Vor einigen Hundert Gästen auf der Jubiläumsgala in Legau, „der temporären Welt-Bio-Hauptstadt“, gab Joseph Wilhelm Kostproben seiner Philosophie und seines Blicks auf das Leben. So würden Start-ups heute die „Work-Life-Balance“ in den Vordergrund stellen. „Ich habe nie getrennt zwischen Leben und Arbeiten. Hätte ich dies getan, gäbe es Rapunzel heute nicht in der Form“, stellte er fest.
„Du bist mehr mit der Firma verheiratet als mit mir“, habe seine damalige Ehefrau Jennifer Verheulen gesagt, die vier Kinder versorgt und nebenbei noch die Buchhaltung gemacht und Kundenrechnungen von Hand geschrieben habe. „Das kann man heute mit keiner jungen Frau mehr machen“, sagte er in Dankbarkeit an die Mitgründerin, von der er seit 1986 geschieden ist, die mit ihm aber immer noch „auf dem gleichen Platz“ lebe.
Landkommune statt Reihenhaus
Das Ziel der beiden sei seit 1974, die Begeisterung für gesunde Ernährung und Vollwertkost mit anderen Menschen zu teilen und die Bio-Landwirtschaft weltweit zu verbreiten. Und in einer Landkommune wollten sie leben, statt als Kleinfamilie im Reihenhaus.
„Wir wollten selbstbestimmt arbeiten und etwas Sinnvolles schaffen: Kornkraft statt Kernkraft“, erzählte Wilhelm. Bei allen Schwierigkeiten, auch in Bezug auf das Weltgeschehen: Herausforderungen seien dazu da, an ihnen zu wachsen. „Auf dem Sofa wachsen wir nur in die Breite“, warnt Joseph Wilhelm.
Work-Life-Balance? Ein Fremdwort
Auch die Geschäftsführerin und langjährige Weggefährtin Margit Epple lobt er ausdrücklich: Sie habe daran mitgewirkt, dass schwierige Zeiten überstanden wurden und sich der Erfolg dauerhaft manifestieren konnte. Auch für sie Work-Life-Balance bis heute ein Fremdwort geblieben – und das läge nicht an mangelnden Englischkenntnissen.
Epple soll die nächste Generation als Geschäftsführerin eine Weile begleiten. „Danach wird diese allein und in Eigenverantwortung ihr Bestes geben, darauf vertraue ich“, so Wilhelm. Stabilität und permanente Veränderungsfähigkeit seien für eine Firma wichtig. Zwischen beiden sollte immer ein Gleichgewicht bestehen, empfiehlt der Gründer.
Das Sinnhafte an einem Unternehmen sei auch, dass es Einkommen für Beschäftigte erwirtschafte. Bei Rapunzel seien das derzeit rund 25 Millionen Euro im Jahr. „Wenn wir unsere Aufgabe weiterhin ernst nehmen und mit Begeisterung und Hingabe erfüllen, dann brauchen wir vor keiner Zukunft bange zu sein“, so Wilhelm. Die Begeisterung könne man nicht einfordern, sondern müsse sie immer ausstrahlen, um die anderen mit auf den Weg zu nehmen.
Gründer mit „gebrochenem Herzen“
Zum Abschluss seiner Rede gestand Joseph Wilhelm ein, dass er an einem „Broken-Heart-Syndrom“ leide. Medizinisch handelt es sich dabei um einen Funktionsverlust des Herzens – das meinte Wilhelm aber nicht. Er bezeichnete damit vielmehr das Phänomen des gebrochenen Herzens. Das habe man normalerweise wegen der Liebe zu einer Frau oder einem Mann, „ich leide an einem Broken-Heart-Syndrom wegen meiner großen Liebe Rapunzel“.
Aber da ihn das Leben reich beschenkt habe, glaube er, dass sich diese Phase bald in Wohlgefallen auflösen werde. Hoffnung dafür gebe ihm auch seine Freundin und Lebensgefährtin, die er auf die Bühne bat und vorstellte. Und noch etwas Überraschendes: Der „Meister der freien Rede“ hielt sich an seine Vorlage und konnte so die vom Protokoll vorgegebene Zeit einhalten.
Kommentare
Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.