Warum greifen Kunden zu Bio? Wie wirkt sich die Kaufmotivation auf die Wahl der Einkaufsstätten aus? Wie holt man die unterschiedlichen Zielgruppen in der Vermarktung und Werbung ab? Und schließlich: Was bedeutet die stark gestiegene und weiter wachsende Nachfrage nach Bio für den Ökolandbau?
Zu diese Fragen tauschten sich Wissenschaftler, Vertreter des Fachhandels, des LEH und aus den Anbauverbänden auf dem 10. Marktgespräch der BioHandel-Akademie aus. Corona-bedingt fand die Veranstaltung erstmals online statt. Den rund 90 Teilnehmern bot das die Möglichkeit, einzelne Settings und Redebeiträge durch Kommentare und Fragen im Chat und Votings zu begleiten.
Unterschiedliche Kaufmotive
Den Auftakt der Veranstaltung bildete ein Impulsvortrag von Frank Quiring, der sich beim Marktforschungsinstitut Rheingold mit Bio-Lebensmitteln beschäftigt. Er teilt die Zielgruppe für Bio in zwei Kundenprofile. Auf der einen Seite befinden sich Gelegenheitskäufer, für die Bio ein Baustein unter vielen ist. Quiring nennt sie „Patcher“, angelehnt an den Begriff „Patch-Work“, der ein aus verschiedenen Elementen zusammengesetztes Ganzes beschreibt. Ihnen gegenüber stehen in Quirings Theorie die „Pather“, gemeint sind Idealisten, die Bio als Lebensweg (engl. „Path“) ansehen.
Beide Gruppen greifen aus unterschiedlichen Kaufmotiven heraus zu Bio und müssen demnach in der Vermarktung unterschiedlich angesprochen werden. Pather sind Quiring zufolge die typischen Fachhandelskunden, wohingegen Patcher vor allem im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) mit Bio in Berühung kommen. Aus Patchern könnten aber Pather werden. Darüber hinaus seien die Übergänge zwischen den beiden Kundenprofilen fließend, so Quiring. Hier liegt die Chance für den Fachhandel: Ihm muss es gelingen, aus Patchern Pather zu machen.
Kaufmotiv: Bio als Baustein
Kundenprofil „Patcher“
Konsumenten, die Quiring als „Patcher“ bezeichnet, integrieren Bio als einen Baustein in ihren Alltag. Bio ist für sie eine Option unter vielen, die unterschiedlichen Zwecken dienen kann: etwa den Genuss steigern, sich selbst aufzuwerten, oder als kompensatorischer Ablass gegen das schlechte Gewissen.
„Patcher“ erreichen
Die Kaufmotivation der Patcher bietet den Einstieg in den Konsum von Bio. Zur Vermarktung von Bio als Baustein rät Quiring:
- Bio als besonders genussvoll zeigen und bebildern.
- Eine Grundabsicherung bieten, die zeigt, dass das Produkt bedenkenlos gekauft werden kann. Für viele Patcher ist Quiring zufolge das EU-Bio-Siegel ausreichend.
- Produkte schön verpacken, denn die Verpackung werde für Konsumenten laut Quiring immer wichtiger. Hersteller könnten sich damit profilieren.
- Immer wieder für Innovationen sorgen, die Bio spannend machen
Kaufmotiv: Bio als Lebensweg
Kundenprofil „Pather“
Die Pather, die Bio als Lebensweg begreifen, sind gewissermaßen schon weiter als die „Patcher“. Sie habe ein eigenes Interesse entwickelt, sich in Richtung Bio und Nachhaltigkeit weiterzubewegen. Diesen Weg gehen sie nicht allein, sondern sind gemeinsam mit anderen unterwegs, die dieselben Werte teilen. Der Konsum von Bio ist keine Option mehr, sondern ein fester Bestandteil ihres Lebens, in dem auch die Unterschiede zwischen den Bio-Standards eine Rolle spielen.
„Pather“ erreichen
Wenn es darum geht Kunden an Bio als Lebensweg heranzuführen oder sie auf diesem zu begleiten, kann der Fachhandel laut Quring stärker punkten als der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel. Wichtig bei der Vermarktung sind ihm zufolge diese Punkte:
- Statt moralische Forderung ein Angebot der Teilhabe schaffen.
- Bio-Aufklärung über Kriterien, Qualitätsklassen, Herkunft, Anbaubedingungen, etc. betreiben.
- Ein spezifisches Bio-Einkaufserlebnis bieten: „Pather“ setzen laut Quiring auf die Qualität der Entschleunigung – etwa durch freundliches Personal, persönliche Ansprache oder ruhige Ecken, in denen man Kaffee trinken kann.
- Bio über die Produkte hinaus als Bewegung bedienen und unterschiedliche Themenfelder besetzen, die mit Bio und Nachhaltigkeit zu tun haben.
Werbung für Bio – Spots für Patch und Path
Klar ist, dass Kunden, für die Bio eine Option unter anderen ist, auf andere Werbung ansprechen, also solche, die Bio als Lebensweg begreifen.
Letztere stehen im Fokus der Kampagne „Öko statt Ego“, die der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) auf der BioFach 2020 vorstellte. Der Kino-Werbespot sollte eigentlich kurz darauf anlaufen – doch dann kam Corona, die Kinos mussten schließen. So war der Spot erst im September zu sehen, bis im November der zweite Lockdown kam.
Öko statt Ego – Bestätigung, das Richtige zu tun
Inhaltlich spricht der Werbespot eher Path-Kunden an, so BNN-Geschäftsführerin Katrin Jäckel. Hier geht es also in erster Linie um die Bestätigung, das Richtige zu tun. Die Zuschauer sollen das Gefühl haben, etwas verändern zu können und gemeinschaftlich mit Gleichgesinnten verbunden zu sein.
Provozieren, um Aufmerksamkeit zu generieren
Das sieht auch Frank Quiring so. Der Spot zeige viele Identifikationsfiguren und weniger Klischees, das sei genau das, was sich vor allem junge Menschen wünschen. Allerdings vermisste Quiring die sinnliche Einbindung, eine Geschichte, die erzählt wird. Und er sah im Claim „Öko statt Ego“ die Gefahr, dass er polarisiert statt zu integrieren – gerade bei der Patch-Zielgruppe. Dem stimmte Katrin Jäckel zu: „Die Idee war, dass der Claim provoziert, um Aufmerksamkeit zu generieren“. Auf den Fridays for Future-Demos sei er gut angekommen.
Anders ist es auf den Social Media-Kanälen. Ihnen kam durch die Lockdowns eine noch größere Bedeutung zu. Hier werden regelmäßig neue Statements und Infos zum Thema Nachhaltigkeit gepostet – der Claim „Öko statt Ego“ bleibt eher im Hintergrund. Der Grund dafür ist, dass in den digitalen Medien auch die Patch-Zielgruppe angesprochen und auf den Fachhandel aufmerksam gemacht werden soll.
Rewe-Spot soll Entlastung bieten
Mit einer größeren Kampagne samt Werbespot bewirbt Rewe derzeit seine Bio-Eigenmarken. Zielgruppe sind laut Marcus Wewer, Referent für ökologischen Landbau, Leiter der Qualitätssicherung der Bio-Eigenmarken bei Rewe und neuer Handelsvorsitzender beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), ganz klar die Patcher. Diese seien zunehmend kritisch, was beispielsweise Herkunft oder Inhaltsstoffe angehe. „Bio alleine reicht nicht mehr aus“, so Wewer. Deshalb solle der Rewe-Spot in erster Linie Entlastung bieten, nach dem Motto: „Mit diesen Produkten bin ich auf der sicheren Seite“.
So sah es auch Frank Quiring: Im Gegensatz zum BNN verfolgt Rewe das Ziel der Akquise, Patch-Kunden sollen aus anderen LEH-Märkten oder generell zu Rewe kommen und die Bio-Eigenmarke kaufen. Überzeugte Bio-Kunden, die ohnehin schon überwiegend im Fachhandel einkaufen, sind nach seinen Worten nicht die Zielgruppe. Das bestätige anschließend auch das Teilnehmer-Voting. Hier waren 92 Prozent der Meinung, dass der Rewe-Sport vor allem die Patch-Kunden erreicht.
Herausforderung Ökolandbau
Während am Vormittag das Ziel „Bio für Alle“ aus Handels- und Vertriebssicht thematisiert wurde, stand am Nachmittag die Sicht der Produzenten und Anbau-Verbände im Mittelpunkt. In seinem Vortrag legte Urs Niggli, langjähriger Präsident des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FIBL) dar, warum er das Ziel der Farm-to-Fork-Strategie, bis 2030 in der EU 25 Prozent Ökolandbau zu haben, für vernünftig hält. Dabei machte er auch auf die Herausforderungen aufmerksam: EU-weit 25 Prozent Ökolandbau „bedeutet für die nächsten zehn Jahre gewaltige Wachstumsraten, die dann auch vom Markt aufgefangen werden müssen.“ In diesem Sinne sei für ihn die Diskussion über Bio im LEH, Fachhandel oder Discounter eher eine theoretische. „Denn so große Produktmengen können wir nur über alle Vermarktungsstrukturen auffangen", sagte Niggli in seinem Vortrag zu den Herausforderungen für den Öko-Landbau.
100 Prozent Bio – keine gute Lösung für Niggli
100 Prozent Bio hält der Schweizer Agrarwissenschaftler für keine Lösung. Denn aus globaler Sicht würden dadurch die Schwächen des Ökolandbaus zu sehr zum Tragen kommen. Er benötigt unter anderem deutlich mehr Fläche als die konventionelle Landwirtschaft und bringt bei gleicher Größe geringere Erträge.
Die große Frage ist laut Niggli: Welches Anbausystem verringert am besten die Zielkonflikte zwischen Produktivität sowie Ernährungssicherheit auf der einen Seite und der Ökologie auf der anderen Seite? Den Ökolandbau in seiner heutigen Form hält er dafür nicht für die beste Methode. Er sieht in ihm aber einen Baustein für eine wirksame Nachhaltigkeitsstrategie – gemeinsam mit anderen Wirtschaftsweisen, die ebenfalls anstrebten, den Zielkonflikt zwischen Nachhaltigkeit und Produktivität zu minimieren. Statt „Bio für Alle“ spricht Niggli lieber von „Bio für viel mehr Menschen als heute“.
Vollständige Änderung der Ernährung
Ein großflächiger Bio-Anbau wäre für den Agrarexperten erst dann denkbar, wenn er mit einer vollständigen Änderung der Ernährung gekoppelt wäre. Nur wenn der Fleischkonsum massiv eingeschränkt und die Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent reduziert würden, könnte man darüber reden, „ob der Ökolandbau eine interessante Option ist“, sagte Niggli.
Widerspruch gab es in der abschließenden Podiumsdiskussion von Lukas Nossol, der für 100 Prozent Bio plädierte. „Für uns ist das erst ein Anfang“, sagte der Marketingleiter bei Dennree.
Wie kann man die Verbraucher integrieren?
Einig waren sich die Teilnehmer der finalen Gesprächsrunde indes darüber, dass eine nachhaltige Agrarreform auch in der Verantwortung der Verbraucher liege. „Die Biobewegung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie in erster Linie ein gemeinsames Projekt von Erzeugern und Verbrauchern ist“, sagte der Journalist und ehemalige Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, Benny Härlin. Offen blieb, wie das aussehen könnte. „Wir haben Landwirte in die Bewegung gebracht, Hersteller und Händler. Ein offener Prozess ist, wie man die Verbraucher als Teilnehmer in diese Bewegung integriert“, sagte Bioland-Präsident Jan Plagge.
Handel in der Pflicht
Marcus Wewer nahm bei dieser Aufgabe auch den Handel in die Pflicht: Es geht darum, die Kunden aufzuklären, welche Auswirkungen ihre Kaufentscheidungen haben.“ Er bemängelte, dass sich in den vergangenen 30 Jahren hier nicht viel verändert habe. Auch die nachwachsenden Generationen müssten aufgeklärt werden. „Ernährung und Landwirtschaft sind keine Themen in den normalen Schulen, also müssen wir das machen“, so Wewer. „Insofern ist das eine Herausforderung für die gesamte Branche.“ (nab, mis, kam, sug)
10. Marktgespräch hinter den Kulissen
Das „Institut für den Fachhandel“ heißt jetzt „BioHandel Akademie“.
Mit dem neuen Namen wollen die Organisatoren Ulrike Fiedler (bio
verlag, BioHandel) und Jürgen Michalzik (JAMConsult) die Synergien
zwischen dem bio verlag und seinem Fachmagazin BioHandel stärker betonen. Die Inhalte der Angebote, Seminare
und Marktgespräche bleiben in ihrer Ausrichtung gleich und wie gewohnt spannend.
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