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Abstimmung in Brüssel

Glyphosat-Verlängerung in der EU findet keine Mehrheit – Kritik an deutscher Enthaltung

Der Vorschlag der EU-Kommission, den Herbizidwirkstoff Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen, hat heute im zuständigen Ausschuss der EU-Mitgliedsstaaten keine Mehrheit gefunden. Doch es ist wahrscheinlich, dass sich die Kommission noch durchsetzt. Bio-Verbände kritisieren, dass sich die Bundesregierung enthalten hat.

Im Ausschuss ScoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) hat es die EU-Kommission am Freitag nicht geschafft, eine sogenannte qualifizierte Mehrheit für eine erneute Glyphosatzulassung zu bekommen. Dazu hätten sich 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, hinter die Kommission stellen müssen. Kritikpunkte waren vor allem die fehlenden Daten zu den Auswirkungen auf Biodiversität, Böden und Gewässer. Die EU-Kommission hatte im September eine Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters für weitere zehn Jahre empfohlen.

Die Kommission teilte das Ergebnis der Abstimmung am Freitag mit, ohne das Abstimmungsverhalten der Mitgliedsstaaten zu nennen. Die „Süddeutsche Zeitung“ meldete, dass sich die Bundesregierung enthalten habe. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) teilte mit, dass Deutschland einer erneuten Genehmigung von Glyphosat nicht zugestimmt habe. Minister Cem Özdemir begrüßte das Ergebnis der Abstimmung: „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte sie (die EU-Kommission, d. Red.) keine Wiedergenehmigung von Glyphosat zulasten der Artenvielfalt durchsetzen.“

Vermutlich haben sich – wie bei der Probeabstimmung am Donnerstag, über die Table Media berichtete Glyphosat ist das am häufigsten eingesetzte Totalherbizid neben Deutschland auch Frankreich und Italien enthalten. Das allein genügt, um eine qualifizierte Mehrheit zu verhindern, da die drei Staaten für 47 Prozent der EU-Bürger und Bürgerinnern stehen.

Deutliche Kritik an der Enthaltung Deutschlands

Bei Bio- und Umweltverbänden führte das Abstimmungsverhalten der Deutschen zu massiver Kritik. „Es ist ein Skandal, dass sich deutsche Bundesregierung bei der Abstimmung lediglich enthalten hat, statt mit einem klaren Nein gegen Glyphosat abzustimmen“, sagte Boris Frank, Vorsitzender des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, das zahlreiche Bio-Unternehmen vereint.

Für Frank steht das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Widerspruch zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten nationalen Glyphosatverbot ab 2024. Es sei außerdem ein Schlag ins Gesicht der über 150.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Petition „Glyphosat-Verbot Jetzt", sagte Frank.

„Im Koalitionsvertrag versprechen, Glyphosat vom zu Markt nehmen und sich dann vor einem Nein bei der entscheidenden EU-Abstimmung drücken – das ist scheinheilig und eine Täuschung der Wähler:innen.“

Chris Methmann, Foodwatch-Geschäftsführer

„Die deutsche Bundesregierung hat es trotz Federführung zweier grüner Ministerien und einem eindeutigen Koalitionsvertrag nicht geschafft, sich klar gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu positionieren”, sagte Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut München. Sie erwartet bei der nächsten Abstimmung „ein eindeutiges Statement in Form einer ,Nein'-Stimme“.

Auch Foodwatch kritisiert, dass „ausgerechnet das grüne Bundeslandwirtschaftsministerium“ ein klares Nein zu Glyphosat verweigere und die Ampel-Regierung damit ihr im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen breche, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. Dafür hätte es ein Nein aus Deutschland in Brüssel gebraucht. „Im Koalitionsvertrag versprechen, Glyphosat vom zu Markt nehmen und sich dann vor einem Nein bei der entscheidenden EU-Abstimmung drücken – das ist scheinheilig und eine Täuschung der Wähler:innen", teilte Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann mit.

Kritik kam auch von Bioland-Präsident Jan Plagge: „Die Enthaltung Deutschlands bei dieser so wichtigen Abstimmung, ist mehr als traurig und widerspricht den Vereinbarungen des Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, in dem das Aus für den Einsatz von Glyphosat in Deutschland angekündigt wurde.“

Das Abstimmungsergebnis wertet der Bioland-Präsident indes als hoffnungsvolles Signal. „Die Ratsmitglieder haben mit ihrem Votum unterstrichen, dass ihnen der Schutz von Arten und Menschen wichtiger ist als der Profit der großen Konzerne“, so Plagge. „Die EU-Kommission sollte nun den einzig richtigen Schluss daraus ziehen und ihren Vorschlag zu einer Verlängerung zurücknehmen.“

Berufungsausschuss tagt Anfang November

Die Gelegenheit dafür wird es in den ersten beiden Novemberwochen geben. Dann berät der Berufungsausschuss noch einmal über den Kommissionsvorschlag. Das Portal Euractiv berichtete, dass die Kommission ihren Vorschlag leicht abändern könnte, um etwa Frankreich auf die Seite der Befürworter zu ziehen. Ähnliches hatte die Kommission beim letzten Showdown zur Zulassung von Glyphosat im November 2017 versucht und damals die Zulassungsdauer auf fünf Jahre reduziert.

Findet sich auch im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit, könnte die Kommission die Zulassung auch im Alleingang durchsetzen. Die Frage ist, ob sie dazu bereit ist. Im November 2017 erklärte die Kommission im Berufungsausschuss, sie werde das nicht tun und erhöhte so erfolgreich den Druck auf die Mitgliedsstaaten. Der damalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmid hielt dem Druck nicht stand und schwenkte um – von Enthaltung auf Zustimmung.

Glyphosat ist das am häufigsten eingesetzte Totalherbizid. Es tötet flächendeckend sämtliche Pflanzen ab, führt zu erheblichen Beeinträchtigungen von Pflanzen und Böden, wodurch die Nahrungsgrundlage für Insekten, Vögel und andere Tiere verschwindet. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass Glyphosat die Artenvielfalt schädigt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) weist indes in ihrer Bewertung darauf hin, dass keine klaren Schlussfolgerungen über die mit diesem Wirkstoff verbundenen Risiken für die Artenvielfalt gezogen werden können.

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