Einmal im Jahr veröffentlicht Hanni Rützler gemeinsam mit dem Zukunftsinstitut den „Food Report“. In ihrem jüngsten Werk beschäftigt sich die Trendforscherin schwerpunktmäßig mit dem Thema „Bio“ und der dahinterstehenden Branche. Diese habe aus „einer Nische heraus Erfolgsgeschichte geschrieben“ und sei ein bedeutender Innovator im gesamten Ernährungssektor, der „unser Bewusstsein für artgerechte Tierhaltung, Tierwohl, flächengebundene Produktion, Pestizidfreiheit, Bodengesundheit, Fruchtfolgen, Mischkulturen und die Verwendung von Nützlingen deutlich erhöht“ habe, lobt Rützler zum Auftakt ihrer Analyse die Errungenschaften des Sektors.
Nach den Kudos folgt eine nüchterne Analyse: Trotz all der Verdienste sei der Bio-Weg für die nachhaltige Ernährung einer immer noch wachsenden Weltbevölkerung angesichts des massiven Klimawandels als alleinige Strategie nicht ausreichend. Dabei stellt Rützler fest, dass sich die Prioritäten beim bewussten Konsum in den letzten Jahren tendenziell verschoben haben. Kriterien wie „natürlich“, „vegan“ oder „vegetarisch“, „regional“ und „nachhaltig“ erscheinen heute vielen noch wichtiger als die biologische Erzeugung. Und mit der „Regenerativen Landwirtschaft“ erwachse neue Konkurrenz auf dem Acker.
Der Food Report 2024 beschreibt sieben Herausforderungen, denen sich die Bio-Branche stellen muss. BioHandel stellt sie vor.
Vegane Kost als Trend
„Tierfrei oder nicht tierfrei heißen die zentralen Gegensätze, die den aktuellen öffentlichen Diskurs bestimmen – nicht mehr biologisch oder konventionell“, schreiben Hanni Rützler und ihr Co-Autor Wolfgang Reiter. Der als „Veganmania“ bezeichnet Food-Trend mache Bio die Deutungshoheit über nachhaltige und gesunde Ernährung streitig.
Mit dem „Tierfrei“-Imperativ gerate ein zentraler Aspekt biologischer, insbesondere biodynamischer Landwirtschaft in die Kritik: die integrierte Bewirtschaftung der Höfe mit Pflanzen und Tieren. Gleichzeitig hätten Teile der Bio-Branche Vorbehalte gegenüber pflanzenbasierten Produkten, insbesondere in Form von Ersatzprodukten aus lebensmittelindustrieller Erzeugung. So kämmen zum Beispiel fast alle führenden Marken bei Hafer- und Sojadrinks, veganem Käse- und Wurstersatz ohne Bio aus.
Planetary Health Diet zum Thema machen
Wie unser Planet mit bald zehn Milliarden Menschen ernährt werden soll, spiele dem Food Report zufolge in der Bio-Branche bislang kaum eine Rolle. Sie müsse sich jedoch in die Ausgestaltung und praktische Umsetzung aktiv einbringen, rät die Studie.
Der entsprechende Ernährungsplan der EAT-Lancet-Kommission soll zwei globale Probleme lösen: die Zunahme ernährungsbedingter Krankheiten und die negativen Auswirkungen traditioneller Ernährungsweisen auf die Umwelt. Dazu sei die Umstellung auf eine pflanzenbasierte Ernährung mit wenig tierischen Produkten erforderlich. Ob dies mit dem Bio-Anbau zu erreichen ist, sei strittig, so die Autoren. Kritisiert wird der hohe Landverbrauch im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft und der derzeit hohe Viehbestand in der Bio-Landwirtschaft.
Absatzprobleme durch hohe Preise
Zu den künftigen Herausforderungen werde auch der Preis für Bio-Produkte gehören, heißt es weiter in dem Report. Zwar sei der Unterschied zu vielen konventionellen Produkten wegen kriegsbedingter Krisen aktuell geschmolzen, aber Bio-Fleisch sei weiterhin zwei- bis dreimal so teuer. „Vor allem in Deutschland als wichtigstem Exportmarkt für österreichisches Bio-Rindfleisch geht die Nachfrage zurück“, heißt es in der Studie. „So kämpfen deutsche Schlachthöfe angesichts des zunehmenden Fleischverzichts mit Überkapazitäten, was Anfang 2022 zu Absatzeinbußen von 30 bis 40 Prozent geführt hat.“
Kaum echte Bio-Marken
Weil Bio auch ohne Marketing eine Erfolgsgeschichte wurde, „haben wir heute gerade im Fachhandel eine Menge Bio-Anbieter, aber kaum echte Bio-Marken, die sich voneinander in ihrer Positionierung differenzieren und eine hohe Kundenbindung aufgebaut haben“, analysieren die Trendforscher. Und weiter: „Der Bio-Markt sei stetig gewachsen, aber die Branche habe nie analysiert, warum der Markt sich so verhält und daraus proaktiv Schlüsse gezogen. Nun, da sich das Wachstum abschwächt oder sogar zurückgeht, rächt sich das.“
Es reiche nicht, der Kundschaft ein Verständnis für die Zusammenhänge der Natur näherzubringen, so die Autoren. Die Bio-Szene sollte umgekehrt auch ein ebenso tiefes Verständnis für die sich ständig verändernde Lebenswirklichkeit der Konsumenten entwickeln. „Nur so kann sie die richtigen Akzente setzen, Strategien entwerfen und Produkte bzw. Services anbieten, die auch angenommen werden“.
Dazu zählten Marken, denen man vertrauen könne. So müssten beim Einkauf nicht ständig Labels, Kennzeichnungen und Zutatenlisten studiert werden. Alnatura sei das in Deutschland am besten gelungen. In Österreich seien es „Ja!Natürlich“ und „Zurück zum Ursprung“ sowie die Bio-Handelsmarken „Billa“ (Rewe) und „Hofer“ (Aldi Süd), die im Bio-Beliebtheitsranking am besten abschneiden.
Herkunft schlägt Bio
Dass der Unterschied zwischen regional und bio von Konsumenten nicht im erforderlichen Maße wahrgenommen wird, habe sich schon in der Trend- und Potenzialanalyse für die Bio-Zukunft aus dem Jahr 2014 abgezeichnet, schreiben Rützler und Reiter. Auch heute werde Natürlichkeit und Qualität öfter unter Regionalität verortet.
Zurückzuführen sei dies „auf einen politisch propagierten nationalen Ernährungsprotektionismus“. Die Bio-Branche habe dem kaum etwas entgegenzusetzen gehabt. Was als regional gelte, sei sehr heterogen: vom unmittelbaren Umfeld bis zu einem Bundesland sei alles möglich.
Nachhaltigkeit statt Bio
Nachhaltigkeit ist laut dem Food Report zum Grundkonsens unserer Gesellschaft geworden und auch in der konventionellen Landwirtschaft, im Lebensmittelhandel sowie in vielen Gastronomiebetrieben (insbesondere der Gemeinschaftsverpflegung) inzwischen ein zentrales Leitbild. „Den Alleinvertretungsanspruch für nachhaltige Lebensmittelproduktion, den es lange für sich reklamieren konnte, hat Bio damit verloren“, konstatieren die Trendforscher.
Und weiter: „Der Erfolg der Bio-Produkte, das allgemein gewachsene Nachhaltigkeits-Bewusstsein sowie die heute überall spürbaren Folgen des Klimawandels haben auch konventionelle Produzenten unter Druck gesetzt, ihre Produktionsmethoden anzupassen.“ Das verringere die Distanz zwischen bio und konventionell – zumindest in der Wahrnehmung der Konsumenten, „denen die Bio-Branche ihre faktischen Nachhaltigkeitserfolge nicht im notwendigen Ausmaß zu vermitteln weiß.“
Ertragsverluste durch die Klimakrise
Ein weiteres Thema, mit dem sich Rützler und Reiter in ihrem aktuellen Food Report beschäftigten, ist die Beeinträchtigungen durch die Auswirkungen der Klimakrise wie Trockenheit und Starkregenereignisse. Der Konflikt, den die beiden Forscher sehen: „Setzen wir weiter auf die industrialisierte Landwirtschaft, hat dies massiv negative Auswirkungen auf Umwelt, Böden und Klima. Setzen wir auf die Biolandwirtschaft, können wir die Ernährung einer immer noch wachsenden Weltbevölkerung nicht gewährleisten, da uns die dafür notwendigen Flächen nicht zur Verfügung stehen.“ Bislang naturbelassene Flächen für den Anbau zu nutzen sei aufgrund des Artenschutzes nicht zu empfehlen.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma sehen die Autoren in der Anwendung von Crispr/Cas, einer sogenannten „Neuen Gentechnik“, die ohne fremde Gene auskommt und Pflanzen so verändern kann, dass sie mehr Ertrag bringen und widerstandfähiger gegen Umwelteinflüsse werden. Die EU prüft gerade ihre Zulassung.
Für viele Akteure in der Bio-Branche ist Gentechnik in jeder Form tabu, entsprechend breit und heftig waren die Reaktionen auf einen entsprechenden Gesetzesvorschlag, den die EU-Kommission am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellte. Der BNN hat sich jüngst in einer Resolution gegen eine Gentechnik-Lockerung ausgesprochen.
Rützler und Reiter indes betrachten Neue Gentechniken als „ein Werkzeug, dem sich die biologische Landwirtschaft jedenfalls nicht grundsätzlich verweigern sollte“. Die Trendforscher zitieren in ihrem Report dazu Urs Niggli, einen Vordenker des biologischen Landbaus. Ihm zufolge sei die neue Gentechnik eine weitere Züchtungsmethode, die nicht mehr oder weniger Risiken berge als die konventionelle Kreuzungszüchtung. Von der Tatsache, dass sie heute vor allem in der industriellen Landwirtschaft genutzt wird und besonders im Hinblick auf Patente ein Problem darstellt, solle man sich nicht täuschen lassen.
Kommentar: Nicht gleich die Genschere ansetzen
Der Food Report 2024 hat sieben Probleme benannt, vor denen die Bio-Branche steht. Sie alle sind nicht neu, aber in der geballten Zusammenstellung wirken sie ernüchternd und demotivierend. Trends kann man aufgreifen und das Marketing verbessern. Doch die Preise der konventionellen Wettbewerber, die bekanntlich nicht die Wahrheit sprechen, bleiben ein unüberwindbares Hindernis in einem von Krisen geprägten Konsumverhalten.
Durch die mögliche Zulassung von Crispr/Cas dürfte die Preisschere noch weiter auseinandergehen, wenn die konventionelle Landwirtschaft diese Möglichkeit zur Ertragssteigerung ergreift und die Bio-Branche gentechnisch clean bleibt. Die im Zuge des Klimawandels zu erwartenden Ernteausfälle sind für die Befürworter ein dankbares Argument, um die EU auch mit Blick auf die Welternährung unter Druck zu setzen.
Vergessen wird dabei, dass allein in Deutschland mehr als die Hälfte der Ackerfläche für die Erzeugung von Tierfutter genutzt wird und riesige Flächen für Biosprit und Biogas. Stünden diese Flächen der ökologischen Lebensmittelproduktion zur Verfügung, müsste man nicht gleich die Genschere ansetzen, um mehr Ertrag für die Welternährung zu generieren.
Eine Umstellung der Ernährung ist im Zuge der Umnutzung der Flächen erforderlich. Dafür muss auch die Bio-Branche werben, am besten mit Gesundheitsargumenten. Sollte das Ernährungsproblem damit noch nicht gelöst sein, kann sich die Branche immer noch „technologieoffen“ zeigen. (Horst Fiedler)
Kommentare
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Mit immenser Lobbyarbeit haben es Saatgutindustrie und Gentechnik-Befürworter geschafft, dass die neuen Gentechniken bereits als funktionierende Lösung zur Bewältigung von Klimakrise, Welternährung und Artensterben gehandelt werden. Doch die Hoffnung trügt, denn die Versprechen entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage. Selbst mehr als zehn Jahre seit der Nutzbarmachung der Genschere bleiben die Befürworter nach wie vor den Beweis schuldig, dass diese Techniken wirklich einen Fortschritt in besagter Richtung bewirken können. Die wenigen Pflanzen, die es überhaupt je in den praktischen Anbau geschafft haben, zeichnen sich vor allem jeweils durch ihre Resistenz gegen ein spezielles Herbizid aus. Gerade die Anpassung der Pflanzen an Trockenperioden ist jedoch ein längerer, sehr komplexer Vorgang, bei dem sehr viele Gene und ihre Wechselwirkungen beteiligt sind. Der Eingriff in einzelne Gene birgt aber Risiken und unbekannte Folgen für die Ernährungssicherheit und Umwelt. Warum sollen diese Techniken dann ohne jegliche Transparenz-, Monitoring-, Koexistenz- und Haftungs-Auflagen zugelassen werden? Wäre nur ein Bruchteil der Mittel für die Gentechnik in die ökologische Pflanzenzüchtung geflossen, hätten wir schon einige im Ökoanbau gut funktionierende Sorten mehr zur Auswahl, die ohne Patentschutz nachgebaut und weitergezüchtet werden dürften.
Eine unbequeme, aber erfrischend klare Analyse. Mich schmerzt insbesondere, dass es kaum Bio-Marken gibt, die fit für den Wettbewerb mit konventionellen oder anderen nachhaltigen Lebensmittel-Marken sind. Transformation und 30% Bio gelingen nur, wenn wir keine Angst vor den konventionellen Anbietern haben. Das Potenzial für Bio-Marken ist nach wie vor da, dessen Erschliessen sicher kein Spaziergang. Die fehlenden Bio-Marken sind auch ein Grund, weshalb die Eigenmarken des Discounters so erfolgreich sind - es ist nicht immer nur der Preis.