Biohandel

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Höchste Zeit für Emotionen

Konventionelle Hersteller und Handelsketten haben Bio und Nachhaltigkeit entdeckt. Das stellt den Naturkostfachhandel vor Abgrenzungsprobleme. Unternehmerpersönlichkeiten sind gefordert, sich auf emotionale Werte zu besinnen.

Bio-Kompetenz und die Klaviatur der Nachhaltigkeit reichten der Naturkost-Branche lange Zeit aus, um Kunden zu gewinnen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Mittlerweile wird es immer schwerer zu argumentieren, warum Verbraucher unbedingt in einem Biomarkt einkaufen oder zumindest zu den „echten“ Biomarken greifen sollen. Vor allem seit Label namhafter Bio-Anbauverbände auf den Marken konventioneller Handelsketten wie Edeka, Rewe und Lidl zu finden sind. Und Nachhaltigkeit zu kommunizieren verstehen die konventionellen Kollegen dank üppiger Marketing-Budgets oft besser als der Fachhandel.

Bio und Nachhaltigkeit reichen nicht aus

Wenn Konsumenten durch die Pandemie bewusster werden und bei ihren Einkäufen stärker auf ihr eigenes Wohl und das der Mitgeschöpfe achten, werden konventionelle Hersteller mit weiteren Produkten auf Bio umsteigen und LEH und Discounter ihr Bio- und Nachhaltigkeitsangebot vergrößern. Dadurch besteht für den Fachhandel grundsätzlich die Gefahr, ersetzbar zu werden – auch wenn er zunächst vom veränderten Bewusstsein profitieren kann. Die günstigen Vertriebskosten, die sich in den Preisen an den Regalen im konventionellen Handel spiegeln, dürften ausschlaggebend sein, wenn kaum noch Unterschiede zwischen Fachhandels- und LEH-Bio feststellbar sind. Will sagen: Sich über Bio-Kompetenz und vermeintliche Werte wie Nachhaltigkeit, Fairness, Verantwortung oder Kundenorientierung zu definieren, reicht längst nicht mehr aus.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, Bio-Fachhandelskunden nicht an Supermärkte oder Discounter zu verlieren, die zusammen über wesentlich mehr Outlets verfügen und damit viel besser erreichbar sind. „100 Prozent Bio“ im Fachhandel ist offenbar für die meisten Kunden kein Argument, einen weiteren Weg in Kauf zu nehmen, wenn sie ohnehin nur wenige Artikel einkaufen wollen. Und wenn Aldi der erklärtermaßen größte Biohändler ist, dann tut der Discounter nüchtern betrachtet auch viel für den Umbau der Agrarwirtschaft. Warum also unbedingt im Biomarkt einkaufen?

Für die Unternehmensberaterin Merle Astrid Sonnenburg tritt durch diese prekäre Situation ein altes Problem der Branche noch klarer in den Vordergrund: „Der Naturkostfachhandel – Hersteller wie Biomärkte und Großhändler – verstecken sich in der Regel hinter rationalen, austauschbaren Werten, die wenig mit der eigenen, wertvollen Persönlichkeit zu tun haben. Die Frage ist doch: Wodurch sind die Unternehmen überhaupt nachhaltig, fair, verantwortungsvoll?“

Individuelle Werte geben klare Orientierung

Sonnenburg rät den Unternehmen, ihre emotionalen Werte zu finden und diese zum Dreh- und Angelpunkt zu machen. So könne die „wertvolle“ Persönlichkeit der Firma und damit auch die Marke auf allen Ebenen lebendig und nach außen für den Kunden erlebbar werden.

„Nicht nur im Marketing geben die individuellen Werte klare Orientierung. Gerade auch zum Beispiel im Ladenbau, in der Produkt- und Sortimentsentwicklung, vor allem aber im Bereich Personal konzentrieren sich die führenden Angestellten mit den Werten auf das Wesentliche“, erläutert Sonnenburg. Mit den individuellen Werten könnten gezielt Mitarbeiter gefunden werden, die persönlich ins Unternehmen passen. Das sei entscheidend. Denn Biowissen sei erlernbar, emotionale Werte hingegen seien es nicht: „Sie leben in einem Menschen oder eben nicht.“

Gerade den Biofirmen empfiehlt die Unternehmensberaterin, persönliche Werte für die Gewinnung neuer Mitarbeiter oder das Marketing zu nutzen. „Neben Bio-Kompetenz und Nachhaltigkeit haben diese Unternehmen – wenn auch nicht bewusst – eine spannende, wertvolle, eigene Persönlichkeit zu bieten. Sie brauchen diese nur klar nach außen zu tragen. Es muss nichts erfunden werden. Die Marke ist das Unternehmen“, sagt die Beraterin und sieht hier einen Unterschied zu vielen konventionellen Wettbewerbern.

Insgesamt gehe es ihrer Meinung nach darum, mit den persönlichen emotionalen Werten die wahren Wurzeln des Unternehmens zu erkennen, die einst durch die Gründerpersönlichkeit entstanden sind: „Die wesentliche Aufgabe der Chefinnen oder Chefs ist es, diese Wurzeln gesund und lebendig zu erhalten: durch die eigene Persönlichkeit, durch ihr Sein. Nicht über Kompetenzen, nicht über ihr Tun oder austauschbare Werte. Dann kann das Wertvolle der Firma aus den Wurzeln heraus über den Stamm hin zu den Ästen und Zweigen fließen, wo letztlich die Blüten und Früchte gedeihen.“ Den Vergleich mit einem Baum wählt sie bewusst: Die Wurzeln sind die Unternehmerpersönlichkeit, der Stamm die leitenden Angestellten, die Äste und Zweige die übrigen Mitarbeitenden.

Kunden wollen im Herzen angesprochen werden

Sonnenburg glaubt, dass eine klare emotionale Positionierung – vor allem das Bewusstsein darüber – einem Unternehmen deutlich Schwung verleihen kann. Entscheidungen könnten viel leichter getroffen werden, wenn ein für alle Mal klar sei, wofür das Unternehmen wirklich steht.

„Wer für seinen USP auf kopierbare Werte setzt und nicht auf individuelle, emotionale Werte, lässt ein riesiges Potenzial ungenutzt. Nur Bio und nachhaltig zu sein ist zu wenig. Kunden oder Mitarbeiter wollen sich im Herzen angesprochen fühlen. Bislang verborgene emotionale Werte sollten deshalb aufgedeckt werden“, erläutert Sonnenburg. Und alle, die befürchten, dass da vielleicht nichts Gutes bei rauskommt, beruhigt sie: „Im Kern ist jedes Biounternehmen wertvoll und einzigartig.“

Merle Astrid Sonnenburg

Das tieferliegende Potenzial von Unternehmen zu ergründen und durch emotionale Werte sichtbar zu machen, hat sich die Unternehmensberaterin Merle Astrid Sonnenburg zur Aufgabe gemacht. Sie hilft Unternehmerpersönlichkeiten dabei ihre Unternehmens- und Markenwerte zu finden. Darüber hinaus begleitet sie Personal- und Marketingabteilungen in der Umsetzung der Werte. In der Kundenliste auf ihrer Webseite stehen Unternehmen wie Bio Company oder Bauckhof.

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