Mitten in den 70ern: In einem alten Einfamilienhaus in der Nähe von Basel arbeiten und leben eine Handvoll Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Sie zahlen sich einen Einheitslohn, kochen gemeinsam zu Mittag, verbringen die Wochenenden zusammen und diskutieren am Küchentisch bis Mitternacht.
Das Geld ist ständig knapp, doch der Elan der Forschenden enorm. „Unser Leben war das Institut“, fasst Hartmut „Hardy“ Vogtmann diese Zeit in einem Podcast des Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) zusammen. Er leitete das Institut von 1974 bis 1981.
Der Start: Die Forschenden-WG
Die Väter dieses frischgebackenen Instituts hießen Philippe Matile
und Heinrich Schalcher. Matile war Professor für Pflanzenbiologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und wetterte seit Jahren gegen die zunehmende
Chemisierung der Landwirtschaft. Heinrich Schalcher saß als Nationalrat
im Parlament und forderte dort erfolglos eine eigene staatliche
Forschungsanstalt für den Biolandbau.
Zusammen mit Gleichgesinnten
gründeten sie am 1. Februar 1973 eine Stiftung zur Förderung des
biologischen Landbaus als Trägerin für ein „wissenschaftliches
Forschungsinstitut für biologischen Landbau, welches praktische Methoden
der Lebensmittelproduktion unter besonderer Berücksichtigung
ernährungsphysiologischer, ökologischer und sozialökonomischer
Gesichtspunkte weiter entwickelt“.
Am 1. März 1974 startete das Forschungsinstitut für biologischen Landbau mit Vogtmann als Leiter und anfangs einzigem Mitarbeiter. Sieben Jahre später arbeiteten 14 Forschende und sechs Praktikanten und Praktikantinnen innen beim FiBL.
Von Anfang an gehörte zur Stiftung auch ein Versuchsbetrieb, die Bio-Landwirte und -Landwirtinnen waren eng in die Forschungen eingebunden und die Ergebnisse flossen direkt in die Beratung. „Wir wollten ja Ergebnisse liefern, die man umsetzen kann, das war unser Ziel, keine Ergebnisse im Elfenbeinturm“, so zitiert Ursina Eichenberger Hardy Vogtmann in ihrer Lizenziatsarbeit (vergleichbar mit einem Masterabschluss) über die ersten Jahre des FiBL (siehe Kasten am Ende des Textes)
„Die Forschungstätigkeit des Instituts ist darauf ausgerichtet, tiefer in die im biologischen Landbau wirksamen Lebensgesetze einzudringen und aus dieser Erkenntnis methodische Fortschritte für die Praxis abzuleiten.“
Erste Meilensteine
1976 begann das FiBL mit dem DOK-Versuch, in dem es seither am selben Standort den biologisch-dynamischen (D), organisch-biologischen (O) und konventionellen (K) Anbau von Ackerkulturen vergleicht. Über 200 wissenschaftliche Publikationen werteten bisher Daten dieses Langzeitversuchs aus, der viele Vorteile des Biolandbaus belegte.
1977 organisierte das FiBL die erste internationale wissenschaftliche Konferenz des weltweiten Bio-Dachverbandes IFOAM. 26 Referentinnen und Referenten aus acht Ländern sprachen zum Motto „Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft“. Das Institut beherbergte bis 1981 auch das Generalsekretariat des Dachverbandes. Im gleichen Jahr startete das FiBL auch mit seiner Beratungstätigkeit.
1980 verabschiedeten die verschiedenen Bio-Verbände der Schweiz unter Federführung des FiBL gesamtschweizerische Rahmenanbaurichtlinien. Das damalige Knospe-Logo des FiBL wurde zum Schweizer Bio-Logo und der spätere Dachverband Bio Suisse nahm Gestalt an. Auch für die 1982 verabschiedeten Anbaurichtlinien der IFOAM lieferte das FiBL wichtige Impulse.
Die erste Krise
1981 wurde Hardy Vogtmann an die Universität Kassel berufen, um in
Witzenhausen den ersten Fachbereich für Ökolandbau an einer deutschen
Uni aufzubauen. Ihm folgte (bis 1989) als Leiter der im Juni 2023
verstorbene Henri Suter. In seine Amtszeit fiel – neben vielen
Verdiensten – auch eine große Finanz- und Vertrauenskrise. Es gab
Konflikte zwischen Suter und den Mitarbeitenden. Sie führten dazu, dass
der Stiftungsrat die bisherige Geschäftsordnung mit ihren Prinzipien der
Selbstverwaltung durch eine straffe Führungsstruktur ersetzte.
In der Folge kündigten zehn von 14 Mitarbeitenden und mehrere Stiftungsräte traten zurück. Die finanzielle Schieflage entspannte sich, nachdem die Schweizer Regierung 1985 erst die Beratung und ab 1990 auch die Forschungsarbeit des FiBL mit einem Festbetrag unterstützte. Als Anfang der 90er Jahre die Coop als größter Schweizer Lebensmittelhändler eine eigene Biomarke in die Läden brachte, begann auch für das FiBL der Weg aus der Nische in den Mainstream.
Ausbau zur größten privaten Bio-Forschungseinrichtung
Urs Niggli übernahm 1990 die Leitung des FiBL mit 20 Mitarbeitenden und baute es zur größten privaten Forschungseinrichtung für den Biolandbau weltweit aus. Er zog die ersten EU-Forschungsprojekte an Land, begründete eine bis heute andauernde Zusammenarbeit mit der Coop und startete erste Projekte in Osteuropa. Das FiBL begann, das erarbeitete Wissen mit Merkblättern und Dossiers unter das Bio-Volk zu bringen und startete seine Betriebsmittelliste, die bis heute Landwirten sagt, was sie an Mitteln einkaufen und anwenden dürfen.
Mit der Wissenschaftstagung ökologischer Landbau startete das FiBL zusammen mit der Stiftung Ökologie & Landbau den wichtigsten deutschsprachigen Fachkongress, der 2024 zum 17. Mal stattfindet.
1997 zog das FiBL an seinen heutigen Standort in Frick um, mit einem starken Zuwachs an Büro- und Laborkapazität für die damals 60 Mitarbeitenden sowie 40 Hektar Versuchsgelände.
2000 gründete das FiBL ein Schwesterinstitut in Berlin, Dependancen in Österreich und Ungarn folgten.
Das FiBL und die Gentechnik
Urs Niggli wird seit 2016 regelmäßig als Kronzeuge dafür zitiert, dass neue gentechnische Verfahren gut für den Ökolandbau seien. Dessen Vertreter lehnen diese klar ab, zuletzt auf der Delegiertenversammlung von IFOAM Organics Europe mit 97 Prozent Mehrheit.
Deshalb wünschen sich viele Menschen der Bio-Branche bei diesem Thema eine klare Positionierung des FiBL – quasi als Gegenposition zum ehemaligen Leiter. Er kenne dieses Anliegen, sagte Nigglis Nachfolger Kurt Schmidtke letztes Jahr in einem Interview. „Wir überlassen es eher den Interessenverbänden wie Bio Suisse oder international der IFOAM, eine klare Position zu fassen“, so Schmidtke. Vom FiBL werde es eher eine Stellungnahme geben im Sinne von: „Wenn man im Biolandbau keine neuen Gentechniken will, sprechen diese und jene wissenschaftsbasierten Argumente dafür.“
Aufstieg „in den Olymp der Wissenschaft“
2002 erschien im renommierten Fachblatt Science eine Studie über den DOK-Versuch und die Vorzüge des Biolandbaus bei Effizienz und Nachhaltigkeit. „Das FiBL und die weltweite Bioforschung stiegen damit in den Olymp der Wissenschaft auf“, lobte sich das Institut selbst. Mit dem Bio-Anbau wächst auch das FiBL kontinuierlich weiter.
2016 verärgert Urs Niggli die Bio-Branche, weil er neue gentechnische Verfahren zu einer interessanten Option für den Biolandbau erklärt (siehe Kasten „Das FiBL und die Gentechnik").
2017 starten die ersten vom FiBL mitorganisierten Öko-Feldtage in Deutschland.
Mit Hilfe der Schweizer Regierung und des Kantons Aargau erweitert das FiBL seinen Standort in Frick von 2018 bis 2022 zu einem Forschungs- und Bildungscampus.
Konsolidierung und Umbesetzungen
2020 verabschiedet der Stiftungsrat Urs Niggli in den Ruhestand und überträgt die Leitung von FiBL Schweiz an ein Direktorium mit Knut Schmidtke als Vorsitzenden, Marc Schärer und Lucius Tamm. Ihre vordringliche Aufgabe: Den neu gebauten Campus zu beleben und gleichzeitig das schnell gewachsene Institut zu konsolidieren und die Strukturen anzupassen. Oder kurz gesagt: „Das FiBL fit für die Zukunft zu machen“, wie es in einer Pressemitteilung heißt.
Nach mehreren Umbesetzungen im Direktorium verlässt Kurt Schmidtke im Sommer 2023 überraschend das FiBL Schweiz, das aktuell von Beate Huber, Jürn Sanders und Michael Keppler geleitet wird. Der Stiftungsrat sucht nun eine Vorsitzende beziehungsweise einen Vorsitzenden der Geschäftsleitung. Die Bewerbungsfrist endete Mitte September.
Das FiBL in Zahlen
Der FiBL-Gruppe gehören diese Forschungsinstitute an:
- FiBL Schweiz (gegründet 1973)
- FiBL Deutschland (2001)
- FiBL Österreich (2004)
- ÖMKi (Ungarisches Forschungsinstitut für biologischen Landbau, 2011)
- FiBL Frankreich (2017)
- und das gemeinsam von den fünf nationalen Instituten getragene FiBL Europe (2017)
An den verschiedenen Standorten sind über 400 Mitarbeitende tätig, davon über 300 in Frick und Lausanne in der Schweiz. 2021 stand der FiBL-Gruppe ein Budget von 42 Millionen Euro zur Verfügung, davon entfielen 32 Millionen auf FiBL Schweiz.
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