Mit seinem Ladenkonzept hat der Edekaner Dieter Hieber die Teilnehmer des 5. Marktgesprächs schwer beeindruckt. Der Kaufmann mit zwölf Filialen, 1.000 Mitarbeitern und 215 Millionen Euro Umsatz berichtete über seine zahlreichen Maßnahmen zur Kundengewinnung und gab damit dem Fachhandel vielerlei Anregungen.
In seinem Vortrag stellte Hieber zunächst klar, dass Edeka kein „böser Konzern“ sei, sondern eine 1860 gegründete Einkaufsgenossenschaft, der sich „viele kleine Krämer“ angeschlossen hätten. Auch heute bestehe die Genossenschaft aus zahlreichen selbstständigen Kaufmannsfamilien und sorge dafür, dass ihren Mitgliedern durch vielerlei Dienstleistungen wie Preisverhandlungen, Ladenbau, Energieberatung und Versicherungen der Rücken freigehalten werde. Weil Kunden sagten, sie gingen zu Hieber statt zu Edeka, habe er den Genossenschaftsnamen aus der Ladenbezeichnung verbannt. Der zum Ladennamen Hieber gewählte Claim „Mein Leben. Mein Laden“ unterstreicht seinen Individualitätsanspruch und die Alleinstellung.
Markt steht und fällt mit den Mitarbeitern und dem Service
Die zentrale Frage für Hieber ist: Warum sollen die Kunden zu uns kommen? Seine Antwort: Wegen der Mitarbeiter. „Ein Markt steht und fällt mit den Mitarbeitern“, betont er. Seine Beschäftigten habe er angewiesen, bei Fragen von Kunden mit ihnen ans Regal zu gehen und die gewünschten Produkte zu überreichen.
Zudem werden den Kunden keine Wege im Laden vorgegeben: „Wir müssen vom Einkaufszettel her rückwärts denken.“ Nichts sei für Kunden nerviger als lange Wege bei der Abarbeitung ihrer Einkaufslisten zurückzulegen. Und wenn ein Produkt im Laden mal fehle - zum Beispiel Hirschhornsalz für ein Backrezept - versuche Hieber, den Artikel umgehend aus einem seiner anderen Märkte zu besorgen. Bis ein Kurier aus einer benachbarten Filiale eintrifft, können sich seine Kunden bei einer spendierten Tasse Kaffee im Laden entspannen und sind nicht gezwungen, anderswo nach dem Hirschhornsalz zu suchen.
Auch für Kunden, die gern Ware vom Frischetresen trotz strenger Hygienevorschriften verpackungsfrei kaufen möchten, hat Hieber eine Lösung. Sie dürfen ihr Transportgefäß auf einem Tablett dem Verkäufer hinterm Tresen reichen, der es dann mit Fleisch befüllt und auf dem Tablett wieder zurückgibt.
Werbefreies Einkaufen ohne Musik
Prinzip bei Hieber ist das werbefreie Einkaufen. In den Märkten mit einer Regalhöhe von maximal 1,60 Meter fehlen Angebotsschilder und Deckenhänger völlig. Auch Quängelware an den Kassen ist nicht vorhanden. „Wir konzentrieren uns dort auf das Kassieren und legen Wert auf kurze Wartezeiten. Ab drei bis vier wartenden Kunden wird eine weitere Kasse geöffnet.“ Zweiplatzierungen gibt es kaum, allenfalls als Starthilfe für neue Produkte. „Nur wenn sich ein Produkt im Regal durchsetzt, ist es ein gutes Produkt“, so Hieber. Auf Musik in den Verkaufsräumen wird ganz verzichtet.
Flagship-Store mit 55.000 Produkten
Neben den Prinzipen der Ladenführung spielen Ausstattung und das Angebot bei Hieber eine große Rolle. Vorzeigeobjekt ist ein vielfach ausgezeichneter Markt in Lörrach mit 3.500 Quadratmetern Verkaufsfläche und 55.000 Produkten. In der zwölf Meter langen Fleischtheke befinden sich 600 Wurst- und 300 Fleischsorten. Dazu gibt es Spitzenfleisch aus der Dry age-Kammer für bis zu rund 70 Euro pro Kilogramm. Auch bei frischem Fisch hat Hieber mit 50 Sorten zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal im westlichen Baden-Württemberg, wo seine zwölf Märkte angesiedelt sind. Die 75 Olivenöle bieten ebenfalls für jeden Geschmack etwas. Und mit 200 Quadratmetern ist allein die Weinabteilung größer als viele Bioläden.
Bio ist ein Sortiment von vielen
Über den Anteil von Bio-Produkten in seinen Läden hat Hieber keine Zahlen. Bio sei für ihn kein besonderes Sortiment. Lebensmittel insgesamt müssten wieder einen höheren Wert haben, ist sein Anspruch. Die Artikel sind den einzelnen Warengruppen zugeordnet, eine Bio-Abteilung gibt es nicht. Das Alnatura-Sortiment verkaufe sich besser als Edeka-Bio in der jeweiligen Kategorie, verrät Dieter Hieber.
Preisaggressive Ware findet in seinen Läden ohnehin wenig Käufer. So macht er mit No-Name-Produkten nur rund zwei Prozent seines Umsatzes. Als Aldi Anfang 2014 die Eierpreise drastisch senkte, habe er Billig-Eier ganz aus seinem Sortiment verbannt. Vor dem Hintergrund von Preissenkungen bei Markenprodukten in Aldi-Läden, zum Beispiel bei Funny Chips, spricht er von Wertevernichtung.
Großer Gastronomie-Anteil und Kochschule
Für Dieter Hieber muss ein Einzelhändler Vollsortimenter, Eventmanager, Online-Händler und Gastronom sein, um auch in Zukunft noch Läden betreiben zu können. Vor allen bei der Gastronomie hat Hieber[nbsp] bereits mehr als seine Hausaufgaben gemacht und bietet neben vielen frisch zubereiteten Speisen auch Getränke in Kaffee- und Saftbars an. Mit einer „Kochschule“ erfüllt er den Bildungsauftrag, den der Lebensmitteleinzel habe: Den Menschen das richtige Einkaufen, Lagern und Zubereiten von Lebensmitteln näher zu bringen. In einer Showküche bis maximal 50 Personen werden Sushi-Abende veranstaltet und After Work Koch-Clubs treffen sich regelmäßig. Die eigene Brauerei im Laden ermöglicht Beef [&] Bier-Seminare, „die von überraschend vielen Frauen besucht werden“.
Die alljährliche zweitägige Weinmesse rekrutiert rund [nbsp]1.200 Gäste pro Abend. Und bei der „Tour de Hieber“, einer Radtour von einem Markt zu anderen, sind nach anfangs fünf Teilnehmern inzwischen regelmäßig einige Hundert mit von der Partie. Eine Entenregatta ist ein weiterer Event für die Kunden. Die Werbung für solche Projekte läuft außer über Flyer und Plakate auch über die Homepage, Facebook und den Newsletter. Der personelle Aufwand für die Events sei hoch und für den Chef mit einer normalen 40 bis 45-Stunden-Woche nicht zu bewerkstelligen. Außerdem trage sich das Ganze noch nicht wirtschaftlich. Die Preise für Event-Abende mit Kunden, z.B. Degustation plus Essen, sind mit 20 bis 30 Euro auch relativ moderat. Und Kochkurse gibt es bereits ab 20 Euro.
Satte Menschen hungrig machen
Galt gleich nach dem Krieg die Devise, hungrige Menschen satt zu machen, so ist für Hieber die Herausforderung des Einzelhandels heute, satte Menschen hungrig zu machen. Mit seinem auch visuell ansprechenden Sortiment und dem vielfältigen gastronomischen Angebot sowie den Schulungen gelingt ihm das zweifellos. Für die Events bedurfte und bedarf es vieler Versuche und eines guten Durchhaltevermögens. „Man darf auch Fehler machen und sich nicht durch einen 100-prozentigen Perfektionsanspruch blockieren“, rät Hieber.
Bereits von seinem Vater habe er gelernt, neue Ideen aufzugreifen und einen Laden von heute auf morgen umzukrempeln, um mehr Erfolg zu haben. Auch er sei viel unterwegs und suche Anregungen aus anderen Läden, die er umsetzen kann. „Raus aus der Komfortzone!“, empfiehlt er Einzelhändlern und macht ihnen Mut für Veränderungen: „Sie müssen Ihre Kunden überraschen!“ Natürlich setze das Engagement für seine Läden und Kunden eine hohe Identifikation voraus: „Wer nicht brennt, kann andere nicht entzünden“. Doch weil sich Discounter inzwischen zu Nahversorgern entwickelten, dürfe keine Zeit mehr verloren gehen, um nicht eines Tages im Wettbewerb das Nachsehen zu haben.
Weitere Informationen und Bilder auf der Facebook-Seite von Hieber
Bilder © Hieber
Marktgespräch: Mund-zu-Mund-Propaganda und Online-Kampagnen
Der Erfolg Hiebers fußt zu einem großen Teil auf der Mund-zu-Mund-Propaganda seiner Kunden. Er sorgt bei seinen Kunden für „Überraschungen“, was diese wiederum dazu veranlasst, ihren Freunden und Bekannten davon zu berichten. Beim 5. Marktgespräch des Instituts für den Fachhandel hat Prof. Martin Pittner von der Fachhochschule Wien die sogenannten Shop Advokates und Word-of-Mouth-Kampagnen wissenschaftlich betrachtet und bezüglich Einsatz und Wirkung systematisiert. Darüber werden wir in Kürze berichten. Ebenso über ein Referat von Karsten Riemann, der ein Konzept zur gemeinschaftlichen Neukundengewinnung durch Online-Kampagnen vorstellte.
Das nächste Marktgespräch findet am 14. Mai 2018 in Fulda statt.
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