Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Offener Brief

Tegut, Denns und weitere Händler warnen vor Preissteigerungen durch Neue Gentechniken

Mehrere große Lebensmittelhändler aus Deutschland und Österreich setzen sich in einem offenen Brief für klare Gentechnik-Regeln und stabile Lebensmittelpreise ein. Ihre Kritik: Die geplante Deregulierung würde massiv gegen Wirtschafts- und Verbraucherinteressen verstoßen.

In einem offenen Brief appellieren mehrere deutsche und österreichische Lebensmittelhandelsunternehmen bei der geplanten Gentechnik-Neuregulierung die Wahlfreiheit, Bio- und „Ohne Gentechnik“-Landwirtschaft sowie stabile Lebensmittelpreise zu sichern. Zu den Unterzeichnern des Schreibens an das Europaparlament und die EU-Kommission gehören konventionelle und Bio-Unternehmen wie etwa der Österreich-Ableger der Denns BioMärkte, die Rewe Group, Tegut und Spar.

Erst kürzlich forderten 139 Lebensmittel- und Umweltverbände eine striktere Regelung Neuer Gentechniken (NGT) in einem offenen Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Darüber hinaus appellierten auch die Veranstalter der Öko-Marketingtage in ihrer Kirchberger Erklärung für die Sicherung einer gentechnikfreien Bio-Land- und Lebensmittelwirtschaft.

NGT schadet Bio- und „Ohne Gentechnik“-Produkten

In ihrem Schreiben warnen die Unternehmen angesichts der Gentechnik-Pläne der EU-Kommission vor Mehrkosten, vor allem in der Bio- und Gentechnik-freien Lebensmittelproduktion. Zum einen durch einen erhöhten Aufwand zur Aufrechterhaltung der Gentechnikfreiheit, zum anderen durch Patente auf Pflanzen, die durch NGT entstünden. Beides drohe Lebensmittelpreise für Verbraucherinnen und Verbraucher weiter nach oben zu treiben.

Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung zeigen Umfragen der letzten drei Jahrzehnte, dass sich rund zwei Drittel der deutschen Bevölkerung gegen den Einsatz gentechnischer Methoden in der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelversorgung aussprechen. Eine Befragung des Umweltinstituts München vor der letzten Bundestagswahl 2021 demonstrierte, dass es 84 Prozent der Menschen sehr wichtig ist, dass durch neue und alte Gentechniken hergestellte Produkte entsprechend gekennzeichnet sind.

Um die Kennzeichnung und somit auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sicherzustellen, heißt es in dem Appell, müssten die EU-Regelungen eine lückenlose Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von Neuen Gentechniken in der gesamten Warenkette gewährleisten.

Sollte das Verursacherprinzip hingegen aufgehoben und das Sicherstellen der Gentechnik-freien Produktionskette allein den betroffenen Bio- und „Ohne Gentechnik“-Unternehmen aufgebürdet werden, sei das über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg mit erheblichen Kosten verbunden – vor allem für die entsprechenden Produktsegmente.

Die „Ohne Gentechnik“- und die Bio-Produktionen seien europaweit boomende Erfolgs­modelle und dürften durch eine Deregulierung des bewährten Rechtsrahmens nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, schreibt dazu die Arge Gentechnik-frei in einer Pressemitteilung. Allein in Deutschland stehen Lebens­mittel ohne Gentechnik gemäß Zahlen von Statista und Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) bei einem Jahresumsatz von rund 32 Milliarden Euro (Bio-Umsatz 2022: 15,9 Milliarden Euro plus 16 Milliarden Euro „Ohne Gentechnik“, Berechnung und Prognose für 2023). In Österreich sind es laut Arge Gentechnik-frei rund 4,5 Milliarden Euro (2,5 Milliarden „Ohne Gentechnik hergestellt“, Bio-Umsatz: zwei Milliarden).

Warnung vor Folgen für Wirtschaft ohne Gentechnik-Einsatz

„Die EU-Kommission steht kurz davor, nachhaltige Unternehmenswerte zu zerstören. Denn die Gesetzesvorlage, massiv beeinflusst von der Saatgut- und Biotech-Lobby, ist ein klarer Angriff auf die ‚Ohne Gentechnik‘- und die Bio-Wirtschaft. (…) Da gibt es nur eine mögliche, glasklare Botschaft an EU-Parlament und Mitglieds­staaten: Dieser Gesetzes­vorschlag (…) ist inakzeptabel und darf in dieser Form nicht umgesetzt werden!“, so Florian Faber, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Arge Gentechnik-frei.

Darüber hinaus argumentiert Fritz Konz, Leiter Qualität und Umwelt bei Tegut, dass die Befürworterinnen und Befürworter der NGT davon überzeugt seien, dass nur Neue Gentechniken eine gewünschte Ausweitung des Ökolandbaus gemäß des Green Deal der EU möglich machten. „Bio-Betriebe setzen aber gemäß den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung grundsätzlich keine Gentechnik ein, da diese im ökologischen Landbau grundsätzlich nicht zugelassen sind. Eine Aufweichung dieser Regelung würde bedeuten, dass man ‚Bio‘ dann im Grunde genommen nicht mehr uneingeschränkt trauen könnte“, so Konz.

Mögliche Auswirkungen von Patenten auf NGT-Pflanzen

Völlig ungeklärt sei im Gesetzesvorschlag außerdem, welche Auswirkungen die seitens der NGT-Hersteller angestrebten Patente auf NGT-Pflanzen haben. Patente auf Pflanzen seien höchst bedenklich und könnten massive Auswirkungen auf den Saatgutmarkt und die gesamte Wertschöpfungskette haben.

Das Potenzial von Patenten als Preistreiber bei Lebensmitteln sei sehr ernst zu nehmen. Insbesondere mit mit Blick auf Patente auf NGT-Saatgut und -Pflanzen fordern die unterzeichnenden Unternehmen die EU dazu auf, vor einer Entscheidung über die Gesetzesvorlage die finanziellen Folgen einer Neuregulierung des Gentechnikrechts zu klären.

Kernforderungen der Handelsunternehmen

Es brauche weiterhin praxis­taugliche Regelungen für durchgehende Kennzeichnung und Rück­ver­folgbarkeit, vom Feld bis zum Regal, damit Lebensmittel ohne Gentechnik auch in Zukunft als solche produziert, gekenn­zeichnet und glaubwürdig vertrieben werden können. Diese hat das Unternehmens-Bündnis wie folgt formuliert:

  • Die Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher muss gewahrt bleiben.
  • Die Bio-Landwirtschaft soll weiter gefördert und nicht bedroht werden.
  • In Zeiten hoher Inflation besonders wichtig: Die Preisstabilität bei Lebensmitteln darf nicht durch neue regulatorische Maßnahmen gefährdet und dadurch die Inflation wieder neu angeheizt werden.
  • Die unklare rechtliche Situation hinsichtlich der Patentierbarkeit sollte vorab umfassend in einem Impact Assessment geprüft werden, bevor ein solch weitreichender Rechtsakt europäisches Recht wird.

„Diesen eindringlichen, ungewöhnlich vielstimmigen Appell des Lebensmittelhandels müssen EU-Kommission und Europaabgeordnete ernst nehmen", kommentiert Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). „Die bisher geplante Deregulierung würde massiv gegen Wirtschafts- und Verbraucherinteressen verstoßen.“ Die drohenden Lebensmittel-Preissteigerungen seien bislang kaum beachtet worden. Das müssten sie aber, bevor derart weitreichende Gesetze gemacht werden, so Hissting.

„Menschen müssen einfach wissen, was sie essen! Das ist ein Grundrecht, das man ihnen nicht nehmen darf. Und es ist auch nicht nachvollziehbar, warum man daran jetzt etwas ändern möchte“, so Fritz Konz von Tegut.

Den gemeinsamen offenen Brief an EU-Kommission und Europaparlament unterstützen die deutschen Unternehmen Rewe Group und Tegut, sowie in Österreich Hofer, Spar, Uni-Gruppe, Denns BioMarkt, Sutterlüty Ländlemarkt und der Österreichische Handelsverband.

Kommentare

Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.

Weiterlesen mit BioHandel+

Melden Sie sich jetzt an und lesen Sie die ersten 30 Tage kostenfrei!

  • Ihre Vorteile: exklusive Berichte, aktuelles Marktwissen, gebündeltes Praxiswissen - täglich aktuell!
  • Besonders günstig als Kombi-Abo: ausführlich in PRINT und immer aktuell mit ONLINE Zugang
  • Inklusive BioHandel e-Paper und Online-Archiv aller Printausgaben beim ONLINE Zugang
Jetzt 30 Tage für 0,00 € testen
Sie sind bereits Abonnent von BioHandel+? Dann können Sie sich hier anmelden.

Auch interessant: