Biohandel

Erfolgreich mit Bio handeln.

21. Marktgespräch

„Feiern statt Verzicht“ – Wie man überforderte Konsumenten für Bio gewinnt

Bio steht unter Druck. Die Kundschaft ist verunsichert und setzt beim Einkauf auf Preis, Genuss und Gesundheit. Wie können Politik und Handel dennoch Anreize schaffen für Bio 30/30? Um Lust am ethischen Konsum zu machen, helfe das Narrativ „Feiern statt Verzicht“, hieß es beim 21. Marktgespräch der BioHandel Akademie.

Es ist wichtig zu wissen, wie Konsumenten ticken. Denn nur dann kann man Anreize schaffen, um den Einstieg ins Thema Bio zu erleichtern und die Leute mitzunehmen auf dem Weg zu „30 Prozent Bio bis 2030“. Fünf Jahre vor Ablauf der Frist ist der Umsatz mit Bio-Produkten zwar gestiegen, aber das Ziel ist nicht in Reichweite. 

Dass nachhaltiger Konsum und nachhaltige Lebensmittelerzeugung mit Blick auf den Klimawandel dennoch unerlässlich sind und Bio krisenfest werden muss, darüber waren sich die Expertinnen und Experten beim 21. Marktgespräch der BioHandel Akademie einig. Das Thema: „Transformation der Lebensmittelwirtschaft und Bio 30/30“. Die Podiumsdiskussion, die von Bundesminister Alois Rainer eröffnet wurde, fand auf der Fachmesse Anuga Organic statt – unter dem Dach der größten Messe für Nahrungs- und Genussmittel der Welt. 

Von 8.000 Ausstellern auf der Anuga waren 300 mit einem Bio-Segment vertreten. Der Bio-Anteil war also überschaubar – und Vorträgen zu globalen Trends war zu entnehmen, dass viele Konsumenten weltweit beim Lebensmittelkauf sowieso andere Prioritäten setzen als die ökologisch-nachhaltige Erzeugung. Mehrwert bieten Geschmack, Genuss, Gesundheit und Longevity (Langlebigkeit). Gleichzeitig sind die Käufer preisbewusst – und für einkommensschwache Käufer ist Teilhabe an ethischem Konsum kaum möglich. Wie kann der Biohandel sie dennoch erreichen?

Kunden handeln widersprüchlich

Auf dem Podium diskutierten Handelsexpertin Dr. Eva Stüber, Dr. Otto Schulz, Vorstandsmitglied der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis, Matthias Beuger, Geschäftsleitung nationale Netzwerke, Ernährung und Nachhaltigkeit bei der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) und Dr. Guido Rheinhardt, Wissenschaftlicher Vorstand, Fachbereichsleitung Biomasse und Ernährung, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu). 

Gemeinsam gingen sie dem zum Teil widersprüchlichen Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten auf die Spur. Denn: Aussagen bei Befragungen decken sich oft nicht mit dem Kaufverhalten, berichtete Dr. Guido Rheinhardt vom Ifeu. Während in der Vergangenheit Drei-Liter-Autos und recycelbare Shampoo-Flaschen theoretisch befürwortet wurden, hätten sich der VW-Lupo und Shampoo-Flasche mit Aufpreis im Verkauf nicht durchgesetzt. 

Bio steht unter Druck

„Die Verbraucher schauen aufs Geld, das muss man akzeptieren“, bestätigte Dr. Otto Schulz von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis. Um Leute dazu zu bringen, mehr Geld auszugeben für gute Lebensmittel, gebe es noch viel zu tun. 

Ernährung, Heizen und Verkehr seien die drei großen Faktoren für die CO2-Erzeugung, so Schulz. „Infos darüber müssen breiter gestreut werden, damit die Leute wirklich begreifen, wo sie stehen.“ Junge Menschen aus der Gruppe der Gen Z und der Millenials seien bereit, für ethischen Konsum mehr Geld auszugeben. Gleichwohl seien sie nicht so finanzstark. Es sei zu hoffen, dass sie „durchhalten“. Und das gelinge eher mit dem Narrativ des „Feierns statt des Verzichts“.

Bio-Lebensmittel dürften nicht im Luxussegment stecken bleiben, sondern müssen im Alltag ankommen, ergänzte Schulz. „Das klassische Bio aus dem Fachhandel ist in den Discountern gelandet und steht unter Preisdruck. In Deutschland gibt es das billigste Essen in den teuersten Küchen.“

„Die Menschen sind so verunsichert wie nie.“

Dr. Eva Stüber, Handelsexpertin

Matthias Beuger vom AöL ergänzte zum Thema Preise: „Der Preis als Top-Verkaufsargument tut uns als Gesellschaft nicht gut – wir müssen davon wegkommen.“ Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) spiele dabei eine große Rolle und trage große Verantwortung dafür, dass Menschen sich möglichst gesund ernähren. 

Handelsexpertin Dr. Eva Stüber wertet den LEH als wichtige Grundvoraussetzung für den Zugang zu Bio. „Sichtbarkeit schafft Zugang. Im LEH sind die Leute unterwegs.“

Stüber appellierte, die Position der Kunden einzunehmen. „Die Menschen sind so verunsichert und überfordert wie nie“, sagte Stüber. Nachhaltigkeit sei als Kaufanreiz abgeschlagen. „Was funktioniert, ist das Thema Gesundheit, Longevity und Geschmack“, berichtete Stüber und betonte: „Es wird geliefert, was Umsatz bringt.“ Sie empfiehlt, das Thema Genuss in den Vordergrund zu stellen. Produkte aus dem Labor gingen hier in die falsche Richtung. Vielmehr sollen Unternehmen der Kundschaft die Geschichte des eigenen Produkts erzählen.

Die Politik tickt anders als die Wissenschaft

Guido Rheinhardt plädierte an Kommunen, bei der Außer-Haus-Verpflegung (AHV) von der Glühweinbude bis zum Fußballverein Bio zur Bedingung zu machen. Der Blick ins Nachbarland Dänemark zeige, wie es gelingen kann, ergänzte Matthias Beuger. Bei der Integration von Bio-Lebensmitteln in die AHV sind die Dänen Vorreiter. Die Regierung beschloss schon vor über zehn Jahren, den Anteil an Bio-Lebensmitteln in öffentlichen Küchen zu erhöhen. Bis 2030 soll der Anteil von Bio-Produkten am Umsatz des gesamten Lebensmittelmarkts im Land auf 20 Prozent ansteigen.

Und wie geht es in Deutschland weiter? Guido Reinhardts Fazit zum Stand der Nachhaltigkeit im öffentlichen Diskurs klang ernüchternd: „Forschungsbasiert muss man nicht mehr diskutieren“, sagte er. Seriöse und belastbare Informationen zum Einfluss der Ernährung auf das Klima lägen längst vor. „Als Wissenschaftler lernt man aber, dass die Politik anders tickt – dass viel emotionaler und zum Teil mit falschen Fakten gearbeitet wird.“ Zudem werde sie von Lobbygruppen getriggert. Sein Ausblick war dennoch versöhnlich. „Es gibt viele sehr vernünftige Menschen in den Ministerien, die hoch intrinsisch motiviert sind.“

Mehr zur Rede von Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer beim 21. Marktgespräch lesen Sie hier:

21. BioHandel-Marktgespräch

Alois Rainer: „Habe größtes Vertrauen in ökologisch produzierende Betriebe“

Der Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat hat beim BioHandel-Marktgespräch die Wichtigkeit von Bio betont. Rainer sicherte Unterstützung für den ökologischen Landbau und die regionale Wertschöpfung zu.

Kommentare

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Jonas Hübner

Die Marktgespräche irritieren mich jedes Jahr aufs Neue.

Ich arbeite viel mit jungen Menschen und erlebe hautnah, was sie wirklich beschäftigt. Die Themen, die Jugendliche und junge Erwachsene tatsächlich umtreiben – und das bestätigen auch regelmäßig politische Umfragen – spielen in vielen Diskussionen rund um die ökologische Lebensmittelwirtschaft kaum eine Rolle.

Stattdessen wird der Versuch unternommen, jungen Menschen den Mehrwert ökologisch erzeugter Produkte über Schreckensszenarien, Schuldzuweisungen und Zukunftsängste nahezubringen. Doch genau das verfehlt die Wirkung – im Gegenteil: Eine solche Kommunikation führt bei vielen eher zu Resignation und innerem Rückzug.

Wir laufen Gefahr, einer ganzen Generation die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft zu nehmen, bevor ihr Leben richtig begonnen hat. Wenn Angst, Verzweiflung und das Gefühl überwiegen, ohnehin keinen Unterschied machen zu können, dann wird es schwer, eine komplexere, teurere und aufwendigere Ernährungspolitik erfolgreich zu vermitteln – ganz gleich, wie notwendig sie wäre.

Junge Menschen sind ambivalent – und müde von Daueralarm

Die meisten jungen Menschen, die ich kenne, sind kritisch und informiert – aber auch ambivalent. Sie gehören zur TikTok- und Instagram-Generation, sie konsumieren Inhalte schnell, visuell und pointiert. Sie schätzen Authentizität, Storytelling und Humor – keine Belehrungen.

Viele sind müde von der ewigen Reduktion aller Lebensbereiche auf die Klimafrage. Nicht, weil sie den Klimawandel leugnen – sondern weil sie sich zunehmend ausgelaugt fühlen von der ständigen Konfrontation mit Katastrophenszenarien. Die psychische Belastung ist real: Laut der "Jugend in Deutschland"-Studie von 2024 geben über 56 % der Befragten an, regelmäßig Sorgen um den Zustand der Welt zu haben. Über ein Drittel berichtet von Zukunftsängsten, 42 % leiden laut einer Umfrage der BARMER (2023) unter psychischen Belastungen.

Was Bio heute oft fehlt: Eine soziale Vision

Bio war einmal mehr als eine Anbauweise – es war Teil einer größeren sozialen Idee. Es ging um Gemeinschaft, um Kooperation statt Konkurrenz, um ein Wirtschaften, das den Menschen und den Planeten gleichermaßen im Blick hat. Heute wird Bio oft auf den CO₂-Fußabdruck reduziert. Natürlich ist Klimaschutz wichtig. Aber das reicht jungen Menschen nicht als Sinnangebot.

Was fehlt, ist eine sozial-ökologische Gesamtvision: eine Vorstellung davon, wie wir in Zukunft zusammenleben und wirtschaften wollen. Eine Vision, in der nicht Gewinnmaximierung, sondern Fürsorge, Gemeinschaft und Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehen.

Wenn Bio diesen Anspruch nicht (zurück-)gewinnt, wird es sich langfristig in den Strukturen des konventionellen, neoliberalen Marktes verlieren – und damit seine gesellschaftliche Relevanz verspielen.

Denn die Frage, die sich heute viele junge Menschen stellen, lautet nicht nur: Was soll ich essen, um das Klima zu retten?
Sondern: In welcher Welt will ich leben – und wie können wir sie gemeinsam gestalten?

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