„Historisch schwieriges Jahr“, „Rückgänge, die wir in der Dimension noch nicht gemessen haben“, „deutlich nachlassende Bedeutung des Fachhandels“: Die Zahlen zur Entwicklung des Bio-Fachhandels 2022, die Unternehmensberater Klaus Braun und Marktanalyst Fabian Ganz der erfolgsverwöhnten Branche auf der Biofach präsentierten, waren ernüchternd.
Während der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln im klassischen LEH im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent zulegte, sank er im Bio-Fachhandel um 12,3 Prozent im Vergleich zu 2021. „Damit ist der Entwicklungsschub aus der Corona-Phase im vergangenen Jahr komplett abgetragen worden“, sagte Klaus Braun. Die Konsequenz: Der Bio-Umsatz im gesamten Handel sank um 3,5 Prozent.
Vergleicht man die Entwicklungen von Groß- und Einzelhandel, zeigt sich, dass sie stark parallel liefen, aber nicht identisch waren: Da der Fach-Großhandel in den letzten zwei Jahren verstärkt weitere Abnehmer suchte, verzeichnete er mit einem Minus von 8,9 Prozent geringere Rückgänge als der Einzelhandel. „Insgesamt hat die Bedeutung des Naturost-Fachhandels für die Vermarktung von Bio-Lebensmitteln im vergangenen Jahr deutlich nachgelassen“, bilanziert Klaus Braun.
Eine Konsequenz der rückläufigen Umsatzentwicklung waren Geschäftsaufgaben. Im Jahr 2022 schlossen 93 Bio-Fachgeschäfte und damit deutlich mehr als in den beiden Vorjahren. Unter ihnen waren auch solche, die aufgrund der gestiegenen Kosten und geschrumpften Nachfrage wirtschaftlich nicht mehr tragbar waren. (Mehr dazu lesen Sie in der Ladenstatistik 2022)
Massive Rückgänge durch Krieg und Preissprünge
Im Vergleich zu 2021 war 2022 „beileibe kein gutes Jahr für den Bio-Fachhandel“, bestätigte auch Fabian Ganz von bioVista, der Marktentwicklungen und Sortimentstrends des vergangenen Jahres vorstellte. Wie eine Analyse der Bon-Daten der 260 am bioVista-Panel teilnehmenden Bio-Fachgeschäfte ergab, mussten die Läden 2022 in allen Monaten Umsatzrückgänge hinnehmen. Im März, April und Mai waren die Rückgänge besonders stark.
Als wesentliche Gründe dafür nannte Marktforscher Fabian Ganz das Ende der Corona-Maßnahmen und den Krieg in der Ukraine mit damit einhergehenden Preissprüngen insbesondere auch bei Lebensmitteln. In der Folge hätten sich viele Kunden gezwungen gesehen zu sparen. Dass sie weniger häufig im Bio-Fachhandel eingekauft hätten, hänge Fabian Ganz zufolge auch damit zusammen, dass die Naturkostläden als teurer wahrgenommen würden – obgleich die Preissteigerungen bei Bio im vergangenen Jahr mitunter deutlich unter denen für konventionelle Lebensmittel lagen und Bioläden bei nicht wenigen Produkten preislich unter dem konventionellen Handel lagen. Zudem hätten die Kunden laut Fabian Ganz zu preisgünstigeren Artikeln wie etwa Handelsmarken gegriffen, Stichwort Trading down. „Zwei Faktoren, die außerhalb des Bio-Fachhandels lagen, die aber zu massiven Rückgängen geführt haben, was wir so vorher in der Dimension noch nicht gemessen haben“, so der Marktforscher.
Bonzahl signifikant niedriger
Insgesamt zeigt die Auswertung, dass 2022 sowohl der Bonwert gesunken ist, als auch die Anzahl der Kunden und verkauften Artikel zurückgegangen ist. Fabian Ganz zufolge spielte hier die Inflation eine Rolle, er vermutet aber auch, dass Wechselkunden oder Spontaneinkäufer dem Bio-Fachhandel ferngeblieben sind. „Wenn etwas von Corona geblieben ist, dann das deutlich planvollere Einkaufen, das One-Stop-Shopping“, so Ganz. Und: „Die Anzahl der Bons ist zurzeit signifikant niedriger als vor Corona und einer der Hauptgründe dafür, weswegen wir im Bio-Fachhandel diesen massiven Umsatzrückgang haben.“
Trotz der negativen Entwicklung gibt es aber auch Marken, die im vergangenen Jahr einen starken Umsatz-Zuwachs im Bio-Fachhandel erzielen konnten. Top-Aufsteiger 2022 war Agava. Das Unternehmen konnte mit seinen Backzutaten, Süßungsmitteln, Vanille und Honig den Jahresumsatz bei den Händlern um 64 Prozent steigern.
Bei den Top-Marken behauptete Rapunzel seine Stellung als Branchenprimus. Rang zwei und drei nahmen Dennree und Bioladen/Weiling mit ihren Eigenmarken ein, die ihre Umsatzanteile sogar leicht ausbauen konnten, was Fabian Ganz zufolge damit zu tun hat, dass Kunden vermehrt eher preisgünstige Produkte kauften. Ähnliches dürfte für die beiden Aufsteigermarken Steinofenbäcker (plus 56 Prozent) und Schedel (plus 34 Prozent) gelten: „Die Kunden griffen hier vermutlich zu, weil die Produkte ein bisschen günstiger sind als entsprechende Frischware“, vermutet Analyst Ganz.
Am Beispiel der Marktverteilung im Trockensortiment zeigt sich, dass Marken wie Rapunzel, Lebensbaum oder Bio Planète im vergangenen Jahr deutlich stärker verloren haben als die Marken der Großhändler wie Dennree und Bioladen. Letztere verzeichneten lediglich einen unterdurchschnittlichen Rückgang. Handelsmarken der Einzelhändler legten im vergangenen Jahr sogar um 7,4 Prozent zu. Laut Fabian Ganz „ein deutliches Indiz, dass Kunden derzeit Herstellermarken durch Handelsmarken substituieren.“
Rohertrag stabil, Kosten steigen
Angesichts des veränderten Kaufverhaltens vieler Kunden, die auch im Naturkostfachhandel verstärkt zu Handelsmarken, Produkten im unteren Preisbereich und Aktionsartikeln greifen, ist es Klaus Braun zufolge eine „respektable unternehmerische Leistung“, dass die Handelsspanne mit 34 Prozent ähnlich hoch lag wie im Vorjahr. Deutlich gestiegen sei allerdings der Anteil der Gesamtkosten am Umsatz: Lag er 2021 bei 27,9 Prozent, kletterte er im vergangenen Jahr auf 32 Prozent, so Braun
Der größte Posten, die Personalkosten, nahmen umsatzanteilig um zweieinhalb Prozentpunkte auf 19,6 Prozent zu – mehr als die Hälfte des Rohertrags (34 Prozent). Dennoch macht es Klaus Braun zufolge Sinn, am Personal festzuhalten: „Ich denke, wenn die Verantwortlichen im Naturkost-Fachhandel die Priorität 1a für ihre Mitarbeiter aus Kostengründen verlieren, dann ist der Bio-Fachhandel in seinem Kern tendenziell überflüssig.“
Neben den gestiegenen Personalkosten wuchsen auch die Ausgaben für Energie und den Mietnebenkosten, wenn auch deutlich geringer. Insgesamt stieg der Raumkostenanteil um ein Prozent auf 5,1 Prozent.
Angesichts sinkender Umsätze und steigender Kosten fiel der durchschnittliche Erlös, der den Unternehmern unter dem Strich blieb, von 65.000 Euro im Jahr 2021 auf 20.000 Euro in 2022. „Das geht ein Jahr, aber das geht keine zwei Jahre und schon gar keine drei oder vier“, ist Unternehmensberater Braun sicher.
Eindringlich appellierte er deshalb an die Händler, jeden einzelnen Artikel genau zu kalkulieren. „Das ist eine zwingend notwendige Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine Chance besteht, wirtschaftlich zu überleben“, so Braun.
Etwas Hoffnung machten ihm zufolge die ersten Zahlen, die zum Januar 2023 berichtet wurden: Zwar verzeichneten die Unternehmen immer noch Umsatzrückgänge, aber im unteren bis mittleren einstelligen Bereich. „Wenn es dabei das Jahr über bleiben würde, dann könnten fast alle inhabergeführten Betriebe damit umgehen“, so die Einschätzung von Klaus Braun.
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