffner

Bei den Vertriebswegen, die das Markenbild nutzen dürfen, schließt Demeter nur Discounter aus. Alle anderen Kanäle müssen Mindestgrundsätze erfüllen, für die der LEH offen sei. Gerber sieht durch die Präsenz von Demeter-Produkten im LEH Vorteile für den Fachhandel, „weil sich Kunden im Gesamtmarkt frei hin und her bewegen“. Dadurch gebe es auch Zulauf bei den Bioläden. Der LEH sei Abholer und Türöffner.

„Der Fachhandel muss wieder Innovationstreiber sein.“

Alexander Gerber, geschäftsführender Demeter-Vorstand

Generell rät der Demeter-Vorstand den Bioläden, beim Sortiment den Blick von dem abzuwenden, was sich schnell oder weniger schnell dreht. Fachhändler müssten neu und anders mit Kunden ins Gespräch kommen und eigene Einkaufs- und Erlebnisprofile entwickeln sowie Themen von morgen anpacken. „Der Fachhandel muss wieder Innovationstreiber sein“, forderte Gerber.

Für Stephan Reese, Geschäftsführer des Naturland-Verbandes, steht der Systemwechsel zu 100 Prozent Ökolandbau im Fokus. Deshalb werde neben dem Bio-Fachhandel und Eine-Welt-Läden auch mit Handelsstrukturen zusammengearbeitet, „die Öko nicht in ihrer Philosophie haben“. Klimakrise und Biodiversitätskrise erforderten dies. Bio müsse in die Breite gebracht werden.

Weil eine ausreichende Kommunikation über die Hintergründe der erforderlichen Transformation in den konventionellen Handelsstrukturen nicht stattfinde, habe der Fachhandel die Chance, hier stärker zu fokussieren. Zum Beispiel durch Kommunikation sozialer Aspekte der Nachhaltigkeit gegenüber den Kunden. Naturland sei auch Entwicklungshilfe-Organisation mit weltweiten Projekten und biete dem Fachhandel Felder für eine weitere Differenzierung an, darunter seien nachhaltiger Fischfang und Tierwohl-Themen. Zum Angebot gehöre auch Unterstützung im Marketing.

Absage an eine staatliche Bio-Werbekampagne

Der Anbau-Verband Biokreis will sich ausschließlich gemeinsam mit dem Fachhandel entwickeln. Mit ihm lasse sich Vielfalt in der Fruchtfolge, bei Tierarten, der Landschaft und der Verarbeitungs- und Handelsstruktur realisieren, sagte Stephanie Lehmann, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Biokreis. Regionalität spiele dabei eine große Rolle. Die 2019 erfolgte Positionierung sei wichtig gewesen und habe bereits zum Aufbau von zwei Wertschöpfungsketten geführt, um Warenströme mit regionalem Schwerpunkt in den Fachhandel fließen zu lassen.

Ein regelmäßiger Austausch der Akteure innerhalb regionaler Wertschöpfungsketten biete wertvolle Erkenntnisse und lasse Verständnis und Vertrauen auf allen Seiten wachsen. Neben dem stationären Fachhandel seien auch andere Formen wie Soziale Landwirtschaft (Solawi) und Ökokisten für Biokreis von Bedeutung. Der Verband arbeite weiter daran, viele Beziehungen zu knüpfen und auszubauen. Dadurch gebe es Impulse für den Handel, aber umgekehrt auch für die Landwirtschaft. Der Austausch untereinander sei ein Kernaspekt. Es gehe nicht nur darum, ohne Stickstoffdünger, Pestizide und Gentechnik zu produzieren, sondern auch um Kooperationen mit dem Handel, um Vielfalt zu erhalten und zu fördern.

Thema in der anschließenden Diskussion, die von Marcus Wewer, Vorstand Handel BÖLW geleitet wurde, war auch eine mögliche Kampagne der Bundesregierung, um das 30-Prozent-Ziel zu befördern. Eine Werbung wie die der ehemaligen Verbraucherschutzministerin Renate Künast vor 20 Jahren sei heute nicht mehr zielführend. Die Verbraucher müssten dort abgeholt werden, wo sie sind, zum Beispiel bei der Außer-Haus-Verpflegung oder durch Schaffung von Einkaufserlebnissen, an denen selbst Aldi arbeite, so die Diskutanten.

Bio sei komplex und nur schwer zu vermitteln. Eine große Aufgabe sei es, Gesamtaspekte an die Öffentlichkeit zu bringen. So könnte zum Beispiel der Ökolandbau als Lösung in Zusammenhang mit der Klimakrise und dem Artensterben präsentiert werden. Dies erhöhe die Aufmerksamkeit für Bio.

Öko-Landbau auch in problematischen Ländern fördern

Doch es gibt Bedenken, dass es gelingen kann, die Branche als Systemlösung zu präsentieren und damit Bio zu fördern. Botschaften müssten deshalb, so ein anderer Vorschlag, vereinfacht werden, regional ansetzen und den Verbrauchern die Möglichkeit geben mitzudiskutieren. Netzwerke müssten gestärkt werden. Die neue Tierhaltungskennzeichnung sei zwar zu begrüßen, vermittle jedoch nicht genügend Inhalte und sei für den Bio-Fachhandel verzichtbar.

Zur Weiterbildung innerhalb der Wertschöpfungsketten verwies Alexander Gerber auf das E-Learning-Angebot von Demeter, das sowohl LEH als auch Fachhandel in Anspruch nehmen könnten. Dies sei für Filialisten ab fünf Märkten ohnehin Pflicht, wenn sie die Marke Demeter führen wollen.

Zur Frage, ob unsere Handelslandschaft enkeltauglich sei, merkte der geschäftsführende Demeter-Vorstand mit Blick auf den Kanzlerbesuch in China an, dass Wirtschaft allgemein ohne ethische Grundsätze betrieben werde. Zudem sei der Markt streng reguliert, was ethische Wirtschaftsweisen erschwere. Der von Bioland-Präsident Jan Plagge erwähnte Artikel 210a GMO, der Absprachen innerhalb einer Wertschöpfungskette zulasse, sei ein Hoffnungsschimmer.

Für den international stark vertretenden Anbau-Verband Naturland ende das Engagement nicht an den Grenzen problematischer Staaten. Lupenreine Länder gebe es nicht. Der gemeinnützige Auftrag laute auch hier: Wie kriege ich Ökolandbau in die Breite? Naturland sei in 60 Ländern mit 140.000 Bauern aktiv. Auch Gerber sprach sich dafür aus, in problematischen Ländern den Öko-Landbau durch die Zusammenarbeit mit den dortigen Bauern weiter zu fördern.

Kommentar zum 14. Marktgespräch

Für das Ziel 30 Prozent Bio gibt es zwar viele Handlungsmöglichkeiten, aber die meisten dürften nur mit hohen personellen und finanziellen Ressourcen zu bewältigen sein. Deshalb ist eine gemeinsame Anstrengung von Fachhandel und LEH erforderlich.

Während der Fachhandel in Zusammenarbeit mit den Anbauverbänden regionale Wirtschaftsketten aufbauen und Qualitätskriterien beim Sortiment stärker in den Fokus rücken soll, hat der LEH die Aufgabe, neue Bio-Kunden über seine Möglichkeiten am POS zu gewinnen und die Massen zu bedienen. Dafür müssen Anbauverbände weiterhin im LEH für die Umstellung auf Ökolandbau werben.

Dem Fachhandel obliegt dabei auch die Aufgabe, wieder Innovationstreiber zu werden und bei der Kommunikation mit den Kunden stärker die Nachhaltigkeitsaspekte des Ökolandbaus zu kommunizieren, die der LEH nicht vermittelt. Zudem ist die Schaffung von Bio-Einkaufserlebnissen in allen Vertriebskanälen geboten, um Kunden für nachhaltige Lebensmittel zu begeistern.

Große Werbekampagnen für Bio, die zwangsläufig nur Einzelaspekte beleuchten könnten, wurden beim 14. Marktgespräch eher zurückhaltend diskutiert. Hilfreich ist jedoch die Inwertsetzung der ökologischen Leistung, um im Wettbewerb mit konventionellen Produkten besser bestehen zu können. Horst Fiedler

Kommentare

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Georg Rieck

Frau Endres sagt: "Das Stigma der Hochpreisigkeit müsse durchbrochen werden, sonst drohe der „transformationsrelevante Wirtschaftsmarkt Bio“ einzubrechen." Die wahrgenommene Hochpreisigkeit entsteht an der Messlatte der Preisstellungen im LEH. Diese erreicht er durch Missbrauch seiner Marktmacht, indem die gesamten Lieferketten abgenagt und ausgehungert werde. Diese erreicht er durch das böse Spiel mit den Preisen. Durch die Flut der Angebotspreise und aller Arten von völlig unrealistischen Preisstellungen wird die Wertwahrnehmung stetig nach unten gedrückt.
80 % des Verbraucherverhaltens sind dadurch eingeengt auf viel, billig und bequem. "Zur Frage, ob unsere Handelslandschaft enkeltauglich sei, merkte der geschäftsführende Demeter-Vorstand...an, dass Wirtschaft allgemein ohne ethische Grundsätze betrieben werde." Das ist es! Der BioFachhandel hatte ein scharfes Profil indem der Handel nach ethischen Grundsätzen orientiert war und sich damit - David gegen Goliath - gegen das Lebensmitteloligipol stellte. Eine ökologische LBM Erzeugung mit Handelspartnern, die ethische Grundsätze vornan stellen, kostet mehr - muss mehr kosten, weil die niedrigen LBM Preise durch unethisches Handeln entstehen, durch Macht und Druck. Die Idee, Bio billig und damit massentauglich zu machen ist ein furchtbarer Irrweg! Da bleiben nur rauchende Trümmer übrig. Im Gegenteil, alle Beteiligten müssten alles daran setzen um das nötige Geld für eine enkeltaugliche Zukunft zu generieren! Der Markt wird das nicht richten können. Da ist politisches Handeln gefragt - vor allem, um die dabei entstehende soziale Frage zu lösen. Eigentlich muss diese sogar zu erst gelöst sein, bevor die LBM Wirtschaft transformiert werden kann.
In Indien kann man beobachten, dass das gehen kann, wenn man den Konzernen die Macht nimmt! Wenn Ernährung zurück kehrt in kleinteilige, regional angepasste
Strukturen.

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