- Bio im LEH: Rendite statt Preiskrieg
- Diskussionsrunden mit Beratern, Einzelhändlern und Herstellern
- Berater: Kunden bei Suche nach anderem Lebensstil unterstützen
- Einzelhändler: „Brauchen Leute, für die das nicht nur ein Job ist“
- Hersteller: Bio-Fachhandel soll Speerspitze der Transformation bleiben
- Bildergalerie
Eine große Sorge des Bio-Fachhandels ist die Inflation, die Lebensmittel derzeit um rund sechs Prozent verteuert. Wegen der damit einhergehenden geringeren Kaufkraft ist eine Abwanderung der Kunden zu Discountern zu befürchten. Manuel Wätjen, Mitglied der Geschäftsführung der Vocatus AG, die sich mit Preisstrategien beschäftigt, sieht diese Gefahr nicht. Grund: Menschen treffen keine rationalen Entscheidungen beim Einkaufen. So spielten einer Studie zufolge zum Beispiel beim O&G-Sortiment Frische und Qualität bei 63 Prozent der Befragten eine Rolle, während der Preis nur bei 17 Prozent zu den Entscheidungskriterien gehörte.
Kunden kennen die Preise meist nicht
Auch beim zweiten wichtigen Sortiment des Bio-Fachhandels, dem Käse, sei der Preis zu vernachlässigen, weil Kunden die Höhe meist falsch einschätzten. Dass die Preise den Einkauf auf breiter Front dominieren, treffe nicht zu. Zwar seien sowohl im LEH als auch im Bio-Fachhandel ein Viertel der Kunden Schnäppchenjäger, aber der größte Teil im Fachhandel gehöre zur Gruppe der Preisbereiten, Gewohnheitskäufer und der sogenannten Gleichgültigen. Ein großer Unterschied zum LEH bestehe bei den Preisbereiten: Während der konventionelle Handel nur sechs Prozent seiner Kunden in diese Kategorie einordnen kann, sind es im Bio-Fachhandel 26 Prozent. Hinzu kommen 35 Prozent Gewohnheitskäufer und drei Prozent Gleichgültige, die nur das kaufen, was sie gerade brauchen, unabhängig vom Preis.
Warnung vor Preissenkungen
Wätjen rät vor dem Hintergrund, dass Kunden Preise in der Regel falsch einschätzen, von Preissenkungen ab. Je stärker der Preis zur Kommunikation gewählt werde, desto stärker rücke er ins Bewusstsein der Kunden. „Der Preis ist ein Schlachtfeld, das sie nicht gewinnen werden“, warnt er den Bio-Fachhandel. Besser sei es, auf Stärken wie Frische, Service, Erlebnis, Auswahl, Fairness und Regionalität hinzuweisen. Der Preis sei auch ein Wertsignal, was sich am Beispiel Wein nachvollziehen lasse: Ein unbekannter teurer Wein vermittle gute Qualität.
Bio im LEH: Rendite statt Preiskrieg
Eine weitere Frage, die den Bio-Fachhandel umtreibt, ist das steigende Bio-Engagement des LEH mit inzwischen 62 Prozent Marktanteil bei den Umsätzen. Prof. Dr. Achim Spiller, Inhaber des Lehrstuhls „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Universität Göttingen, hatte die Aufgabe zu ergründen, ob der LEH Bio weiter vorantreiben will und was das für den Fachhandel bedeutet. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass Bio für den LEH eine lukratives Wachstumssegment ist, das ordentliche Handelsspannen verspricht. Statt Preiskrieg stehe in diesem Segment die Rendite im Vordergrund.
Bei Bio gibt es die meisten Start-ups
Das Bio-Sortiment werde auch zur Kundenbindung genutzt. Schließlich seien 20 bis 33 Prozent der Verbraucher an Bio interessiert und die wolle man ansprechen. Bio habe zudem den Einstieg in Premium-Handelsmarken befördert. Mit Bio-Verbandsmarken gelinge es sogar, etwas Besonderes anzubieten. Zudem gebe es bei Bio die meisten Innovationen und viele Start-ups. Per Skimming-Preispolitik könnten hier zahlungskräftige Käufergruppen, die Innovationen offen gegenüberstehen, abgeschöpft werden. Und schließlich sei Bio auch bei der Corporate Social Responsibility (CSR) der Handelsketten förderlich: „Es ist spannend zu sehen, was der LEH dazu an Personal aufgebaut hat. Die holen sich die Leute von NGOs“, so Spiller.
Warum engagiert sich der LEH bei Bio?
- Die CSR-Funktion (Image und Vertrauenssignal gegenüber Kunden, Gesellschaft, Politik Umweltengagement)
- Wachstumssegment, das man nicht auslassen kann (Sortimentskompetenz)
- Die Renditefunktion (Preisanker Biofachhandel mit hoher Handelsspanne; Preiskrieg bei Bio
- weitgehend vermieden)
- Die Kundenbindungsfunktion bei den Bio-Kernzielgruppen (One-Stop-Shopping)
- Bio-Eigenmarken als Einstieg in Premium-Handelsmarken
- Bio-Verbandsmarken als Kompetenzmarken (Demeter, Bioland)
- Bio als Mussmarke
- Standard bei Babynahrung (wahrgenommenes Kaufrisiko, Hipp als
- Standardsetzer)
- Bio als Innovationstreiber (ein Drittel aller Neuprodukte)
- Fachhandel wollte das Fleischgeschäft nicht
Quelle: Georg-August-Universität Göttingen
Gesundheitsthema als Chance für den Fachhandel
Spiller nennt auch Alternativen zu Bio, die derzeit im Trend lägen: Regionalität, Gesundheitsfragen (Nutri Score), Klima- und Umweltlabel (Eco-Score und Planet-Score), Haltungsstufe 4 (für konventionelles Fleisch).
Der Wissenschaftler sieht im Gesundheitsthema einen Mega-Trend, von dem der Fachhandel profitieren könne, zumal mit mehr als zehn Millionen Diabetis-Typ2-Patienten zu rechnen sei. Durch kritische Lebenserfahrungen werde häufig die Schwelle der Bioläden überwunden. Außerdem könne der Fachhandel mit „starker Nachhaltigkeit“ punkten und dabei seinen Glaubwürdigkeitsvorteil ausspielen. Zudem verliere das One-Stop-Shopping an Bedeutung, so dass der Standort wieder wichtig werde.
Junge Leute sind Bio-Sorgenkinder
„Wenn die Perspektive für Bio gut ist, hat auch der Fachhandel eine Chance im Markt“, resümiert Spiller. Allerdings wüssten die 14 bis 29-Jährigen laut einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung nicht, was hinter Bio stehe und dass die Ware kontrolliert werde. „Die Bundesregierung sollte diesbezüglich eine große Kampagne auflegen“, empfiehlt Spiller.
Diskussionsrunden mit Beratern, Einzelhändlern und Herstellern
Basis für die Diskussionen in den Gruppen der Berater, Einzelhändler und Hersteller waren die Ergebnisse der beim 12. Marktgespräch vorgestellten Rheingold-Studie „Kunden für die Transformation der Lebensmittel-Wirtschaft gewinnen“. Die Studie hat zur Stärkung des inhabergeführten Bio-Fachhandels in Deutschland folgende Erfolgskriterien aufgestellt:
- Einladende Offenheit
- Organische Grundstruktur von Kaufstätte und Sortimenten
- Natürliche Stimmungs-Inszenierung von Kaufstätte und Sortimenten
- Achtsame und inspirierende Produkt-Darbietung
- Wohlwollendes Entgegenkommen (bzgl. Kunden und der ganzen Kette)
- Verwurzelung im Nahbereich
- Aufwands-Erleichterungen
Die Ergebnisse der Rheingold-Studie wurden von den Diskutanten einhellig geteilt.
Den Link zu den Key Results der Rheingold-Studie „Kunden für die Transformation der Lebensmittel-Wirtschaft gewinnen“ erhalten Sie auf Anforderung kostenlos. Bitte senden Sie dazu eine E-Mail an akademie-biohandel@bioverlag.de.
Berater: Kunden bei Suche nach anderem Lebensstil unterstützen
In einer Podiumsdiskussion unter der Leitung von Leon Ginzel (Freier Journalist) machten sich die Berater Martina Merz (Merzpunkt), Manuel Pick (The Green Fusion Network), Christoph Spahn (Initiato) und Johannes Mauss (The Green Fusion Network) Gedanken über die Anforderungen an den Bio-Einzelhandel. Dabei stand der Ladner beziehungsweise die Ladnerin als Person im Focus. Diese müssten sich gesellschaftlich engagieren und dadurch als Menschen erkennbar werden. Die Einzelhändler sollten wieder stärker in Richtung Bewegung gehen. Ein Ratsmandat müsse es aber nicht sein.
Eine Alleinstellung des Facheinzelhandels sei nur über die dort tätigen Menschen möglich. Zu den Menschen gehöre ausdrücklich auch das Team, dem oft zu wenig Entfaltungsmöglichkeit geboten werde. Deshalb sei ein Austausch zwischen Geschäftsführung und Team über die Zielsetzung des Ladens erforderlich. Das oft beobachtete patriarchalische Verhalten der Geschäftsführung sei nicht gut, es verhindere Kreativität. Zeitgemäß führen sei der Anspruch. Auch eine bessere Bezahlung wurde angemahnt, um intelligentes und den Kunden zugewandtes Personal gewinnen zu können.
Empfohlen wurde auch Storytelling. Dies werde durch Reduzierung des Sortiments erleichtert. Wer fünf Buttersorten habe, aber nur zu zwei Sorten eine Geschichte erzählen könne, solle die übrigen drei auslisten. Nach diesem Prinzip könne das gesamte Sortiment durchforstet und auf die nachhaltigsten Produkte reduziert werden. Dies erleichtere die Beratung für das Team und mache den Laden authentischer. Die Aufgabe sei, Kunden, die auf der Suche nach einem nachhaltigen Lebensstil sind, tatkräftig zu unterstützen. Dabei helfe weniger Auswahl und mehr Zugewandtheit.
Einzelhändler: „Brauchen Leute, für die das nicht nur ein Job ist“
Auch bei den Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern setzt sich die Erkenntnis durch, dass dem Team mehr Bedeutung beigemessen werden muss. Sabine Franz (b2 bio pur), Axel Bergfeld (Bergfeld’s Biomarkt), Michael Kruse (Biomarkt Neubrandenburg) und Viktor Brun (Biolino) diskutierten in einer weiteren Runde unter der Leitung von Cyriacus Schultze (Food and Wine Culture Unternehmensberatung) wie sie mit der Rheingold-Studie umgegangen sind, was sie selbst schon realisiert haben und noch umsetzen wollen.
Für die Diskutanten war wichtig, statt einer hohen Zahl von Teilzeitkräften und Aushilfen lieber wenige Vollzeitkräfte zu beschäftigen. „Wir brauchen Leute, für die das nicht nur ein Job ist“, sagte Axel Bergfeld mit Blick auf den Umgang mit Kunden im Laden. Für Michael Kruse geht es darum, Verantwortung loszuwerden und als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Statt alles selbst machen zu wollen, müsse man von außen auf den Laden schauen, um zukunftsfähige Strategien entwickeln zu können.
Damit mehr Kunden auf den Laden aufmerksam werden, müsse auch an einer „einladenden Offenheit“ gearbeitet werden. Die Außenwahrnehmung sei vielerorts noch ein „Knackpunkt“ (Lesen Sie hier Bernds Wochentipp zum Thema). Axel Bergfeld hat Bänke und Tische vor den Laden gestellt und innen Punktbeleuchtung statt Flächenbeleuchtung gewählt. Für Sabine Franz habe es den Rat gegeben, den Laden zu erden: kein Plastik, wenn Holzmöbel, dann keine Billigvarianten. Und eine braune Decke mit einem Lichtstrahl in der Mitte sei ein weiteres Erdungs-Element. Viktor Brun hat wenig Platz für die Präsentation seiner Ware vor dem Laden. Deshalb stellt er nur raus, was die meisten Leute nicht kennen, um neugierig zu machen.
Axel Bergfeld gibt auch eine Kundenkarte mit zwei bis vier Prozent Rabatt auf Trockenware heraus. Vorteil: Die Kunden gehörten praktisch zu einer Community und erhielten auch Geburtstagsgeschenke. Der Laden sei dadurch im Nahbereich verwurzelt. Michael Kruse setzt durch Verdoppelung regionaler Produkte auf ein „Wir-Gefühl“. Axel Bergfeld will die Regionalvermarktung wieder neu beleben und kauft Eier wieder direkt ein. Regionale Bauern, Gärtner und Metzger spielen bei Sabine Franz bereits eine große Rolle.
Hersteller: Bio-Fachhandel soll Speerspitze der Transformation bleiben
Auch Hersteller waren beim Marktgespräch gefordert, Beiträge zur Weiterentwicklung des Fachhandels zu liefern. Karin Lang (Agava.bio/Sonnentracht), Ralf Hoppe (Bauck), André Freidler (Alb-Gold/Alb-Natur) und Volkmar Spielberger (Spielberger Mühle) stellten sich den Fragen von Marcus Wewer (BÖLW). Abgesehen von einigen Hakeleien wegen Me-too-Produkten und der Fachhandelstreue (Bauck ist mit seiner Marke auch bei Edeka vertreten, Alb-Gold mit seiner konventionellen Marke, während Spielberger und Lang durchweg fachhandelstreu sind) waren sich die Diskutanten weitgehend einig darüber, dass der Bio-Fachhandel weiter Speerspitze der Transformation im Lebensmittelbereich bleiben solle.
Als Mangel wurde empfunden, dass Neuprodukte nur schwer im Bio-Fachhandel zu etablieren seien. Von einem „Filter“ zwischen Groß- und Einzelhandel wurde gesprochen und „viel mehr Offenheit“ verlangt. So gelte es, vor allem das Potenzial der jungen Generation in den Markt zu bringen. Messen seien die besten Impulsgeber für Neuprodukte. Input sollte auch von Endverbrauchern eingeholt werden. Hervorgehoben wurde das Storytelling: Statt Preis-Marketing sollte inhaltliches Marketing betrieben werden. Auch an der weiterer Ökologisierung der Verpackung werde gearbeitet. Alb-Gold trage auch mit seiner konventionellen Marke zur Transformation bei, indem das Unternehmen von seinen Vorlieferanten zum Beispiel die Anlage von Ackerblühstreifen und Änderungen bei den Düngergaben fordere: „Wir gehen hier den langen Weg.“
Die aktuelle Preisentwicklung stand ebenfalls zur Debatte. Die Krise habe auch Vorteile für die Bio-Branche, denn sie enthülle die wahren Kosten der Lebensmittelproduktion und biete die Chance, Preisabstände zwischen konventionell und biologisch erzeugten Lebensmitteln zu verringern. So habe der LEH Schwierigkeiten, die Regale zu füllen, während im Bio-Fachhandel Speiseöl und Mehl zu bekommen seien. Vertriebsstätten des Bio-Fachhandels müssten Erlebnisorte sein, wo Kunden Produkte verkosten können und interessante Sachen finden. Die Läden müssten eine gewisse Sicherheit in der Krise vermitteln. Erfolgsrezept sei: Ehrlicher Anbau, ehrliche Produkte, ehrliche Vermarktung und ehrliche Kunden.
Das nächste Marktgespräch
Das Marktgespräch, das zweimal im Jahr stattfindet, ist eine Veranstaltungsreihe der BioHandel Akademie zu aktuellen Themen des Bio-Fachhandels. Das nächste Marktgespräch ist für den 7. November 2022 geplant.
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