Freitagmittag, 12 Uhr. „Essen!“ ruft eine Frau durchs Treppenhaus und hoch in den ersten Stock. Nein, wir sind hier nicht privat zu Besuch, sondern im Foyer eines Bio-Weingroßhandels, bei Riegel am Bodensee: vorne ein sorgfältig eingerichteter Weinladen – die Weinflaschen werden liegend auf schmalen Holztischen präsentiert – hinten die Kantine. Viel Licht strömt durch Fenster, die zwei Stockwerke hoch sind. Eine Wand ist mit Farn bewachsen und im ersten Stock hinter einer Holzgalerie liegen die Büros.
Heute gehören rund 100 Mitarbeitende zum Betrieb und das gemeinsame Essen hat Tradition. Es gibt Lachs, Nudeln, Zucchini und Salat. Wenn in den Anfängen vor knapp 40 Jahren wieder mal ein Lkw voller Wein auszuladen war, kamen Freunde, halfen, die Ware in der Scheune neben dem alten Bauernhaus zu verstauen und anschließend wurde aufgetischt. Ein Brauch, der auch bei der Weinlese in kleineren Weinbaubetrieben noch üblich ist: gemeinsam arbeiten, gemeinsam essen.
Der Betrieb prägte das Familienleben
Felix Riegel, seit zwei Jahren der Geschäftsführer, ist hier hineingewachsen. Als seine Eltern Peter und Gisela Riegel beschlossen, den Naturwarenladen am Bodensee zu einem Bio-Weingroßhandel auszubauen, war er keine drei Jahre alt. Später halfen er und sein Bruder Florian mit, wenn Wein auszuladen war oder Mehrwegflaschen in Kisten gepackt werden mussten. Sie blieben bei einer befreundeten Winzerin, ihrer „dritten Oma“ auf dem Weingut Podere Marella in Umbrien, während die Eltern Weingüter erkundeten. Als Jugendliche verdienten sie mit Leergut-Sortieren und Büroputzen ihr erstes Geld.
„Mein Vater traf viele mutige Entscheidungen.“
Es waren Pionierjahre. Gründer Peter Riegel finanzierte Familie und Betrieb noch bis 2003 nebenher mit der Reparatur von Fenstern, Gisela Riegel betreute den eigenen Laden und lernte, für den Großhandel Läden als Kunden zu akquirieren. In den Anfängen des Bio-Weingroßhandels fand Peter Riegel nur wenige Biowein-Erzeuger, viele davon „sympathische Idealisten, aber keine wirklich guten Winzer“, schreibt er im Katalog 2022/23.
„Wir wuchsen sehr langsam, aber mein Vater traf viele mutige Entscheidungen“, berichtet Felix Riegel. Für den Bau eines nach baubiologischen Gesichtspunkten konstruierten Logistikgebäudes nahm die Familie viel Geld auf, der Sohn erinnert sich an langwierige Telefonate der Eltern mit der Bank. 2017 baute der Gründer eine weitere Logistikhalle.
2013 stiegen beide Söhne offiziell ins Unternehmen mit ein. Felix hatte im Dualen Studium Betriebswirtschaft studiert, Florian hatte Winzer gelernt. „Aber wir standen nie unter dem Druck, später mal den Betrieb zu übernehmen“, sagt Felix Riegel. Vor zwei Jahren zog sich Gründer Peter Riegel aus dem Tagesgeschäft zurück. Felix übernahm die Rolle des Geschäftsführers, Florian arbeitet im Einkauf und kümmert sich im Nebenerwerb um Hof Steinegg, einen Bio-Bauernhof. Er betreibt Landschaftspflege und sorgt für den Erhalt vom Aussterben bedrohter Rassen.
Der Wein bekommt Zeit zum Reifen
In Orsingen lagern auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern 1.200 Bioweine in zwei Millionen Flaschen, die sich in vierlagigen Palettenregalen auf zwei Gebäude verteilen: Dazu gehört bodenständiger Pinot Grigio aus Venetien zu 6,95 Euro genauso wie ein Chateau Palmer Grand Cru Classé zu 379 Euro. Alles bio!
Die hochwertigsten Tropfen lagert Felix Riegel in der sogenannten „Schatzkammer“ – die sich als Hochregal herausstellt: Acht Lagen, 20 Meter lang, 12.000 Flaschen. „Oft werden solche Weine zu jung verkauft. Hier dürfen sie reifen.“ Mit jedem Jahr steigt ihr Wert: „Das ist besser als ein Sparbuch, macht richtig Arbeit und noch mehr Spaß.“
„Wer Spitzenqualität haben will, kommt langfristig an Bio nicht vorbei“
Ist Bio-Wein besser als konventioneller? „Nicht zwingend“, sagt Felix Riegel. Das sei nicht so wie bei Milch, die besser schmeckt, wenn sie aus ökologischer Produktion stammt. Dennoch: „Wer Spitzenqualität haben will, kommt langfristig an Bio nicht vorbei“, sagt Riegel. Das muss sich rumgesprochen haben.
In der Pfalz beispielsweise seien 80 Prozent der VDP-Weingüter bio-zertifiziert. Der Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter steht für besonders strenge An- und Ausbauregeln – und für Qualität. In Deutschland schluckt der Weinbau nach dem Apfelbau die meisten Pestizide, wie im Pestizidatlas der Heinrich-Böll-Stiftung nachzulesen ist. Auch das spricht dafür, gerade bei Weinbau auf Bio zu setzen.
Mit seine Bio-Weinen ist Riegel zu einem der zehn wichtigsten deutschen Weingroßhändler insgesamt aufgestiegen. Von den beiden Lagern in Orsingen aus versorgt Riegel den Naturkosthandel, Weinfachhandel und Gastronomie. Zwei Drittel der Bioweine gehen in den Naturkostfachhandel. Über die Tochtergesellschaft Bionysis vermarktet der deutsche Biowein-Importeur ein separates Sortiment an den Lebensmitteleinzelhandel.
Die Grenze ist 30 Euro pro Flasche
„Spitzenweine lassen sich nur in kleiner Stückzahl über den filialisierten Naturkosthandel verkaufen“, stellt Felix Riegel fest. „In den Filialen liegt die Obergrenze bei einem Preis von etwa 30 Euro.“ Möglicherweise suchen Kunden guten Wein eher im Weinfachhandel: mit der entsprechenden Atmosphäre, der Möglichkeit zu fachsimpeln und eine gute Beratung zu bekommen.
Es gebe aber auch Biohändler, die sich mit Leidenschaft und Kompetenz mit Wein auseinandersetzen und damit Spitzenumsätze erzielen. Riegel Senior warb ebenfalls dafür, sich im Naturkosthandel für hochwertigeren Wein zu öffnen: „So schärft sich das Profil“, schreibt er im Katalog. Das sei doch eine Chance, sich vom Massen-Bio der Discounter abzuheben.
Drei Fragen an Felix Riegel
Wie steht der Bioweinhandel da zu Zeiten einer Inflation?
Das Genussmittel Wein scheint aufgrund der Inflation gelegentlich aus dem Warenkorb zu fallen. Es wird weniger getrunken, aber kaum günstiger eingekauft.
Was sind die wichtigsten Herausforderungen für die Bioweinbranche in den nächsten zehn Jahren?
Der Klimawandel wird besonders unsere Winzer zunehmend fordern und er wird auch unsere Art zu handeln weiter verändern. Es muss uns gelingen, die Endkunden von der Bedeutung einer biologischen Bewirtschaftung der Weinberge zu überzeugen und wir müssen nachvollziehbar kommunizieren, warum es sich lohnt, zukunftsorientiert und nachhaltig zu handeln.
Ein Blick in die Wahrsagekugel – was hat sich bis in zehn Jahren bei Riegel getan?
Wir haben bis dahin als Vorbild in Sachen Klimaschutz, Energiewende und Ressourceneffizienz bewiesen, dass sich eine umweltorientierte Unternehmensführung auch wirtschaftlich lohnt.
Interessierten Naturkosthändlern bietet Riegel Unterstützung: Sommeliers vermitteln in Schulungen profundes Wissen. Bei Verkostungen lernen Mitarbeiterinnen und Ladner, wie facettenreich Wein schmecken kann – und entdecken dabei vielleicht die nötige Leidenschaft für den Weinverkauf. Eine Mediendatenbank versorgt Händler mit Texten über jeden Wein und Fotos von Weingütern, Winzern und Flaschen. Geschichten gibt‘s im Bio-Wein-Kino zu sehen. Und Ladnerinnen und Ladner, die ihren Kundinnen und Kunden am Regal bei der Kaufentscheidung weiterhelfen wollen, können dort ein Tablet mit einer Bioweinberater-App installieren. Auch im Katalog, der mittlerweile 300 Seiten umfasst, stehen jede Menge Verkaufstipps.
Aus der Luft betrachtet lassen sich die beiden Riegel-Gebäude in Orsingen leicht finden: Ihre Flachdächer sind dicht mit Photovoltaik-Platten bestückt. Auch die Holzfassaden zeigen, dass hier auf Ökologie und Nachhaltigkeit geachtet wird. Um die Umwelt möglichst wenig zu belasten, hat das Unternehmen seit seinem Bestehen schon an vielen Schrauben gedreht.
Mit Paletten Transportgewicht sparen
„Wir haben alle Prozesse durchleuchtet“, berichtet Felix Riegel. „Transport und Verpackung bieten das größte Verbesserungspotenzial, was Nachhaltigkeit angeht.“ Logistiker Dieter Hallerbach zeigt Beispiele. In der neuen Logistikhalle sind Paletten in ungewöhnlichem Format aufgestapelt: aus Wellpappe, halb so groß wie Standard-Euro-Paletten und leichter. „Damit lassen sich die Ladungen der Lkw besser verdichten“, sagt Hallerbach. „Außerdem sind sie wiederverwendbar. Pro Jahr sparen wir so 78 Tonnen Transportgewicht ein.“
Dann präsentieren Hallerbach und Riegel die neue HVO-Tankstelle. Der 6.000-Liter-Tank ist in der Riegelfarbe gestrichen. HVO oder auch CARE-Diesel, das sind hydrierte Pflanzenöle, hergestellt aus gebrauchten Fetten und Ölen. Je nach Rohstoffbasis lassen sich damit 50 bis 90 Prozent CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichem Diesel vermeiden. Ums Eck sind vier Firmenwagen an der Elektro-Tankstelle angehängt. „Wir stellen auf Elektrofahrzeuge um“, berichtet Felix Riegel.
Getränkekartons kamen nicht gut an
Wieder im Lager geht es nun um die Verpackungen. Laut Deutschem Weininstitut erzeugen allein die Flaschen bei der Weinproduktion fast die Hälfte des CO2-Fußabdrucks. Leichtglas, Getränkekartons und Bag-in-Box helfen Verpackung und Transportgewicht einzusparen. „Wir bieten das an, aber Konsument und Ladner müssen mitziehen“, sagt der Geschäftsführer.
Es ist ein mühsamer Weg. Bereits vor zehn Jahren scheiterte ein erster Versuch mit Getränkekartons. Vor knapp drei Jahren wagte es Riegel noch einmal. Das Angebot: die eingeführte Marke Fiori Naturali im ein Liter Getränkekarton zum selben Preis wie 0,75 Liter in der Flasche. Doch auch dieses Mal musste Riegel seine Karton-Idee wieder zusammenfalten: Zu wenige Ladner griffen das Angebot auf, zu wenige Kunden ließen sich überzeugen.
Enormes Einsparpotenzial steckt laut Felix Riegel in Mehrwegflaschen. Er greift eine Flasche mit Le Corbeau-Etikett aus dem Regal. Die Marke wird bereits seit 33 Jahren im Mehrwegsystem angeboten. Und weil viele Kunden die kleineren 0,75-Liter-Flaschen bevorzugen, ist schon das nächste Projekt in Arbeit: Biowein in 0,75-Mehrweg-Flaschen.
Zahlen – Daten – Fakten
Firmenstandort: Peter Riegel Weinimport GmbH, Steinäcker 12, 78359 Orsingen
Gründung: 1985
Mitarbeitende: 103
Sortiment: Biowein, Biosekt, Winzerabfüllungen, Eigenabfüllungen, Private Labels
Absatz: 18 Millionen Flaschen pro Jahr
Geschäftsführung: Felix Riegel
Webseite: www.riegel.de
Kommentare
Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.