Dieser Artikel wurde am 06.04.2022 aktualisiert: Nach dem gelben Mehlwurm und der Wanderheuschrecke ist seit Februar auch die Hausgrille (Heimchen) als neuartiges Lebensmittel in Europa zugelassen. Wir haben den Artikel an entsprechender Stelle aktualisiert.
Auch wenn die Deutschen ihren mehr als üppigen Fleischverbrauch in den vergangenen zwei Jahren etwas zurückgefahren haben – weltweit hat sich der Fleischkonsum in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt und bis 2028 soll er, so die Prognose im Fleischatlas 2021, um weitere 13 Prozent steigen. Damit stehen wir vor der Herausforderung, genügend Proteine zu produzieren, um die Erdengemeinschaft ausreichend zu ernähren.
Gleichzeitig ist klar: Die Fleischindustrie, so wie sie heute funktioniert, wird weder Tier noch Mensch gerecht. Sie verschlingt Wasser und Land, zerstört Wälder und produziert Treibhausgase. Doch es gibt Alternativen. Pflanzliche Fleischersatzprodukte verkaufen sich jetzt schon wie geschnitten Brot, Insekten als Proteinquelle stehen noch ganz am Anfang ihrer Marktkarriere. Diskutiert werden darüber hinaus Algen, In-Vitro-Fleisch und Fleisch oder Fleischersatz aus dem 3D-Drucker.
Was taugen Alternativen?
Die Frage ist: Sind das gangbare Alternativen, also besser für die Umwelt, gut für die Gesundheit und mit vergleichbarem Nährstoffgehalt? Dazu existieren Analysen: beispielsweise eine Trendstudie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2019 und eine Untersuchung, die der WWF im März 2021 herausgegeben hat. Insekten kamen schon bei den Griechen und Römern auf den Tisch; für zwei Milliarden Menschen, ein Viertel der Weltbevölkerung, gehören sie zur alltäglichen Ernährung. Und die Welternährungsorganisation FAO empfiehlt angesichts der prognostizierten Welternährungslage: „Esst mehr Insekten!“
Die kleinen Tierchen liefern, bezogen auf die Trockenmasse, bis zu 75 Prozent Protein, vergleichbar mit Rind, Schwein und Geflügel, außerdem wertvolle Omega-3-Fettsäuren, Vitamine und wichtige Mineralstoffe. Teilweise sollen sie sogar nahrhafter sein als herkömmliches Fleisch. Ihr essbarer Anteil beträgt 80 Prozent – bei Tieren in der Landwirtschaft sind es gerade mal 40. Dazu kommt, dass sie Futter gut verwerten – laut Fleischatlas 2018 benötigen Insekten nur ein Viertel der Futtermenge von traditioneller Viehzucht.
Der Markt für Fleisch von morgen
Fleischersatzprodukte boomen. Der Wursthersteller Rügenwalder Mühle macht seit Mitte 2020 mehr Umsatz mit veganen und vegetarischen Alternativen als mit dem Original. Investoren sehen Chancen. Wiesenhof etwa pumpt Geld in das israelische Start-up Supermeat, das an Hühnchenfleisch aus dem Labor tüftelt. Der Pharmariese Merck setzt auf das niederländische Mosa Meat, das zu den ersten Zellfleisch-Produzenten gehört, die von sich reden machten. Und Oscar-Preisträger Leonardo di Caprio hat sein Geld gleich in zwei In-Vitro-Projekte gesteckt.
Ende 2019 arbeiteten weltweit 55 Unternehmen an Laborfleisch-Projekten, 20 davon waren im selben Jahr neu gegründet worden. Insgesamt sollen Laborfleisch und vegetarische Ersatzprodukte laut Fleischatlas 2021 zwischen 2025 und 2040 ihren Marktanteil von 10 auf 60 Prozent steigern, für den Marktanteil von Fleisch wird im Gegenzug ein Rückgang von 90 auf 40 Prozent prognostiziert.
Mehlwürmer und Co schonen die Umwelt
Insekten verbrauchen daher deutlich weniger Wasser und Landfläche und auf ihr Konto gehen hundertmal weniger Treibhausgasemissionen. Das Zusammenleben in großen Massen entspricht ihrem natürlichen Lebensstil. Trotzdem sind sie Lebewesen. Und unklar ist bislang, ob Insekten Schmerz empfinden. Außerdem wird vermutet, dass Allergiker, die auf Garnelen und Hausstaubmilben reagieren, auch auf den Genuss von Insekten verzichten müssen.
Bislang waren Insekten vor allem ein proteinreiches Futtermittel. Seit 2018 gelten sie in der EU als neuartiges Lebensmittel, Zulassungen gab es seither für Mehlwurm, Heuschrecke und zuletzt im Februar 2022 für die Hausgrille (Heimchen). Übergangsregelungen und Importe aus dem Ausland machen es möglich, dass nun auch Produkte wie Burger mit Buffalowürmern, mit Insekten angereicherte Nudeln, Brot oder Chips auf dem Markt sind, außerdem Proteinriegel mit Mehlwurmpulver oder etwa geröstete Heimchen. Bio Suisse und Naturland haben Richtlinien für Bio-Insekten erarbeitet. Das Gründungsteam von Entosus war das erste, das für seine Insektenproduktion die Naturland-Zertifizierung erhielt.
Viele Mineralien in Algen
Auch Algen spielen in der Ernährung vieler Völker eine bedeutsame Rolle. Makroalgen wie Nori, Wakame oder Kombu sind aus der ostasiatischen Küche bekannt, Mikroalgen wie Spirulina oder Chlorella gibt es vorwiegend als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Tabletten oder Pulver. Sehr vereinzelt dienen sie auch als Lebensmittel, beispielsweise wird Spirulina aus dem Tschad-See in Zentralafrika geerntet. Makroalgen erreichen Proteingehalte zwischen 5 und 40 Gramm pro 100 Gramm. Sie punkten mit reichlich Ballaststoffen und hohem Mineralstoffgehalt.
Aber die Nährstoffzusammensetzungen auch innerhalb der Algenarten schwanken erheblich. Das ist insbesondere beim Jodgehalt problematisch, weil der schnell zu hoch sein kann. Makroalgen lassen sich züchten oder sammeln, es gibt sie auch mit Bio- oder Naturland-Zertifizierung. Mikroalgen liefern bis zu 70 Prozent hochwertiges Eiweiß in der Trockenmasse, können insofern sogar potenter sein als Fleisch. Manche liefern reichlich mehrfach ungesättigte Fettsäuren, außerdem Mikronährstoffe wie Vitamine und Carotinoide.
Probleme bei Algenkultivierung und -verarbeitung
Insgesamt verbraucht ihre Kultivierung vergleichbar wenig Fläche, aber viel Energie und ist teuer. Es bestehe noch viel Forschungsbedarf, sagen Experten. Unter anderem wird befürchtet, nicht nur der intensive Geschmack nach Meer, sondern auch die grüne Farbe könne die Akzeptanz bei den Verbrauchern beeinträchtigen. Die Verarbeitung zu einem genießbaren Lebensmittel, beispielsweise der Umgang mit den unverdaulichen Zellwänden, bereitet ebenfalls noch Kopfzerbrechen.
Doch immerhin lassen sich Fischersatzprodukte auf Basis pflanzlicher Proteine finden, die mit Algenzusätzen aufgepeppt werden, etwa der niederländische Dutch Weed Burger auf Basis von Sojaeiweiß mit zehn Prozent Algen. Für die Produktion und das Wildsammeln von Algen existieren Naturland- und EU-Bio-Richtlinien.
So bringt etwa Pan do Mar eine Bio Algen-Pastete auf den Markt, die zu 65 Prozent aus Nori und Dulse besteht – mit einem Eiweißgehalt von fünf Prozent. Eine Algen-Paté von Algamar liefert sieben Prozent Protein, die allerdings vermutlich eher aus den Sonnenblumenkernen stammen und weniger aus den 49 Prozent Grüne-Gabel Algen. Die alternativen Fisch-Produkte von Lord of Tofu – Räucherlocken, Thuna, Frischfilet und Shrimps – verwenden Tofu als Proteinquelle und Algen als Geschmacksträger. Sie enthalten immerhin zwischen 12 und 24 Prozent pflanzliches Eiweiß.
Fleisch aus dem Labor
Lebensmitteltechnologen setzen einiges an Hoffnung in Laborfleisch, also Fleisch, das in Bioreaktoren wachsen soll. Die Technik stammt aus der Medizin, wo das sogenannte Tissue Engineering für die Züchtung von Haut eingesetzt wird. Um In-vitro-Fleisch zu produzieren, werden einem lebenden Tier Stammzellen entnommen, deren Aufgabe es ist, beschädigte Muskelzellen zu reparieren. Diese wachsen in einem Nährmedium weiter. Gängiges Nährmedium enthält derzeit noch Kälberserum aus dem Blut ungeborener Kälber. An einer pflanzlichen Alternative wird fieberhaft geforscht. In Transgen ist zu lesen, das sei aber ohne Gentechnik kaum möglich.
Mark Post, einer der Gründer von Mosa Meat, ließ 2013 öffentlichkeitswirksam den ersten Labor-Burger verkosten. Der setzte sich aus 20.000 Muskelzellen zusammen; die Entwicklung kostete 250.000 Euro. Seit Anfang 2021 werden in ausgewählten Restaurants in Singapur Chicken Nuggets des amerikanischen Herstellers Eat Just serviert, die zum Teil mit Laborfleisch produziert wurden. In Europa hat bislang noch keiner einen Antrag auf Zulassung von In-Vitro-Fleisch als Novel Food gestellt, und Laborfleisch wird noch in so kleinen Mengen produziert, dass es schwierig ist, die Umweltauswirkungen einzuschätzen.
Laborfleisch spart Land
Sollte sich Laborfleisch in großem Stil durchsetzen, müssten deutlich weniger, eventuell auch gar keine Tiere für die Fleischproduktion gefüttert und getötet werden, so die Hoffnung der Laborfleisch-Verfechter. Land würde auf alle Fälle eingespart, auch Pestizide und Düngemittel. Bei Wasser gibt es Forschende, die von einem Einsparpotenzial von bis zu 96 Prozent ausgehen, andere vermuten, damit ließe sich kein Tropfen Wasser einsparen. Ähnlich unklar ist die Lage beim Treibhausgas: Bis zu 96 Prozent Einsparpotenzial sagen die einen, andere vermuten, die Produktion von Laborfleisch könne sogar mehr Treibhausgasemissionen verursachen als Rindfleisch.
Gibt es für Laborfleisch eine Bio-Perspektive? – Markus Fadl, Pressesprecher von Naturland sagt dazu: „Laborfleisch ist eine industrielle Antwort auf ein industriell geschaffenes Problem. Mit Bio hat das nichts zu tun. Die Antwort des Öko-Landbaus heißt artgerechte und flächengebundene Tierhaltung als Teil einer ganzheitlichen Land- und Lebensmittelwirtschaft, die in natürlichen Kreisläufen denkt und handelt.“
Steak aus dem 3D-Drucker
Ähnlich futuristisch wie Laborfleisch mutet die Idee an, mit Hilfe eines 3D-Druckers Fleisch zu produzieren. Tatsächlich gibt es schon erste Prototypen. Das israelische Start-up Aleph Farms setzt im Labor gezüchtete Rinderzellen mit Hilfe des Druckers zu einer Art Ribeye-Steak zusammen und japanische Forschende haben auf ähnliche Art Muskelfasern, Fettstränge und Blutgefäße produziert, mit deren Hilfe sie ein edles Wagyu-Steak imitierten, allerdings zunächst nur einen Zentimeter groß.
Der Vorteil dieser Methode: Während In-Vitro-Fleisch bislang nur in hackfleischartigen Imitaten mündet, sollen die 3D-Produkte wie ihre Vorbilder aussehen und dasselbe Mundgefühl hervorrufen. Wenn darüber hinaus nicht nur Muskel-, sondern auch Fettzellen verarbeitet werden, rückt das Imitat offenbar auch geschmacklich näher an sein Vorbild heran.
Akzeptanz von Laborfleisch und Co.
Skepsis hat noch Vorrang, wenn Deutsche nach ihrer Meinung zu neueren Fleischalternativen gefragt werden. Zwei Drittel der Befragten hielten in einer Acatech-Studie vor einem Jahr Laborfleisch für keine gute Sache. Am wenigsten Vorbehalte äußerten jüngere, männliche und gebildetere Befragte. In einer Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung von 2016 lehnten rund 60 Prozent der Teilnehmer, die noch nie Insekten gegessen hatten, selbst das Ausprobieren ab. Andererseits meinten 30 Prozent, sie würden es einmal testen und immerhin 10 Prozent waren sogar bereit, regelmäßig Insekten zu essen.
Gedrucktes Fleisch aus pflanzlichen Proteinen
Mit pflanzlichen Proteinen experimentierten israelische Forschungen von Redefine Meat. Basis sind Soja- und Erbsenproteine, natürliche Farbstoffe, Aromen und pflanzliches Fett, denen der 3D-Drucker zu Textur und Geschmack von echtem Fleisch verhelfen soll. Bislang zeigt die Website Produkte wie Burger, Kebap oder Wurst, basierend auf einem hackfleischähnlichen Grundteig. Manche dieser Produkte sollen vereinzelt schon in israelischen Restaurants angeboten werden.
Noch nicht auf dem Markt ist bislang das 3D-Lachsimitat des Wiener Start-ups Revo-Foods, das unter anderem Erbsenprotein, Citrusfasern und Algenextrakt kombiniert. Welche Fleischalternative ist nun die beste? Die Trendanalyse Fleisch des Umweltbundesamts plädiert in seiner Einschätzung zu Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen eindeutig für pflanzliche Fleischalternativen, also solche, die auf Basis pflanzlicher Proteinpakete wie Soja, Lupinen, Erbsen oder anderer Hülsenfrüchte oder auf Basis von Getreide- oder Pilzeiweiß produziert sind.
An zweiter Stelle folgen die Insekten. Laborfleisch sei noch nicht genügend erforscht, aber bislang bestehe in Sachen Energieverbrauch, Tierwohl und Antibiotikaverwendung noch starker Verbesserungsbedarf. Mit Algen befasste sich das UBA nicht. Doch zur Mikroalge Spirulina hat das World Economic Forum in einem Whitepaper Meat 2019 eine Einschätzung publiziert. Darin ordnet sich die Mikroalge, was Treibhausgas-Emissionen angeht, zwischen den Großproduzenten wie Fleisch und Laborfleisch und den sparsamen Produzenten wie pflanzliche Fleischersatzprodukten und Insekten ein. Über den Einfluss von 3D-Fleisch auf die Umwelt gibt es noch keine Untersuchungen. Doch Anhaltspunkte liefern seine Zutaten: pflanzliche Proteine oder Laborfleisch.
Florian Berendt ist Gründer und Geschäftsführer einer Insektenfarm in Bremen. Bereits vor der offiziellen Zulassung von Grillen vertrieb er die Tierchen dank einer Übergangsregelung. Welche Chancen Insekten als Fleischersatz haben und wie man Menschen vom Biss in die Grille überzeugt, verrät er im Kurzinterview mit BioHandel.
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