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Greenwashing oder Klimaschutz? Wie Bio mit dem Thema Nachhaltigkeitssiegel umgeht

Die EU will strengere Regeln für Produkt-Labels wie „klimaneutral“, weil die Kundschaft dadurch oft getäuscht wird. Was Brüssel genau plant, welches Label davon profitieren könnte und wie Nachhaltigkeits-Pioniere aus der Bio-Branche jetzt schon konkret CO2 reduzieren.

Es sind nur wenige Buchstaben, die Philip Luthardt aufregen: Aussagen wie „klimaneutral“ oder „klimapositiv“ sind es, die den Nachhaltigkeits-Chef der Bohlsener Mühle so ärgern. Kleine Labels, die auf den Verpackungen anderer Hersteller für etwas werben, was gut klingt, die die Kundschaft stark beeinflussen, die aber am Ende nicht wirklich halten, was sie versprechen.

Eine aktuelle Yougov-Umfrage im Auftrag der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch zeigt: Fast die Hälfte der Deutschen denkt, dass Unternehmen, die solche Labels nutzen, auch tatsächlich ihre Emissionen reduzieren. Ein Drittel der Befragten kauft bevorzugt Produkte mit solchen Labels.

Das Problem: Oft werden die CO2-Emissionen nur kompensiert – mit Hilfe von wenig nachhaltigen Projekten, die am Ende kaum die versprochenen Einsparungen einlösen. Klimaschädliche Produkte waschen sich so grün. Das System und die Probleme dahinter hat Foodwatch erst kürzlich in einem aufwendigen Bericht dokumentiert und fordert, die Werbe-Claims grundsätzlich zu verbieten.

Trotzdem nutzen noch immer viele Hersteller solche umstrittenen Slogans. Auch Bio-Unternehmen wie Hipp, das unter anderem seinen Babybrei mit Rindfleisch als klimapositiv bewirbt, weil es die entstandenen Emissionen kompensiert. „Absurd“ findet Foodwatch das: „Das ist genauso irreführend wie bei konventionellen Herstellern. Denn die bei der Produktion eines Lebensmittels entstandenen Emissionen werden dadurch nicht rückgängig gemacht.“

„Mit Kekse essen das Klima retten – das geht leider nicht so einfach.“

Philip Luthardt, Nachhaltigkeits-Chef bei der Bohlsener Mühle

Genau deshalb haben Luthardt und die Bohlsener Mühle entschieden: ohne uns! „Bis vor zwei Jahren haben wir in unserer Nachhaltigkeitsstrategie auch noch von „klimapositiv“ gesprochen. Dann aber beschlossen, dass solche Aussagen für uns unseriös sind. Mit Kekse essen das Klima retten – das geht leider nicht so einfach, wie ich mir das wünschen würde und es ein solcher Begriff suggeriert!“ Die Datenlage sei Luthardt zufolge zu unsicher, viele Kompensationsprojekte nicht wirklich transparent. „Wir wollten das Geld lieber in konkrete Reduktionsprojekte stecken, in unserer Produktionskette.“

Seitdem hat die Bohlsener Mühle etwas angestoßen, was auf viele Hersteller noch zukommen dürfte. Nicht zuletzt, weil die den schwammigen Klima-Sprüchen auf Produkten den Kampf angesagt hat. „Wir haben eine umfassende Klima-Bilanz aller Produkte erstellt – inklusive einer CO2-Analyse der Landwirte in der Produktionskette und des eigenen Standortes. Zusammen mit der Bioland-Stiftung haben wir so bei zehn Landwirtinnen und Landwirten konkrete Veränderungen erreicht. Modernere Maschinen, einen verbesserten Humus-Aufbau oder eine ökologischere Heckenbepflanzung“, so Luthardt.

Eine Dinkel-Spelzen-Heizung, angefeuert aus den nicht verwertbaren Resten des Dinkels, versorgt rund 80 Haushalte in Bohlsen, wo der Hauptsitz ist. So wurden bereits mehr als 800 Tonnen CO2 eingespart – durch den Austausch von Öl- oder Gasheizungen. Auf dem Dach produziert eine 750 kwp-Photovoltaik-Anlage einen großen Teil des benötigten Stroms, der Fuhrpark wird auf E-Autos umgestellt und fürs Team wurde eine Mitfahrer-App programmiert.

„Als nächstes wollen wir die Backöfen von Erdgas auf Biogas umstellen.“ Aber Luthardt weiß auch: Ein Großteil der CO2-Emissionen steckt in der Lieferkette. In der Fachsprache: der „Scope 3“ . Nämlich satte 17.000 Tonnen CO2. Hier sei es vor allem wichtig, im ersten Schritt Transparenz herzustellen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher mitzunehmen. „Bevor ein Produkt bei uns auf den Markt kommt, gibt`s einen CO2-Check“, sagt Luthard. Vorher geht’s nicht raus. Das machen wir alles selbst, ohne teure Agenturen.“ Online lässt sich bei jedem Produkt der CO2-Fußabdruck checken.

Nachhaltigkeits-Team im Unternehmen aufbauen

Das sei vielleicht die wichtigste Erkenntnis: sich selbst reinfuchsen, ein eigenes Nachhaltigkeits-Team inhouse dafür gründen, um Wissen aufzubauen und so auch eigene Einspar-Ideen zu entwickeln. Philip Luthardts Rat an andere Unternehmen: „Stellt Leute ein, die sich damit beschäftigen! Macht eine Klimabilanz! Sonst kommt ihr nicht mehr vor die Welle, sondern bezahlt Agenturen und reportet nur!“

Gute 550 Kilometer weiter südlich, im oberpfälzischen Neumarkt, hat man das auch erkannt. Schon lange. Silvia Wittl ist seit über zehn Jahren im Nachhaltigkeits-Bereich der Bio-Brauerei Neumarkter Lammsbräu tätig. Ein Team mit mittlerweile fünf Stellen im Haus. „Wir haben den Vorteil, dass die Chef-Etage diesen Weg zu 100 Prozent unterstützt und davon überzeugt ist!“

Dieser Weg heißt bei Lammsbräu marketingtauglich „Klimastrategie 2.0“ und bedeutet konkret, eine wissenschaftlich begleitete CO2-Bilanz und Einsparstrategie festgelegt zu haben. Geholfen haben dabei anfangs die Universität Augsburg und zuletzt die Universität Kassel. Dazu kommt der Beitritt zur Science Based Targets Initiative (SBTi), eine weltweite Initiative, die Unternehmen Richtlinien mitgibt auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft.

„Bis 2030 müssen wir 42 Prozent CO2-Emissionen einsparen im Vergleich zu 2020, um mitzuhelfen, das 1,5 Grad Ziel zu erreichen“, rechnet Wittl vor. Denn mit dem Beitritt zur SBTi hat sich Lammsbräu verpflichtet, im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu handeln. Geprüft wird anhand digital übermittelter Daten der Produktionsabläufe oder der Logistik.

Energieverbrauch ist die größte Hürde hin zu mehr Nachhaltigkeit

Die größten Brocken? „Der Energieverbrauch, allem voran die Prozesswärme. Das ist traditionell bei Brauereien ein Knackpunkt“, so Wittl. Durch die Modernisierung der Mälzerei konnten hier schon 20 Prozent Wärme eingespart werden, der Umstieg von Erdgas auf Energie aus Sonnenkraft soll weitere Potenziale schöpfen. Zudem wird der Fuhrpark auf E-Autos umgestellt. „Neben standortbezogenen prüfen wir auch weitere Maßnahmen. Beispielsweise haben wir im vergangenen Jahr die Dicke der Kronkorken reduziert, um im Bereich der Produkt-Verpackung ebenso CO2 zu sparen“, ergänzt Wittl.

Klar ist für Wittl aber auch: Jede Einsparung muss sich am Ende auch rechnen und darf die Qualität nicht schmälern. Manche Schritte wurden auch verworfen, weil sie im Vergleich zu dem, was an CO2-Äquivalenten eingespart worden wäre, unverhältnismäßig teuer waren. Und: Auch bei Lammsbräu ist die Lieferkette ein großer CO2-Posten.

Deshalb wurde eine Mitarbeiterin aus der Nachhaltigkeitsabteilung abgestellt, um den Kontakt mit den Landwirten zu pflegen und die nötigen Daten zu erheben. „Wir holen uns CO2-Primärdaten von unseren Landwirten aus der Region, um zu schauen, wo es CO2-Einspar-Potenziale gibt. Außerdem bringen wir die Landwirte zusammen. Die tauschen sich so auch untereinander aus und geben sich Tipps, was gut läuft und was man besser machen kann, um die Treibhausgase zu reduzieren.“

Stellt sich am Ende die Frage: Belohnen die Kunden diesen Einspar-Aufwand? Und welches Label schafft Klarheit, um die ernsthaften Bemühungen zum Beispiel von Neumarkter Lammsbräu und der Bohlsener Mühle auf dem Etikett sichtbar zu machen? Denn Fakt ist: Die umstrittenen „klimaneutral“-Labels dürften bald auf Druck der EU verschwinden. Die Kommission in Brüssel hat Ende März einen frischen Vorschlag zu „Green Claims“ serviert, um das ausufernde Geschäftsmodell zu regulieren.

EU will Klima-Aussagen künftig wissenschaftlich belegt haben

Die wichtigsten Punkte des 80-Seiten-Papiers: Unternehmen müssen künftig aufzeigen, ob sie Emissionen wirklich selbst reduzieren oder nur Zertifikate gekauft haben. Außerdem sollen sie sich darauf fokussieren „Emissionen bei sich selbst und in der Wertschöpfungskette zu reduzieren“. Und die Kompensations-Projekte müssen Sinn machen und wirklich CO2 einsparen.

Außerdem neu: Die Klima-Aussagen müssen wissenschaftlich belegt werden. Denn bisher waren laut einer EU-Studie fast die Hälfte aller Claims völlig ohne Grundlage. Die neue Direktive gebe all jenen einen Wettbewerbsvorteil, die „ernsthaft umweltfreundliche Produkte entwickeln“, so die Kommission.

Von den europäischen Grünen kommt leichte Zustimmung, aber auch Kritik. „Zu begrüßen ist, dass allgemeine Umweltaussagen nach dem Entwurf nicht mehr so wie bisher zulässig sein sollen, wenn keine hervorragende Umweltleistung nachgewiesen wird“, erklärt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Partei. So können irreführende Aussagen wie „biologisch abbaubar“ von Verpackungen verschwinden“.

Aber Häusling hat auch Bedenken: „Fraglich bleibt, ob gerade bei klimarelevanten Kompensationsmaßnahmen wirklich recherchiert wird, ob ein Klimaausgleich auch wirklich positiv auf die Umwelt wirkt. Zwar möchte die Kommission die Lebensmittelunternehmen verpflichten, Behauptungen wie „kohlenstoffneutral“ zu rechtfertigen, aber auch künftig würde man nicht vor einem „Greenwashing“ von Waren geschützt. Denn bei der Lebensmittelerzeugung spielen Faktoren wie der Tierschutz, der Umgang mit dem Boden auch die Düngung und der Pestizideinsatz eine entscheidende Rolle.“

Der EU-Entwurf geht auch auf die Kriterien für ein EU-weites Nachhaltigkeitssiegel ein und schließt den „Product Environmental Footprint“ (PEF) als Lösung aus. Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) begrüßt den Schritt und die Kriterien, die nach dem Vorschlag der EU-Kommission ein Nachhaltigkeitssiegel erfüllen soll. „Dazu gehören: Zuverlässigkeit, Transparenz, Unabhängigkeit und die Eignung, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken“, heißt es vom BNN. Der Verband sprach sich wiederholt für den Planet-Score als Label aus.

Planet Score: Mehr als 200 Marken nutzen das mehrdimensionale Label bereits – Tendenz steigend.

Hinter dem Siegel aus Frankreich steht unter anderem das ITAB, ein Forschungsinstitut, das zu großen Teilen vom französischen Staat finanziert wird und zu Themen des ökologischen Landbaus forscht. Entwickelt wurde der Score laut eigener Aussage von Wissenschaftlern. Das Geld dafür kam durch Spenden. Unterstützt wurde der Prozess von Umwelt-NGOs und Verbraucherverbänden.

Die Grundidee: Der Score erfasst die Auswirkungen auf den gesamten Lebenszyklus von Lebensmitteln. Von der Produktion bis zur Verpackung, einschließlich Energie und Transport. Dabei greift der Planet-Score auf Daten der Hersteller zurück, die teilweise gegengecheckt und im Zweifel mit den Herstellern diskutiert werden. Vor Ort kontrolliert wird aber laut eigener Aussage nicht, da die Daten oft schon von dritter Stelle geprüft wurden. Am Ende gibt der Planet-Score ein Overall-Rating an – von A bis E und listet darunter drei Kategorien auf: Pestizide, Biodiversität und Klima. Bei tierischen Produkten wird auch die Haltungsform angegeben und im Ranking berücksichtigt.

„Der Vorteil des Planet-Score gegenüber anderen Modellen: Er ist mehrdimensional. Dadurch bildet er die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln umfassender und transparenter ab als herkömmliche Lebenszyklusanalysen. So werden beispielsweise auch Aspekte wie Entwaldung oder Pestizidbelastung in die Bewertung einbezogen“, so Kathrin Jäckel, die BNN-Geschäftsführerin.

Martin Häusling von den europäischen Grünen findet: „Sicher ist es besser, wenn mehrere Parameter wie Klima, Pestizideinsatz, Biodiversität und Tierwohl durch jeweils eine eigene Skala gekennzeichnet werden, dennoch muss man auch den Organisationen vertrauen, die das Label stützen und die dahinterstehen. Aber auch hier besteht eine Anfälligkeit für Greenwashing, denn die völlig falsche Bewertung von Weiderindfleisch in sämtlichen Klimalabels und Modellierungen ist fatal, da die Wasserreinigung, Wasserspeicherung und CO2-Speicherung unter Grünland nicht gegengerechnet wird.“

Bio Planète brachte den Planet-Score in den Bio-Fachhandel

Der Speiseölhersteller Bio Planète war das erste deutsche Unternehmen, das Produkte inklusive Planet-Score-Label in die Regale der Bioläden gebracht hat. „Der Planet-Score ist für uns Bio-Akteure der beste Entwurf, den wir in der EU haben“, so die Geschäftsführerin von Bio Planète, Judith Moog. Ihr Unternehmen versteht sich als „Botschafter“ für das Label. Seit Anfang des Jahres weist auch Allos pflanzliche Drinks und Cerealien im Handel mit dem Planet-Score aus.

Auch die Bohlsener Mühle hat sich entschieden, ihre Produkte vom Planet-Score bewerten zu lassen und weißt diesen für ihre Artikel auf der Unternehmenswebseite aus. „Es ist der ehrlichste Score“, so Nachhaltigkeits-Chef Philip Luthardt. Bisher sind die Ergebnisse aber nur online zu finden. „Man müsste den Planet-Score auf der Vorderseite der Verpackung anbringen“, so Luthardt. Das Label und seine Aussagen seien aber noch nicht bekannt genug, „sodass wir uns bisher noch gegen das Labeln direkt auf unseren Produkten entschieden haben.“

Die Zertifizierung war kostenlos, die benötigten Daten der Rezepturen waren im Unternehmen leicht zu ermitteln und konnten online übermittelt werden. Am Ende landeten alle 110 Produkte der Bohlsener Mühle beim Spitzenwert „A“. „Der Planet-Score bietet für den Handel ja auch die Chance, besser zu kuratieren“, findet Luthardt. „Alles, was schlechter als C ist, kann ich sukzessive auslisten, um mich so abzugrenzen.“

„Von den derzeit diskutierten Labeln zur Abbildung der Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen ist in unseren Augen aktuell der Planet-Score am besten geeignet.“

Silvia Wittl, Nachhaltigkeits-Expertin bei Neumarkter Lammsbräu

Insgesamt nutzen laut Planet-Score schon mehr als 200 Marken den Score – Tendenz steigend. Viele aus Frankreich, über die Hälfte aller Unternehmen aus dem konventionellen Bereich. Darunter laut Homepage auch Big Player wie Carrefour, Intermarché oder Nestlé. Aus Deutschland sind 20 Unternehmen dabei: Neben Bio Planéte, Allos und der Bohlsener Mühle unter anderem auch die Spielberger Mühle und Hipp.

Auch Neumarkter Lammsbräu macht sich für das Siegel stark. Silvia Wittl sagt aber auch: „Von den derzeit diskutierten Labeln zur Abbildung der Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen ist in unseren Augen aktuell der Planet-Score am besten geeignet. Bei allen Nachhaltigkeitslabels muss ganz klar zum Ausdruck kommen, wer biologisch und wer konventionell wirtschaftet.“

Tatsächlich stellt sich die Frage, inwieweit die Kundschaft nicht überfrachtet wird. Die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AÖL) hält weitere Nachhaltigkeitslabel für überflüssig und fordert, nachhaltige Faktoren stärker in die Bio-Verordnung einzubauen.

Und auch der BNN ergänzt: „Solange es noch kein europaweit einheitliches Klimalabel auf Produktebene gibt, hilft das Bio-Siegel Verbraucherinnen und Verbrauchern bei der Kaufentscheidung. Denn: Wer Bio kauft, betreibt bereits aktiven Klimaschutz, weil die biologische Erzeugung von Lebensmitteln zum Beispiel Böden und Wasser schützt, mit Humus-Aufbau Co2 bindet und Artenvielfalt fördert.

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