Feiern und Bangen liegen für den Fachhandel gerade dicht beisammen. Neben dem 40-jährigen Bestehen des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) zelebrieren in diesem Jahr auch einige weitere Branchenakteure ihr langjähriges Bestehen. Die Stimmung auf den Gründungs-Festen wird dieses Mal nicht nur ausgelassen sein. Schließlich befindet sich der Fachhandel aktuell in seiner bislang wohl größten Krise.
Vermutlich auch deswegen hört man bei Branchentreffen häufig die Aufforderung, der Fachhandel müsse jetzt wieder Pionierarbeit leisten. Aber, geht das? Und wenn ja, wie? In Gesprächen mit Superbiomarkt, Rinklin Naturkost, Voelkel und weiteren Pionierbetrieben, erzählen die Gründer sowie deren Söhne und Töchter beispielhaft, was sie antreibt und welche Herausforderungen sie sehen.
Anna und Sylvia Haslauer, BioMarkt La Vida
Als Sylvia Haslauer das damals noch 50 Quadratmeter kleine Reformhaus La Vida ihrer Mutter übernahm, stellte sie auf 100 Prozent Bio um. Sie machte aus einer Anlaufstelle für Gesundheitsberatung den ausgezeichneten 220 Quadratmeter großen Bioladen, den sie heute mit ihren Töchtern Anna Haslauer und Dominique Sarring führt. Produkte wie Wein nahm sie neu ins Sortiment, bei ihrer Mutter ein No-Go – „viel zu ungesund“. Digitales ist nicht ihr Ding, aber Anna Haslauer netzwerkt auf allen Kanälen. Sie managt den Dialog mit den Kunden via Facebook und Instagram und engagiert sich auch beim Netzwerk BNN-Next, der Plattform für die jungen Bios der Branche.
Soll der Fachhandel in die Pionierrolle schlüpfen? „Damit verlieren wir nur Energie“, sagt sie – die setzt Anna Haslauer lieber für Dialog und Austausch ein. Allein bei der Frage, was genau Fachhandel heißt, gingen die Meinungen viel zu weit auseinander. Sie betont: „Wenn ich, wie manche fordern, nur Hersteller listen soll, die nur für den Fachhandel produzieren, könnte ich den Laden zu machen.“ Viel wichtiger seien ihr Hersteller, die transparent arbeiten.
Anna Haslauer nennt das Negativ-Beispiel Logona und Logocos: „Nach der Übernahme durch L’Oréal sind die Ansprechpartner all unseren Fragen ausgewichen. Als wir unserer Kundschaft dann erklärten, warum wir die Produkte ausgelistet haben, reagierte sie geschockt, aber auch positiv überrascht über unsere Entscheidung.“ Sie würde kein Produkt auslisten, nur weil sich die Herstellerfirma dem LEH öffnet. Ihr gehe es vielmehr darum, „Bio nach vorne zu bringen und zu schauen, dass es insgesamt wieder besser läuft.“
Stephanie und Michael Moßbacher, Byodo Naturkost
Über Zukunftsaufgaben kann sie beim gerade gegründeten BNN.Next mit Branchenkollegen und-kolleginnen diskutieren. Dort trifft sie dann etwa Stephanie Moßbacher, die seit einem Jahr Byodo leitet. Vorher arbeitete sie schon sechs Jahre in dem Unternehmen, das ihr Vater mit seiner Partnerin Andrea Sonnberger aufgebaut hat.
Sieht sie sich in einer Pionierrolle? „Nein. Ich will das Geschaffene weiterentwickeln.“ Als sie die Geschäftsführung übernahm, habe sie deshalb erstmal Bilanz gezogen und gefragt: „Was sind unsere Stärken, wofür wollen wir stehen, und wo wollen wir in Zukunft hin?“ Herauskam der Claim: „Pionier für Biogenuss“. Damit knüpft sie den roten Faden ihres Vaters Michael Moßbacher weiter.
Der sieht sich rückblickend als doppelter Pionier: „Anfangs waren die Widerstände enorm – von allen Seiten. Wer Bioprodukte verkaufen wollte, galt als Spinner.“ Auch innerhalb der Szene fühlte er sich als Außenseiter, denn: „Uns ging es neben Nachhaltigkeit und Bio auch um Genuss und um wirtschaftlichen Erfolg.“ Das sei damals als unpassend empfunden worden.
Gestartet ist Moßbacher mit zwei Mitstreitern und der Produktion von Tofu- und Tempeh-Produkten. Die Finanzierung sei ein Drahtseilakt gewesen. Letztlich halfen private Kredite und die bis heute guten Beziehungen zu Lieferanten, erzählt er. Der Firmenname – Byodo, japanisch für „gemeinsamer Weg“ – sei daher durchaus Programm. Bis heute präge das die Unternehmenskultur, betonen beide. Die Tochter zeigt sich überzeugt: „Dialog, Qualität und Genuss werden auch morgen noch das sein, was die Endverbraucher suchen.“
Die Herausforderung ihrer Generation sei jetzt: „Die Menschen auf positive Art zu erreichen und sie zu einem nachhaltigen Leben zu inspirieren.“ Netzwerken innerhalb der Branche hält sie für das Gebot der Stunde. Daher ist sie auch bei Junge AöL aktiv und dort unter anderem mit Johannes Ehrnsperger von Neumarkter Lammsbräu im Gespräch.
Johannes und Franz Ehrnsperger, Neumarkter Lammsbräu
Auch Johannes Ehrnsperger ist ein engagierter Bio-Nachfolger. Und auch er betrachtet es als die größte aktuelle Herausforderung der jungen Bios „die Komplexität des Konzepts Bio an den Endverbraucher zu vermitteln.“ Sein Vater Franz Ehrnsperger betont: „Das wird der Fachhandel nicht allein können, Hersteller und Landwirte müssen mitziehen – und auch die Politik.“
Ehrnspeger Senior findet daher den Vorschlag des BÖLW gut, Landwirtschafts-Subventionen nach Engagement für die Umwelt zu verteilen. „Wer das am meisten unterstützt, sollte dann auch eine steuerliche Entlastung bekommen. Damit würde über ein marktwirtschaftliches Instrument die Entwicklung in die richtige und enkeltaugliche Richtung gelenkt.“
Leonhard und Joseph Wilhelm, Rapunzel Naturkost
Ähnlich sieht man es in Legau bei Rapunzel. Zum Thema Pionier-Sein merkt der Gründer Joseph Wilhelm an: „Vor 40 Jahren war die größte Herausforderung, Rohstoffe in Bioqualität zu bekommen. Wir wurden als Müslis belächelt, viele nahmen unsere Idee, gesunde und gerechte Lebensmittel zu produzieren nicht ernst.“ Von Anfang an sei der Anspruch gewesen, Produkte in 100 Prozent Bio-Qualität herzustellen. Deshalb wurden zahlreiche Anbauprojekte begründet und gleichzeitig Standards für faire Handelsbeziehungen entwickelt.
Um das fortzuführen, muss sich Sohn Leonhard Wilhelm heute mit reichlich behördlichen Anforderungen auseinandersetzen. Zwar begrüße er Regelungen, die auf eine höhere Lebensmittelqualität zielen, viele Anordnungen jedoch seien „praxisfern und lähmend.“ Dazu komme der Fachkräftemangel und eine prinzipiell veränderte Einstellung zur Arbeit. Nicht zuletzt wirkt sich der demographische Wandel aus. Erfahrene Fachkräfte gehen in Rente. Seine Aufgabe an diesem Punkt sei, „deren Know-how nicht zu verlieren und den Wissenstransfer an die Nachfolgenden gut zu gestalten.“
Seit 20 Jahren ist Leonhard Wilhelm schon im Unternehmen. Auch er ein Netzwerker und bei Junge AöL aktiv, denn er wünscht sich „noch mehr bewusste Kunden, die konsequent unsere gemeinsamen Werte – die der Hersteller und des Fachhandels – teilen.“ Zur Aufgabe des Fachhandels selbst hat er eine klare Einstellung: Der müsse sich zwar jetzt neu positionieren aber „seine Pionierrolle als wichtigster und authentischer Lebensmittelhändler für biologische Produkte hat er nie verloren.“ Er weiß, wovon er spricht, Rapunzel betreibt selbst einen Laden.
Boris, Jacob, Jurek und Stefan Voelkel, Voelkel
Im Norden der Republik definiert Stefan Voelkel das Pionier-Sein so: „Das hat bei uns viel mit familiär vererbter Neugier und einer Spur wendländischer Dickköpfigkeit zu tun. Meinem Vater Harm ging es schon in den 1960er und 1970er Jahren um sinnreiches Wirtschaften. Heute nennt sich das ,Purpose'. Er hat die Bio-Idee aus eigenem Antrieb umgesetzt, noch bevor es Vorgaben oder ein Siegel gab.“ Dabei sei es seinem Vater nie darum gegangen, nur Apfelsaft abzufüllen, „er wollte die Kundschaft ständig mit Innovationen für ein lebensbejahendes, genussvolles Bio begeistern.“
Auf die Frage zur aktuellen Rolle des Fachhandels sagt Jurek Voelkel: „Im LEH zeigt sich, dass die selbstständigen Ladner die erfolgreichsten Händler sind. Wir denken, dass das auch für die Bio-Branche gilt – die inhabergeführten Läden sind das Rückgrat einer vielfältigen Bio-Branche. Deswegen unterstützen wir besonders die Selbstständigen etwa mit eigenen Ladner-Apfelsäften.“
So wolle man dazu beitragen, dass sie sich bei ihrer Zielgruppe als Marke etablieren können. „Darüber hinaus bringen wir immer wieder Innovationen, mit denen sich der Fachhandel positionieren kann.“ Als Beispiel nennt er das Speiseöl in der Pfandflasche. „Mehrweg ist das Thema, wenn es um Ressourcenschonung in Zukunft geht, und das kann der Fachhandel so gut wie niemand sonst.
„Ich hatte lange Zeit einen Leitspruch, der wäre heute tödlich. Ich dachte: Ich muss nur ein guter Großhändler sein – und die anderen sollen bitteschön gute Erzeuger und gute Ladner sein. Wie die das machen, geht mich nix an.“
Wilhelm Harald Rinklin, Rinklin Naturkost
Was Ladner-Sein bedeutet, hat Wilhelm Rinklin erst richtig verstanden, als er selbst Ladner wurde, gesteht der Gründer des südbadischen Naturkostgroßhandels. Heute hat das Unternehmen, das seine drei Söhne Armin, Jochen und Harald führen, drei Läden. Damit sind sie Teil von etwa 2.200 Bio-Fachmärkten. Die machen zwar nur rund sechs Prozent aller Lebensmittelverkaufsstellen in Deutschland aus. Mit dieser vergleichsweise geringen Zahl trugen sie im vergangenen Jahr allerdings 20 Prozent zum deutschlandweiten Bio-Lebensmittelumsatz in Höhe von 15,3 Milliarden Euro bei.
Auf die Frage nach Pionier-Fehlern und -Erfolgsrezepten sagt Wilhelm Rinklin: „Ich hatte lange Zeit einen Leitspruch, der wäre heute tödlich. Ich dachte: Ich muss nur ein guter Großhändler sein – und die anderen sollen bitteschön gute Erzeuger und gute Ladner sein. Wie die das machen, geht mich nix an.“ Heute dagegen ist er überzeugt: „Wir müssen sie unterstützen. Sehr viele Einzelhändler sind ja gerade in einer Situation, wo sie sich nicht zu Unrecht allein gelassen fühlen.“ Bestes Erfolgsrezept seien die langjährigen Beziehungen zu Lieferanten: „Selbst wenn ein Bauer mal doppelt so viel Ware hatte, wie man brauchte war klar: Das ist unser Problem, nicht seins. Das ist unsere Unternehmenskultur, auch heute noch.“
Sein Sohn Harald, der Delegierter bei Bioland ist, nickt zustimmend und ergänzt: „Sie wissen, dass wir alles tun, was machbar ist. Deswegen halten sie auch mal bei uns die Füße still, wenn wir Krisenzeiten haben.“ Zukunftsideen? „Ich habe große Lust, Bio so weiterzubringen in den Strukturen, und der Betriebsform, dass hier wieder eine echte Alternative entsteht.“
Zum Thema Fachhandel nochmal der Vater: „Aldi und auch Lidl wären nicht auf die Idee gekommen, Bio zu verkaufen, wenn sie nicht gesehen hätten, die Bios wachsen jedes Jahr um zehn Prozent. Die sind aufgewacht und haben sich positioniert. Und jetzt haben wir wieder das Problem. Aber es ist an uns, Antworten zu finden, die nicht nur 30, sondern 100 Prozent Bio ermöglichen.“
Janis, Luca und Michael Radau, Superbiomarkt
Vom Typ her sind die Familie Rinklin und die Familie Radau, die den Superbiomarkt führt, sehr unterschiedlich, doch das 100 Prozent Bio-Ziel eint sie absolut. Zusammen mit seinen Söhnen Janis und Luca führt Michael Radau 26 Märkte mit 600 Mitarbeitern.
Auf die Frage, ob der Fachhandel die Speerspitze sein kann, um das neue Biobewusstsein zu verbreiten, antwortet er: „Er muss die Innovations-Speerspitze werden. Und zwar nicht mit dem 13. Tomatenketchup, sondern mit neuen Kommunikationswegen. Wir müssen anders als bisher Verbindungen zu den Kunden aufbauen, andere Darstellungen der Produkte finden, anderes Erlebbarmachen von Bio.“ Der gerade vorgestellte digitale Produktpass sei ein erster Vorstoß in diese Richtung. Luca Radau sieht ihn als Werkzeug, um den Kunden die Produktvielfalt näher zu bringen.
Neu und besser kommunizieren wollen jetzt alle – aber wie kann das konkret aussehen? Dazu nochmal Johannes Ehrnsperger von Lammsbräu: „Aus meiner Sicht verkörpert die Rapunzel-Welt sehr gut, wie wir in Zukunft Bio kommunizieren sollten – allgemeinverständlich und transparent.“ In Legau war er gerade bei einem Treffen der Jungen AöL, und sprüht noch vor Eindrücken. Dialog plus Netzwerk gleich Vielfalt. So wächst Zukunft.
„Den Fachhandel sehe ich auch in Zukunft als starken Motor“
Frau Jäckel, Sie feiern gerade 40 Jahre BNN – Herzlichen Glückwunsch! Mit welchen Zielen und Aufgaben gingen die Gründer damals an den Start?
Bio war der maximale Gegenentwurf zu einer immer mehr auf Effizienz getrimmten Lebensmittelwirtschaft – und die Fachhandelsbranche eine Art Werkbank für die Öko-Standards, die heute gelten. Wenn man an die Anfänge zurückdenkt: Das war 20 Jahre vor dem Ökosiegel und der EU-Ökoverordnung. Wir haben die Meßlatte hochgesetzt und gemeinsam Qualitäts-Standards entwickelt, Orientierung geschaffen und die Mitglieder bei der Umsetzung begleitet.
Welches sind heute Ihre Herausforderungen?
Derzeit haben wir eine sehr komplexe Themenlage. Eine unserer besonderen Herausforderungen ist, der nächsten Generation mehr Raum und Mitsprache zu ermöglichen. Deswegen heben wir gerade den BNN-Next aus der Taufe. In unserem aktuellen Transformationsprozess Viva-BNN zeigt sich deutlich der Wunsch unserer Mitglieder, dass der Verband nicht nur den Fachhandel fördert, sondern auch eine starke Stimme nach außen ist.
Bei welchen Themen?
Vor allem in aktuellen politischen Debatten wie „Echte Preise – True Cost Accounting“, neue Gentechnik oder Nachhaltigkeits-Kennzeichnungen. Die letzte Kampagne seitens der Politik, die Bio erklärt hat, ist 20 Jahre her. Seitdem gab es keine mehr mit einem so großen gesellschaftlichen Informationsanspruch. Jetzt soll ja im Herbst vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine neue kommen. Wir hoffen, dass sie dazu beiträgt, die junge Generation anzusprechen.
Was denken Sie trägt den Fachhandel in die Zukunft?
Seine Vielfalt. Vor dem Hintergrund des 30-Prozent-Bio-Ziels setzen wir uns für eine Förderung regionaler Wertschöpfungsketten ein. Diese sind neben der Außer-Haus-Verpflegung ein ganz wichtiger Motor, überhaupt in die Nähe eines 30 Prozent-Anteils der Öko-Land- und Lebensmittelwirtschaft zu kommen. Dafür werden Mengen und Qualitäten gebraucht, die handwerkliches Können erfordern und einen Umfang haben, der für konventionelle Strukturen uninteressant bis nicht machbar ist. Wir können das.
Gerade die kleinen Erzeuger- und Verarbeiterbetriebe, die jetzt mit Bio anfangen, finden bei uns den Heimathafen, den sie brauchen. Das ist das Potenzial und die Aufgabe des Fachhandels. Mit der ureigenen Vielfalt – und Glaubwürdigkeit – seiner Handelsstrukturen sehe ich ihn auch in Zukunft als starken Motor für regionale Wertschöpfung bei Bio-Lebensmitteln.
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