Frau Nickel, was verstehen Sie unter Gerechtigkeit in der Biobranche?
Impulse für den Ökolandbau waren von Beginn an, die Auswirkungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern zu verringern. Ein weiterer wichtiger Impuls war eine andere Form des Handels zu ermöglichen. Schon lange zeichnet sich ab, dass die Wertschöpfung innerhalb der Kette ungerecht verteilt ist. Ungerecht bedeutet dabei für mich, dass die prozentualen Gewinne innerhalb der Wertschöpfungsketten maßgeblich auseinander gehen. Oft liegt der kleinste Gewinn in der Landwirtschaft, während die Gewinne im vorgelagerten oder im nachgelagerten Bereich deutlich größer sind. Gerechtigkeit bedeutet für mich also eine faire Verteilung der Gewinnmargen auf Produktebene und bei der Verteilung der Löhne.
Wo sehen Sie Brennpunkte innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette?
Der größte Brennpunkt innerhalb der Wertschöpfungskette – das betrifft auch die konventionelle Wertschöpfungskette – ist die Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels. Nur wenige Akteure machen bekanntlich fast den gesamten Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland aus. Diese Konzentration zeichnet sich zunehmend auch in der Biobranche und im Naturkostfachhandel ab.
Was sind die größten Herausforderungen auf Ihrer Stufe der Wertschöpfungskette?
Darin sehe ich auch die größte Herausforderung. Es sollte kein Machtgefälle innerhalb der Wertschöpfungskette entstehen. Egal auf welcher Stufe. Es sollte verhindert werden, dass Akteure in der Position sind, ihre Macht auszuspielen. Würden die Landwirte in der Machtposition sein und ungerechtfertigte Preise für ihre Produkte fordern, wäre auch das nicht fair.
Was wären konkrete Lösungsansätze/-vorschläge?
Wichtig ist es, den Handel und damit die Verbraucher zu erreichen. Bei der Direktvermarktung gelingt dies natürlich am besten. Eine Möglichkeit wäre, den konventionellen Handel einzubeziehen. Dieser war ohnehin schon im Biobereich aktiv, auch bevor die verschiedenen Verbände Kooperationen mit diesem eingegangen sind. Die Kooperationen der Verbände mit dem Lebensmitteleinzelhandel könnten der Gerechtigkeit dienen. Die Verbände beziehungsweise ihre Landwirte haben die Möglichkeit sich zu organisieren, Produkte zu bündeln oder durch die Kooperation mit Verarbeitern verarbeitete Produkte anzubieten.
Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Lösungsansätze: Kooperation und gleichzeitig Kollaboration. Eine Form ist der Zusammenschluss von Landwirten, beispielsweise in einer Erzeugergemeinschaft. Die nächste Stufe ist dann der Zusammenschluss von Erzeugergemeinschaften. Die Erzeugergemeinschaften sind von Landwirten gegründet, durch ihren Zusammenschluss ist es möglich, auch den Großen im Lebensmitteleinzelhandel auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Gemeinsam können dann Handlungsrichtlinien vereinbart werden. Wichtig ist, gleichzeitig Verarbeiter und die Logistik mit ins Boot zu holen. Denn in der Wertschöpfungskette braucht jeder jeden.
Wie kann die Ökobranche eine Vorreiterrolle für andere Wirtschaftsformen einnehmen?
Klar kann die Ökobranche eine Vorreiterrolle einnehmen. Dennoch sind andere Wirtschaftsformen ebenso betroffen; man muss das als großes Ganzes sehen. Auch im konventionellen Bereich gibt es und gab es früher mehr Erzeugergemeinschaften und Genossenschaften. Doch hat sich deren Führung scheinbar verselbstständigt. Dies gilt es im Biobereich zu verhindern. Vielleicht kann man das auch auf andere Wirtschaftsformen übertragen. Wichtig ist die Basisorientierung.
Was ist der wichtigste Hebel, um etwas zu verändern? Muss alles gesetzlich geregelt werden (z.B. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) oder welche anderen Wege sollten beschritten werden?
Ja, ein gesetzlicher Rahmen ist wichtig. Leitlinien und Prinzipien sind gut und schön. Die Frage ist nur, wie gut diese gelebt werden und das hängt auch wieder von der Machtverteilung ab. Der Kapitalismus macht auch nicht vor der Biobranche Halt. Zumindest nicht vor dem Handel. Und es gilt das Prinzip: „Wer beißt die Hand, die ihn füttert.“
Wenn ein Landwirt oder anderer Produzent beispielsweise drei Kunden hat, von denen einer sich nicht an die Prinzipien hält, wird er diesen Kunden dennoch weiter beliefern. Denn er macht ein Drittel seines Umsatzes aus. Hat man zehn Kunden, sieht das ganze schon wieder anders aus. Diese Prinzipien kann man auf jede Stufe der Wertschöpfung übertragen und es gilt auch umgekehrt. Daher ist zusätzlich auch ein gesetzlicher Rahmen notwendig.
Wo sehen Sie Möglichkeiten selbst (privat und beruflich) zur Gerechtigkeit im Ökolandbau beizutragen?
Um dazu beizutragen, arbeite ich in einer Erzeugergemeinschaft. Die Erzeugergemeinschaft ist ein bäuerliches Unternehmen und natürlich möchte ich unsere Werte auch jedem neu Hinzugekommenen und den umstellenden Betrieben mitgeben. Mir ist es auch wichtig, die Werte an meine neuen Kollegen zu übermitteln. Strategisches und operatives Ziel ist die Solidarität auf jeder Stufe und auch zwischen den Stufen. Genau das gebe ich weiter. Es ist natürlich besonders wichtig, die Handelspartner mitzunehmen und Fairness und Gerechtigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette vorzuleben.
Hintergrund zur Interviewreihe
Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts des 17. Traineeprogramms Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft setzt sich ein fünfköpfiges Team (Raphael Pierro, Carla Proetzel, Cathrin Bardenheuer, Laura Kehl und Katharina Tietz) mit dem Thema Gerechtigkeit in der Biobranche auseinander. Hintergrund ist das starke und schnelle Wachstum der Biobranche in den vergangenen Jahren – von einer Nische hin zu einem beachtlichen Wirtschaftssektor. Findet sich der Ursprungsgedanke der Gerechtigkeit, wie in den IFOAM-Prinzipien verankert, trotz des Wandels in der Branche wieder? Um verschiedene Perspektiven und den nötigen Handlungsbedarf aufzuzeigen sowie konstruktive Lösungsvorschläge zu erarbeiten, hat das Trainee-Teams einige Akteure und Akteurinnen aus den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette befragt.
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