Wie schafft Deutschland 30 Prozent Bio bis zum Jahr 2030? Am Donnerstagvormittag stellte Cem Özdemir die Strategie seines Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vor. Mit 30 Punkten soll das Ziel erreicht werden.
Ein Wermutstropfen: Trotz dem erklärten 30-Prozent-Ziel im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist die Bio-Strategie keine Strategie der gesamten Bunderegierung. Das wäre laut Özdemir ein wichtiges Signal an potenzielle Umsteller gewesen. Beim BioHandel-Marktgespräch auf der Anuga Anfang Oktober hatte Özdemir noch die Hoffnung, dass das Kanzleramt mitzieht. „Das war leider nicht möglich“, sagte Özdemir nun – trotz vieler Kompromisse, die er eingegangen sei. Man habe jedoch alle notwendigen Ministerien hinter sich, betonte er.
Özdemir sprach von einer „Rekordgeschwindigkeit“ von einem Jahr, in dem die „Nationale Strategie für 30 Prozent ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft bis 2030“, so der offizielle Titel, entstanden sei. „Mit unserer Bio-Strategie 2030 setzen wir jetzt die entscheidenden Impulse für mehr Bio vom Acker bis auf den Teller“, so Özdemir.
Der 30-Punkte-Plan soll dafür sorgen, dass mehr Betriebe auf Bio umsteigen können und in Deutschland 30 Prozent Bio über die gesamte Wertschöpfungskette erreicht wird – von den Betriebsmittelmärkten über die Erzeugung, die Verarbeitung, den Handel bis hin zur Ernährung. Für seine Bio-Strategie 2030 nahm das BMEL wesentliche Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf. Die 30 Maßnahmen des BMEL erstrecken sich über die folgenden sechs Handlungsfelder:
- Betriebsmittelmärkte
- Erzeugung
- Verarbeitung und Handel
- Ernährung und Gesellschaft
- Forschung, Wissenstransfer, Datenverfügbarkeit, Infrastruktur
- Kohärenter Rechts- und Förderrahmen
Bio-Informationskampagne noch im November
Özdemir zählte hier beispielhaft einige Maßnahmen auf (alle Maßnahmen am Ende des Textes). So sollen die Ertragspotenziale des Bio-Landbaus ausgeschöpft werden (Punkt 4). Die Kommunikation über Bio soll ausgebaut werden (Punkt 15). Dazu werde es ab dem 20. November eine Bio-Informationsoffensive geben, die über die positiven Leistungen von Bio für die Gesellschaft informiert. „Damit sollen die Höfe für ihre landwirtschaftlichen Bio-Waren breitere Absatzwege und noch bessere Akzeptanz finden“, teilte das BMEL in einer Presseerklärung mit.
Ein wichtiger Hebel bei der 30/30-Strategie ist außerdem, mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung zu ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der bio-spezifischen Forschung, die bislang ein Nischendasein pflegt, was die Ausstattung mit finanziellen Mitteln angeht. Ein Hebel sei hier etwa die Aufstockung des Personals, so Özdemir. Zusätzlich sollen bürokratische Hürden abgebaut und der Förderrahmen ausgebaut werden, damit die Umstellung auf Bio attraktiver wird und die Beibehaltung des Öko-Standards sich lohnt.
Das sind die vier zentralen Punkte der Bio-Strategie 2030:
- Gesellschaftliche Leistungen der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft besser honorieren.
- Die Verarbeitung von Bio-Lebensmitteln unterstützen und ihren Anteil in der Außer-Haus-Verpflegung steigern.
- Forschung, Wissenstransfer, Datenverfügbarkeit und Infrastruktur für die ökologische Lebensmittelkette stärken.
- Lösungen für bürokratische Herausforderungen erarbeiten.
„Wichtig ist nun, dass alle Ministerien mit anpacken.“
Für Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), zeichnet sich die Bio-Strategie 2030 des BMEL „durch ein umfassendes und praxisorientiertes Vorgehen aus, das nicht nur die Stärkung der ökologischen Landwirtschaft, sondern auch die ökonomische Vitalität kleiner und mittlerer Bio-Betriebe aus Verarbeitung und Handel im Fokus hat. Durch die Verbesserung der Wertschöpfungsketten und die Förderung von Innovationen werden nachhaltige Praktiken vom Acker bis zum Teller unterstützt, was die langfristige Entwicklung der Bio-Branche in Deutschland entscheidend vorantreiben kann.“
Auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft begrüßt die Bio-Strategie des BMEL und ruft zum kollektiven Kraftakt auf: „Wichtig ist nun, dass alle Ministerien mit anpacken: Das Forschungsministerium mit maßgeschneiderten Öko-Forschungsprogrammen, um die Innovationskraft von Bio zu stärken; das Wirtschaftsministerium mit passender Förderung für starke regionale Wertschöpfungsketten, das Umweltministerium mit Konzepten, die das volle Umweltleistungspotenzial von Bio heben, das Verteidigungsministerium durch Bio-Verpflegung für die Bundeswehr.“ Und nicht zuletzt müsse auch das BMEL Bio in allen Gesetzgebungsverfahren – von der GAP bis zur Kennzeichnung – einplanen, teilte der Bio-Spitzenverband mit.
Naturland-Präsident Hubert Heigl unterstrich ebenfalls, dass es bei der Umsetzung nun darauf ankomme, „dass alle in der Bundesregierung – vom Forschungsministerium bis zu den Ressorts für Umwelt oder für Wirtschaft – aktiv ihren Teil dazu beitragen, die zahlreichen Maßnahmen zum Erfolg zu führen.“ Er begrüßt die Strategie des BMEL als „konkreten Fahrplan“ zu 30 Prozent Bio. Zugleich mache das Bundeslandwirtschaftsministerium damit deutlich, dass der Ausbau des Öko-Landbaus ein wesentlicher Baustein zur Bewältigung zahlreicher Herausforderungen unserer Zeit ist, vom Verlust der Artenvielfalt bis zur Klimakrise, so Heigl.
Özdemir will am geplanten Glyphosat-Ausstieg festhalten
Bioland-Präsident Jan Plagge bewertet die Bio-Strategie ebenfalls positiv: „Die ökologisch-soziale Transformation der Land- und Lebensmittelwirtschaft hat mit der Vorstellung der Bio-Strategie 2030 noch mal deutlich mehr Struktur bekommen.“ Vor dem Hintergrund knapper Haushalte und der Uneinigkeit der Ampel-Parteien in vielen grundlegenden Fragen sei die Umsetzung der Bio-Strategie jedoch kein Selbstläufer, betont er.
Auch zum Thema Glyphosateinsatz äußerte sich Cem Özdemir in der Pressekonferenz. Kurz zuvor hatte der Berufungsausschuss der EU über eine Verlängerung abgestimmt. Dabei kam erneut keine qualifizierte Mehrheit gegen den Vorschlag der EU-Kommission zustande, die Nutzung des Totalherbizids für weitere zehn Jahre zu erlauben. Deutschland enthielt sich wie bereits in der Abstimmung zuvor, weil in der Koalition Uneinigkeit herrscht: Die FDP ist für eine Verlängerung, die Grünen sind dagegen. Die Haltung der SPD sei unklar, sagte Özdemir.
Zu den Möglichkeiten, Glyphosat dennoch wie im Koalitionsvertrag angekündigt, in Deutschland zu verbieten, sagte Özdemir: „Ich gehe davon aus, dass sich alle drei Koalitionspartner diesem Ziel verpflichtet fühlen.“ Er wolle den nationalen Spielraum nutzen, um ein Verbot durchzusetzen, so Özdemir.
30 Maßnahmen für 30 Prozent Bio
- Pflanzenzüchtung und Tierzucht für den ökologischen Landbau fördern
- Betriebsmittelmärkte für den ökologischen Landbau und die Bio-Wertschöpfungskette weiterentwickeln
- Digitale Instrumente für ein besseres Daten- und Betriebsmanagement entwickeln
- Ertragspotenziale des ökologischen Pflanzenbaus ausschöpfen
- Leguminosen als Basis ökologischer Anbausysteme stärken
- Potenziale der ökologischen Grünlandbewirtschaftung vermitteln
- Ökologische Tierhaltung und -fütterung stärken
- Tierwohl im ökologischen Landbau weiterentwickeln, stärken und transparent machen
- Regions- und standortspezifische Umstellungskonzepte weiterentwickeln
- Biologische und genetische Vielfalt in der Agrarlandschaft sowie der Nutzpflanzen und –tiere fördern
- Wertschöpfungsketten durch Management und Vernetzung befördern
- Faire Partnerschaften weiterentwickeln
- Förderprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen der Bio-Wertschöpfungskette nutzbar machen
- Auf- und Ausbau regionaler und ökologischer Verarbeitungs- und Vermarktungskapazitäten unterstützen
- Kommunikation zu „Bio“ weiter ausbauen
- Anteil von Bio-Lebensmitteln in Kantinen der Bundesverwaltung und inan deren öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung erhöhen
- Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung den Einsatz von Bio-Lebensmitteln erleichtern
- Beratung für umstellungsinteressierte Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung stärken
- Bildung zu Erzeugung und Verarbeitung von Bio-Lebensmitteln entlang der Wertschöpfungskette verstärken
- Forschungsstrategien und -programme auf ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft ausrichten
- Ressortforschung des BMEL stärken und für die Politikberatung im Bereich ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft rüsten
- Die regionale Forschungslandschaft strukturell stärken, wissenschaftlichen Nachwuchs und das Wissen zur ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft ausbauen und Innovationen stärken
- Transformationen mit Praxisforschung zu ökologischer Produktion und nachhaltiger Ernährung auslösen
- Wissenstransfer und Forschungskommunikation strukturell verankern und methodisch verbessern
- Lehre zur ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft an Hochschulen fördern
- Datenverfügbarkeit zum ökologischen Landbau und zur ökologischen Lebensmittelwirtschaft verbessern
- GRW und GAK weiter an den Zielen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz ausrichten sowie die GAK zudem an der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft
- GAP stärker an den Zielen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz sowie des ökologischen Landbaus ausrichten
- Verordnung (EU) 2018/848 weiterentwickeln und kohärenten nationalen Rechtsrahmen zur Stärkung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft schaffen
- Methoden des ökologischen Landbaus als eine Handlungsoption für den Globalen Süden für das Erreichen des Menschenrechts auf angemessene Nahrung nutzbar machen
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