Das geplante Gesetz der Bundesregierung für eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung in Deutschland hat von der Europäischen Kommission grünes Licht erhalten. Wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft am Mittwoch mitteilte, habe die EU-Kommission den entsprechenden Gesetzentwurf im Rahmen eines Notifizierungsverfahrens mit Blick auf binnenmarktrelevante Auswirkungen grundsätzlich geprüft und keine Bedenken geäußert.
Der Gesetzentwurf wird derzeit im Bundestag beraten. In einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft Anfang vergangener Woche äußerten Sachverständige viel Kritik und sahen großen Änderungsbedarf (s. weiter unten). Sollte es im weiteren Verlauf tatsächlich zu wesentlichen Änderungen an dem Gesetzestext geben, könnte das eine erneute Notifizierungspflicht auslösen.
Fast 90 Prozent der Deutschen halten laut einer Umfrage des BMEL eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung für wichtig oder sehr wichtig. Um diesem Wunsch nachzukommen, hat die Ampel-Koalition einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz (TierHaltKennzG) soll für alle Verkaufsstellen und Formen der Abgabe an Endverbraucher gelten, zunächst für den Einzelhandel, Bedientheken, Onlinehandel und Wochenmärkte.
Der Entwurf sieht vor, dass die Kennzeichnung auf den Lebensmitteln gut sichtbar und gut lesbar angebracht ist. Bei nicht vorverpackten Waren ist sie in der Nähe der Lebensmittel zu platzieren und beim Onlinehandel muss die Kennzeichnung vor dem Abschluss des Kaufvertrages verfügbar sein.
Unterschieden wird nach fünf Haltungsformen. In einem ersten Schritt soll frisches Fleisch von Mastschweinen an den genannten Verkaufsstellen gekennzeichnet werden. „Da wir mit einer verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung Neuland betreten, muss Brüssel erst einmal grünes Licht geben. Dann können wir die nächsten Schritte gehen, um weitere Lebensphasen wie etwa die Ferkelproduktion, andere Nutztierarten und vor allem auch verarbeitete Fleischprodukte und Absatzkanäle wie die Gastronomie reinzunehmen“, sagte BMEL-Minister Cem Özdemir im Interview mit der Taz. Ziel sei es, eine möglichst hohe Marktabdeckung von gekennzeichneten Produkten in Deutschland zu erreichen.
Haltungsstufen in der geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung
Stall: Die gesetzlichen Mindestanforderungen werden erfüllt
Stall + Platz: Die Tiere bekommen 20 Prozent mehr Platz, die Buchten sind durch verschiedene Maßnahmen strukturiert (z.B. durch Trennwände, verschiedene Temperatur- und Lichtbereiche, unterschiedliche Ebenen).
Frischluftställe: Die Ställe sind mindestens an einer Seite offen, damit ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima möglich ist. 46 Prozent mehr Platz im Vergleich zu den Mindestanforderungen.
Auslauf/Freiland: Die Tiere dürfen mindestens acht Stunden pro Tag ins Freie, bzw. sie werden in diesem Zeitraum ohne festes Stallgebäude gehalten. 86 Prozent mehr Platz im Vergleich zu den Mindestanforderungen.
Bio: Die Lebensmittel wurden nach den Anforderungen der EUÖkoVO 2018/848 erzeugt. Das bedeutet noch mehr Platz im Stall und eine größere Auslauffläche gegenüber anderen Haltungsformen.
Im Vergleich zum bisherigen freiwilligen, vierstufigen „Haltungsform“-Label der Initiative Tierwohl (ITW) erhält Bio im TierHaltKennzG eine eigene Stufe. Damit sollen Verbraucherinnen und Verbraucher leichter erkennen, dass Bio für Tierschutz- und Klimaziele von höchstem Wert ist. Das freiwillige ITW-Kennzeichen vermengt in seiner „Premium“-Stufe Bio-Produktion mit Formen der konventionellen Freiland- und Auslaufhaltung und ist zudem fast nur im Einzelhandel anzutreffen.
Mit dem geplanten Gesetz bekämen Landwirtinnen und Landwirte dem BMEL zufolge eine langfristige Perspektive, zudem würde ihre Leistung für mehr Tierschutz so auch gesehen. Jeder Betrieb kann die Haltungsstufe wählen, die er für sinnvoll hält. Innerhalb eines Betriebes sind nach dem Gesetzentwurf sogar verschiedene Haltungsformen möglich. Aufzeichnungen über die Haltungsformen und die darin gehaltenen Tiere werden vorschrieben.
Die Ausgestaltung der Überwachung und die Kontrolle obliegt dem Entwurf nach den Bundesländern. Die zuständigen Behörden sollen ein Register über die Haltungseinrichtungen der Betriebe führen. Verstöße gegen die Regelungen des TierHaltKennzG werden als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit einem Bußgeld belegt.
Der Umbau von Ställen zugunsten einer höheren Haltungsstufe soll mit einer Milliarde Euro für die ersten vier Jahre von der Bundesregierung gefördert werden. Zudem soll es Erleichterungen beim Bau- und Genehmigungsrecht geben, um den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu beschleunigen.
Lob und Tadel für den Gesetzentwurf
Der Anbauverband Bioland lobt, dass Betriebe einen Teil ihrer laufenden Mehrkosten abgedeckt bekommen, wenn sie zusätzliche Tierwohlanforderungen erfüllen. Allerdings hat der Verband Zweifel, dass die Förderung ausreicht. Zudem fordert er, dass die Verteilung der Gelder nicht nach einem einheitlichen Fördersatz erfolgen soll, sondern nach den höheren Kosten in den anspruchsvollsten Stufen. (mehr)
Für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) stellt die neue Regelung die Weichen für ein Stallsystem der Zukunft. Das neue Label werde dazu beitragen, die Pläne der Borchert-Kommission umzusetzen. Bei der Anhörung von Experten im Ausschuss für Landwirtschaft am Montag vergangener Woche, verwies BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig auf die Erfolgsgeschichte der Eiervermarktung, bei der Bio ebenfalls eine eigene Stufe hat. Zudem hob er hervor, dass die 17.000 Bio-Betriebe mit Fleischproduktion bereits ein eigenes Kontrollsystem hätten. Eine Ausweitung der Regelungen auf die weiteren Lebensphasen des Schweins und weitere Tierarten müsse rasch erfolgen, fordert der BÖLW.
Die Interessengemeinschaft Tierwohl (ITW) will das Gesetz so verändert wissen, „dass es nicht zum Tierwohlkiller, sondern zum Tierwohlförderer wird“. Eine Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft wird gefordert. Dazu verweist die Initiative auf Erfolge ihrer Kennzeichnung: „Der Marktanteil von Schweinefleisch, die das ITW-Siegel tragen, liegt bei 68 Prozent und bei Geflügelfleisch sogar bei 90 Prozent vom Sortiment der teilnehmenden Unternehmen des LEH.“
Bei der Anhörung im Ausschuss für Landwirtschaft bemängelte Geschäftsführer Alexander Hinrichs, dass bei der staatlichen Kennzeichnung die Finanzierung nicht gesichert sei. Außerdem würden die Verbraucher verunsichert, weil die ITW-Haltungskennzeichnung bereits 70 Prozent der Bevölkerung bekannt sei. Und viele Bauern, die bereits ihre Ställe umgebaut hätten, müssten von vorn anfangen. Zudem fehle ein Gesamtpaket aus Zielbild, Zeitplanung, der Ausgestaltung verschiedener Haltungsstufen und möglichen Finanzierungskonzepten, so wie es die Borchert-Kommission vorsehe.
Kritik an eigener Bio-Stufe
Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) vermisst verbindliche Schritte, die zu einer umfänglichen Kennzeichnung führen. Ein Tierwohl-Vorrang im Bau- und Genehmigungsrecht und ein tragfähiges und langfristig angelegtes Finanzierungskonzept für Tierwohlprämien müsse zügig und möglichst zeitgleich angegangen werden.
Bauernpräsident Joachim Rukwied forderte auf der Grünen Woche in Berlin vier Millionen Euro pro Jahr für den Umbau der Tierhaltung. Für den Verband sei es unverständlich, „dass die bereits im Markt eingeführten Systeme zur Haltungsformkennzeichnung, mit denen bereits jetzt eine deutlich größere Warenpalette als mit dem vorliegenden Gesetzentwurf abgedeckt wird, nicht eingebunden werden und darauf aufgebaut wird“. Kritisiert wird auch die zu erwartende Bürokratie für Tierhalter und die Ungleichbehandlung von Anbietern aus dem Ausland, für die das staatliche Haltungskennzeichnung nicht gelte.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisiert, „dass eine reine Kennzeichnung nicht den großflächigen Umbau der Tierhaltung zur Folge haben wird“. Denn ein reines Einsortieren der Tierhaltung in bestimmte Kategorien erzeuge noch keinen Anreiz für Betriebe, ihre Ställe in artgerechtere Haltungssysteme umzubauen. „Dazu braucht es politische finanzielle Anreize und die Unterstützung der Entwicklung eines entsprechenden Marktes.“
Unter Verweis auf die nach nunmehr 35 Jahren wenig erfolgreichen Bemühungen des Tierwohl-Vereins Neuland, mahnt AbL-Geschäftsführer Martin Schulz davor, die Entwicklung allein dem Markt zu überlassen. Eine eigene Bio-Stufe hält die AbL nicht für zielführend: „Denn so wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern suggeriert, dass Tiere nur im ökologischen Landbau nach höchsten Tierwohlmaßstäben gehalten werden können. Ökolandbau bietet aber nicht per se den höchsten Tierwohlstandard. Eine Systemanerkennung nach EU-Bioverordnung ist aus Sicht der AbL auch deshalb nicht sinnvoll, weil diese im Vergleich zu den Richtlinien der einzelnen Anbauverbände der niedrigste Tierwohlstandard ist.“
„Tierquälerische Haltungsformen von Schweinen werden zementiert“
Der Verein Provieh sieht sogar, dass durch das neue Gesetz „tierquälerische Haltungsformen von Schweinen zementiert werden“. Die Haltungsform oberhalb des gesetzlichen Mindeststandards müsse Schweinen einen deutlichen Mehrwert bieten. Provieh fordert deshalb, die Stufe „Stall + Platz“ als Haltungsform zu streichen und stattdessen den ausgestalteten „Frischluftstall" nach dem gesetzlichen Mindeststandard einzuführen.
„Stall + Platz“ täusche den Verbrauchern eine bessere Haltungsform vor, die unter Tierschutzgesichtspunkten nicht gegeben sei. Nach dem gesetzlichen Mindeststandard und ,,Frischluftstall" sollte die Haltungsform ,,Auslaufstall" als dritte Haltungsform folgen. Als zusätzliche Haltungsform wird „Freiland“ für das Schweineleben auf Naturboden eingeführt, statt sie in die Haltungsform ,,Auslauf/Freiland" zu integrieren. Erst mit „Freiland“ werde eine eigene Haltungsform eingeführt, die das Ausleben artgemäßen Verhaltens wie Suhlen und Wühlen ermögliche. (mehr)
Die Initiative Schweinehaltung Deutschland warnt in einem Positionspapier auf bereits bestehende Probleme von Schweinehaltern hin. So führten schon vorhandene Vorgaben dazu, dass die Produktionskosten weltweit zum obersten Drittel gehörten. Bereits heute importiere Deutschland über 28 Prozent des Bedarfs an Schweinfleisch. Zudem sei die Zahl der geschlachteten Mastschweine in den letzten zehn Jahren um über 20 Prozent gesunken. Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit seien in Gefahr. Zur Steigerung des Tierwohls und des Umweltschutzes legt die Initiative lange Listen von Handlungsmöglichkeiten vor.
Rückendeckung von der Schwarz-Gruppe
Nora Hammer, Geschäftsführerin beim Bundesverband Rind und Schwein, fasst bei ihrer Kritik praktisch die wichtigsten Einwände konventioneller Bauern und Interessenverbände zusammen: „Der Entwurf zum TierHaltKennzG an sich konterkariert seine eigenen Ziele nach mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit für Verbraucher, schafft mehr Verwirrung als Klarheit, adressiert lediglich einen sehr kleinen Teil des Fleischmarktes, verdrängt bekannte und bereits etablierte Tierwohllabel und bevorteilt ausländische Ware.
Dazu schafft der Gesetzesentwurf ein bürokratisches Monster, ohne Vorschläge für ein zuverlässiges Kontroll- oder Auditierungssystem. Verantwortung wird in die Länder delegiert und damit werden sogar nationale Wettbewerbsverzerrungen provoziert. Der Bundesregierung ist dringend anzuraten, die mit breitem Konsens erarbeiteten Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung aufzunehmen und fortzuführen.“
„Lidl und Kaufland teilen das Ziel des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir, den Umbau der Nutztierhaltung hin zu mehr Tierwohl voranzutreiben. Eine umfassende verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung stellt einen wesentlichen Baustein dar, um überall dort, wo Menschen tierische Lebensmittel kaufen oder konsumieren, die Tierhaltung hinter diesen Lebensmitteln sichtbar zu machen.“ Nur durch den flächendeckenden Einsatz eines solchen Kennzeichens lasse sich ein ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung hin zu einem verantwortungsvolleren Konsum voranbringen und das Tierwohl in der Breite verbessern.
Allerdings soll Özdemir das nicht im Alleingang machen: „Die Umsetzung von mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung kann nur gemeinsam gelingen. Wir befürworten daher weiterhin einen gemeinsamen Dialog zwischen Vertretern von Lebensmitteleinzelhandel, Verarbeitern, Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung, Politik und Landwirtschaft, um Hand in Hand zukunftsfähige und praktikable Lösungen zu entwickeln“, teilte die Schwarz-Gruppe mit.
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