Auf der Ladefläche ihrer Pritschenwagen bringen die Bauern aus Aydin ihre deutschen Gäste zu den Bergfeigen. Die wachsen in 500 Metern Höhe und werden für ihr Aroma, ihre Süße und ihre zarte Schale besonders geschätzt. Die Feigen wachsen aber nicht nur hier, sondern trocknen auch am Baum. Weil sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten reifen, haben die Bauern mit dem Sammeln der Trockenfrüchte wochenlang zu tun. Jetzt, Anfang September, ist es Zeit für die dritte und letzte Ernte des Jahres.
Die Besucher werden mit Stöcken, Körben und Anweisungen ausgestattet und zur Ernte geschickt. Sie erleben, wie schwer es ist, die großen, zum Teil über hundert Jahre alten Bäume zu schütteln, auf dem harten und in steilen Terrassen abfallenden Boden heruntergefallene Früchte zu finden und aufzusammeln.
Die Bauern sehen amüsiert dabei zu. „Keine Ernte, kein Essen!“, scherzt Landwirt Yahya und lacht. Er weiß, dass die Frauen des Dorfes seit Stunden das Essen für die Besucher vorbereiten. Dass diese nach den engagierten aber unbeholfenen Versuchen, die Feigenkörbe zu füllen, auf das Herzlichste bewirtet werden, steht außer Frage.
Die 30-köpfige Reisegruppe ist hier, an der westlichen Mittelmeerküste der Türkei, unterwegs, um in der Nähe von Izmir Anbauprojekte des Allgäuer Bio-Herstellers Rapunzel zu besuchen und mehr zu erfahren über die Herkunft der Feigen und Sultaninen.
„Jahresurlaub“ mit Gleichgesinnten
Seit vielen Jahren bietet der Hersteller solche Reisen an. Schon in den 80er Jahren, so erinnern sich zwei Mitreisende, waren sie mit Rapunzel unterwegs in Südfrankreich zum Reisanbau, zu Gast bei Zitrusbauern und Nudelherstellern in Italien.
Einer dieser Teilnehmer ist Willi Pfaff. Der Gründer und Geschäftsführer der Münchner Bio-Laden-Kette VollCorner war vor Jahrzehnten gemeinsam mit Rapunzel-Gründer Joseph Wilhelm auf Reisen. Nun steht Pfaff, der im Laufe von über 40 Berufsjahren unzählige Rapunzel-Produkte verkauft hat, kurz vor der Übergabe seines Unternehmens an den Nachfolger. Gemeinsam mit seiner Frau Birgit, auch sie Bio-Ladnerin seit 1982, ist er quasi auf Abschiedstour – und genießt es sichtlich.
Drei andere Mitglieder der Reisegruppe haben diesen fünftägigen Ausflug nach eigenen Angaben als ihren „Jahresurlaub“ gebucht. Sie sind in bester Gesellschaft, umgeben von Gleichgesinnten: umtriebigen Ladnerinnen und Ladnern, begleitet von einem Team von Rapunzel aus Legau – und immer im angeregten Austausch mit Bauern, türkischen Rapunzel-Kollegen und miteinander.
Die heiße Phase des Feigengeschäfts
„Land, Leute und Kultur kennenzulernen“, das möchte der Bio-Pionier den Teilnehmenden ermöglichen, sagt Margarethe Epple bei der Begrüßung. Sie arbeitet seit 25 Jahren für Rapunzel und ist seit 2009 auch Geschäftsführerin des türkischen Tochter-Unternehmens Rapunzel Organik. Sechsmal im Jahr besucht sie dessen Zentrale in Ören, einem Ort rund eine Fahrstunde von Izmir entfernt. Die Gäste aus Deutschland empfängt sie Anfang September, in der für Rapunzel heißen Phase des Feigengeschäfts.
Jetzt liefern die Bauern ihre Trockenfrüchte – Aprikosen, Haselnüsse, Sultaninen und Feigen. Die Feige ist die besondere Frucht unter ihnen. Der Aufwand, sie zu verarbeiten, ist enorm groß. Sie wird von Hand geerntet, Stück für Stück, und wird in der Rapunzel-Produktion in Ören wiederum in Handarbeit auf Aflatoxine untersucht, das Gift von Schimmelpilzen. Mit dem bloßen Auge sind kontaminierte Feigen nicht zu erkennen. Im Dunkeln aber, unter UV-Licht, leuchten sie neongelb.
Nach einer ersten Auslese auf dem Förderband pieksen Frauen mit Zahnstochern zweimal in jede Trockenfrucht – längs und quer. Bleiben fluoreszierende Spuren am Zahnstocher zurück, wird die Frucht aussortiert. Die Feigen werden nach Größe geordnet, gewaschen, getrocknet, in einer Kältekammer bei minus 25 Grad gegen etwaige Schädlinge kurz eingefroren – und immer wieder in Augenschein genommen. Bis zu fünf Mal werden sie sorgsam per Hand überprüft und ausgelesen.
„Rapunzel ist für die Bauern wie ein Familienmitglied.“
Im selben Gebäude, Wand an Wand, beginnt derweil die Kalkulation: Wie groß ist die Ernte in diesem Jahr? Wie groß sind die Früchte, wie gut ist die Qualität? Welchen Einkaufspreis kann Rapunzel den Läden bieten? Das Team um Margarethe Epple geht in Verhandlungen mit den Bauern, die ebenfalls spekulieren: Welchen Verkaufspreis pro Kilo können sie erzielen? Wie wird sich die Inflation entwickeln? Ist es günstiger, jetzt die ganze Ernte zu verkaufen oder zunächst nur Teile davon? Denn auch das ist möglich. In diesem Fall präpariert Rapunzel die angelieferte Ware vor der weiteren Verarbeitung zunächst für eine optimale Lagerung in den firmeneigenen Räumen. Die Ware gehört zu diesem Zeitpunkt noch den Bauern.
Die direkten Verhandlungen mit ihnen sei eine Besonderheit, sagt Geschäftsführerin Epple. Wo bei anderen Händlern Mittelsmänner zwischengeschaltet sind, stehen bei Rapunzel sechs Agrar-Ingenieure, nach Regionen aufgeteilt, an der Seite der Bauern. Sie schulen, beraten, betreuen, helfen bei Schädlingsbefall und ermitteln mit den Landwirten den idealen Zeitpunkt für die Ernte. „Rapunzel ist für die Bauern wie ein Familienmitglied“, sagt Agrar-Ingenieur Ahmet.
Zahlen, Daten, Fakten
Firma: Rapunzel Organik
Firmenstandort: Ören, Türkei
Eröffnung: 1986: 1. Projektbüro; 1997: eigenständige Tochterfirma
Mitarbeitende: 130 und 200 Saisonarbeitende aus der Region
Produkte: Trockenfrüchte (Aprikosen, Feigen, Sultaninen), Oliven, Haselnusskerne von der Schwarzmeerküste
Lieferantinnen und Lieferanten: 500 Vertrags-Bio-Bauern
Geschäftsleitung: Margarethe Epple
Bilder von der Rapunzel-Reise
1976: Joseph Wilhelms erster Besuch im VW-Käfer
Dieses enge Verhältnis ist typisch für die Zusammenarbeit zwischen dem Legauer Unternehmen und den türkischen Landwirten. 1976 machte sich Jungunternehmer Joseph Wilhelm, der zwei Jahre zuvor Rapunzel gegründet hatte, in einem VW-Käfer auf den Weg nach Izmir. Sein Ziel: Von dort Trockenfrüchte in Bio-Qualität zu beziehen. Öko-Landbau war in der Türkei zu dieser Zeit nicht etabliert. Dennoch fand Wilhelm Menschen, die an die Idee glaubten. Ulug Nazli zum Beispiel. Er suchte Bauern, die bereit waren, ihren Anbau auf Bio umzustellen und mit dem Deutschen zusammenzuarbeiten. So wurde Rapunzel zum größten hundertprozentigen Bio-Hersteller der Türkei und ist es bis heute.
Über das Rapunzel-Sortiment wissen die mitreisenden Ladnerinnen und Ladner bestens Bescheid – schließlich verkaufen sie die Produkte täglich. Sie haben Erfahrung damit, dass Kunden das weißliche Auszuckern von Trockenfrüchten oft mit Schimmel verwechseln. Und dass angesichts der hohen Preise für getrocknete Feigen viele schwer schlucken.
Diesen Kunden besser erklären zu können, was die Produkte so wertvoll macht, ist allen ein Anliegen. Der Beratungsbedarf sei groß – und wird wohl noch größer. „In diesem Jahr gibt es goldene Feigen“, prognostiziert Margit Epple. Sie meint nicht die Farbe, sondern den Preis, der im Vergleich zu 2023 um 25 Prozent steigt.
Zehn Jahre ohne Schnee
Denn: Im Frühling fehlte der Regen. Trockenheit von Juni bis September sei kein Problem, berichtet Agrar-Ingenieur Ahmet. So sei das immer gewesen. Seit zehn Jahren aber falle in den Bergen im Winter kein Schnee mehr, der den Boden mit Feuchtigkeit versorgt. „Seitdem bohren die Bauern in 150 Metern Tiefe nach Wasser, um die Bäume am Leben zu erhalten“, sagt er.
Zur Trockenheit komme immer extremere Hitze: Wochenlang sei es in der Feigen-Region Aydin 45 Grad heiß gewesen. Bauern, Agrar-Ingenieure und das Rapunzel-Team sehen das mit Sorge. Ist es zu trocken, gehe der Baum in den „Überlebensmodus“, dann wachsen keine oder nur hohle Früchte. Eine schlimme Situation für alle, die von der Ernte leben.
Drei Fragen an Margarethe Epple
Wofür steht Rapunzel Organik?
Seit 1986 für zertifizierte Bio-Produkte – seit 2004 auch Demeterzertifiziert. Rapunzel hat in der Türkei Aufbauarbeit geleistet und Akzeptanz für ökologischen Anbau geschaffen. Heute betreut Rapunzel Organik 2.000 Hektar Anbaufläche und hat zehn Projektzentren in zehn Provinzen.
Warum sind die Feigen in diesem Jahr so teuer?
Die Preise sind in diesem Jahr um 25 Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Der Grund dafür liegt in den klimatischen Veränderungen. Es war einfach zu heiß in diesem Jahr, dann funktioniert die Photosynthese nicht gut. Die Folge sind geringere Erntemengen. Und der Ausschuss, zum Beispiel durch hohle Feigen, ist höher. Das bedeutet auch einen höheren Aufwand bei der Sortierung, um gute Qualität für unsere Kunden zu erreichen.
Gilt das auch für andere Produkte aus der Türkei?
Sultaninen sind dieses Jahr so teuer wie noch nie. Im Vergleich zu 2014 doppelt so hoch. Die Mengen, die unsere Bio-Bauern erzeugen konnten, sind im Vergleich zum letzten Jahr leider nochmals geringer ausgefallen. Auch hier spielen die Wetterverhältnisse eine wesentliche Rolle. Die Ernteausfälle sind auf Regen zur falschen Zeit, auf Hagel und auf Hitze zurückzuführen.
Viel Aufwand bis zur Ernte
Etwa 90.000 Tonnen getrocknete Feigen werden in der Türkei pro Jahr geerntet, davon 15.000 Tonnen aus Bio-Anbau. Rapunzel bezieht rund 5 bis 10 Tonnen der Trockenfrüchte von seinen 58 Vertragsbauern.
Einige von ihnen hat die Reisegruppe kennengelernt und die einzelnen Verarbeitungsschritte miterlebt. Die Ladnerinnen und Ladner sind davon beeindruckt. Das Wissen, woher die Produkte kommen und den Respekt vor der Leistung der Bauern haben sie bei der Rückreise im Gepäck. Ihrer Kundschaft zuhause vom Weg der Frucht von der Ernte bis ins Ladenregal erzählen zu können – das ist Gold wert.
Kommentare
Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.