Neu-Kunden im Biofachgeschäft sind in Bezug auf eine vegetarische oder vegane Ernährung teils verunsichert. Ist vegane Ernährung überhaupt gesund? Schaden Soja, Mandeln und Avocados nicht der Umwelt? Und sind Fleischalternativen nicht voller Zusatzstoffe? Zum Auftakt des zehnten Veganuary im Januar geht BioHandel sieben Mythen zur tierfreien Ernährung nach.
Mythos 1: „Wer vegan isst, bekommt zu wenig Eiweiß“
Diese Sorge besteht bei vielen, und das auf den ersten Blick auch zu Recht. Tatsächlich gab es eine Studie, die zeigte, dass Veganer oft schlecht mit Eiweiß versorgt sind – die Deutsche Vegan-Studie von 1994/1995. Sie ergab, dass 41 Prozent der vegan lebenden Frauen und 31 Prozent der Männer die Empfehlungen für die tägliche Eiweißzufuhr nicht erreichen. Doch diese Studie ist kaum noch aussagekräftig. Denn damals waren das Ernährungswissen und auch das Informations- und Lebensmittelangebot viel schlechter als heute. So gibt es mehrere hundert Bücher, Blogs und Websites zum Thema gesunde vegane Ernährung.
Auch ist das Angebot an Lebensmitteln, die nur so vor Eiweiß strotzen, heute viel größer. Es gibt Hülsenfrüchte, rote Linsen, Kichererbsen, Kidneybohnen, Getreide, Quinoa und Amaranth sowie Nüsse aller Art. Dazu kommen Sojadrinks, Tofu, Tempeh und Seitan sowie Proteinmüslis und andere Eiweiß-Powerprodukte.
„Bei den meisten Vegetariern ist die Eiweißzufuhr sehr gut und auch bei reinen Pflanzenessern ist sie üblicherweise absolut ausreichend!“, betont Dr. Markus Keller, Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung in Biebertal bei Gießen. Bei Vegetariern liege die Zufuhr sogar meist über dem, was die Ernährungsgesellschaften für Eiweiß empfehlen. Gleichzeitig aber sei sie nicht ganz so üppig wie bei allen, die Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier essen. Eiweiß ist bei Veganern also kein Problem.
Mythos 2: „Pflanzliches Eiweiß ist weniger wertvoll als das vom Tier“
Das sagen Fleischverfechter gern mal. Sie betonen, dass Protein aus pflanzlichen Lebensmitteln nicht so wertvoll sei wie das von Steak und Schnitzel. Grundsätzlich stimmt das und es ist auch seit langem bekannt. So ist die Eiweißqualität eines Lebensmittels umso höher, je mehr die Zusammensetzung der Eiweißbausteine – sogenannte Aminosäuren – unserem Körperbedarf entspricht. Und hier sind tierische Proteine näher dran am Menschen als die meisten pflanzlichen Eiweiße. Doch durch kluges Kombinieren verschiedener eiweißreicher Lebensmittel lässt sich die Eiweißqualität deutlich steigern.
Sehr gute Kombinationen sind etwa Roggenvollkornbrot mit Cashewnuss-Mus, Vollkornreis mit Linsensoße oder Falafel im Fladenbrot. Die Eiweißqualität entspricht dann sogar der von Eiern, Milch oder Rindfleisch, die in Sachen Protein als besonders hochwertig gelten – oder übersteigt sie sogar.
Mythos 3: „Für Kinder ist rein pflanzliches Essen gefährlich“
Tatsächlich berichten ärztliche Fachzeitschriften vereinzelt von vegan ernährten Kleinkindern, die schwere Gesundheitsstörungen zeigen wie Unterernährung und Nährstoffmangel. „Doch das sind Einzelfallberichte“, weiß Dr. Markus Keller. Dass vegane Kinderernährung funktioniert, haben zwei aktuelle Studien seines Instituts gezeigt: die „VeChi“-Studien (Vegetarian and Vegan Children Studies).
Die VeChi-Diet-Studie mit 430 Kleinkindern im Alter von ein bis drei Jahren überprüfte den Ernährungszustand sowie verschiedene Körpermaße von 139 vegan und 127 vegetarisch lebenden Kindern sowie von 164 Jungen und Mädchen, die Fleisch im Sinne einer Mischkost erhielten. Ergebnis: Zwischen den drei Ernährungsgruppen gab es keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die durchschnittliche Körpergröße und das Gewicht. Die Kinder aller drei Gruppen waren im Schnitt altersgemäß entwickelt.
Auch die VeChi-Youth-Studie mit rund 400 Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 18 Jahren kam zu ähnlich guten Ergebnissen. Positiv war, dass die Vegan-Kinder mit der höchsten Vitamin-B12-Zufuhr punkten konnten. Und das, obwohl Vitamin B12 nur in tierischen Lebensmitteln enthalten ist. Eltern scheinen ihrem Nachwuchs dieses Vitamin also gewissenhaft über Nahrungsergänzungsmittel zu geben. Allerdings gab es auch kritische Nährstoffe wie Kalzium, Vitamin D und Jod. Dies war in allen drei Ernährungsgruppen so. Doch die vegan ernährten Kinder hatten bei Kalzium und Jod mehr Nachholbedarf als die vegetarisch und mit Fleisch ernährten Kids. Das müssen Eltern im Blick haben.
Unsere Autorin hat gemeinsam mit Dr. Markus Keller ein Buch über pflanzenbasierte Ernährung geschrieben. Darin geben die beiden nicht nur zahlreiche Informationen zur nachhaltigen vegetarischen und rein pflanzlichen Ernährung auch mit Blick auf die Tierhaltung. Sie widmen sich auch ausführlich den Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber dieser Art der Ernährung: Dr. Markus Keller, Annette Sabersky: Öfter mal die Sau raus lassen! Wie wir mit pflanzenbasierter Ernährung ganz entspannt gesünder leben und das Klima retten. Verlag Eugen Ulmer 2022, 400 Seiten, 20 Euro
Mythos 4: „Wer Soja isst, schadet dem tropischen Regenwald und isst Gentechnik“
Ohne Frage ist der Anbau von Sojabohnen oft extrem umweltschädlich und die verantwortlichen Konzerne missachten vielfach die Menschenrechte. Für Sojabohnen werden in Erzeugerländern wie Brasilien und Argentinien riesige Waldflächen abgebrannt oder es wird wie in der brasilianischen Savanne Cerrado wertvoller Trockenwald in Ackerland umgewandelt. Der Anbau in Monokulturen erfordert außerdem einen hohen Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln, die ins Grundwasser gelangen und die Trinkwasserqualität in den Anbauländern verschlechtern.
Angebaut wird in den Ländern fast ausschließlich gentechnisch veränderte Saat. Doch nur etwa sechs Prozent der global erzeugten Sojabohnen kommen als Lebensmittel, also Tofu oder Sojasauce, auf den Teller, so die Studie „Sojaboom: Auswirkungen und Lösungswege des WWF.“ Das Gros des Soja landet als Futtermittel in den Trögen unserer Nutztiere. Ein weiterer Teil ist Rohstoff für Kosmetika und kommt als Biodiesel in den Tank.
Tofu, Veggie-Würstchen oder Sojaburger aus dem Bioladen sind fast immer aus europäischem und einem anwachsenden Teil auch heimischem Soja. Es wird also ohne Brandrodung, Vertreibung indigener Völker, Pestizide und mineralische Düngemittel erzeugt. Einige heimische Biohersteller von Tofu oder Sojadrinks setzen sogar ausschließlich auf deutsche Sojabohnen und weisen auf der Packung auch darauf hin. Wer Bio-Soja isst, trägt also zum Umweltschutz bei und die heimische oder europäische Biolandwirtschaft wird unterstützt. Außerdem bleibt Gentechnik bei „Bio“ stets außen vor.
Mythos 5: „Beim Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln wie Mandeln und Avocados wird viel Wasser verwendet“
Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Mit mehr als 16.000 Litern Wasser pro Kilo zählen Mandeln zu den größten Wasserschluckern. Ein großer Teil der weltweit angebotenen Mandeln wird in kalifornischen Monokulturen angebaut und wegen der Trockenheit intensiv bewässert. Auch Avocados schlucken je Kilo Frucht satte 2.000 Liter Wasser. Doch auch hier muss man zwischen Bio und konventionell unterscheiden: Bio-Mandeln kommen oft aus Europa, ihr Wasserbedarf wird häufig mithilfe von Regenwasser gedeckt. Und Bio-Avocados stammen nicht nur aus Ländern wie Südafrika und Israel, wo es selten regnet. Sie werden in Mischkultur angebaut, dadurch wird die Austrocknung des Bodens vermindert.
Und auch das ist Fakt: Grundsätzlich wird beim Anbau der meisten pflanzlichen Lebensmittel im Schnitt viel weniger Wasser verbraucht als bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel. Je Kilo Gemüse sind es rund 300 Liter, für Obst etwa 1.000 Liter und für Getreide rund 1.600 Liter Wasser. Je Kilo Käse müssen hingegen rund 5.000 Liter, für Butter 5.600 Liter, für Schweinefleisch rund 6.000 Liter und für Rindfleisch sogar über 15.000 Liter Wasser aufgewendet werden. Pflanzliche Lebensmittel benötigen ja „nur“ direkt das Gießwasser, tierische Lebensmittel benötigen es auf mehreren Ebenen, also beim Anbau der Futtermittel, und auch bei der Verarbeitung zu Fleisch, Wurst, Schinken und Milchprodukten fließt viel Wasser.
Mythos 6: „Fleischalternativen strotzen nur so vor Zusatzstoffen und Aromen“
Das stimmt so nicht. Dr. Markus Keller und sein Team nahmen vor einigen Jahren 80 vegane und vegetarische Fleischalternativen sowie 27 klassische Fleischprodukte unter die Lupe, darunter biologische und konventionelle Produkte. Im Fokus standen neben einigen Nährstoffen auch Zusatzstoffe und Aromen. „Wir fanden heraus, dass die Bio-Fleischalternativen vergleichsweise am besten abschnitten“, erklärt Dr. Markus Keller. Sie hatten einen etwas höheren Eiweißgehalt, weniger Kalorien und Fett und sogar deutlich weniger (ungünstige) gesättigte Fettsäuren als „echte“ Fleischwaren.
Den Bio-Waren wurden auch keinerlei Aromen zugesetzt, und sie kamen mit deutlich weniger Zusatzstoffen aus als die vergleichbaren konventionellen Produkte. So enthielten die bio-veganen und bio-vegetarischen Alternativen im Schnitt nur einen (!) Zusatzstoff pro Produkt. Konventionelle vegane Produkte hatten hingegen durchschnittlich zwei und konventionelle vegetarische Produkte 3,5 Zusatzstoffe pro Produkt in sich. Fleischalternativen sind also nicht ungesund, das gilt vor allem für die Bio-Varianten.
Mythos 7: „Vegan und Plant-based ist kompliziert“
Das könnte man meinen. Schließlich ist es erforderlich, ein paar Dinge zu checken, etwa, welche Lebensmittel wie kombiniert werden, damit die Eiweißqualität stimmt und ob Vitaminpräparate nötig sind. Auch leckere Rezepte müssen her. Doch an sich muss sich jeder Mensch damit auseinandersetzen, was er isst und trinkt, auch diejenigen also, die Fleisch und Fisch zu sich nehmen.
Veganer müssen, abgesehen von Vitamin B12, auch nicht mehr oder weniger Vitaminpräparate schlucken als Nicht-Veganer. Es gibt zwar ein paar kritische Nährstoffe wie Kalzium, Eisen, Vitamin B2 und D, Jod und Omega-3-Fettsäuren, auf die bei veganer Ernährung besonders geachtet werden muss. Doch sie können durch eine sorgfältige Lebensmittelauswahl zugeführt werden. Dass Pflanzenkost besonders kompliziert und aufwendig ist, lässt sich also pauschal nicht behaupten.
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