Um das erklärte Ziel von 30 Prozent Bio-Anbaufläche bis 2030 zu erreichen, muss sich bei der Verbraucheransprache Grundlegendes ändern. Das hat das Institut für Handelsforschung Köln (IFH) herausgefunden. Statt Nachhaltigkeit sollten Geschmack und Gesundheit in den Vordergrund der Kommunikation gestellt werden.
Das war eine der zentralen Aussagen beim 19. Marktgespräch der BioHandel-Akadmie. Unter dem Titel „30/30 Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“ hat das IFH das Einkaufsverhalten in Bezug auf Bio untersucht und Lösungsvorschläge für die Erreichung des nationalen Ziels unterbreitet. Eva Stüber, Mitglied der IFH-Geschäftsführung, hat Ergebnisse der Studie beim Marktgespräch vorgestellt. Sie teilt die Bio-Kundschaft in drei Kategorien ein:
- Selektive Bio-Käufer, für die Bio kein Muss ist, sondern Kriterien wie Geschmack ausschlaggebend sind (53 Prozent)
- Fokus-Bio-Käufer, die möglichst ausschließlich Bio kaufen und ihre Entscheidung für eine Ernährung mit Bio-Produkten bewusst getroffen haben (26 Prozent)
- No-Bio-Käufer, von denen die Hälfte auch Bio kauft, aber eher beiläufig (21 Prozent)
„Wir müssen in kürzeren Zyklen planen, ins Lernen kommen und Neues ausprobieren. Vieles lässt sich nicht einfach prognostizieren.“
Bei den Beweggründen für Konsumentinnen und Konsumenten, Bio zu kaufen, ist nach den Erkenntnissen des IFH der Geschmack der dominierende Faktor (42 Prozent der Befragten), gefolgt von Gesundheitsthemen (34 Prozent). Nachhaltigkeit (23 Prozent) landet auf dem dritten Platz, ist aber bei den Fokus-Bio-Käufern stärker ausgeprägt als bei den anderen Gruppen.
Daraus ergebe sich, dass Händlerinnen und Händler ihre Kundengruppen gut kennen sollten, um zu wissen, welche Geschichte sie erzählen müssen, um die Menschen stärker für ihre Produkte zu interessieren und Marktanteile auszubauen.
Mit einem guten Bio-Sortiment lassen sich nach Untersuchungen des IFH auch neue Kundinnen und Kunden gewinnen. Dazu wurde ein Szenario entwickelt, wonach Konsumierende erläutern sollten, was sie täten, wenn Bio-Äpfel in ihrer Einkaufsstätte nicht ihren Vorstellungen entsprächen.
Ergebnis: Zehn Prozent würden in ein anderes Geschäft gehen. „Das scheint nicht viel zu sein, aber wegen zu hoher Preise würden wesentlich weniger Konsumenten das Geschäft wechseln“, berichtet Stüber. Es gebe ohnehin nicht „die“ Einkaufsstätte – im Schnitt seien es 3,1 Supermärkte, Discounter oder Warenhäuser, die Kundinnen und Kunden besuchten.
Bio: Noch kein Selbstläufer, aber auf dem Weg dorthin
In den vergangenen zwei Jahren seien zwar weniger Bio- und Markenprodukte verkauft worden. Aber über die Hälfte der Kundinnen und Kunden kaufe wieder ein wie bisher. Bei Markenprodukten werde stärker gespart als bei Bio-Produkten. Unterschiedliche Preiskategorien seien wichtig. Bio sei noch kein Selbstläufer, aber auf dem Weg dorthin, so Stüber.
Der Grund für den Optimismus sei die Veränderung des Ernährungsverhaltens in Deutschland: Weniger Fleisch und tierische Produkte werden verzehrt. Nur noch 39 Prozent der Konsumenten gaben an, uneingeschränkt Fleisch und tierische Produkte zu essen. So liege im Sortimentsbereich Mopro/Eier der Vegan-Anteil bei 21 Prozent, der Bio-Anteil bei 16 Prozent. Im Bereich Brot, Cerealien, Aufstriche seien schon 28 Prozent der Produkte bio und 61 Prozent vegan.
Kein Unterschied zwischen Stadt und Land
Chancen für Bio entstünden durch Kommunikation. In den Sozialen Medien würden Ernährungsthemen bereits stark behandelt. Schulen und Kindergärten müssten die Themen weiter befeuern.
Weitere Erkenntnis: Die Nachfrage nach Bio-Produkten sei in Stadt und Land gleich. Da im ländlichen Bereich weniger Bio angeboten werde, gehe hier Umsatz verloren. Stüber rät dem Handel, beweglich zu bleiben: „Wir leben in dynamischen Zeiten und müssen in kürzeren Zyklen planen, ins Lernen kommen und Neues ausprobieren. Vieles lässt sich nicht einfach prognostizieren.“
Lebensmittelbereich hat den größten Einfluss auf ökologischen Grenzen der Erde
Julius Palm, stellvertretender Geschäftsführer von Followfood und zuständig für Marken und Strategie, sieht ebenfalls Beweglichkeit als notwendige Eigenschaft für die Zukunft. In seinem Vortrag ging er auf die globalen Herausforderungen beim Klima-, Umwelt- und Artenschutz ein.
Der Lebensmittelbereich sei der Bereich, der den größten Einfluss auf die planetaren – sprich, ökologischen – Grenzen der Erde habe. Zum Klimawandel trage er zu etwa 30 Prozent bei, zum Verlust der Biodiversität zu 70 bis 80 Prozent, bei Phosphor- und Nitrat-Erzeugung bei über 80 Prozent, bei der Süßwasserverschmutzung ebenfalls etwa 80 Prozent.
Auf tierische Produkte, Bier, Kaffee und Süßwaren entfielen zusammen etwa drei Viertel der CO2-Emissionen im Lebensmittelbereich in Deutschland. Die Food-Branche habe auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit, das Ökosystem wieder zu regenerieren.
Unternehmen müssten daher prüfen, ob ihre Produktion negative Auswirkungen auf den Planeten, auf Menschen und Menschenrechte hätten. „Erst dann haben wir die Legitimation, Geld zu verdienen“, stellte er klar.
„Es ist notwendig, kopiert zu werden.“
Ein Schlüssel seien transparente Geschäftsmodelle. Der Nachweis, dass Bio und Nachhaltigkeit den Unterschied machten, müsse erbracht werden. Followfood habe deshalb einen QR-Code auf jedem Produkt, über den alles Bekannte zu erfahren sei, darunter Lieferketten und Vergleichbarkeit des Produkts mit anderen. „Diese Kommunikation muss Standard im Handel werden“, fordert Palm. Als Kunde könne man die Claims auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Das sei auch Ziel der EU.
Followfood sei bestrebt, das jeweils „nachhaltigst mögliche“ Produkt in den Handel zu bringen. Der handgeangelte Thunfisch von den Malediven sei ein Beispiel für die strengsten Fischereirichtlinien am Markt.
„Bio muss den nächsten Evolutionsschritt gehen“, ist eine weitere Forderung von Palm. Mit der Bodenretter-Initiative habe sich Followfood schon auf den Weg gemacht.
Palm plädierte dafür, LEH und Fachhandel beim Thema Bio nicht gegeneinander aufzubringen. Im LEH gebe es Volumina für die Preisbildung und um Projekte möglich zu machen. Zugunsten der übergeordneten Ziele sei es notwendig, kopiert zu werden. Dadurch verliere man sein Alleinstellungsmerkmal und der Druck, ein neues Alleinstellungsmerkmal zu finden, wachse. Dies mache den Pionierstatus im Fachhandel aus, der für Followfood ein wichtiger Absatzmarkt sei.
Neue Kaufargumente müssen her
Ein Alleinstellungsmerkmal, das der Naturkosteinzelhandel lange Zeit für sich beanspruchen konnte, war sein umfangreiches Bio-Angebot. Mit 100 Prozent ökologisch hergestellten Lebensmitteln ist der Bio-Fachhandel nach wie vor zwar eine Besonderheit. Doch die klassischen Ketten bauen ihr Bio-Angebot kontinuierlich aus, mengenmäßig und qualitativ.
Dabei kopieren die großen Handelshäuser nicht mehr nur. Sie holen sich die Fachhandelsmarken inzwischen direkt in die Märkte. Und weil die Siegel sämtlicher bedeutender Bio-Anbauverbände schon länger das Bio-Angebot von LEH und Discount aufwerten, muss der Fachhandel neue Argumente finden, mit denen er bei der Kundschaft weiterhin attraktiv bleibt.
In einem weiteren Vortrag rief Utopia-Geschäftsführerin Meike Gebhard den Lebensmitteleinzelhandel dazu auf, mehr Angebote an Menschen zu machen, für die Nachhaltigkeit keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Utopia veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Studien zum nachhaltigen Konsum, inklusive einer „Typologie des nachhaltigen Konsums“. Über die Ergebnisse der aktuellen Studie aus dem Jahr 2024 hat BioHandel ausführlich berichtet.
Die gute Nachricht, die Meike Gebhard auch am Montag mitgebracht hatte: Das Thema Nachhaltigkeit ist auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stabil in der Gesellschaft verankert. Insbesondere in den jüngeren Generationen wächst eine neue Käuferschicht heran, für die ein nachhaltiger Lebensstil längst eine Selbstverständlichkeit ist. Doch auch diese Gruppe brauche eine geeignete Ansprache.
Mitarbeit: Michael Stahl
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