In diesem moderierten Zusammenschnitt des 20. Marktgesprächs der BioHandel Akademie auf der Biofach in Nürnberg beschreibt Psychologin Sabine Loch vom Forschungsinstitut Rheingold eine wachsende „Müdigkeit“ beim Kauf nachhaltiger Produkte. Gemeinsam mit Jan Pechmann, Gründer und Geschäftsführer der Agentur BAM, und Rapunzel-Geschäftsführerin Seraphine Wilhelm werden daraus praxisnahe Lösungen für Händler entwickelt – mit dem Ziel, mehr Bio zu verkaufen.
4 Learnings aus der Folge:
- Warum Konsumenten in Sachen Nachhaltigkeit überfordert sind – und welche Auswege sie suchen
- Wie man Bio clever vermarktet und trotzdem die breite Masse erreicht
- Warum Bio das „unbeliebte Kind“ auf dem Schulhof ist – aber einen unschlagbaren Vorteil hat
- Wie Rapunzel seine Haltung bewahrt, Marketing neu denkt und ein Musikclub im Keller mit Bio-Alkohol neue Zielgruppen begeistert
Jetzt reinhören und Bio-Marketing neu denken!
Moderation: Leon Ginzel, Journalist und BioHandel Podcast Host; Musik: Crunchtime / Audio Network
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# Mehr über die gleichnamige Veranstaltungsreihe finden Sie unter www.biohandel.de/akademie.
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1. Marketing und Zielgruppenansprache
Beim Anhören Ihres Marktgesprächs wird deutlich, dass einige wesentliche Ursachen für die mangelnde Erreichbarkeit der gewünschten Zielgruppen ausgeblendet werden. Statt auf die realen, authentischen Rückmeldungen der Menschen zu hören, wird zu oft auf Marketingmeinungen und gezielte aber nie repräsentative Umfragen vertraut, anstatt die tatsächliche Meinung der Konsumenten direkt von der Straße einzuholen und ernst zu nehmen. Die Verbraucher sind keineswegs „nachhaltigkeitsmüde“ oder überfordert mit den Themen. Vielmehr sind sie enttäuscht von der kontinuierlichen Politisierung und Moralisierung fast aller Themen – besonders in Bezug auf ökologische Ernährung und das leidige Klima-Thema. Die Menschen möchten nicht ständig in eine Position der Belehrung und moralischen Ermahnung gedrängt werden (Stichwort: erzieherische oder überängstliche Haltung) und sie wollen sich auch nicht andauernd von irgendetwas oder irgendjemandem distanzieren müssen. In einer Welt, die sie rund um die Uhr mit Informationen überschüttet, suchen sie vielmehr nach Ruhe und einem unaufgeregten Umgang mit den Themen.
Es scheint, als ob die zunehmende Marketingverdrossenheit der Menschen nicht ausreichend beachtet wird. Warum wird das nicht wahrgenommen? Die Tatsache zum Beispiel, dass Ihre Videos und Podcasts auf YouTube nicht ansatzweise die anzustrebende Reichweite erzielen, zeigt deutlich, dass Sie die junge, wichtige Zielgruppe nicht erreichen. Das ist keine persönliche Kritik, sondern eine nüchterne Feststellung der Realität. Das eigentliche Problem ist jedoch: Wenn man die junge Zielgruppe (zu der auch ich gehöre) befragt, fällt es vielen schwer, ihre eigene Meinung offen, überzeugt und ehrlich zu äußern – aus Angst, sofort belehrt, korrigiert oder in eine unangenehme Schublade gesteckt zu werden.
2. Die Bio-Branche und die politische Diskussion
Wenn Sie wirklich am Puls der Zeit wären, müsste ein Medium wie die Zeitschrift BioHandel heute florieren – selbst wenn es sich um ein Fachmedium handelt. Natürlich muss die Bioszene politisch bleiben und ihre Umweltziele weiterhin betonen. Aber sie müsste sich aus der oft medial einseitigen, wissenschaftlich deutlich komplexer diskutierten Klimadebatte heraushalten, und sich den alten Werten und Themen des echten Umweltschutzes wieder zuwenden, da dieser weit mehr umfasst als nur das ihm im Grunde untergeordnete Klimathema. Hier hätten die „Ökos“ die Chance, mit den echten Werten, die sie schon immer vertreten haben, durchzudringen. Stattdessen springen viele auf den politischen Zug auf und versäumen es, authentisch und konsequent ihre Kernbotschaften zu kommunizieren.
3. Das Klima-Thema und die Wahrnehmung der Konsumenten
Das Klima als Thema interessiert den Großteil der Konsumenten in Wirklichkeit kaum – es ist eine unangenehme Wahrheit, die oft nicht ausgesprochen wird. Die Menschen können es nicht mehr hören. Es wurde übertrieben aufgebläht und das wissen die Menschen, sei es bewusst oder unterbewusst. Viele Menschen, insbesondere in ärmeren Regionen der Welt, können sich nicht mit dem Thema Erderwärmung identifizieren, weil sie mit grundlegenderen Überlebensfragen konfrontiert sind. Diese Menschen brauchen Unterstützung und konkrete Hilfe, nicht abstrakte Klima-Debatten und Belehrungen aus dem moralisch überlegen sich dünkenden Westen.
Und eines müssen wir uns ebenfalls eingestehen: Wir in Deutschland und Europa werden das Klima nicht alleine retten. Realistisch betrachtet müssten wir weitaus größere Wirtschaftszentren wie China, Indien, die USA und Südamerika überzeugen. Das ist eine enorme Herausforderung. Denn der Versuch, andere von unserer vermeintlichen moralischen Überlegenheit zu überzeugen, führt in die falsche Richtung. Das zeigt uns auch die politische Kommunikation in Deutschland, die, wie wir an Beispielen wie Frau Baerbock sehen, nicht das gewünschte internationale Ansehen bringt – im Gegenteil! Wenn Sie einmal ins Ausland reisen oder wenigstens die Meinungen aus anderen Ländern, wie etwa in der NZZ, lesen, werden Sie möglicherweise erstaunt sein, wie unser Land dort wahrgenommen wird. Aber klar, diese Zielgruppe sprechen Sie nicht an – wir reden hier von der wohlhabenden deutschen Gesellschaft. Wir, die wir uns mit CO2-Ausgleichszahlungen oder veganen Ersatzprodukten moralisch brüsten, Dinge also, die niemand wirklich braucht, während wir uns als mit diesen Fähnchen als besonders nachhaltig inszenieren.
4. Echtes Engagement für Nachhaltigkeit
Auch hier einmal die Hand aufs Herz: Wäre echtes Engagement für Nachhaltigkeit vorhanden, würden viele der Produkte, die derzeit im Fachhandel verkauft werden, nicht existieren. Auch das eine unangenehme aber bedeutende Botschaft und Wahrheit.
5. Flexitarismus und Konsumverhalten
Haben Sie sich eigentlich bewusst gemacht, dass der Flexitarismus – als Begriff durch das Marketing geprägt – eigentlich schon immer die Realität der meisten Menschen war? Es ist ein nebensächliches Thema, über das viel zu viel geredet wird. Das nervt die Menschen. Was die Konsumenten wirklich wollen, ist, dass man ihnen einfach gute Produkte bietet, ohne sie ständig mit neuen Trends oder moralischen Ermahnungen oder anderen Informationen zu überladen.
6. Das Wachstum und die Kommerzialisierung der Bio-Branche
Es sollte außerdem den Bio-Unternehmen nicht ständig um Wachstum und Expansion gehen. Auch hier hat das Marketing dafür gesorgt, das echte Nachhaltigkeitsdenken auszuschalten und das übliche Wachstumsdenken einzuführen.
7. Die Rolle des Marketings in der Wahrnehmung von Produkten
Der Grund, warum viele Menschen heutzutage keine schrumpeligen Möhren oder Äpfel mehr kaufen, liegt überdies nicht in der Qualität der Produkte, sondern in der Art und Weise, wie sie durch Marketingkampagnen negativ konnotiert wurden! Das wird konsequent ausgeblendet oder übersehen, aber es ist ein unbestreitbarer Fakt. Es braucht deutlich weniger Marketingexperten, die viel mehr inhaltliche und demütige Botschaften transportieren. Weniger Glanz, dafür mehr Authentizität.