„Fuck-up Night“ – ein Veranstaltungstitel, der viele Menschen provozieren dürfte. Denn „Fuck-up“ ist Slang und bedeutet so viel wie jemanden fertigmachen. Der Begriff steht aber auch für Schlappe, Scheitern oder Misserfolg. Dabei geht es bei dieser Art von Event keinesfalls darum, jemanden fertigzumachen, sondern um eine neue Kultur des Umgangs miteinander, um eine neue Fehlerkultur. Missgeschicke sollen nicht vertuscht, sondern zur Sprache gebracht werden, damit andere davon profitieren.
Deswegen steht Marion Bohner jetzt vorne im nicht besonders großen Raum des Kirchberger Schlossmuseums, vor sich ein Publikum von knapp 40 Leuten. Die Bio-Landwirtin hat sich spontan gemeldet und berichtet nun bei der Vorabendveranstaltung der Öko-Marketingtage von ihrem Fehlschlag.
Pleite im neuen Kompoststall
2004 übernahm sie gemeinsam mit ihrem Mann den Bauernhof seiner Eltern in Bad Waldsee – 50 Milchkühe mit Nachzucht, Weideland, Äcker, Wald. Sie träumten von einem Kompoststall für ihre Kühe, davon gab es bis dahin höchstens zehn Prototypen in ganz Deutschland. Bausumme 700.000 Euro, Landwirtschaftsamt und Regierungspräsidium zweifelten und zögerten die Bewilligung hinaus.
Dabei ging es aufs Jahresende zu und die EU-Zuschüsse sollten im neuen Jahr von 35 auf 25 Prozent gekürzt werden. „Ein enormer Betrag wäre uns da entgangen“, berichtet Bohner. Nach langem Hin und Her zogen die Kühe ins neue Domizil ein, doch dann das Desaster: Das gehäckselte Grüngut fürs Einstreu, das die Landwirte der Kommune abnahmen, tat den Eutern nicht gut. Eine Woche lang durfte die Milch nicht verkauft werden. „Wir mussten sie wegschütten. Das tat so weh.“
Sie experimentierten dann mit Stroh (wurde matschig), mit Chinaschilf (wurde zu teuer) und landeten schließlich bei einer Mischung aus Hackschnitzeln, Dinkelspelzen und Sägespänen. „Jetzt sind meine Mädels zufrieden im Stall“, freut sich Marion Bohner. Der Wermutstropfen: Statt von der Gemeinde Geld für die Abnahme des Grünguts zu kassieren, müssen die Stallbauer nun fürs Einstreu zahlen. Und Hackschnitzel und Co. sind auch Heizmaterial und daher inzwischen gefragter denn je. Seit ein, zwei Jahren ziehen die Preise heftig an.
Aus eigenen Fehlern Mehrwert für andere schaffen
Für ihren Bericht bekommt Marion Bohner stehenden Applaus und später im persönlichen Gespräch viele positive Rückmeldungen. Sich einfach so vorne hinzustellen und vom eigenen Fehlschlag zu berichten, braucht oft Mut. Marion Bohner fiel es nicht so schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Sie ist es gewohnt im größeren Kreis zu reden, engagiert sich ehrenamtlich, beispielsweise im Präsidium von Naturland
und im Vorstand der AöL Baden-Württemberg.
Inzwischen hat sogar das Fernsehen über den Kompoststall und den Biohof in Bad Waldsee berichtet. Doch der Naturland-Landwirtin war es wichtig, die ungeschönte Realität zu zeigen, dass Durchhaltevermögen nötig war, dass das Ergebnis nicht perfekt ist und dass man sich von Hürden nicht abhalten lassen sollte. Und sie hofft, dass andere aus ihrer Geschichte etwas lernen ohne Lehrgeld zahlen zu müssen. Bohners Fazit: „Es war eine harte Zeit, aber wir haben das als Paar und als Familie zusammen durchgestanden und es hat uns stärker gemacht.“
Unterhaltung meets offene Fehlerkultur
Bei „Fuck-up Nights" geht es darum, Fehlschläge als Teil der Realität zu akzeptieren oder sogar als Chance wahrzunehmen. Sie werden in Städten wie Berlin veranstaltet und längst auch von Hochschulen, Industrie- und Handelskammern oder Unternehmensberatern organisiert. Gelegentlich ist das eine richtige Show, mit Machern oder Macherinnen, die berichten, wie sie ganz klein anfingen, Millionen verdienten – und dann in den Sand setzten.
Mit Geschichten vom großen Erfolg und vom großen Scheitern lassen sich Säle füllen, sie sollen unterhalten. Im kleineren Rahmen in Kirchberg ging es darum, eine offene Fehlerkultur anzuregen. An diesem Abend erzählten drei weitere Freiwillige von ihren Misserfolgen, bekamen Beifall und Zuspruch. Nicht jede Geschichte war geeignet, um an die große Glocke gehängt zu werden. Denn anders als bei den üblichen „Fuck-up Nights" konnten auch persönliche Themen zur Sprache kommen.
„Helden mit wirtschaftlichem Erfolg zu zeigen war uns zu wenig“, sagt Sophie Löbbering, die durch den Abend führte. Die Moderatorin gehört zu Iniciato, einem Beratungsteam, das in der Bio-Branche und verwandten Milieus coacht, Team- und Organisationsentwicklung begleitet und Netzwerke weiterbringt. Die Beraterin beobachtet in der Branche junge Einsteiger, die enttäuscht sind, weil ihre Vorschläge nicht ankommen und weil ihr Schwung gebremst wird. „Manche trauen sich auch nicht, etwas auszuprobieren und neue Ideen anzubringen.“ Auf der Führungsseite mangle es an Offenheit, neue Ideen und Chancen zu sehen und zuzulassen.
Mut zu mehr Risikobereitschaft
Eine konstruktive Fehlerkultur, die es erlaubt hinzuschauen und zu lernen, soll neue Wege öffnen und neue Räume schaffen. Wer Missgeschicke als Chance wahrnimmt, hat weniger Angst etwas zu riskieren. „Vieles wird zum Erfolg, wenn man es nur versucht“, sagt Sophie Löbbering und ermuntert die Bio-Branche zur Risikobereitschaft: „Gerade jetzt, wenn das, was bisher funktionierte, keinen Erfolg mehr bringt.“
Auch die Veranstalterinnen bei den Öko-Marketingtagen gingen mit ihrer
„Fuck-up Night“ ein Risiko ein. Denn eine Veranstaltung dieser Art hatte
noch keine von ihnen organisiert. Ursprünglich wollten die
Organisatorinnen von AöL, BNN, der Akademie Schloss Kirchberg und
Iniciato im Rahmen der Plattform Next Generation Bio einen Workshop für
Nachwuchsführungskräfte der Biobranche anbieten. Dann beschlossen sie,
das Event für alle Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu öffnen.
„Viele waren berührt von den Berichten und viele haben im kleineren Rahmen von eigenen Erfahrungen erzählt.“
Tatsächlich kamen erfahrene Führungspersönlichkeiten genauso wie Nachwuchskräfte und Start-up-Leute. Sophie Löbberings Eindruck: „Viele waren berührt von den Berichten, viele haben im kleineren Rahmen von eigenen Erfahrungen erzählt. Da entstand eine ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe und ich glaube, das ging über die gesamten Öko-Marketingtage weg und das wirkt nach.“ Auf Linkedin schreibt sie: „Wir wollen diese Kultur weiterentwickeln und in der Bio-Branche als neues Normal leben.“
„Für uns als Verbände ist die Nachwuchsförderung der Schlüssel für eine zukunftsfähige starke Bio-Branche. Deshalb engagieren wir uns gemeinsam mit der ÄöL und Iniciato bereits seit mehreren Jahren aktiv mit der Next Generation Bio. So entstand auch die Idee der FU-Night und wir freuen uns sehr darauf, sie im Rahmen der Biofach 2024 fortzusetzen“, sagte Kathrin Jäckel vom BNN.
Veranstaltungstipp: Fuck-up Night meets Biofach
Auf der Biofach in Nürnberg wird es eine weitere Veranstaltung im Stile einer „Fuck-up Night" geben: Am Donnerstag, 15. Februar, 16.30 bis 18 Uhr, auf der Sonderfläche „Zukunft braucht Netzwerk“.
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