Biohandel

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Kunststoffbelastung

Neue Lösungen für das Plastik-Dilemma?

Millionen Tonnen Plastikmüll belasten unsere Umwelt jedes Jahr. Doch es gibt Hoffnung: Einige Unternehmen setzen trotz großer Herausforderungen auf innovatives Recycling und nachhaltige Ansätze bei der Entwicklung ihrer Produkte. Kann das die Kunststoffbelastung des Planeten reduzieren?

„Wir müssen uns endlich der versteckten Kosten bewusst werden, die mit unserem Konsum einhergehen – Kosten, die die nächsten Generationen treffen“, fordert Amelie Kaupa. Die 20-Jährige studiert an der Central European University in Wien Politik, Philosophie und Wirtschaft. Sie war Young influencer for ecological change, einem Projekt des Goethe Instituts Barcelona, und ist in vielen Projekten aktiv.

„Bis jetzt sind diese Kosten weder im Preis der Produkte integriert, noch sind sie in unserem Bewusstsein angelangt“, fährt sie fort. Als Beispiel führt sie „ganze Plastik-Kontinente im Meer“ an, die nur unter großem Kostenaufwand entfernt werden könnten und eine Gefahr für alle Meereslebewesen darstellen.

Recycling allein ist nicht die Lösung

Recycling allein kann nicht die Lösung dieses Problems sein, davon geht auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) aus. In einer Studie vom Mai 2023 nennt es Ansätze, das Problem anzugehen: Wiederverwertung, Wiederverarbeitung – also Recycling – sowie Umorientierung und Diversifizierung. Inger Andersen, Exekutivdirektorin der UNEP, sagt: „Die Art und Weise, wie wir Kunststoffe produzieren, verwenden und entsorgen, verschmutzt Ökosysteme, schafft Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier und destabilisiert das Klima.“

Die Umweltvereinigung der Vereinten Nationen (UNEA) hat dementsprechend Verhandlungen für ein rechtsverbindliches globales Plastikabkommen initiiert. Bis 2024 soll eine entsprechende Konvention erarbeitet werden.

Plastik aus der Landschaft wird geschreddert, gewaschen, eingeschmolzen und zu Granulat verarbeitet

Kunststoffe befinden sich nicht nur in den Meeren, sondern auch in Seen und Flüssen, im Boden und in der Landschaft – Plastikbeutel, Folien, Netze, alte Smartphone-Hüllen, Flaschen und vieles mehr. Unter anderem, weil Menschen sie gedankenlos wegwerfen oder schlichtweg, weil sie kein Müllsystem haben. Aber auch, weil andere Menschen Kunststoffe in großen Mengen in Verkehr bringen.

Sie aus der Umwelt herauszuholen und wiederzuverwerten, ist aufwändig und teuer. Obwohl die wirtschaftliche Lage der Recycling-Branche schwierig ist, gehen einige Unternehmen diesen Weg. So verwendet das portugiesische Unternehmen Zouri Plastik, das das Meer an den Stränden des Landes angespült hat, für Schuhsohlen. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, denn Mode aus Ocean Plastic liegt im Trend.

Nicht aus dem Meer, sondern aus der Landschaft wird Plastik für spätere Müllbeutel geholt. Das Unternehmen Wildplastic zählt auf seiner Internetseite (in einem gelben Banner), wie viel Kilogramm wildes Plastik es zurück in den Kreislauf gebracht hat. Dabei sammeln Menschen in Ländern ohne ausreichende Abfallsysteme wie Haiti und Nigeria Plastik ein, das nach Portugal verschifft wird. Dort wird es geschreddert, gewaschen, eingeschmolzen und zu Granulat verarbeitet. In Deutschland schließlich entstehen daraus Müllbeutel und Versandtaschen. Nach Angaben des Unternehmens spart das Vorgehen 70 Prozent CO2.

Fragen und Fakten

  • Wie viel Kunststoff ist bereits in die Umwelt gelangt?
    Das ist nicht klar. Allein für die Weltmeere schwanken die Schätzungen laut Umweltbundesamt zwischen 1,1 bis 4,9 Millionen Tonnen Kunststoff, die im Wasser treiben. Nicht erfasst sind unter anderem Müll an Stränden, am Meeresboden und im Polareis. Für die Böden an Land geht man nochmal von mehr aus.
  • Welche neuen Ansätze gibt es in der Forschung rund um Kunststoffe?
    Forscher suchen nach Wegen, Plastik aus der Natur herauszuhalten. Ein Ansatz sind Kunststoffe, die Mikroorganismen als Nahrung dienen. Landwirte könnten beispielsweise Folien aus solchem Material bedenkenlos unterpflügen, wenn es gelingt, dass Mikroben diese zu hundert Prozent verdauen.
  • Was tun Unternehmen, um Kunststoff einzusparen?
    Den Ansatz des Wiederverwendens verfolgt beispielsweise Sonett, der Hersteller von ökologischen Wasch- und Reinigungsmitteln. Kundinnen und Kunden füllen im Laden die Produkte aus großen Kanistern in kleine Transportgefäße. Die Kanister gehen zurück an das Unternehmen, das sie reinigt und erneut befüllt.

Wiederverwertung als Lebensmittelverpackung? Da hat es die Naturkostbranche schwer

Die Naturkostbranche hingegen hat es schwer, erklärt Carola Edelmann von Alnatura: „Eine Wiederverwertung als Lebensmittelprimärverpackung ist nur zulässig, wenn das Material nicht in der Natur gesammelt, sondern in einem geschlossenen Kreislauf geführt wird.“ Bei PET-Flaschen mit Einwegpfand ist das zum Beispiel der Fall, wenn die Konsumenten diese in die Läden zurückbringen. Für PET-Flaschen aus dem Meer gilt das nicht.

Ralf Bertling, Umweltingenieur beim Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, nennt eine zusätzliche Herausforderung: „Die Qualität der Kunststoffe, die aus der Natur stammen, ist deutlich schlechter als die der Kunststoffe aus Pfandsystemen.“ Oft seien Kunststoffe aus Gewässern und Böden stark verunreinigt, manchmal sogar bewachsen mit Algen, Muscheln oder Biofilmen. Dann sei der benötigte Aufwand für ein hochwertiges Recycling oft unverhältnismäßig.

Urlauber können der Forschung helfen

Urlauber können jetzt der Forschung helfen, indem sie in den Ferien Plastik am Strand sammeln und an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) schicken. Im Rahmen des Projekts Ocean Plastic will eine Forschungsgruppe um die Professorin Andrea Büttner vom Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung der FAU herausfinden, wie sich Kunststoffe durch Meerwasser verändern. Unter anderem, ob es möglicherweise Unterschiede je nach Fundort des Plastikmülls gibt.

Derzeit bedroht zusätzlich ein wirtschaftlicher Faktor das Recycling: der Preisverfall für Neuware, also Kunststoffe aus fossilen und anderen Rohstoffen. Darauf weist Dirk Textor, Vorsitzender des BVSE-Fachverbands Kunststoffrecycling, hin. Allein in Deutschland hätten dieses Jahr bereits mehrere Recycling-Werke dicht gemacht. „Die Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie setzen auf billige Neuware mit großem CO2-Rucksack und pfeifen auf die klimafreundlichen Recyclate“, klagt Textor.

Plastik einsammeln und wiederverwenden ist gut, besser ist, es gar nicht erst in den Kreislauf zu bringen. Wichtig dafür ist, dass allen Akteuren bewusst ist, dass schnell gehandelt werden muss. Amelie Kaupa fasst es so zusammen: „Bei einem Einfach-weiter-so sehe ich schwarz für meine Zukunft.“

„Verteuerung alleine reicht nicht aus“

Der Biologe, Wirtschaftswissenschaftler, und Umweltethiker Dr. Stefan Einsiedel von der Hochschule für Philosophie in München über ethische Herausforderungen des Plastikkonsums.

Tragen Verbraucher und Verbraucherinnen die alleinige Verantwortung dafür, wieviel Plastikmüll sie durch ihre Einkäufe erzeugen?
Früher ging es fast ausschließlich darum, die Hauptschuldigen für einen bereits eingetretenen Schaden zu benennen. Heutzutage muss es viel öfter darum gehen, vorausblickend festzustellen, wer dafür Verantwortung übernehmen sollte und könnte, dass ein Schaden gar nicht erst eintritt. Der Begriff „alleinige Verantwortung“ führt in einer komplexen Welt meist nicht weiter: Jeder, der dazu beitragen kann, dass weniger Plastikmüll erzeugt wird, hat Mitverantwortung. Diese Mitverantwortung tragen alle, die Plastik herstellen, es im Handel weitergeben oder als Endkunden erwerben – nicht zu vergessen die Politik, die durch staatliche Regulierung einiges verändern könnte.

Haben Unternehmen eine moralische Verantwortung, Kunststoff, der in die Umwelt gelangt, dort wieder herauszunehmen und dem Wertstoff-Kreislauf hinzuzuführen?
Sie haben definitiv eine klare Mitverantwortung, den Schaden durch Plastikmüll zu minimieren. Besonders groß ist die Verantwortung, wenn man durch die Verwendung von Kunststoff besonders profitiert hat. Die Umweltethik redet hier von der „Externalisierung von Kosten“: Ich verwende Plastik und wälze die Folgekosten (für sachgemäße Entsorgung oder Recycling) auf die Allgemeinheit oder die Natur ab. Hier ist der Staat gefordert: Er kann überflüssige Verpackungen verbieten, kann sie verteuern und mit den Einnahmen die Entsorgung verbessern – und er könnte durch entsprechende Gesetze dazu beitragen, dass einzelne Unternehmen, die wesentlich zu diesen Müllbergen beitragen, dafür in Regress genommen werden können. Besonders groß ist der Handlungsbedarf beim sogenannten „Pazifischen Müllstrudel“, der mehr als viermal so groß wie Deutschland ist und vor allem von Plastikabfällen von fünf großen Fischerei-Nationen stammt. So etwas muss staatlich gelöst werden, aber Wissenschaftler:innen und Verbraucher:innen müssen den Druck auf die Politik erhöhen.

Wie sind die Kosten auf die beteiligten Gruppen zu verteilen?
Es ist sinnvoll und entspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden, wenn sich die Kostenverteilung an der Menge des zu entsorgenden Plastiks orientiert. Dabei ist es meines Erachtens durchaus zulässig, wenn Kosten weitergegeben werden: Wir könnten also beispielsweise die Herstellung von Plastik verteuern und würden wissen, dass die Hersteller einen Teil der Kosten an die Kunden weitergeben; trotzdem sorgen die gestiegenen Kosten in der gesamten Verantwortungskette für Veränderungsdruck und machen Alternativen billiger. Wir wissen aber auch, dass Verteuerung allein oft nicht ausreicht. Es braucht einen Bewusstseinswandel. Es muss gesellschaftlich anerkannt sein, Müll zu sparen. So wie es mittlerweile „unsexy“ ist, Pelzmäntel zu tragen, muss auch die allgegenwärtige Verwendung von Plastik immer stärker hinterfragt werden.

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