Mit seinem Giebeldach und der runden Dachgaube erinnert der Bau an
eine kleine alte Dorfschule. Tatsächlich ist der Tübinger Naturkostladen
im Schafbrühl Teil einer kleinen Öko-Siedlung, die Mitte der 90er-Jahre
im Norden der Stadt geschaffen wurde: nach ökologischen Kriterien
gebaute Häuser mit Mietwohnungen, viel Grün, Bachlauf, Teich und Plätzen
zum Verweilen und Spielen, ideal für Familien.
Im Sommer laden Gartenmöbel und ein Sonnenschirm vor dem Laden ein, ein bisschen länger zu bleiben als nur zum Einkauf. Wer mag, kann sich auch drinnen einen Kaffee holen und ihn draußen auf der Bank unter der Kastanie genießen.
Wir finden ein Plätzchen in der Sitzecke zwischen Bücherregalen: Gekommen sind Eleni Leontidou, Gesellschafterin des als GmbH geführten Ladens, ihr Sohn, Mit-Gesellschafter und Geschäftsführer Orestis Kalpakidis und Edeltraut Stark, die früher Mitarbeiterin und Gesellschafterin war.
Voller Einsatz beim gesamten Team
Die Frauen erzählen, wie der Naturkostladen im Schafbrühl entstanden ist: Er wurde als Händler-Verbraucher-Erzeuger-Genossenschaft mit anthroposophischem Anspruch gegründet. Das passte zum Schafbrühl und zur gerade mal 500 Meter weiter gelegenen Waldorfschule. 1996 übertrug die Genossenschaft den Laden an sieben Mitarbeiterinnen, die ihn in Form einer GmbH weiterbetrieben. Jetzt, im 35. Jahr, hat sich das Rad wieder etwas weitergedreht.
Seit Januar gibt es nur noch drei Gesellschafter: Eleni Leontidou, Orestis Kalpakidis und, als stiller Gesellschafter, Orestis‘ Bruder Aris. Bei den meisten der bisherigen Gesellschafterinnen hatten sich Arbeits- und Lebensschwerpunkte verändert. Sie klinkten sich aus – Eleni Leontidou blieb. Sie war Anfang der 90er-Jahre als Kundin gefragt worden, ob sie Lust hätte, im Bioladen zu arbeiten. „Ich pflegte damals Regenwaldwürmer im Max-Planck-Institut. Klar hatte ich Lust“, erinnert sich Leontidou.
Aus den wenigen Stunden im Nebenjob wurde eine ganze Stelle, wenn nicht mehr. Wieviel Arbeitszeit sie tatsächlich für den Laden aufbringt, verrät Leontidou nicht. Edeltraut Stark sagt dazu: „Wir setzen uns hier richtig ein. Mit Herz und allem.“
Mutter und Sohn: Garanten für Kontinuität
Orestis Kalpakidis ist ebenfalls kein Neuling im Laden. Zunächst natürlich, weil er Eleni Leontidous Sohn ist. Und dann, weil er hier im Schafbrühl ebenfalls als Nebenjobber angefangen hat und mit der Zeit mehr und mehr Stunden übernahm. Eigentlich hat er an der nahegelegenen Hochschule in Reutlingen seinen Abschluss als Wirtschaftsingenieur gemacht. Doch „hier kann ich viel vom Gelernten einsetzen“, sagt der 28-Jährige, „und mit Zahlen konnte ich schon immer gut umgehen.“
Mutter und Sohn sind Garanten für Kontinuität. Das ist gut, denn bislang scheint die Kundschaft mit ihrem Bioladen sehr zufrieden zu sein: Silber- und Bronzeurkunden erkämpften sie für den Naturkostladen im Schafbrühl bei der Schrot&Korn-Leserwahl 2018. Jetzt errang der 90-Quadratmeter-Biomarkt Goldstatus und wurde Sieger in seiner Kategorie.
Viele der Mitarbeiterinnen wurden aus dem Kundenstamm rekrutiert. So wundert es nicht, dass sich die Altersspanne von 17 bis 71 Jahre erstreckt. Die beiden Männer im Team sind Kalpakidis, der Geschäftsführer, und sein Vater, der sich um die Sauberkeit in den Räumlichkeiten kümmert.
Waren aus Griechenland
Das Besondere am Sortiment des kleinen Tübinger Bioladens: „Wir haben Produkte, die andere nicht haben“, sagt Eleni Leontidou selbstbewusst. Beispielsweise Brennnesselsamen oder Einkorn. Obst und Gemüse stammt bevorzugt aus Demeter-Anbau, zweite Präferenz ist Bioland. Wenn möglich, beschränken sich die Ladner auf ein Angebot, das aus der Region stammt und zu den Jahreszeiten passt.
„Orangen im September gibt es bei uns nicht“, bekräftigt Leontidou. „Da schmecken die auch noch nicht.“ Sie muss es wissen, denn sie kam mit neun Jahren aus Griechenland, einer Orangen-Nation. Ihr Großvater baute dort Obst undGemüse nach dem Mondzyklus an, Spritzmittel kamen nicht in Frage. Auch nicht für ihren Vater, der in Deutschland nebenher gärtnerte.
Waren aus Griechenland wie Bergtee,
Kräuter, Honig, Reis, Olivenprodukte und in der Saison auch Obst und
Gemüse sind ein weiterer Sortimentsschwerpunkt. Das ergab sich vor allem
deswegen, weil ein paar Kilometer weiter unten im Tal der griechische
Obst- und Gemüse-Importeur Bio-Illios mit seinen Waren handelt.
Bruderhahn-Eier
liefert das nahegelegene Hofgut Martinsberg. Für Fleisch und
Wurstwaren, die im Schafbrühl-Laden zu finden sind, kommen manche Kunden
von weit her. Sie stammen aus dem Balinger Uria-Projekt, gegründet von
Ernst Hermann Maier, der sich für eine neue Art der Tierhaltung
einsetzt. Die Rinder leben frei im Familienverband, tragen keine
Ohrmarken und werden so schonend wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung
getötet. SchlachttierTransporte sind damit obsolet. Und nebenbei: Die
Strecke Tübingen – Balingen beträgt gerade mal 40 Kilometer.
Käse, Obst, Gemüse und antroposophische Literatur
Eine weitere Besonderheit ist die edle Rohschokolade aus der Mandorla Chocolate Manufaktur im nahegelegenen Schönaich. „Wir sind die einzigen in Tübingen, die sie anbieten können“, freut sich Orestis Kalpakidis und erzählt von weiteren kleinen Speziallieferanten. „Das macht mehr Arbeit, aber es macht auch unsere Individualität aus.“
90 Quadratmeter Fläche bieten nicht nur Platz für Obst und Gemüse, Käsetheke, Lebensmittel aus der Kühlung, Trockensortiment und Naturkosmetik von Weleda und Dr. Hauschka. Links von der Eingangstür finden Kunden auch ein Buch über Ernst Hermann Maier, den „Rinderflüsterer“, vor allem aber anthroposophische Literatur. In den Regalen dazwischen befinden sich Schreibwaren und Schulbedarf, Märchenwolle und spezielle Bienenwachskerzen, Kuscheltiere, Schmuckkarten und Geschenkartikel.
Kein Wunder, dass sich hier nicht nur Erwachsene wohlfühlen, sondern auch Kinder. Beispielsweise der sechsjährige Leon aus der Nachbarschaft, der oft im Laden ist und „ein bisschen hilft“, wie Eleni Leontidou sagt. Leon ist ihr „Adoptivenkel“, aber andere Kinder dürfen auch hierbleiben und helfen. Oder sie kommen mit dem Zettel in der Hand aus der Nachbarschaft und kaufen ein. Kein Problem bei den dorfähnlichen Strukturen. Die Atmosphäre im Laden sei familiär. „Viele sind auch einfach da, weil sie reden wollen oder weil sie Freunde geworden sind“, sagt Orestis Kalpakidis.
Lieferdienst auf Wunsch
Wichtige Kundschaft sind junge Familien mit ihren Kindern, dazu kommen ältere Leute. Kunden, die nicht gut zu Fuß oder mal krank sind, bekommen ihren Einkauf auf Wunsch nach Hause geliefert.
Zum Klientel gehören auch Lehrerinnen und Lehrer der Waldorfschule sowie Eltern, deren Kinder dort unterrichtet werden. Größere Kunden sind zwei Restaurants, die regelmäßig Gemüse aus dem Schafbrühl beziehen. Erstaunlich ist, dass in der Universitätsstadt Tübingen offenbar relativ wenig Studenten den Weg zum Naturkostladen im Schafbrühl finden. „Fünf Prozent vielleicht“, schätzt Orestis Kalpakidis. Und das obwohl sich der Laden in Laufnähe von Studentenwohnheimen befindet.
Sorgen macht sich der Geschäftsführer deshalb nicht. Auch nicht wegen der Konkurrenz. Wenige hundert Meter weiter liegt der Weiler Waldhausen mit zwei Hofläden, einer davon gehört zu einem Bioland-Hof. Und in der Nähe der Waldorfschule steht seit 2007 eine Filiale des weit über Tübingen hinaus bekannten Marktladens. Außerdem gibt es in der Stadt einen weiteren Marktladen, mehrere kleine Bioläden und zwei große Alnatura-Supermärkte.
Die Erfahrung hat gezeigt: In Tübingen gibt es nicht nur viele Bioläden, sondern auch eine große Anzahl an Bio-Kunden. Da bleibt weiterhin Platz für den Naturkostladen im Schafbrühl mit seinen großen und kleinen Besonderheiten.
Zahlen, Daten, Fakten
- Inhaber: Orestis Kalpakidis
- Adresse: Berliner Ring 65, 72076 Tübingen
- Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8-19, Samstag 8-14 Uhr
- 1985: Gründung als Genossenschaftsladen (90 Quadratmeter)
- 1996: Umwandlung in eine GmbH
- Produkte: etwa 2.500 bis 3.000 Artikel
- Anzahl Mitarbeiter: 8 (6 Frauen, 2 Männer / 3 VZ, 5 TZ)
- Großhändler: Pax an, Rapunzel, Biogarten, Pural, Bio Ilios
- Webseite: www.naturkost-schafbruehl.de
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