Steigende Personalkosten, hohe Rohstoffpreise, Fachkräftemangel und ein stärker werdender Wettbewerb um Bio-Kunden durch den konventionellen Einzelhandel: Für Bio-Fachhändler gibt es viele Gründe, Wege zu finden, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Begriff, der immer wieder fällt, ist Effizienz.
Die gute Nachricht: Künstliche Intelligenz und digitale Prozesse können heute schon viele Arbeiten übernehmen, die vor wenigen Jahren noch von Menschen erledigt werden mussten. Die weniger gute Nachricht: Eine pauschale Antwort darauf, wo es sinnvoll ist, Prozesse zu digitalisieren oder zu automatisieren, gibt es nicht.
Ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, Selbstscan-Kassen anzuschaffen oder digitale Preisschilder, die auf Knopfdruck den Preis ändern – das ist individuell unterschiedlich. Vom Bezahlen über die Sortimentskontrolle bis zur Preisgestaltung und Kundenansprache: BioHandel stellt technologische Entwicklungen vor, die Ladnerinnen und Ladner unterstützen können.
SB-Kassen – das Non-Plus-Ultra?
Kassen, an denen Kunden selbst bezahlen können, stehen aktuell hoch im Kurs. Der sogenannte Self Check Out (SCO) gilt als Inbegriff für ein modernes Geschäft. Lebensmittelhändler bieten das Selber-Scannen in unterschiedlichen Varianten an: direkt an einem Terminal, mittels Handscanner, per Einkaufswagen mit Scanfunktion oder mittels einer App auf dem Smartphone.
Der Berliner Bio-Filialist LPG hat schon im Jahr 2018 SB-Kassen installiert. Seit dem vergangenen bieten auch Alnatura und Bio Company ihren Kundinnen und Kunden diese Möglichkeit des Bezahlens an. Vereinzelt stehen SB-Kassen auch in inhabergeführten Bioläden.
Laut Daten des EHI Retail Institutes, gab es im klassischen Lebensmitteleinzelhandel im Jahr 2023 bereits mehr als 2.600 Märkte, in denen im Schnitt jeweils 3,7 SB-Kassen installiert waren. Damit erreichten die Märkte mit SB-Kassen einen Marktanteil im LEH von rund 7,5 Prozent.
SB-Kassen werden besonders von jungen Menschen genutzt
Die Vorteile liegen auf der Hand: Kunden können ihre Einkäufe eigenständig scannen und bezahlen, was die Schlangen an den Kassen verkürzt, besonders in Stoßzeiten. Gleichzeitig haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Zeit für Kundengespräche oder das Einräumen von Ware. Allerdings: Viele Interaktionen mit den Kunden spielen sich an der normalen Ladenkasse und beim Bezahlen ab. Und: Der Scan- und Kassiervorgang an SB-Terminals dauert tendenziell länger als an der Standardkasse.
Insbesondere die junge Kundschaft nutzt Self Check Outs: Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren bezahlen dem EHI Retail Institute zufolge häufiger an SB-Kassen als alle anderen Altersgruppen. 50 Prozent der Jungen gab an, „oft“ einen SCO zu nutzen. Die Bereitschaft, die eigenen Einkäufe selbst zu scannen, sinkt mit steigendem Alter. Bei den 55- bis 65-Jährigen sind es nur nur noch 22 Prozent, die „oft“ selber scannen.
Erste SB-Automaten wurden bereits wieder abgebaut
Wichtig sei, das ist immer wieder von Menschen zu hören, die sich mit dem Thema SCO beschäftigen, dass die Kunden an die neue Technik herangeführt und nicht damit alleine gelassen werden. Eine Begleitung oder Unterstützung durch Mitarbeitende senkt die Berührungsängste und steigert die Bereitschaft, einen SB-Terminal auszuprobieren.
Die Kosten für eine SB-Kasse gehen ab circa 2.500 Euro los. Dazu kommt die Software und der Support durch den Anbieter (s. Kasten am Ende des Artikels). Der Preis kann schnell in die Höhe steigen, wenn zusätzliche technische Sicherheitsmaßnahmen wie Kameras oder Gewichtskontrollen dazukommen sollen.
Jan Bahrs, Leiter Ladenentwicklung bei Weiling, sieht den Hype ums Selbstbezahlen kritisch. Die Medien würden meist nur berichten, wenn irgendwo neue SB-Terminals aufgestellt würden. Dass einige große Händler die Geräte bereits wieder abgebaut haben, auch weil viel Ware – absichtlich oder aus Versehen – nicht gescannt wurde, sei eher eine Randnotiz. Dass der Einsatz von SB-Kassen zu höheren Inventurdifferenzen führt, ist bislang nicht belegt.
Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr
Eine Stufe unter dem SCO ist der Bezahlautomat. Dort können Kunden ihre Einkäufe bar oder mit Karte bezahlen. Der Vorteil: Mitarbeitende an Bedientheken müssen kein Bargeld mehr annehmen und sind weitestgehend befreit vom Bezahlvorgang. Das ist nicht nur hygienischer und entlastet das Personal – es verringert auch das Risiko, falsch abzukassieren. Der Biomarkt Biomichl setzt seit November Automaten an der Brottheke und im Bistro ein. „Die Kunden nehmen es gut an“, sagte Junior-Chefin Franziska Sendl auf einer Mitgliedertagung von Naturkost Süd zum Thema SB-Kassen.
Naturkost Süd e.V.
Der Naturkost Süd e.V. ist der Berufsverband der Biomärkte im Süden Deutschlands. Er dient den Fachhändlern, wird von vielen Partnern aus Großhandel und Herstellung unterstützt und veranstaltet regelmäßig Tagungen für seine Mitglieder.
Wer eine SB-Kasse hat, der ist zumindest technisch nicht mehr weit davon entfernt, seinen Kunden auch nach Ladenschluss den Einkauf zu ermöglichen. Notwendig hierfür sind zusätzlich automatische Eingangstüren mit Zutrittskontrolle per QR-Code, App oder EC-Karte sowie Überwachungskameras. Die Ware kann in solchen Läden entweder direkt mit einem Handscanner oder einer App auf dem Smartphone erfasst und an der Kasse bezahlt werden. Alternativ werden die Produkte an der SB-Kasse gescannt und bezahlt.
Erfolgreiche Beispiele für Rund-um-die-Uhr-Läden sind die Teo-Märkte von Tegut oder die Vorratskammer Berlin, ein Mitgliederladen mit 24/7-Bio-Versorgung. In Hamburg eröffnete 2022 der autonome Bio-Markt Hoody.
Wer die Investitionen im mindestens fünfstelligen Euro-Bereich für einen 24/7-Laden scheut, kann auch mit einem Automaten die Verkaufszeiten erweitern. Das macht zum Beispiel der Ulmer Bioladen Erdapfel Naturkost. Das Angebot reicht von Mopro-Artikeln über Eier und Wurst bis hin zu Müsliriegeln und Samba-Aufstrichen. Damit steuert der Automat laut Erdapfel-Inhaberin Marie-Christin Ecker durchschnittlich 1.000 Euro Umsatz im Monat bei.
Ecker rät Interessierten, einen Anbieter zu wählen, der bei Störungen des Automaten schnell vor Ort sein kann. Und man sollte vor dem Kauf wissen, welche Produkte man dort anbieten möchte. Käseaufschnitt etwa, könne nur mit Spiralböden ausgegeben werden.
Warenwirtschaft mit IQ
Auch Axel Bergfeld von Bergfelds Biomarkt in Bonn kann sich ein Ladnerleben ohne intelligentes Bestellsystem nicht mehr vorstellen. Lediglich Mopro-Artikel, Non Food oder Schnelldreher ordert er noch händisch, weil dort sonst die Fehlerquote zu hoch sei.
Intelligenz steckt heute in jedem Warenwirtschaftssystem, sagt Jan Bahrs von Weiling. Sie werde nur nicht von allen genutzt. Für Professor Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (siehe auch Interview am Ende des Artikels) ist insbesondere die KI-Komponente interessant, „weil zum Beispiel Wetter-Effekte und andere Einflüsse beim Kaufverhalten berücksichtigt werden“ und die automatische Bestellung noch gezielter ist. Bei Obst und Gemüse oder Fleisch würden so auch „die Abschreibungen extrem verringert, die Verluste minimiert“, sagt Rüschen.
Eine sehr effiziente Art der Automatisierung findet eher hinter den Kulissen statt: das Warenwirtschaftssystem mit automatischer Bestellung. Torsten Pelikan von Globus Naturkost in Eberswalde nutzt dafür schon seit fast zehn Jahren Bio Office von Bits & Bytes. Alle Produkte mit EAN werden automatisch bestellt. „Produkten von kleinen Lieferanten ohne EAN kleben wir eine auf. Das spart Zeit an der Kasse und die Nachbestellung kann automatisch ablaufen“, sagt Pelikan.
Die Bestellung dauert nur noch wenige Sekunden. Das System erfasst die Bestände durch das Scannen an der Kasse, erstellt eine Liste mit Artikeln, die nachbestellt werden müssen, und die geht raus an die Lieferanten. Früher seien er und sein Team regelmäßig in Stress geraten, wenn sie kurz vor der Abgabe der Bestellung bei der Bestandsaufnahme von Kunden angesprochen worden seien. „Das fällt völlig weg“, sagt Pelikan.
Retail Media – Bildschirme mit Mehrwert
Einen sichtbaren Schritt in Richtung Digitalisierung liefern Groß-Bildschirme oder Stelen mit Monitoren im stationären Handel. Sie können unterschiedlich genutzt werden: entweder für eigene Inhalte oder als bezahlte Werbefläche für Hersteller und sonstige Unternehmen. Konventionelle Händler setzen sie verstärkt ein.
Superbiomarkt (SBM) aus Münster nutzt das sogenannte Retail Media, um in den Filialen eigene Inhalte und Angebote zu kommunizieren. Pro Markt laufen im Schnitt bis zu fünf Smart-TVs. Was gezeigt wird, kommt aus der Zentrale. An der Fleischtheke laufen etwa „kurze Videosequenzen von einem Bauernhof, um beispielsweise eine besondere Fleischzubereitung zu zeigen“, erklärt SBM-Marketingleiter Linus Weistropp. Außerdem werde auf spezielle Angebote aufmerksam gemacht, etwa dass die Kunden für Weihnachten online Fleisch und Fisch vorbestellen können. Auch Rabattaktionen bewirbt SBM auf den Geräten. Das Ziel trotz der Bildschirme: „ein ruhiges Einkaufserlebnis mit möglichst wenig Irritation“, sagt Weistropp.
Professor Rüschen sieht Retail Media als gute Möglichkeit für Bioläden, „um zu verdeutlichen, was das Besondere an Bio ist. Woher die Produkte stammen, welche Aufzuchtbedingungen es bei Tieren gibt“. Die Inhalte müssten im besten Fall zentral bereitgestellt werden, sagt Rüschen. Etwa von einer Verbundgruppe. „Sonst ist das in der Tat aufwendig“, sagt er.
Das Unternehmen Emsu bietet spezielle Bildschirme für stationäre Lebensmittelhändler an. Bioläden sind noch nicht darunter. Co-Geschäftsführer Adrian Hoesch sieht hier aber Potenzial: „Gerade Bio-Produkte kann man über die Screens noch besser erklären, etwa warum der Preis für das Produkt höher ist.
Digitale Preisschilder – Preisanpassungen per Knopfdruck
Bereits kleinere Bioläden führen mehrere tausend Artikel. Wer da regelmäßig Preisanpassungen vornehmen möchte, hat eine Menge Arbeit. Abhilfe versprechen digitale Preisschilder, sogenannte Electronic Shelf Label (ESL). Sie lassen sich zentral von einem Computer aus steuern – auch für mehr Standorte gleichzeitig – wodurch Preise bei Aktionen oder für reduzierte Waren einfach angepasst werden können, ohne dass die Schilder ausgetauscht werden müssen. Grundvoraussetzung für den Betrieb ist eine flächendeckende Internetverbindung im Laden, etwa über WLAN.
Je nach Typ bieten ESL die Möglichkeit, Farben anzuzeigen und weitere Infos zu transportieren, etwa zu Inhaltsstoffen oder der Herkunft. Manche Etiketttypen können außerdem grafische Elemente wie Firmenlogos darstellen.
ESL nutzen häufig energiesparende E-Ink-Technologie, wie man sie von E-Readern wie dem Kindle oder Tolino kennt. Sie laufen viele Jahre mit Batterie oder mit Strom. Kleinere Ladensysteme lassen sich gut skalieren, wenn nur Preise in bestimmten Abteilungen digitalisiert werden – etwa Obst und Gemüse, um vor Ladenschluss schnell verderbliche Ware günstiger anzubieten.
Digitalisierung nimmt zu
Sich mit Automatisierung auseinanderzusetzen ist nicht nur sinnvoll, weil es Prozesse effizienter machen und den Mitarbeitenden mehr Zeit für andere Aufgaben geben kann. Mit SB-Kassen oder Retail Media zeigen Einzelhändler ihren Kunden auch, dass sie mit der Zeit gehen. Klar ist: Die Digitalisierung wird auch im Lebensmittelhandel weiter voranschreiten.
An den richtigen Stellen eingesetzt, kann sie die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Wichtig ist, sowohl die Kunden als auch die Mitarbeitenden an neue Technologien heranzuführen. Und: Digitalisierung hilft nur dann, wenn Prozesse automatisiert werden, die auch einen Unterschied machen. Der Appell von Jan Bahrs auf der NKS-Tagung: „Schaut genau hin, dass sich das für euch lohnt!“
Interview mit Prof. Stephan Rüschen
„Ihr müsst anfangen umzudenken“

Stephan Rüschen ist Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit Spezialisierung auf den Bereich Food/ Lebensmittelhandel
Herr Rüschen, was sind aus Ihrer Sicht die Hauptargumente für den Einsatz digitaler Technologien im Lebensmitteleinzelhandel?
Es geht vor allem darum, Kosten zu sparen und dadurch effizienter zu werden. Und um einen Kundennutzen zu haben. Im Optimalfall lässt sich beides kombinieren.
Was empfehlen Sie Bioläden im Bereich Digitalisierung?
Neben intelligenten Warenwirtschaftssystemen und Retail Media, ganz klar: digitales Marketing. Über die sozialen Medien, zum einen. Das ist gezielter und kostengünstiger als Printanzeigen in Zeitungen. Und Marketing über einen digitalen Newsletter, der ebenfalls kein Geld kostet. Und vielleicht sogar über eine App, über die auch Informationen geteilt werden können. Wenn eine Verbundgruppe eine solche App anbietet, sollten Läden das definitiv nutzen und über Ortung lokal passende Angebote einspielen. Auch Kundenkarten und Bonus-Programme machen absolut Sinn.
Beim Thema Automatisierung und Digitalisierung müssen Ladeninhaber auch ihr Personal mitnehmen. Was würden Sie Mitarbeitenden von Bioläden entgegnen, die diese Entwicklung ablehnen?
Schaut euch die Umsätze an! Ihr müsst anfangen umzudenken. Wenn du nicht bereit bist, Dinge anders zu machen, wird es eng. So leid es mir tut, aber wenn man die Umsätze im Fachhandel sieht, ist die Lage klar. Und diese Schritte hätten ja auch schnelle, wirtschaftliche Vorteile. Gerade was Warensystem und die digitale Werbung angeht. Das zahlt sich relativ schnell aus.
Kommentare
Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.