Im Mai 2021 hatte der Bundestag ein Verbot des Kükentötens in das Tierschutzgesetz aufgenommen. Seit Anfang 2022 dürfen Brütereien die Brüder der Legehennen nicht mehr gleich nach dem Schlüpfen töten. Entweder sie werden als Bruderhähne aufgezogen und gemästet. Oder aber die Brüterei bestimmt das Geschlecht der Tiere vorab und sortiert die Eier aus. Dazu heißt es bisher im Gesetz: „Ab dem siebten Bebrütungstag ist es verboten, bei oder nach der Anwendung eines Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei, einen Eingriff an einem Hühnerei vorzunehmen, der den Tod des Hühnerembryos verursacht.“
Grundlage für diesen Passus, der laut Tierschutzgesetz am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll, war der zum damaligen Zeitpunkt wissenschaftliche Erkenntnisstand, wonach der Hühnerembryo vor dem siebten Bebrütungstag noch nicht in der Lage sei, Schmerzen zu empfinden. „Ab dem siebten Bebrütungstag ist die beginnende Entwicklung des Schmerzempfindens nicht auszuschließen“, wie das BMEL seinerzeit mitteilte.
In einem am Montag vorgelegten Bericht revidiert das Ministerium mit dem Verweis auf eine selbst in Auftrag gegebene Studie nun seine Annahme:
„Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen setzt das Schmerzempfinden bei Hühnerembryonen nicht vor dem 13. Bebrütungstag ein – und damit deutlich später als bislang angenommen“. Damit gebe es „keine wissenschaftliche Grundlage, um das Tierschutzgesetz in seiner jetzigen Form zu belassen“.
Von der Studie selbst gibt es bisher nur ein Poster, der Abschlussbericht solle bis Ende März 2023 erstellt sein und werde „nach formaler Prüfung seitens des Projektträgers und des BMEL veröffentlicht“, heißt es im Bericht des Ministeriums. Erstellt wurde die Studie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München unter der Leitung von Tiermedizinerin Professorin Christine Baumgartner.
Die aktuellen Studienergebnisse dürften dem BMEL nicht ungelegen kommen. Denn auf absehbare Zeit werde es den Brütereien nicht gelingen, das Geschlecht eines Kükens im Ei vor dem siebten Bebrütungstag zu bestimmen, wie das Ministerium in seinem Bericht vermerkte. Die derzeit üblichen Verfahren der Geschlechtsbestimmung im Ei funktionieren erst ab dem neunten Tag – wären also ab 2024 nicht mehr erlaubt. „Der neue wissenschaftliche Erkenntnisstand erfordert folglich eine Änderung des Tierschutzgesetzes hinsichtlich der Geschlechtsbestimmung im Hühner-Ei, um Rechtssicherheit zu schaffen“, teilte das BMEL mit.
Tierschutzbund: BMEL handelt „vorschnell und verantwortungslos!“
Kritik kommt vom Tierschutzrechtlern: Die Studie sei nicht bewertbar, da sie noch gar nicht publiziert sei, sagte Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes im Gespräch mit BioHandel. „Das Vorgehen des BMEL, nämlich Empfehlungen für eine weitreichende Entscheidung im Rahmen einer geplanten Tierschutz-Gesetzesänderung aufgrund einer einzigen unveröffentlichten Studie zu treffen, entspricht nicht der guten wissenschaftlichen Praxis, ist vorschnell und verantwortungslos!“
Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder analysierte: „Cem Özdemir tappt jetzt in die Falle, die ihm seine Vorgängerin mit einem unzureichenden Gesetzentwurf gestellt hat. Julia Klöckner hat nie die Systemfrage gestellt, sondern wollte lediglich eine technische Lösung, um das tierschutzfeindliche System der Hochleistungseierproduktion zu erhalten“.
Schröder empfahl Özdemir deshalb, „dem Bundestag rasch einen Gesetzentwurf vor(zu)legen, der die Problematik des Kükentötens an ihrer Wurzel packt, statt nur die Symptome des Systems einer einseitig spezialisierten Hochleistungszucht zu behandeln“. Die Umstellung auf sogenannte Zweinutzungshühner müsse angestrebt und gefördert werden. „Alle anderen Alternativen stellen den wirtschaftlichen Nutzen über den Tierschutz und verstoßen somit gegen das im Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz“, sagte Schröder.
Bruderhahn vs. Zweitnutzungshuhn
Das Bruderhahn-Verfahren ist eine Methode in der Geflügelwirtschaft, bei der männliche Küken von Legehennenrassen nicht direkt nach dem Schlüpfen getötet werden, sondern aufgezogen und später geschlachtet werden. Dadurch kann ein wichtiger Beitrag zum Tierschutz geleistet werden. Weil die zusätzliche Aufzucht und Pflege der Bruderhähne, die weniger Fleisch abwerfen als speziell gezüchtete Tiere, höhere Kosten verursacht, sind die Preise für Eier und Fleisch aus solchen Betrieben oft ebenfalls höher.
Das Zweinutzungshuhn ist eine speziell gezüchtete Hühnerrasse, die sowohl für die Eierproduktion als auch für die Fleischproduktion eingesetzt wird. Weil diese Tiere für zwei Zwecke genutzt werden können, benötigt man insgesamt weniger davon. Das macht dieses Verfahren im Vergleich zur konventionellen Hühnerhaltung effizienter. Ein Nachteil des Zweitnutzungshuhns ist, dass die Tiere langsamer wachsen und weniger Eier legen als speziell gezüchtete Eier- oder Fleischhühner. Das kann zu höheren Produktionskosten führen.
Bio-Betriebe sind von der aktuellen Gesetzesdiskussion nicht direkt betroffen, da Bio-Brütereien die Geschlechtsbestimmung im Ei nicht praktizieren. Indirekt aber betrifft eine mögliche Gesetzesänderungen auch sie: Nämlich dann, wenn mit Hilfe der Geschlechtsbestimmung im Ei die konventionelle Hochleistungseierproduktion unverändert fortgesetzt würde.
Bio-Betriebe haben Alternativen zum Kükentöten entwickelt. Sie ziehen zum einen die Bruderhähne mit auf und schlachten sie nach drei bis sechs Monaten. Einige Betriebe sind inzwischen auch dazu übergegangen, Zweinutzungshühner zu halten. Die Ökologische Tierzucht gGmbH züchtet solche Tiere. Unterstützt wird sie dabei vom Naturkostfachhandel mit der 1 Cent-Kampagne, bei der pro verkauftem Bio-Ei ein Cent an die ÖTZ geht.
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