Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Sortimente

Category Management: Was gehört ins Bioladen-Regal?

Die meisten Fachhandelsmarken werden inzwischen auch im Lebensmitteleinzelhandel verkauft. Wie sich Bioläden beim Sortiment dennoch weiter abheben können.

Olivenöl von Mani Bläuel, Nussmuse von Rapunzel, Gewürze von Sonnentor und Herbaria, italienische Spezialitäten von La Saleva, Pasta von Bioverde, Gemüse-Curry von Zwergenwiese, Burger Buns von Schnitzer, Grünkernbratlinge von Bauck, Krunchys von Barnhouse, Schoko-Haferlinge von der Bohlsener Mühle, Kaffee von Lebensbaum und Mount Hagen: Was sich wie ein Streifzug durch einen Bioladen liest, gehört tatsächlich zum Sortiment eines Tegut in Frankfurt Mitte. 

Auch bei Rewe sind Marken aus dem Fachhandel immer stärker präsent. Ebenso in Edeka-Märkten, von denen rund 100 zusätzlich eine Naturkindwelt mit Fachhandelsware betreiben.

Fast alle großen Fachhandelsmarken suchen ihr Glück im LEH

Dass Produkte der Bio-Pioniere auch im LEH stehen, ist nicht neu. Spätestens aber seit der Inflation und dem Umsatzeinbruch im Fachhandel 2022 suchen fast alle Marken, die dort groß geworden sind, ihr Glück auch im LEH. Nach Bio und Verbandsware ist den Bioläden mit den Fachhandelsmarken das wohl letzte große Alleinstellungsmerkmal beim Sortiment verloren gegangen.

Die Läden müssen sich mehr denn je die Frage stellen, wie sie sich abgrenzen können. Braucht es eine rigorose Spezialisierung? Mehr Regionales? BioHandel hat mit Sortiments-Experten gesprochen und bei spezialisierten Bioläden nachgefragt, wie gut sie mit ihrem Fokus auf bestimmte Sortimente fahren.

Marken bleiben wichtig

Für Christoph Gerhard, Senior Category Manager beim Großhändlerverbund Die Regionalen, erfüllen erfolgreiche Ladenbetreiber insbesondere drei Merkmale: Neben einer starken Unternehmerpersönlichkeit, die kommunikativ ist und Vertrauen schafft, bieten sie ein Sortiment an, das aus regionaler Frische und Spezialisierung besteht. 

Gerhard sagt aber auch, dass es für eine erfolgreiche Vermarktung die großen Marken brauche. Und er warnt vor zu spitzen Sortimenten: „Eine Nische in der Nische, das wird schwierig.“ Nur Demeter-Ware, nur TK, nur vegane Lebensmittel – da ist der Sortimentsexperte skeptisch: „Das wäre wahrscheinlich zu radikal – wenn man seinen Laden nicht irgendwo mitten in Berlin hat.“

„Es gibt noch Lücken im Sortiment“

Christoph Gerhard Senior Category Manager beim Großhändlerverbund Die Regionalen

Herr Gerhard, wie experimentierfreudig sind Bioläden, wenn es um das Sortiment geht?
Nach Seminaren, die ich zu diesem Thema angeboten habe, beobachte ich durchaus Aktivität bei den teilnehmenden Ladnerinnen und Ladnern. Ein erfolgreiches Sortiment ist aber kein Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess, so wie die regelmäßige Kontrolle des MHD.

Reicht das Sortiment des Großhandels aus, damit sich die Bioläden vom LEH abgrenzen können?
Die Regionalen bestehen aus elf regionalen Großhändlern, die insgesamt rund 18.000 Artikel im Angebot haben. Deren Direktbezug von regionalen Anbietern wie Höfen oder Gärtnereien ist schon sehr ausgeprägt. Einmal im Monat stellen die Großhändler sich außerdem gegenseitig neue Produkte vor, um innovativ zu bleiben. Auch unsere eigene Kosmetikmarke Lenz Naturpflege ist weiterhin ein exklusives Angebot an den selbstständigen Fachhandel. Also ja, ich denke, da gibt es genug Auswahl für ein attraktives Sortiment im Bioladen

Vor allem bei veganen Produkten hört man immer wieder, dass der Bio-Fachhandel noch Nachholbedarf habe.
Es gibt im Bio-Sortiment sicher noch Lücken gegenüber dem Angebot des konventionellen Lebensmittelhandels. Allerdings sind hier bewusst Grenzen gesetzt bei den Zusatzstoffen. Mir persönlich fehlen vegane Trendprodukte. Käsealternativen gibt es noch immer selten im Bioladen. Gleichzeitig würde ich mir auch mehr Sortimentstiefe, besonders bei veganer Convenience, wünschen. Etwa vegane Schnitzel in Anlehnung an die tierischen Vorbilder. Danach suchen Menschen, die „umsteigen“ wollen. Teilweise haben wir das schon, etwa mit den pflanzlichen Brotaufstrichen von Allos, Zwergenwiese und anderen, die den Geschmack von Leberwurst vor allem durch raffinierte Gewürzrezepturen nachahmen.

Fokus auf Veganes

So wie Dr. Pogo. Die Betreiber des 90 Quadratmeter großen Markts in Berlin-Neukölln bezeichnen sich als Veganladen in kollektiver Selbstverwaltung. Rund 2.000 vegane Artikel bieten sie dort an – von Lebensmitteln über Kosmetika und Tiernahrung bis zu Haushaltsmitteln und Süßigkeiten. Circa 90 Prozent davon in Bio-Qualität.

Ein Problem beim Fokus auf Bio-vegan: Mitbetreiber Andreas Keller zufolge bevorzugen viele Kunden von Dr. Pogo den Geschmack und die Textur von konventionell hergestellten Produkten, etwa bei veganem Scheibenkäse. Hier seien die konventionellen Produkte wesentlich beliebter, sagt Keller.

Nachteile der Spezialisierung: „Wo sind die Eier?“

Auch die Nachteile der Spezialisierung sind stets präsent. „Wir bekommen sehr häufig die Frage, wo denn die Eier seien“, sagt Keller. Erst kürzlich habe ein Kunde gesagt, „dass er sehr gern bei uns einkauft, aber für ihn die Milch und die Butter fehlten“.

Dass der Kiezladen dennoch gut läuft, erklärt Keller auch damit, dass Menschen, die sich vegan ernähren, im Dr. Pogo ein einmaliges Einkaufserlebnis hätten. „Die Tatsache, dass ein Neuprodukt einfach mal so ausprobiert werden kann, ohne erst die Zutatenliste zu überprüfen, stellt eine große Erleichterung dar“, sagt er. 

„Wir haben Leute aus ganz anderen Stadtteilen und teilweise auch aus dem Umland, die zwar in größeren Abständen aber regelmäßig kommen, weil sie bestimmte Produkte nur bei uns bekommen.“ Außerdem komme es bei den Leuten gut an, dass die Betreiber politisch motiviert agieren und zum Beispiel Biomarken, die von Großkonzernen aufgekauft wurden, auslisten. Keller zufolge ist das Umfeld für reine Veganläden schwieriger geworden, seit diese Produkte erfolgreich ihren Weg in den Mainstream gefunden haben.

Biozyklisch-vegan

Wer den kompletten Shift hin zu einem Vegan-Sortiment scheut, dem empfiehlt Keller, die Bereiche mit veganen Produkten klar zu kennzeichnen. „Aus eigener Perspektive als Kunde kann ich sagen, dass es sehr schön ist, wenn ein ausgewiesener Bereich vegan ist.“ Auch eine gesonderte Auszeichnung, etwa durch farbliche Markierung, helfe.

Ein Aspekt, mit dem sich Läden abheben können, sei das Thema biozyklisch-veganer Anbau: vegan angebautes Gemüse, das als solches deklariert ist. „Das wäre etwas, was viele im veganen Bereich gerne sehen würden“, sagt Keller. Allerdings ist das Thema noch nicht sehr bekannt und das Produktangebot entsprechend klein. Eine Spezialisierung ist erstmal schwierig. Gleichwohl zeigen Ladner mit solcher Ware Pioniergeist, welcher dem Fachhandel besonders im veganen Bereich inzwischen abgesprochen wird.

Fokus auf Regionalität

Kein neues, aber nach wie vor wichtiges Thema, um sein Profil zu schärfen, ist Regionalität. Der Wettbewerb um gute Produkte aus der Nähe ist groß. Auch der LEH versucht, sich so von der Konkurrenz zu unterscheiden. „Grundsätzlich ist das Thema heimische oder regionale Produktionsstätten zu suchen für uns elementar“, sagt etwa Fabian Voichita, Senior-Einkäufer für die Rewe-Marke Bio+vegan.

Für Christoph Gerhard sind regionale Produkte im Trockensortiment und in den Kühlregalen das „Sahnehäubchen“ im Sortiment eines Bioladens. Damit könne gutes Marketing gemacht werden, Umsatz ließe sich damit in der Regel kaum generieren, sagt er. Julia Kollmannsberger vom Priener Regional- und Biomarkt, bestätigt das: „Es ist ein Trugschluss zu glauben, sich nur mit Regionalität positionieren zu können“, denn das habe bald jeder, sagt sie. 

Dennoch ist für sie schon seit 20 Jahren klar, dass regionalen Produkten der Vorzug zu geben ist. Auch der auf regionale Ware spezialisierte Bioladen Radis & Bona schreibt auf seiner Webseite: Allein mit regionalen Bio-Produkten lasse sich der Laden mit allen Kosten nicht finanzieren.

Natürlich Mainz setzt dennoch den Fokus auf Lebensmittel aus der Umgebung. Mit Wirkung. „Als Schwerpunktsortiment trage Regionales „maßgeblich zur Kundenbindung, zum Umsatz und zum Ertrag bei“, sagt Marktleiter Mirko Krpic. Er und sein Team setzen neben selbstproduzierten Speisen im Bistro auf Produkte kleiner regionaler Betriebe, die sie persönlich kennen. Diese liefern direkt an Natürlich Mainz und veranstalten dort immer wieder Verkostungen.

Transparenz ist wichtig

Ein Vorteil des Schwerpunkts: Regional werde allenfalls hinsichtlich der Preisstellung oder in Form von vertiefendem Storytelling erklärungsbedürftig, sagt Krpic. Vor allem letzteres sei relevant. „Authentische Geschichten über kleine Lieferanten werden zunehmend wichtiger als Herstellermarken.“ 

Auch Sortimentsexperte Gerhard sagt: „Transparenz bei der Herkunft der Produkte ist in diesen unübersichtlichen Zeiten Gold wert.“ Aber: Je mehr Ware man von Lieferanten aus der Umgebung beziehe, umso aufwändiger ist das Ganze. Krpic bestätigt das: „Angesichts des Beschaffungsaufwands bei kleinen und regionalen Direktlieferanten leben wir immer im Spannungsfeld zwischen Exklusivitätswunsch und einfacher, flexibler Bestellung über den Großhandel.“

Was wollen die Kunden?

Egal, wohin die Spezialisierung geht, Ladenbetreiber sollten den Markt zuvor analysieren. „Spezialisierung ist gut, wenn die Kunden dafür auch da sind“, sagt Gerhard. Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg mit einem Spezialsortiment ist für Krpic, dass man von dem Schwerpunkt, den man anbietet, überzeugt ist und darüber Bescheid weiß.

Fokus auf Gesundheit

Ein Thema, das viele Kunden umtreibt – das haben die Rückmeldungen bei der jüngsten Wahl der Besten Bio-Läden 2025 gezeigt – ist das Thema Gesundheit. Selbst von Allergien betroffen, hat Eugenia Backes sich in viele Themen eingelesen und sich auf ein Lebensmittelangebot für Leidensgenossinnen und -genossen spezialisiert. Im Laden gibt es dafür einen eigenen Bereich. „Wir sind die Nische für Allergiker“, sagt Backes. Auch, weil es in ihrem Ort Grünberg kein Reformhaus gibt. Zweimal im Jahr lädt sie die Kundschaft in ihren Bioladen Schalotte ein. Eine Heilpraktikerin hält Vorträge zu Themen wie Entgiftung und Backes kocht für alle. Das Interesse sei groß, sagt sie.

Fabian Ganz vom Marktforscher bioVista sieht ebenfalls Potenzial im Gesundheitsbereich. Makrobiotik und Ayuverda sind ihm zufolge Sortimente, mit denen sich ein Laden abheben könne.

Die Nische in der Nische

Dass auch eine sehr starke Spezialiserung funktionieren kann, zeigt das Beispiel von Distel Bio+. Frankfurts ältester Bioladen hatte drei verschiedene Inhaber – von denen Nummer zwei und drei nicht lange blieben – bevor 2011 zwei Japaner das Geschäft übernahmen. Seit 2023 befindet sich die Distel unweit des Frankfurter Römers. Ein Sortiment, wie man es aus einem „normalen“ Bioladen kennt, findet man hier nicht mehr. 

„Wir sind eigene Wege gegangen“, sagt Inhaberin Ako Isomura-Katakura. Die Zunahme von Bio-Einkaufsstätten in der Umgebung machte dem kleinen Bioladen zunehmend das Leben schwer. Das Alleinstellungsmerkal der Distel sind heute japanische Spezialitäten wie Matcha, Grüntee oder Sake. Dazu verkauft der Laden Naturkosmetik kleiner europäischer Hersteller und aus Japan. Auch viele ätherische Öle und fermentierte Lebensmittel nach japanischer Tradition, wie Koji oder Miso gibt es dort. 

Rund 90 Prozent der Produkte sind der Inhaberin zufolge in Bio-Qualität. „Gutes fürs Geld und für die Gesundheit, Genuss und Freude“, fasst Isomura-Katakura ihr Sortiment zusammen. Weil viele Produkte erklärungbedürftig sind, organisisert sie oft Infoveranstaltungen. Mit dem Sortiment zieht Distel Bio+ Kunden aus ganz Frankfurt und darüber hinaus an.

Es gibt nicht die eine Lösung für alle

Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis: Jeder Einzelhändler muss die richtige Lösung für seine Kundschaft finden. „Inhabergeführte Läden folgen hier natürlich anderen Kriterien als Filialisten und können sehr ins Detail gehen, um sich von den Mitbewerbern zu unterscheiden“, sagt Fabian Ganz. Spezielle Sortimente seien dafür durchaus eine Möglichkeit. „Es gibt aber keine allgemeingültige Lösung, sie hängt vielmehr von Kriterien wie Lage, Kundschaft und auch den Vorlieben des Inhabers ab“, so Ganz.

Christoph Gerhard sagt, „ein erfolgreiches Sortiment sei ein fortlaufender Prozess, „so wie die regelmäßige Kontrolle des MHD“. Eine permanente Überprüfung sei unablässig. Das dürfte umso mehr gelten in einer Zeit, in der sich Bedürfnisse, Vorlieben und Trends immer schneller verändern.

Mitarbeit: Daniel Nickel

Kommentare

Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.

Weiterlesen mit BioHandel+

Melden Sie sich jetzt an und lesen Sie die ersten 30 Tage kostenfrei!

  • Ihre Vorteile: exklusive Berichte, aktuelles Marktwissen, gebündeltes Praxiswissen - täglich aktuell!
  • Besonders günstig als Kombi-Abo: ausführlich in PRINT und immer aktuell mit ONLINE Zugang
  • Inklusive BioHandel e-Paper und Online-Archiv aller Printausgaben beim ONLINE Zugang
Jetzt 30 Tage für 0,00 € testen
Sie sind bereits Abonnent von BioHandel+? Dann können Sie sich hier anmelden.

Auch interessant: