Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Ladenstatistik 2020

Mehr neue Läden im Corona-Jahr

Trotz Pandemie haben 2020 mehr Naturkostfachgeschäfte eröffnet als geschlossen wurden. Doch der Trend hin zu weniger Geschäften auf mehr Fläche setzt sich fort. Junge Ladner lassen sich davon jedoch nicht abschrecken.

Für Peter Franz war 2020 kein gutes Jahr. Zwar wuchsen die Umsätze im Naturkostfachhandel in der Coronakrise um 16,4 Prozent. Und auch insgesamt dürfte das Geschäft mit Bio-Lebensmitteln laut Zahlen des aktuellen Öko-Baromters der Bundesregierung um rund 17 Prozent auf mehr als 14 Milliarden Euro zugelegt haben. Doch zu alledem konnte Franz kaum beitragen.

Bereits im Januar schrieb der 58-Jährige auf seiner Facebook-Seite Bioladen Haibach, dass er das Geschäft und das angrenzende Café nach drei Jahren aufgeben müsse. Trotz guter Lage an der B8, die sich quer durch Haibach zieht, und ausreichend vorhandenen Parkmöglichkeiten, zwangen ihn am Ende neben gesundheitlichen auch wirtschaftliche Gründe zu seiner Entscheidung. Mitte März rief Franz via Facebook zum letzten großen Resteverkauf auf, mit Rabatten von bis zu 50 Prozent. Es war sein letzter Eintrag zum Bioladen Haibach. Seitdem sind die Lichter dort aus.

Weniger Läden schlossen 2020

Der Bioladen Haibach ist einer von 40 Naturkostfachgeschäften in Deutschland, die 2020 schließen mussten. Insgesamt gab es Ende Dezember 2247 Bio-Hofläden, Bio-Fachgeschäfte und Bio-Supermärkte im Bundesgebiet. Basis der Zahlen sind die Bezieher der Kundenzeitschrift Schrot & Korn, die wie der BioHandel im bio verlag erscheint. Bei den Öffnungen gab es darüber hinaus zusätzliche Recherchen.

Ein Ergebnis der aktuellen BioHandel-Ladenstatistik: Insgesamt hat sich der Schließungstrend 2020 weiter abgeschwächt. 2018 machten noch 101 Geschäfte für immer dicht. Ein Jahr später waren es 70. Jetzt also 40.

Schaut man sich an, welche Läden aufgeben mussten, sieht man indes einen anderen Trend, der sich fortsetzt. Mindestens 33 Ladner, die irgendwann 2020 zum letzten Mal die Türe zu ihrem Geschäft zusperrten, verwalteten eine Ladenfläche von weniger als 400 Quadratmetern, 23 davon in Orten mit maximal 25.000 Einwohnern.

Im Durchschnitt hatten die geschlossenen Läden 183 Quadratmeter. Unter ihnen befinden sich aber auch Filialen von Alnatura, Basic, Erdkorn und
Denns, die teilweise mehr als 700 Quadratmeter Ladenfläche hatten.

Schließungen 2020

über 400 m²: 4
100 m² bis 399 m²: 15
bis 99 m²: 14
Hofläden: 4
keine Angaben: 2

Mehr Bio in großen Städten

8500 Einwohner, 150 Quadratmeter – der Bioladen von Peter Franz in Haibach gehörte zur gefährdesten Kategorie. Rund ein dreiviertel Jahr nach dem Aus hofft er jedoch weiterhin, dass er einen Käufer für seinen Laden findet. „Am liebsten wäre mir, wenn dort wieder jemand einen Bioladen aufmachen würde“, sagt er. Die Entwicklungen weisen jedoch in eine andere Richtung.

31 der insgesamt 47 neuen Läden eröffneten in Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern. Und mit über 400 Quadratmetern sind die neuen Geschäfte im Durchschnitt mehr als doppelt so groß als es die Läden waren, die aufgeben mussten. Das liegt auch daran, dass knapp Zweidrittel der Neueröffnungen auf das Konto von Filialisten gingen. Sechs ihrer 29 neuen Ableger eröffneten sie in Städten mit maximal 25.000 Einwohnern, davon fünf in Orten mit bis zu 10.000 Einwohnern.

Allein Dennree weihte im abgelaufenen Jahr 18 neue Filialen ein. Dahinter folgen Alnatura mit drei sowie Bio Company und Biofrisch Markt mit jeweils zwei Märkten. Sollte Alnatura wie Ende 2019 angekündigt 2020/2021 zehn bis zwölf neue Super Natur Märkte eröffnen und Dennree sein Filialnetz weiter ähnlich stark ausbauen, dann dürften die Platzhirsche auch in diesem Jahr die Haupttreiber bei den Neueröffnungen sein.

Vollsortimenter sind im Vorteil

Im Vergleich zu 2015 legten Läden ab 400 Quadratmetern 33 Prozent zu. In ebenso starkem Maße verschwanden Läden mit weniger als 100 Quadratmetern. Auch in allen anderen Kategorien ist die Gesamtanzahl zurückgegangen. Bei den Hofläden war der Schwund mit etwas über vier Prozent am geringsten.

Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Zwar hat die Coronakrise dem Biohadel einen zusätzlichen Schub beschert, doch auch der Trend zum One-Stop-Shopping hat weiter zugenommen, hauptsächlich zum Schutz vor einer Corona-Infektion. Große Märkte sind hier im Vorteil, weil sie ein Vollsortiment anbieten können, das die Kleinen mangels Platz und Mitarbeiter nicht haben.

Je nach Befragung kaufen rund ein Viertel bis zur Hälfte der deutschen Bio-Konsumenten Naturkost im Bio-Supermarkt. Auch Peter Franz glaubt, das gespürt zu haben. Rund ein halbes Jahr nach der Eröffnung in Haibach hätte ein Bio-Filialist in der Nähe aufgemacht, erzählt er und fügt hinzu: „Das hat sicher nicht geholfen.“

Öffnungen 2020

über 400 m²: 25
100 m² bis 399 m²: 15
bis 99 m²: 3
Hofläden: 3
keine Angaben: 1

Auch Pioniere schließen

Es ist aber nicht nur die Konkurrenz der Bios untereinander, die besonders den kleinen Läden zu schaffen macht. Auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel (LEH), Discounter und Drogerien buhlen mit einem stetig zunehmenden und dank verstärkter Kooperationen mit den großen Anbauverbänden immer besser werdenden Bio-Sortiment um neue Kunden.

Neun von zehn Bio-Konsumenten kaufen laut Öko-Barometer im LEH, 68 Prozent gaben bei der Umfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft einen Discounter an. Price Waterhouse Coopers (PWC) geht in einer aktuellen Studie für die beiden Einkaufsorte zwar von geringeren Anteilen aus, aber auch dort liegen LEH und Discounter mit 68 beziehungsweise 50 Prozent weit vorne. Unter anderem dieses Konsumentenverhalten bedeutete 2020 auch das Aus für den Höfeladen Sülldorf nach mehr als 32 Jahren, wie das Hamburger Abendblatt schreibt.

Das Beispiel zeigt: Auch für die etablierten Naturkostanbieter bedeutet der Bio-Boom keine Bestandsgarantie. Ein Blick auf das Alter der Läden, das in Dreiviertel der Fälle vorliegt, verdeutlicht das: Im Durchschnitt waren die Geschäfte, die 2020 schlossen, 19 Jahre alt. Darunter befinden sich mindestens sieben, deren Wurzeln zwischen 30 und 40 Jahre zurückreichen und bei denen es mitunter nicht so gut lief wie etwa im Falle von Annette und Karl Riegel. Die beiden Biopioniere verabschiedeten sich nach 31 Jahren in den Ruhestand und fanden darüber hinaus auch eine Nachfolgerin, die ihr Bio-Erbe in Oberhausen-Rheinhausen weiterführen wird.

Junge Ladner rücken nach

Das ist gleichzeitig auch die gute Nachricht hinter den Zahlen: In die Lücken, die Bioläden aufgrund von Schließungen hinterlassen, stoßen weiterhin irgendwo immer wieder neue Ladner. So etwa im Falle von Primacasa Naturkost.

Der Bioladen in Bad Säckingen machte Ende April dicht. Die Pavino GmbH übernahm, erweiterte das Angebot und öffnete an gleicher Stelle am 24. September den Bioladen Rhein-Au. Und: Teilweise sind die neuen Ladner vergleichsweise jung, aber nicht weniger idealistisch und mutig als es die Bios der ersten Stunde waren.

Eine davon ist die 27-jährige Linda Klug. „Bio ist das einzig Richtige“, sagt sie. Deshalb hat sie in Erlenbach am Main im September den Naturkostladen Kraut + Rübe eröffnet. „In meinen Jobs zuvor hatte ich nicht das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles für Mensch und Umwelt machen kann“, sagt sie.

Zwar musste Klug im zweiten Lockdown ihr Bistro dicht machen. Dennoch ist sie bislang zufrieden mit der Entwicklung ihres Ladens. Geholfen habe es ihr zufolge, dass es an Ort und Stelle mit der Korntruhe bereits einen Bioladen gab, der aber in den Nachbarort gezogen ist.

Corona erschwert den Start

Auch die 26-jährige Magdalena Schocker ist 2020 zur Bioladnerin geworden. Bereits im April hat sie in Bad Soden-Salmünster den Elanie Naturmarkt eröffnet. „Ich will mit meinem Laden Bio in der Region stärken“, sagt sie. Gelernt hat Schocker bei einem Discounter. Dass Lebensmittel auch im Einzelhandel wertgeschätzt werden, habe sie aber erst bei der anschließenden Arbeit für einen Bio-Supermarkt erfahren.

Ihr Start im Corona-Jahr verlief holprig. Wie Klug musste auch Schocker ihren Gastroservice einstellen, was ihr erhebliche Umsatzeinbußen einbrockte. Außerdem seien Kunden verunsichert, ob es sicher sei, weiter Unverpackt-Ware zu kaufen. Schocker und ihre Mitarbeiter wollen sich davon aber nicht ausbremsen lassen: „Gerade jetzt, wo viel mehr Ware und Essen bestellt wird, ist es wichtig, etwas gegen den zunehmenden Verpackungsmüll zu tun“, sagt sie.

Einer von Schockers Lieferanten ist Weiling. 2020 zählte der bundesweit agierende Bio-Großhändler sieben Schließungen in seinem Kundenkreis. Den Verlust konnte er jedoch durch den Gewinn von acht neuen Läden kompensieren. Brutto kamen so mindestens 1195 Quadratmeter an neuer Verkaufsfläche hinzu.

Die meisten Läden eröffneten in Baden-Württemberg

Auch wenn die Zahl der Bioläden in Deutschland stetig sinkt, die Ladenfläche der großen und kleinen Fachgeschäfte steigt Jahr für Jahr, zuletzt auf insgesamt 647.000 Quadratmeter. Gemessen an den rund 36 Millionen Quadratmetern Gesamtverkaufsfläche der Lebensmittelgeschäfte in Deutschland sind das 1,8 Prozent.

Aufgeschlüsselt nach Bundesländern, gab es die meisten Neueröffnungen in Baden-Württemberg (11), dahinter folgen Nordrhein-Westfalen (7) sowie Bayern (6) und Berlin (6). Rechnet man Öffnungen und Schließungen gegeneinander auf, hatte Berlin Ende 2020 mit plus drei Märkten den größten Zuwachs.

Laut der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg stiegen die Umsätze des Naturkostfachhandels in der Region um 23 Prozent. Treiber waren dabei die Bio-Supermärkte. Das alles ist weit weg von Peter Franz und seinem Bioladen in Haibach.

Diesen Artikel inklusive Infografiken mit den Zahlen im Detail können Print- und Kombi-Abonnenten in der März-Ausgabe des gedruckten BioHandel lesen.

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