Beim 16. Marktgespräch der BioHandel-Akademie mit dem Titel „Wer transformiert die Lebensmittelwirtschaft?“ zeigte sich, dass vegane Produkte mit Ernährungstrends korrespondieren und auch bei der Generation Z (geboren zwischen 1996 und 2009) Chancen haben. Für Matthias Beuger, Vorstandsmitglied des Vereins VegOrganic, sind vegane Bio-Produkte die Ultima Ratio im Ernährungssektor, denn nur durch eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten könnten weitere negativen Folgen der Tierhaltung für Klima und andere Umweltfaktoren verhindert werden.
Beuger plädiert deshalb dafür, dass sich die Naturkostbranche mehr mit der Umstellung von Ernährungsgewohnheiten beschäftigt. „Pflanzliche Kost muss von der Nische ins Zentrum gehoben werden“, so seine Kernforderung. Dabei gehe es darum, die pflanzliche Ernährung und Bio zusammenzudenken und dies Verbrauchern und der Politik zu vermitteln.
Aus Sicht von Beuger hat die Bio-Branche den Vegan-Trend verschlafen. „Wenn ich mir heute die Web-Seiten der Bio-Anbauverbände anschaue, dann finde ich da in erster Linie Tierwohl als Kernthema, mit dem sich die Branche profiliert“, kritisiert Beuger. Gesunde Ernährung spiele für die Ökos keine Rolle mehr. Da dies jedoch eines der USPs der Branche sei, müsse sie sich wieder damit beschäftigen. Das sei entscheidend, um auch neue Käuferschichten zu adressieren.
Vegane Produkte – Chance für den Fachhandel
Anfang 2000 habe es nur eine Adresse für vegane Kost gegeben: Bioläden. Auch der LEH habe zunächst Fleischalternativen nur in Bio gehabt. „Inzwischen sind große Marken mit konventionellen veganen Produkten in die Regale gerückt. Das ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance für den Bio-Fachhandel, hier stärker partizipieren zu können.“
„Wenn wir nach neuen Zielgruppen suchen, dann spielt auch das Thema umweltfreundliche Ernährung eine große Rolle.“ Das sei ebenfalls eine Chance für den Naturkostfachhandel, sich mit Vegan und Bio neu zu formatieren und neue Kunden zu erreichen. „Für die Generation Z ist Ernährung ein politisches Statement – diese Gruppe muss als Käuferschicht der Zukunft adressiert werden.“ Der Bio-Fachhandel müsse ihr eine sozialpolitische Heimat bieten.
Generation Z mit ins Boot holen
Aber wie kann es gelingen, dass die Generation Z den Weg in den Bio-Fachhandel findet? Für Jugendforscher Simon Schnetzer ist es durch die veränderte Kommunikation der neuen Generation schwierig geworden, auf Leistungen des Handels aufmerksam zu machen. Herkömmliche Informationswege seien ungeeignet, Instagram, YouTube und TikTok dagegen zu empfehlen.
Der Jugendforscher sieht in seiner Trendstudie „Jugend in Deutschland“ die Generation Z im Dauerstress. Zu den Belastungen durch Bildungsabschlüsse und Corona hätten sich weitere Sorgen durch Inflation (71 %), Krieg (64 %) und Klimawandel (55 %) gesellt. Die Sicherung der Grundbedürfnisse sei derzeit ihr oberstes Gebot. Wichtig sei deshalb die Frage, was diesen Menschen Auftrieb geben könnte und Erfolgserlebnisse vermittelt.
Weil bei der Generation Z neben der Familie auch Ziele eine vorrangige Rolle spielten, könne sich durch ein Ziel wie 30/30 eine Aufwärtsspirale entwickeln. Hauptkriterium beim Einkaufen sei allerdings der Preis. Auf Preissteigerungen reagiere die Generation Z, indem sie weniger Bio kauft (26 %), zu Sonderangeboten greift (51 %) oder zum Discounter geht (35 %).
„Wichtig ist, in der Informationsblase der Generation Z relevant zu sein.“
Wie ist es trotz angespannter finanzieller Lage möglich, die Generation Z für Bio zu begeistern? „Viele der Generation Z kaufen Bio-Produkte nicht, weil sie sie nicht kennen und als zu teuer empfinden, um sie einfach mal auszuprobieren“, sagt Schnetzer. Demnach müsse der Bio-Fachhandel Erfahrungen ermöglichen, um die Produkte bekannt zu machen. Weil junge Menschen zum Teil ihre gesamte Zeit auf TikTok oder Instagram verbrächten, gebe es auch hier Ansatzpunkte.
Bio-Hersteller seien auf TikTok noch nicht präsent, es werde aber dort
über ihre Produkte gesprochen. „Wichtig ist, in der Informationsblase
der Generation Z nicht nur sichtbar, sondern auch relevant zu sein“,
empfiehlt Schnetzer. Zudem müsse bequemes Online-Shopping ermöglicht und
der Preis-Mythos widerlegt werden. Auf Angebote für Gesundheitsprobleme
oder spezielle Ernährungsweisen (vegan) sei hinzuweisen.
Im Prinzip werde Aufmerksamkeit nach dem „ABBAS-Generationenmodell“ erreicht: Aufmerksamkeit erwecken, Bedürfnisse ergründen, Beteiligung anbieten, Anerkennung aussprechen und Storytelling. Schnetzer nannte beim Marktgespräch zahlreiche Möglichkeiten, die Anforderungen des Modells zu erfüllen.
Neben der bereits erwähnten Präsenz in sozialen Medien, ließen sich Bedürfnisse junger Kunden auch durch Befragung am POS ergründen: Warum kaufen Sie bei uns ein? Würden Sie mein Geschäft weiterempfehlen? Was erzählen Sie zuhause über den Einkauf? „Sie nehmen auf diese Weise die jungen Kunden mit ins Boot und können gezielt Verbesserungen angehen“, sagt der Jugendforscher. Möglich sei auch eine Kunden-Trend-Community, die darüber berät, was ins Sortiment aufgenommen werden sollte. Oder man lädt Influencer zu einem Special-Event ein.
Kommentar: „Fleischlos im Fachhandel“
Um die Klimakrise von der Ernährungsweise her in den Griff zu bekommen, wird kein Weg an der Nutztierhaltung vorbeiführen. Auch Bio-Tiere sind klimaschädliche Emittenten und ihr Fleisch ist nicht gesundheitsfördernd. Matthias Beuger, Vorstandsmitglied beim Verein VegOrganic, schlägt deshalb vor, vegane Kost von der Nische ins Zentrum zu stellen. Recht hat er, denn das würde dem Anspruch des Bio-Fachhandels besser entsprechen als die Vielzahl tierischer Produkte, die im Fokus stehen. Ganz zu schweigen von Artikeln mit Inhaltsstoffen tierischen Ursprungs.
Man könnte auch noch einen Schritt weitergehen: Weil absehbar ist, dass immer mehr Menschen zu veganer Kost greifen – der Run auf vegane Produkte im LEH und Ernährungsstudien lassen das vermuten – wäre die Ausrichtung als Bio-vegane Einkaufsstätten ein neues Alleinstellungsmerkmal des Bio-Fachhandels. Ein konsequenter Klimaschutz durch ausschließlich vegane Produkte würde unserem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir helfen, die Klimaziele schneller zu erreichen. Und gesunde Ernährung wäre garantiert.
Weil man schon einmal den Vegan-Trend verschlafen hat, wäre es wichtig, sich schon jetzt in die Pole-Position zu begeben. Die derzeitige Krise zeigt, dass wir mit der Nachahmung von LEH-Supermärkten und der ganzen Palette an vergleichbaren Produkten einen schweren Stand haben, weil preisgünstige Alternativen jeweils gleich um die Ecke zu finden sind. Und weil die Zahl der Bio-Outlets eher sinkt als steigt, werden immer mehr Naturkosthersteller gezwungen sein, ihre Waren auch dem LEH anzubieten. Der USP des Fachhandels ist dann nur noch 100 Prozent Bio. Bei den Ernährungstrends taucht Bio aber explizit gar nicht auf (s. Kasten unten).
Natürlich würde ein Projekt „Fleischlos im Fachhandel“ einigen Mut und viel Pionierarbeit kosten. Aber die Schaffung von bio-veganen Einkaufsstätten könnte mit klimapolitisch reinem Gewissen erfolgen und würde mit einem Alleinstellungsmerkmal belohnt. Und man stünde an der Spitze der notwendigen Transformation der Lebensmittelwirtschaft und bekäme sicher viel Applaus von der dann schon hoffentlich etwas kaufkräftigeren Generation Z. Horst Fiedler
„Viele Ernährungstrends spielen dem Bio-Fachhandel in die Hände“
Eva-Marie Endres, Ernährungswissenschaftlerin und Mitautorin des
Trendreports Ernährung 2023, berichtete beim Marktgespräch über die zehn
wichtigsten Trends, die durch Befragung von 170 Experten aus dem
deutschsprachigen Raum ermittelt wurden. Danach ernähren wir uns immer
besser in Richtung Gesundheit und Nachhaltigkeit – trotz aller Krisen.
In der Lebensmittelwirtschaft steige die Nachfrage nach nachhaltigen
Lösungen. Essen ohne Fleisch finde immer mehr Anklang und „alkoholfrei“
werde langsam salonfähig, so Endres.
Die Rangfolge der aktuellen Ernährungstrends:
1. Klimafreundliche und nachhaltige Ernährung (48 % der Experten stimmten zu)
Verbraucher entscheiden zunehmend nach Regionalität und
Nachhaltigkeit, Wirtschaft entdeckt wirtschaftliche Aspekte der
Nachhaltigkeit, Gemeinschaftsverpflegung wird zum Vorreiter für
Nachhaltigkeit.
2. Pflanzenbetonte Ernährung (39 %)
Über 50 Prozent sind bereit, auf Fleisch zu verzichten,
pflanzenbetonte Ernährung ist keine Nische mehr, sondern wird
Normalität. Hülsenfrüchte geraten in den Fokus.
3. Digitale Ernährungstherapie (26 %)
Mehr Ernährungs-Apps, Austausch in Communitys
4. Convenience-Food und gesundes Essen to go (20 %)
Verbraucher wollen Widerspruch zwischen Schnell-Restaurants und
gesundem Essen aufgelöst haben. Sie wollen gesund, schnell und
nachhaltig essen, weil sie wenig Zeit im Arbeitsalltag haben, Speisen
selbst zuzubereiten.
5. Personalisierte Ernährung (19 %)
Gespür für den eigenen Körper wird wichtig. Kein einheitliches Essen für alle.
6. Ernährung für den Darm (19 %)
Der Darm als Herzstück der Gesundheit wird entdeckt,
Mikrobiom-Management, Fermentation ist Thema, Nachfrage nach Probiotika
steigt.
7. Bewusste Entscheidung für Ernährung (15 %)
Was ist für mich nachhaltig? Häufig Thema in Zeitschriften, TV und sozialen Medien.
8. Achtsame Ernährung (13 %)
Ernährung als Entschleunigung, positive Einstellung zum eigenen
Körper, Gerichte werden liebevoll zubereiten, zum Essen wird sich Zeit
genommen, Genuss spielt größere Rolle
9. Vegane Ernährung (13 %)
Es wird immer mehr entdeckt, dass veganes Essen nicht unbedingt
schlecht schmecken muss, noch viele Vorurteile, aber Verbraucher sind
experimentierfreudiger geworden, vegane Donuts, diverse Kochbücher.
10. Alkoholersatzprodukte (12 %)
Alkohol ist kein Muss mehr, es wird gern gesehen, wenn auf
Feierlichkeiten Alternativen angeboten werden. Der Alkoholkonsum ist
seit 1970 um ein Drittel gesunken. Trend: Zum jeweiligen Essen
abgestimmte alkoholfreie Getränke anbieten – wie beim Wein.
„Viele der Trends spielen dem Bio-Fachhandel in die Hände“, resümiert Endres. Wichtig sei nun, die passenden Produkte dazu zu entwickeln und deren Eigenschaften zu kommunizieren.
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