Geht es um Bio, trommeln LEH und Discount lautstark für Kundschaft und Marktmacht. Dagegen arbeiten Drogerieketten recht dezent. Und segeln in Ruhe unterm Radar. Die Marktanalysten von PwC etwa haben sie im Konsumbarometer „Bio im Aufwind“ von Januar 2021 gar nicht auf dem Schirm. Dabei gehören Drogerien laut Lebensmittelzeitung zu den 30 größten Lebensmittelhändlern Deutschlands – und das nur mit dem Bio-Trockensortiment, das immerhin 40 Prozent des Gesamtumsatzes im Bio-LEH ausmacht.
Konkurrenz
Warum Drogerien mit Bio immer erfolgreicher werden
Müller, 900 Filialen
Ortsbesuch Frankfurt, Schweizer Straße: Am Eingang locken konventionelle Süßigkeiten. Wenn man sich umschaut, gibt es ganz hinten eine grün gestaltete Ecke. Dort, hinter dem Schild „Haarpflege“, stehen rund 1.400 Biolebensmittel. Die Hälfte ist Alnatura, gelistet seit 2016. Die anderen rund 700 sind Produkte der Eigenmarke „Bio Primo“ sowie Fachhandelsmarken und Start-ups.
Eigenständige Abteilung
Unter der Eigenmarke bietet Müller Tomatensaucen, Reiswaffeln, Nüsse, Olivenöl oder Nudeln, also fast dasselbe wie Alnatura. Dazu als Hingucker Tees, Backzutaten, Säfte und Süßigkeiten etwa von Herbaria, Lebensbaum, Naturata, Pukka oder Zotter. Dazu teilt das Ulmer Unternehmen mit: „Aufgrund der starken Bedeutung wurde eine eigenständige Abteilung mit grünem Mobiliar in den Filialen integriert. Die Anzahl der Bio-Artikel wächst permanent.“ Aktuell seien rund 60 Bioland-Artikel der Marke Alnatura gelistet. Künftig soll die Eigenmarke auch ein Verbandslogo tragen.
Wie bedeutend das Bio-Sortiment ist, zeigt der Umsatz: 2019/2020 erzielte das Unternehmen damit 74,7 Millionen Euro, im Jahr davor 63,8. Derzeit gibt es ein neues Shop-in-Shop-Projekt mit Feinkost. Ob das den Weg für ein künftiges Frische-Angebot bereitet, verrät das Unternehmen nicht. Wird das Konzept angenommen und hat die Eigenmarke das Bioland-Label, wäre Alnatura als Zugpferd wohl obsolet.
Rossmann, 2.100 Filialen
In der Frankfurter Innenstadt hat der Burgwedeler Drogist ein etwas verschachteltes Geschäft übernommen. Von Biolebensmitteln sieht man zunächst nichts, denn die sind im ruhigeren Kellergeschoss platziert. Dort dafür reichlich: 1.500 Produkte von Alnatura, die Eigenmarke „Enerbio“ sowie Fachhandelsmarken.
Zur Sortimentsentwicklung sagt Unternehmenssprecher Josef Lange: „Gestartet haben wir unsere Eigenmarke 2003 mit 83 Artikeln, darunter Schokoriegel, Gummibärchen, Kekse, Nudeln, Tomatensaucen, Getreidedrinks, Trockenfrüchte sowie herzhafte und süße Aufstriche.“ Inzwischen sind es über 370 Produkte. Das Angebot in den Filialen variiere je nach Größe der Verkaufsstelle und Regalfläche. Handelsmarken ergänzen das Sortiment seit 2016. Dazu Lange: „Mittlerweile haben wir über 25, darunter etwa Alnatura, Alnavit, Bohlsener Mühle, Eat Plants, Pukka oder Tartex.“
Kooperation mit Verbänden
Das Bio-Sortiment werde stetig ausgebaut, sagt er. Aktuell arbeite man daran, Produkte und Verpackungen nachhaltiger zu gestalten. Deswegen sei man an Recycling-Initiativen wie Forum Rezyklat und Cospatox beteiligt. Es gibt auch Kooperationen mit Bio-Verbänden, seit 2019 mit Naturland und seit 2020 mit Bioland. Mehr über die Qualitätsstandards der Verbands-Siegel erfährt die Kundschaft online. Außerdem informiert ein gemeinsamer Flyer von Naturland und Rossmann, welches Eigenmarken-Produkt das Siegel hat, und was das für Umwelt und Landwirtschaft bedeutet.
DM, 2.000 Filialen
Weiß und hell ist der Grundeindruck in der DM-Drogerie am Frankfurter Südbahnhof. Ursprünglich war das ausschließlich aus Bio-Produkten bestehende Lebensmittelsortiment hier ganz hinten platziert. Nun ist es nach vorne in Kassen- und Tageslichtnähe gerückt. Vor fünf Jahren waren es noch um die 1.300 Alnatura-Artikel. Die listete das Karlsruher Unternehmen dann peu á peu aus, und ersetzte sie durch die Eigenmarke DM Bio sowie Produkte von Fachhandelsmarken wie Bauck, Davert oder Oatly.
Heute stehen 1.600 Bioprodukte inklusive Babynahrung zur Wahl. Das Familienunternehmen gehört einem der Mitgliedsverbände des BÖLW an, der Arbeitsgemeinschaft ökologisch engagierter Lebensmittelhändler und Drogisten (ÖLD) und arbeitet auch mit Bio-Verbänden, vor allem Naturland und Demeter, zusammen. Zur Unternehmensphilosophie gehöre partnerschaftliches Handeln, sagt Geschäftsführer Sebastian Bayer und betont: „Wir setzen auf langfristige Kontrakte, damit die Landwirte eine garantierte Abnahme – und wir eine garantierte Bezugsquelle haben.“
Der Anteil der Bio-Lebensmittel entwickele sich gut, besonders gefragt seien vegane Artikel und Milchersatzprodukte wie Hafermilch. Umsatzzahlen nennt er nicht, er sagt dazu nur: „Der Anteil von Bio-Lebensmitteln am Gesamtumsatz liegt im oberen einstelligen Prozentbereich.“
Bio für alle
Die Lebensmittelzeitung meldete im September dieses Jahres, die vier umsatzstärksten Drogerien DM, Rossmann, Müller und Budni stünden mit ihren insgesamt gut 5.000 Filialen für knapp 17 Milliarden Euro Umsatz und urteilt: „Dass dort der Foodanteil langsam steigt, dürfte nur ein Indiz für die wachsende Rolle dieses Vertriebstyps sein. Durch die hohe Präsenz in der Fläche sind sie Nahversorger für viele Nearfood- und Nonfood-Sortimente.“
Spätestens seit der Pandemie wissen die Menschen, dass sie mit ihrem Einkauf in der Drogerie auch die Bio-Basics für den Alltag mitnehmen können: Von Müsli und Hafermilch über Brotaufstrich, Mehl, Suppe, Linsen, Süßigkeiten oder Saft – alles da. Manche kamen sogar frustriert aus einem Bio-Supermarkt mit leergekauften Regalen in die Drogerie, fanden dort plötzlich, was sie suchten, und entdeckten das Sortiment.
Auch online verstehen die Drogisten ihr Handwerk. Nutzerfreundlich gestaltete Shops, Infos zu Produkten und Biolabels, Versand und Preise – alles easy. Allein das analoge Filial-Ambiente fühlt sich wie das glatte Gegenteil dessen an, was Ladengestalter für hochwertige Lebensmittel empfehlen. Trotzdem kaufen Menschen dort Bio-Alltagsprodukte, weil es praktisch und günstig ist. Bislang sind die Grundkonzepte ähnlich: Angeboten wird neben typischen Drogerie-Artikeln das Bio-„Trockensortiment“.
Manche Filialen haben auch einen Kühlschrank, im erwähnten Frankfurter Rossmann etwa für konventionelle Getränke und bei DM testweise in einigen Märkten für Baby-Quetschbeutel. Auf die Frage, ob DM künftig Tiefkühl- oder frische Ware anbieten will, antwortet Sebastian Bayer: „In naher Zukunft nicht. Wir verfügen nicht über eine Kühl-Logistik – und wir verstehen uns als Drogist, nicht als Lebensmittelhändler.“
XXL Bio
Als Alnatura rausging aus DM und rein bei Edeka, und danach auch Fachhandelsmarken folgten, gab es große Diskussionen über Konkurrenz, Fairness und das Prinzip Bio. Zum Punkt Konkurrenz: Bio-Filialisten machen sich derzeit eher überflüssig als inhabergeführte Läden. Denn der Kundschaft, die sie sich mit LEH und Drogerien teilen, können letztere einfach mehr bieten.
Zum Prinzip Bio: Die Verbände sind froh um jeden neuen Vertriebskanal, der Öko-Anbauflächen in Richtung 20 Prozent und mehr steigern hilft, und Erzeuger um Absatzmöglichkeiten. Hersteller sind da oft zurückhaltender und achten auf die Philosophie der Handels-Partner. Beispiel Sommer: Kekse des Herstellers sind seit drei Jahren bei ausgewählten Drogeriemärkten gelistet. Marketingleiterin Manuela Eschment betont: „Unser Fokus liegt weiterhin im Bio-Fachhandel.“ Dort sei die Marken-Präsenz stärker, da wesentlich mehr Produkte gelistet seien, „dennoch erreichen wir durch die andere Vertriebsstruktur und die Online-Präsenz im Bereich Drogerie andere Endkunden.“ Demeter-Hersteller Bauck sieht es ähnlich, spricht von positiven Erfahrungen, die Preisempfehlungen würden beachtet.
Vernetzen for Future
Abgucken kann sich der Fachhandel vom Drogeriemarkt die Art der Information über Produkte und deren Besonderheiten am Verkaufsort und digital. Abregen kann er sich in Sachen Konkurrenz, wenn er eigene Wege findet. Drogerien spielen die Karte Lifestyle, die gut bei jüngeren Frauen ziehen soll, und konzentrieren sich auf Standardprodukte. Das machen sie professionell, bauen ihre Sortimente aus, bemühen sich um die bei der Kundschaft beliebten Verbands-Zeichen nehmen Startups als Hinguckerprodukte. Das haben sie vom Fachhandel, und es funktioniert.
Beratung dagegen können sie nicht bieten, Wohlfühl-Ambiente und ein Frische-Sortiment auch nicht. Lauter Aspekte, die gute Bioläden erfolgreich nutzen. Fragt man die Verbände, nennen sie außerdem Idealismus, Fachkompetenz oder das besondere Bio als mögliche Alleinstellungsmerkmale. Berater Klaus Braun (siehe Infobox unten) schaut radikaler in die Zukunft. Größte Herausforderungen des inhabergeführten Naturkosthandels seien erstens, „gute Beispiele nicht zu kopieren, sondern neuen Unternehmer- und Pioniergeist zu entwickeln.“ Zweitens müsse sich der Fachhandel entscheiden: Entweder für ein Netzwerk von über 1.000 Läden, das es ermöglichen würde, die Prozess- und Arbeits-Synergien einer Handelskette zu nutzen – oder für das ganz besondere Angebot. Also „Bio für alle“ oder die Luxusversion, „Bio für Eliten“.
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