Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Bio-Wissen

Aus Kunden werden Gäste

Außer-Haus-Gastronomie liegt im Trend. Nicht immer ist sie wirklich profitabel, dient einigen Händlern aber dazu, sich von der Konkurrenz abzuheben. Für wen lohnt sich ein solches Angebot und welche Faktoren sind wichtig für den Erfolg? Wir zeigen Beispiele von Ladnern, die den Schritt zum Gastgeber gewagt haben.

Einkaufen und vor dem Rausgehen im angeschlossenen Bistro einen Milchkaffee trinken. Oder sich in der Pause zum Essen verabreden. Viele Kunden schätzen ein gastronomisches Angebot im Bioladen – vom belegten Brötchen bis zum Mittagstisch. Damit liegen sie im Trend. Laut IRA GIRA Foodservice wird rund ein Fünftel aller Mahlzeiten in Europa außer Haus konsumiert. Das eröffnet Biomärkten interessante neue Geschäftsfelder und Möglichkeiten der Kundenbindung.

Konsumforscher beschäftigen sich mittlerweile speziell mit dem Segment der Handelsgastronomie. Eine Studie des Kölner EHI Retail Institute hat in 2019 beispielsweise gezeigt, dass sich Verbraucher von der Handelsgastronomie mehr Angebote an vegetarischen, Bio- und nachhaltigen Gerichten wünschen, vorzugsweise frisch und saisonal, gerne auch mal glutenfrei. Eine Steilvorlage für den Biohandel.

Steigende Tendenz

Wie sich der Bio-Einzelhandel dazu positioniert ist statistisch nicht erfasst. Der bio verlag kam 2017 in einer Erhebung mit nicht gewichteten Zahlen auf einen Anteil von 42 Prozent an Biomärkten, die ein Bistro oder eine Kaffeebar führten. Nach Schätzung des Bio-Unternehmensberaters Klaus Braun sind es „mindestens 30 Prozent, mit zunehmender Tendenz“, die ein Gastroangebot bereitstellen.

Die Bandbreite des Angebots ist groß: Im Natürlich Mavita (100 m2) bekommen Gäste kalte Getränke oder frisch gebrühten Kaffee zu Kuchen, Kleingebäck oder belegten Brötchen. Das Platzangebot ist begrenzt: Den Kunden stehen zwei Bistrotische mit je zwei Stühlen zur Verfügung. Bei NaturPur in Berlin-Lichtenberg (50 m2)[nbsp]bekommen Kunden mittags Rohkostsalat, selbst zubereitete Suppe oder eine selbst gebackene Quiche, wofür die Angestellten eine Minimalausstattung mit Campingkocher und Mini-Backofen nutzen.

Frühstücksmenüs und Café

Die Ähre in Schwabach (130 m2) offeriert diverse Frühstücksmenüs und eine täglich wechselnde Mittagskarte. Im Biohof Bursch in Bornheim (600 m2) haben Kunden die Wahl zwischen drei Mittagsmenüs im Bistro, sie können morgens ausgiebig frühstücken oder nachmittags im hauseigenen Café Kaffeespezialitäten und selbstgebackene Kuchen genießen. Bei Biomichl in Weilheim (900 m2) nehmen die Gäste in zwei Gasträumen Platz und können bei schönem Wetter nach draußen auf die Terrasse.

Treffpunkt für die Kunden

So individuell wie die Örtlichkeiten sind auch die gastronomischen Konzepte. Die gelernte Köchin und Ladnerin Korinna Groschupp (Naturpur) verwertet beispielsweise auch nicht mehr ansehnliches Gemüse und Gewürze aus dem eigenen Laden und möchte ihren Kunden zeigen, was sich daraus Genussvolles machen lässt. Das nutzt sie, um den Kunden auch mal eher unbekannte Gemüsesorten nahe zu bringen. „Bertram, Galgant, Steckrüben – das kennen viele nicht.“ Manuela Gringmuth in Waltrop hat mit ihrem Angebot einen Treffpunkt geschaffen. „Mein Wohnzimmer“, sagt einer der Stammgäste. Gringmuth will mit dem Gastroangebot den Laden beflügeln und andersherum. „Aber beides muss sich tragen“, sagt sie. Tobias Laufer vom Hofladen Bio Bursch will mit seinem Gastroangebot Kundschaft von der Stadt aufs Land locken. „Ich will nicht nur klassische Biokunden, sondern auch andere überzeugen“, sagt Laufer.

Einzelhandel plus Gastronomie – das bietet viele Chancen. Dazu gehören:

  • die Erhöhung der Kundenfrequenz
  • Kundenbindung durch längere Verweildauer
  • Raum für Begegnung, Emotionalisierung im Bioladen
  • Profilierung und Image
  • Cross-over-Aktionen: Kunden werden an ungewohnte Lebensmittel herangeführt
  • Verwertung von Obst- und Gemüseresten
  • Frischekompetenz zeigen
  • ein Erlebnis bieten und schließlich
  • Umsätze generieren.

Manche Ziele scheinen durchaus nicht unrealistisch. Das EHI Retail Institute hat herausgefunden, dass immerhin 50 Prozent derer, die die Gastronomie nutzten, dies regelmäßig mit einem Einkauf im Handel verbinden.

Bei der Umsetzung sind Ideen gefragt, die zum Inhaber und zur Klientel passen. Was für den einen perfekt ist, muss für den anderen nicht richtig sein. So scheiden sich etwa bei der durchaus sinnvollen Verwertung von nicht mehr für den Verkauf geeignetem Gemüse die Geister. „Wirtschaftlich lohnt sich das nicht“, gibt der Geschäftsführer von Steinofenbäcker, Friedrich Dieter, zu bedenken. Er beliefert Läden mit Snacks und Cook-and-Chill-Suppen; seine Mitarbeiterin berät Biohändler bei der Planung von Gastronomieangeboten. Die Unregelmäßigkeit der verfügbaren Rohware und die hohen Verarbeitungskosten führten unmittelbar zu negativen Deckungsbeiträgen im Bistro. Für Tobias Laufer vom Hofladen Bursch, der sein selbst erzeugtes Gemüse aus der Landwirtschaft verarbeitet, bietet sich gerade hier die Möglichkeit, Ware, die es aus optischen Gründen nicht ins Regal schafft, kulinarisch zu verwerten.

Profit nicht an erster Stelle

Schaut man sich Studienergebnisse an, stehen für die meisten Handelsgastronomen nicht Umsatz und Rentabilität an erster Stelle. Die Mehrzahl möchte sich mit dem kulinarischen Angebot im Wettbewerb profilieren und den Kunden ein besonderes Einkaufserlebnis bieten. Nur 45 Prozent der befragten Food-Händler bezeichneten ihre Gastronomie als profitabel.

Unternehmensberater Klaus Braun vermutet, dass wenige Biohändler wissen, ob sich ihr Bistro oder Stehcafé überhaupt trägt. „Viele greifen sich beim Zubereiten schnell ein Öl aus dem Regal ohne das in der Kasse zu erfassen“, vermutet er. Klar zu trennen, welche Umsätze der Handel und welche die Gastronomie generiert – das bedeute Aufwand und ginge nicht so nebenbei. Klaus Brauns Plädoyer: Wer sich für Handelgastronomie entscheide, könne sehr wohl Marketing und Imageeffekt höher bewerten als zusätzliche Gewinne. Aber die Entscheidung sollte bewusst gefällt werden und jeder Händler sollte wissen, ob seine Gastronomie über den Handel subventioniert wird. „Das ist nur akzeptabel, wenn der Handelsbetrieb so viel Gewinn erwirtschaftet, dass er die Gastronomie tatsächlich auch subventionieren kann“, so Braun. Über den Daumen gepeilt könne sich dieser Unternehmenszweig ab 100 Essen pro Tag lohnen. „Darunter ist es primär Service, der im besten Fall kostendeckend ist.“

Personal muss passen

Wie immer steht und fällt der Erfolg mit dem Personal. Das sagt auch die EHI-Studie 2018. Gastronomie fordert andere Kompetenzen als der Handel, denn ein Kunde hat andere Bedürfnisse als ein Gast. „Die Leute kommen, bestellen und wollen essen. Sie haben in der Mittagspause vielleicht gerade mal 20 Minuten Zeit dafür“, berichtet Friedrich Dieter vom Steinofenbäcker. Gleichzeitig suchen die Stammkunden Kontakt. „Viele freuen sich über ein Gespräch“, sagt Manuela Gringmuth. Mitarbeiter im Bistro müssen also einerseits den Überblick behalten, sie sollten schnell, gut organisiert und praktisch veranlagt sein – und dabei auf Menschen zugehen können.

Von Kochtrends inspiriert

Nicht jeder Ladner identifiziert sich mit diesem Profil, und geeignetes Personal zu finden ist nicht ganz einfach. Für Tobias Laufer läuft es dann rund, wenn es seinen Angestellten gut geht: „Dann strahlen sie das nach außen. Und dann funktioniert der Laden, auch bei hohem Stresspegel.“

Wie gut ein Bistro läuft, hängt auch vom Speisenangebot ab. Hier ist Phantasie und Kreativität gefragt. Korinna Groschupp von NaturPur in Berlin entscheidet oft ganz spontan, was ihre Gäste am Mittag auf den Teller bekommen. Sie verarbeitet, was ihr Laden hergibt, gerne mal in unkonventionellen Kombinationen, immer vegetarisch. Dafür lässt sie sich von verschiedenen Kochtrends inspirieren – etwa ayurvedisch oder vegan. Auch in der Ähre in Schwabach gibt es ausschließlich vegetarische Kost. Inhaberin Elfriede Schirmer überrascht die Gäste beispielsweise mit Superfood- Toppings, Obst mit Chiasamen und Smoothies, auf Wunsch auch zucker- und glutenfrei. Eher herzhaft deftig geht’s hingegen im Hofladen Bursch zu: Dort stehen auf der Speisekarte bodenständige Gerichte wie Kassler, aber auch Thai-Curry oder Linseneintopf. Manuela Gringmuth in Waltrop startete mit Snacks, Kuchen und belegten Brötchen von ihrem Bio-Bäcker. Läuft das gut, will sie Quiches, Teigtaschen und Suppen dazunehmen. Die wird sie allerdings nicht selbst machen, sondern beim Steinofenbäcker beziehen und nur noch aufwärmen.

Einfache Gerichte gefragt

Damit erfüllt sie einen Kundenwunsch. Laut EHI wünscht sich die Bistro-Klientel eher einfache Gerichte. Weil‘s oft schnell gehen muss und günstig ist. Einen Trend machen die Marktforscher bei Burgern, Asia-Food, Smoothies und Bowls aus.

Ihre Snacks mögen die Kunden gerne einfach, aber wenn Ladner ihr Gastronomieangebot doch mit etwas Besonderem toppen, lassen sie sich gerne überzeugen. Beim Hofladen Bursch erwartet die Kunden in der Weihnachtszeit etwas Besonderes: Tobias Laufer baut extra ein beheiztes Festzelt vor dem Laden auf. Dort gibt es Grünkohl oder Sauerkraut, Waffeln und Glühwein. Das hat sich rumgesprochen und kommt gut an.

Die Ähre in Schwabach liefert das Essen sogar an. Nicht an jede Haustür, aber an ein Unternehmen, das jeden Tag 92 Sandwiches für seine Mitarbeiter bestellt. Bei NaturPur wissen die Gäste, dass sie auch ein Probierschälchen bekommen, wenn sie nicht sicher sind, ob sie die neuste Kreation der Köchin mögen. Purnatur in Kempten bietet Wasser gratis aus dem Trinkwasserbrunnen und ergänzt sein Bistroangebot mit selbstgemachtem Eis und frischen Waffeln. Selbstgemacht sind dort auch die Marmeladen und Aufstriche fürs Frühstück, die Kuchen, Torten, Brote und Snacks. Kunden erfahren auf vielen Wegen, dass ihr Biomarkt in die Gastronomie eingestiegen ist. Wer kann, stellt Tische und Stühle vor dem Laden auf: Das schafft Atmosphäre, ist Einladung und vor allem Werbung. Mit Gartenmöbeln vor der Tür vergrößert Korinna Groschupp von NaturPur ihren kleinen Berliner Bioladen. Dass es ein Bistro und was es zu essen gibt, erfahren Passanten über eine Schiefertafel an der Hauswand, die jeden Morgen neu beschriftet wird.

Werbefilm im Kino

Über die Ähre und ihr Bistro ließ Elfriede Schirmer jüngst einen Werbefilm drehen, den demnächst das örtliche Kino im Vorprogramm zeigt. Das jüngere Publikum wird über Social Media informiert, freitags wirbt eine Anzeige in der Tageszeitung für die vegetarischen Burger. Und wer irgendwo das beschriftete Lieferfahrrad der Ähre erblickt, weiß dann ebenfalls, dass es das Bistro gibt.

Der Biohof Bursch profitiert von eigenen Werbeflächen: „Wir stellen Schilder auf unseren Feldern auf“, berichtet[nbsp]Tobias Laufer. Außerdem verweist ein Anhänger mit Tisch und Tischdecke, der an der Hauptverkehrsader in der Nähe positioniert ist, auf den Hofladen mit Bistro und Café.

Viele Menschen registrieren ein gastronomisches Angebot spontan, im Vorbeigehen. So ist es in der EHI-Studie 2019 zu lesen. An zweiter Stelle steht Printwerbung (Flyer, Handzettel, Werbebeilagen, Zeitungen und Zeitschriften). Platz eins der Informationsquellen sind jedoch Empfehlungen durch Kollegen, Freunde oder Familie. Die gibt’s quasi gratis, wenn die Gastronomie überzeugt hat.

Investitionen und Kosten

Der Steinofenbäcker beliefert deutschlandweit mit einem breiten Vollsortiment an Bio-Brot, -Brötchen, --Dauergebäck und -Konditoreiwaren, aber auch mit Snacks, vorgebackenen pikanten Kuchen und frischen Suppen in 2,5-Kilo-Gebinden. Zur Bäckerei vor Ort gehört ein Bistro. Das Unternehmen berät Bio-Ladner bei der Planung ihres gastronomischen Angebots. Geschäftsführer Friedrich Dieters gibt einen Überblick über mögliche Investitionen: „Zum Start mit belegten Brötchen und Frühstück gehört eine professionelle Kaffeemaschine, Kostenpunkt 6.000 bis 7.000 Euro. Wer warme Speisen zubereitet, benötig zwei Induktionsplatten: 150 bis 350 Euro. Ein Pizzaofen, der Pizza und Flammkuchen backt, kostet 1.500 Euro. Quiche, Bratlinge und Snacks lassen sich in einem kleinen Ofen aufwärmen, der ab 800 Euro zu haben ist.

Im Gespräch: Erste Schritte zum Bistro

Kunde und Gast sind nicht das gleiche und beim Kollegen abschauen lohnt sich. Unternehmensberater Rainer Roehl gibt Tipps für den Einstieg.

Für wen lohnt sich ein Bistro im Bioladen?

Sinnvoll ist das für die meisten, die neu starten, die ihre Fläche erweitern oder umbauen. Aber das Angebot muss zum Standort und zum Laden passen.

Was sollte man vor dem Start bedenken?

Wer ein Gastro-Angebot plant, muss zunächst überlegen: Was will ich und warum – nur weil es alle machen oder weil ich selbst voll und ganz dahinter stehe? Als Einstieg mag ein Tages-Seminar reichen. Hilfreich ist es auf alle Fälle, Betriebe anzuschauen, die funktionieren – idealerweise nicht gerade einen Wettbewerber. Die, die das gut und dauerhaft machen, geben die besten Informationen. Ist der Laden schon bio-zertifiziert, dann läuft die Zertifizierung für die Gastronomie nebenbei. Es ist immer sinnvoll, die zuständige Lebensmittelüberwachung mit einzubeziehen und sich bei der Einrichtung und Planung der Abläufe in puncto Hygienevorschriften beraten zu lassen.

Welches Gastro-Modell passt zu welchem Laden?

Für die meisten lohnt es sich, das Angebot einfacher zu halten, ohne braten, kochen, ohne große Investitionen – da reichen eine professionelle Kaffeemaschine und ein Aufbackofen. Und Waren, die sie zukaufen können – Snacks vom Bäcker oder Cook-and-Chill-Suppen beispielsweise. Damit lässt sich schon eine recht gute Auswahl zusammenstellen.

Inwieweit unterscheidet sich der Kunde vom Gast?

Ein Kunde möchte schnell seinen Einkauf erledigen. Er erwartet nicht unbedingt, gesehen oder begrüßt zu werden, möchte sich höchstens an der Käsetheke bedienen lassen und an der Kasse muss es schnell gehen. Der Gastronom ist Gastgeber. Sein Gast will sich entspannen, eine kleine Pause machen, sich bedienen lassen.

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