Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, dass auch nach der Abstimmung im Europaparlament künftig gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Kennzeichnung verkauft werden könnten. Richtig ist, dass sich die EU-Abgeordneten am Mittwoch darauf verständigt haben, sämtliche Erzeugnisse zu kennzeichnen, die NGT-Pflanzen enthalten. Wir haben die entsprechende Passage im Text geändert.
Das Europaparlament hat am Mittwoch über neue Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel abgestimmt. Eine Mehrheit der Parlamentsmitglieder ist dabei der Empfehlung der Berichterstatterin von der größten Partei EVP gefolgt, und hat für eine massive Aufweichung der Gentechnikgesetze für Organismen aus neuen gentechnischen Methoden (NGT) gestimmt. Vor zwei Wochen hatte bereits der Umweltausschuss des Europaparlamentes seine Version für ein neues Gentechnik-Regelwerk verabschiedet.
Bislang gelten für Pflanzen, die mithilfe neuer genomischer Techniken (NGT) wie beispielsweise mit dem Crispr/Cas-Verfahren gezüchtet wurden, dieselben strengen Regeln wie für alle genetisch veränderten Organismen. NGT sind präziser und effizienter als herkömmliche Verfahren. Sie können beispielsweise spezifische DNA-Sequenzen präziser modifizieren, ohne dabei andere Teile des Genoms zu beeinflussen.
Keine NGT in der Bio-Landwirtschaft
Flankiert von zahlreichen Änderungsanträgen befürworteten die Abgeordneten am Mittwoch den Vorschlag der EU-Kommission, zwei verschiedene Kategorien und zwei Regelwerke für NGT-Pflanzen einzuführen. Die EU-Abgeordneten votierten dafür, NGT-Pflanzen in der ökologischen beziehungsweise biologischen Produktion weiterhin zu verbieten. Man müsse erst prüfen, ob sie mit deren Grundsätzen vereinbar sind, teilte das Parlament mit.
NGT-Pflanzen, die als gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen gelten (Kategorie 1), sollen von den Gentechnik-Vorschriften ausgenommen werden. Allerdings haben sich die Abgeordneten unter anderem darauf verständigt, dass bei NGT-Pflanzen der Kategorie 1, neben dem Saatgut, auch die Pflanzen selbst sowie Erzeugnisse, die NGT-1-Pflanzen enthalten oder aus ihnen bestehen entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Wie der Informationsdienst Gentechnik schreibt, soll in diesen Fällen der Hinweis „Neuartige genomische Verfahren“ auf dem Etikett stehen. Zusätzlich soll eine Liste aller NGT-Pflanzen der Kategorie 1 erstellt und im Internet veröffentlicht werden.
Für NGT-Pflanzen der Kategorie 2 sollen strengere Regeln gelten. Um Anreize für die Nutzung von NGT-Pflanzen der Kategorie 2 zu schaffen, sprachen sich die Abgeordneten dafür aus, „das Risikobewertungsverfahren für jene Pflanzen zu beschleunigen, die zu einem nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelsystem beitragen dürften“, teilte das Parlament mit.
Frage der Patentierung weiterhin offen
Ein frommer Wunsch der Abgeordneten bleibt wohl deren Forderung nach einem vollständigen Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen, Pflanzenmaterial und Teile davon sowie auf genetische Informationen und die darin enthaltenen Verfahrensmerkmale. Dem Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zufolge wären diese Regelungen rechtlich nicht wirksam, weil für die Patenterteilung nicht die neue Gentechnik-Verordnung aus Brüssel, sondern die Biopatentrichtlinie maßgeblich sei. Und diese erlaube bei „technischen Eingriffen“ in das Züchtungsverfahren die Patentierung der damit entwickelten Pflanzen, so der BÖLW.
Eine Änderung des europäischen Patentabkommens wiederum liegt außerhalb des Einflussbereichs der EU. Denn dem Europäischen Patentamt gehören neben den EU-Mitgliedsstaaten auch zahlreiche Nicht-Mitgliedsstaaten wie die Schweiz, Großbritannien oder die Türkei an. Den Vorschlag für ein Patentverbot nannte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses, am Mittwoch deshalb als „eine bloße Absichtserklärung, ohne direkte rechtliche Folgen".
Abstimmungsergebnis ist „politischer Offenbarungseid“
Häusling bezeichnete das Abstimmungsergebnis im Europaparlament insgesamt als „politischen Offenbarungseid“. Zwar habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass Lebens- und Futtermittel, die mit Neuer Gentechnik hergestellt worden sind, auch für Landwirtschafts- sowie Züchtungsbetriebe und Verbrauchende gekennzeichnet werden müssen. Bezüglich des gentechnikfreien Anbaus und der Verarbeitung hätte sich die Mehrheit der Abgeordneten aber gegen klare Koexistenz-Maßnahmen und Haftungsregeln gestellt, so Häusling.
Während die Bio-Branche vor den (unkalkulierbaren) Gefahren Neuer Gentechniken warnt, sehen Befürworter große Chancen, mit diesen Verfahren landwirtschaftliche Erträge zu steigern und den Einsatz von Pflanzenschutzmittel reduzieren zu können.
Wie geht es nun weiter: Vor den Trilog-Verhandlungen von Parlament, Rat und Kommission muss noch der Ministerrat der EU-Staaten eine gemeinsame Position finden. Dort wird noch um einen Kompromiss gerungen.
Die Akteure der Bio-Branche benötigten „ein klares Bekenntnis seitens der europäischen Regierungen, weiterhin ohne Gentechnik wirtschaften zu können“, kommentierte der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) nach der Parlamentsentscheidung. Auch die deutsche Regierung sei gefordert. „Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat versprochen, dass jede*r, der gentechnikfrei wirtschaften will, es auch in Zukunft tun können soll. Wir nehmen ihn beim Wort!", kommentierte der BNN.
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