Am 19. Februar 2025 hat der EU-Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Christophe Hansen eine „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ als Initiative der EU-Kommission vorgestellt. Laut einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission zielt die Vision darauf ab, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Agrar- und Lebensmittelsektors der EU sicherzustellen. Die Vision beinhaltet die verschiedenen Maßnahmen in den vier Schwerpunktbereichen Attraktivität, Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit, Zukunftssicherheit und faire Lebens- und Arbeitsbedingungen in ländlichen Gebieten.
Nach Angaben der Kommission sind die weitere Vereinfachung der EU-Politik sowie die verstärkte Einführung von Innovation und Digitalisierung Voraussetzungen für alle in der Vision dargelegten Maßnahmen. Das EU-Organ kündigte an, noch in diesem Jahr ein umfassendes Vereinfachungspaket für den derzeitigen Rechtsrahmen sowie eine EU-Digitalstrategie für die Landwirtschaft vorschlagen, um damit den Übergang zur digitalfähigen Landwirtschaft zu unterstützen.
Einfachere GAP mit stärkerem Fokus auf Unterstützung der Landwirte
Die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) soll als Teil des anstehenden Vorschlags zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) einfacher und gezielter gestaltet werden, erklärt die Kommission. Die Unterstützung soll dabei stärker auf Landwirtinnen und Landwirte ausgerichtet sein – mit Fokus auf Junglandwirtinnen und -landwirten sowie Landwirtinnen und Landwirten in Gebieten mit naturbedingten Benachteiligungen. Erklärtes Ziel der Kommission ist es dabei auch, eher Anreize zu schaffen, statt Bedingungen zu stellen.
„Der Fahrplan, den wir heute vorstellen, zeigt den Weg auf, um den vielen Belastungen zu begegnen, denen die Landwirte in der EU ausgesetzt sind“, kommentiert EU-Kommissar Hansen. Die Vision werde den Sektor nachhaltiger machen und dazu beitragen, dass genügend junge Menschen in den Beruf eintreten. Sie werde es der Landwirtschaft außerdem ermöglichen, so Hansen, „weiterhin in vollem Umfang an den Bemühungen der EU zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels mitzuwirken“.
Zu der vorgeschlagenen Vision für Europas Agrarpolitik bis 2040 haben sich verschiedene Organisationen und Verbände aus der Lebensmittelwirtschaft mit Lob, aber auch einigen Kritikpunkten zu Wort gemeldet.
BÖLW: Bio-Betriebe müssen stärker in den Fokus rücken
„Es ist gut, dass die EU-Kommission betont, dass Bio für junge Bäuerinnen und Bauern besonders attraktiv ist. Wir erwarten, dass daraus Fördermechanismen entstehen, die Bio-Betrieben echte Planungssicherheit geben“, kommentiert Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des BÖLW, den Kommissionsvorschlag.
Andres zufolge müsse Hansen konkretisieren, wie er das 25-Prozent-Bio der EU mit seinem Fahrplan erreichen will. Sie fordert, dass diejenigen, deren Arbeit dem Gemeinwohl dient, auch honoriert werden sollten. Der Öko-Landbau spare der öffentlichen Hand allein beim Schutz des Trinkwassers Milliarden. „Diese Ökosystemleistung bezahlen Bio-Betriebe und Bio-Konsumentinnen“, so die BÖLW- Vorstandsvorsitzende.
Der BÖLW moniert darüber hinaus, dass „die Vision einen Drall zu Gentechnik auf den Tellern“ habe. Tatsächlich beschreibt die Kommission unter anderem Methoden der Neuen Gentechnik (NGT) als „Schlüssel zur Beschleunigung der Entwicklung widerstandsfähiger, ressourcenschonender, nährstoffreicher und ertragreicher Sorten, die einen Beitrag zur Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität der EU leisten“.
„Das ist eine Hürde für Ernährungssouveränität, denn es führt Bäuerinnen und Bauern in neue Abhängigkeiten“, widerspricht Andres. Wer eine zukunftsfähige Landwirtschaft will, müsse Bio-Betriebe stärker in den Fokus rücken. „Es kommt auf den Mut zu echter Transformation an.“
Bioland: Festhalten an Direktzahlungen birgt die Gefahr, dass Fehlanreize bestehen bleiben
„Die von Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen vorgestellte agrarpolitische Vision für 2040 enthält wichtige Impulse“, sagt Bioland-Präsident Jan Plagge. Dringend angegangen sollten dabei Plagge zufolge der Generationswechsel und die Förderung einer widerstandsfähigen, wettbewerbsfähigen Landwirtschaft. „Positiv ist auch der erkennbare Wille, die Agrarförderung zu vereinfachen und diejenigen Betriebe zu adressieren, die eine finanzielle Grundstützung am dringendsten benötigen“, so Plagge.
Dass Hansen jedoch weiter an Direktzahlungen festhält, berge laut Bioland die Gefahr, dass alte Fehlanreize bestehen bleiben. „Im Strategischen Dialog haben wir klar dafür plädiert, von den pauschalen Flächenzahlungen abzusehen“, erklärt der Verbandspräsident. Zudem reiche es nicht aus, Bio oder Agrarökologie als „attraktive Option“ für junge Landwirte zu erwähnen. „Was es braucht, sind zum einen konkrete Maßnahmen – und zum anderen eine langfristige Finanzierung über den Mehrjährigen Finanzrahmen“, fordert Plagge. Ohne eine ausreichende finanzielle Ausstattung könne die dringend notwendige Transformation der Landwirtschaft nicht gelingen.
Neben diesen Kritikpunkten lobt Plagge, dass die Vision anerkennt, dass es ohne gesunde Böden keine stabile Lebensmittelproduktion geben kann. Ebenso wie Tina Andres begrüßt der Bioland-Präsident die Wasserresilienzstrategie als entscheidenden Schritt zum Trinkwasserschutz. Die Ausrichtung der Vision hinsichtlich NGTs lehnt Bioland ebenfalls ab.
„Insgesamt ist die Vision ein Schritt in die richtige Richtung. Der bevorstehende Reformprozess bietet die Gelegenheit, die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen – aber nur, wenn die EU den Mut hat, die Transformation ihrer Agrarpolitik konsequent anzugehen“, so Plagge.
Foodwatch vermisst Verbraucherschutzmaßnahmen
Härter fällt die Kritik an der Kommissions-Vision seitens der Verbraucherorganisation Foodwatch aus. „Der neue EU-Agrarkommissar hält Verbraucherschutz offenbar für überflüssig. Ob stark gestiegene Lebensmittelpreise oder Essen, das krank macht – Christophe Hansen macht keinerlei brauchbare Vorschläge, wie er die Probleme, die Millionen Verbraucher:innen in Europa betreffen, angehen will“, bemängelt Anne Markwardt, Foodwatch-Kampagnenleiterin. „Wir brauchen eine europaweit verpflichtende Nährwertkennzeichnung und eine strengere Regulierung der Junkfood-Werbung an Kinder“, fordert Markwardt. Darüber finde sich in dem langen Papier zur Zukunft des Agrar- und Ernährungssystems jedoch kein Wort.
BMEL: Özdemir begrüßt Kommissionsvorschlag
In ihrer Vision verfolge die EU-Kommission Ansätze, die auch die Bundesregierung bereits in die Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2027 eingebracht habe, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
„Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz sind kein Entweder-oder. Es ist gut, dass die EU-Kommission in diesem Spannungsfeld einen tragfähigen Interessensausgleich schaffen will“, sagt Deutschlands Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. Nachhaltige Landwirtschaft beginne mit fairer Bezahlung und guten Markbedingungen. Dazu gehöre als Grundvoraussetzung für den Generationswechsel für Özdemir auch mehr Zeit auf dem Feld und im Stall als am Schreibtisch.
Zentral sei außerdem, „dass ökologische Leistungen sich lohnen – sie müssen direkt im Einkommen ankommen.“ Es werde darauf ankommen, einen fairen Ausgleich zwischen Landwirtschaft und Umwelt zu ermöglichen. „Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die Vision der EU-Kommission Vertrauensbildung und Dialog als Grundprinzipien verankert, wie sie auch im deutschen Vorbild – der Zukunftskommission Landwirtschaft – gelebt wurden“, sagt der Minister.
„Wir werden uns dafür einsetzen, die Vorschläge in der Vision in praxistaugliche Maßnahmen zu übersetzen, unseren Betrieben Verlässlichkeit und eine klare Perspektive zu geben und Wertschöpfung in ländlichen Regionen zu sichern.“ Ob Özdemir nach der Bundestagswahl in Deutschland am 23. Februar 2025 noch als Bundesminister an diesen Zielen wird arbeiten können, bleibt abzuwarten.
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