Noch größer als bei der ersten Regionalmesse des Jahres in Leipzig, der BioOst, war der Andrang bei der BioWest in Düsseldorf: 1.758 Fachbesucher und -besucherinnen tummelten sich vergangenen Sonntag in der Veranstaltungshalle. „Wir sind natürlich sehr zufrieden“, freute sich Matthias Deppe, der die Regionalmessen gemeinsam mit Wolfram Müller organisiert. „Das sind 10 Prozent mehr als im Vorjahr.“ Die Zahl der Ausstellenden war mit 225 gegenüber 240 etwas geringer.
Anders als in Leipzig, ließ sich der Besuch aus dem Ministerium entschuldigen. Schirmherrin Kathrin Jäckel konnte das nicht in ihrem Optimismus bremsen. „Wir sind resilient als Branche. Ich nehme viel Zuversicht und wenig Depression wahr“, so die Geschäftsführerin des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) in ihrem Grußwort zur Eröffnung. Eine BioWest ohne Politik wertete sie nur als „vorübergehendes Phänomen“.
Junge Macher wagen was
Rege schien denn auch das Interesse der Besucher an den Neuheiten der Hersteller. Vor allem junge Unternehmen, die auf dem Machermarkt eine Bühne finden, fielen mit ihrer Kreativität ins Auge. Dazu zählte Cachuu, die trockenes Cashew-Pesto zum Anrühren mit Öl anbieten, Rezeptkarten inklusive. Die Kerne stammen aus fairem Handel mit Afrika und werden auch in der Anbauregion verarbeitet. Die sechs Mischungen mit Kräutern und Gewürzen sind in nachfüllbare Keramiktöpfchen verpackt.
Ob Rooibush-Vanille, Earlgrey oder grün mit Zitrone, Tee in Tablettenform konnte man bei Tea Blobs verkosten. Die fein gemahlenen und gepressten Teeblätter lassen sich einfach mit heißem Wasser aufgießen. Je 20 Stück kommen in einer Papphülse daher.
„Alles mit Grillen“ gibt es bei Entosus aus Bremen, darunter einen Aufstrich, analog zu Leberwurst. Die proteinreichen Insekten bereichern zudem die neuen Fertigsoßen „Chili con Grilli“ und „Grillognese“ des Herstellers. Zertifiziert sind die Produkte allerdings nicht, da die Zulassung von Grillen für Bio-Lebensmittel noch in Arbeit ist.
Noch nachhaltiger und gerne vegan
Einzige Naturkosmetik-Marke auf dem Machermarkt war Nicama. Das junge Unternehmen aus Dresden stellt plastikfrei verpackte feste Shampoos und Upcycling-Seifen her. Zutaten für letztere sind Reststoffe der Lebensmittelproduktion wie Zitronenschalen und Kaffeesatz.
Was alles möglich ist in Punkto Nachhaltigkeit, zeigte die Firma Chocolatemakers aus Amsterdam. Ihre Schokoproduktion läuft seit 2019 allein mit Solarenergie. Einmal im Jahr bringt ein Segelschiff den fairen Kakao aus Übersee. Zweimal im Jahr werden die Tafeln von vielen Freiwilligen mit Lasten-Fahrrädern in die Läden gebracht. Dafür strampeln sie auch schon mal ganz bis nach Berlin.
Langjährige Hersteller warteten auch mit Sortimentserweiterungen auf, darunter viel Veganem. Govinda etwa stellte vegane Pralinensorten vor, Biopolar ließ am Stand ebensolche Haselnuss- und Sachertorte-Torte verkosten. Von Züger gab es „Mozzarella“ auf Hanf- und Haferbasis und von Soto fertige Rote-Bete-Falafel und Gemüse-Quinoa-Sticks.
„Wir können stolz darauf sein, dass wir Bio groß gemacht haben“
Soweit ein Einblick in der Produktwelt. Auch der Vortragsbereich der Messe war gut besucht. Dort stellte Axel Frerks von der Spielberger Mühle dem Publikum die Fachhandelskampagne „Der Sinn der Sache“ vor, von der mancher Besucher wohl schon auf der Biofach gehört hat. Mitgetragen wird sie von der Ölmühle Moog (Marke Bio Planète) und den Schrozberger Milchbauern. In einem weiteren Talk skizzierte Ladenbauer und Bioladner Jörg Kunze seine Idee eines gemeinsamen Stromnetzwerks für die Branche.
Simon Döring von der Kommunikationsberatung Klaus Braun gab einen detaillierten Einblick in die Marktdaten und ordnete sie ein. „2022 war wirtschaftlich das schlechteste Jahr für den Fachhandel, seit wir die Zahlen erheben und herausgeben“, konstatierte Döring. Die Ursachen liegen seiner Meinung nach nicht nur in den aktuellen Krisen. Er sieht auch einen grundsätzlichen Strukturwandel, denn Bio an sich ist ja weiterhin gefragt, nur eben primär in anderen Vertriebsschienen als dem Naturkosthandel.
Wichtig war es dem Unternehmensberater klarzumachen, dass Bioläden Fachgeschäfte sind – und als solche könnten sie die breite Masse gar nicht bedienen, sondern eher Spezialwünsche erfüllen. „Wir können stolz darauf sein, dass wir bio groß gemacht haben“, sagte Döring. Nun aber sei es an der Zeit für die schmerzhafte Erkenntnis, dass eine Marktbereinigung nur schwer zu verhindern sei.
Gut geführte Läden haben seiner Einschätzung nach durchaus Erfolg versprechende Perspektiven. Für diejenigen, die es bisher versäumt haben, klare Alleinstellungsmerkmale außer „100 Prozent Bio“ und „wir können beraten“ zu entwickeln und überzeugend zu kommunizieren, werde es eng.
Die Rolle als Fachgeschäft wieder ernst nehmen
Als eine mögliche Zukunfts-Strategie zum Überleben empfahl Döring, die Rolle als Fachgeschäft wieder ernst zu nehmen und sich je nach Region und Kundschaft eher noch mehr zu spezialisieren: zum Geschäft, das vor allem Regionales anbietet oder aber Unverpacktes, zum Mitgliederladen als Treffpunkt für Gleichgesinnte oder als Unternehmen mit dem Schwerpunkt Lieferdienst.
Wichtig sei es dabei auch, sich zu fragen: Was will ich eigentlich tun, worauf habe ich Lust? „Ideen dazu gibt es schon viele“, so Döring, und appellierte: „Es ist es an der Zeit, wieder als Bewegung zu agieren und als Pioniere den nächsten Schritt zu tun!“
Messen öffnen, um neue Kundschaft zu werben?
Die Podiumsdiskussion am Mittag drehte sich wie auch die der BioOst um „Wege aus der Depression“. Die Veranstalter hatten hierzu Jan Leifert von Bioland Nordrhein-Westfalen, den Vorstandsvorsitzenden der Superbiomarkt AG, Michael Radau sowie Fabian Siebert von Holle Babyfood eingeladen.
Siebert plädierte dafür „außerhalb unserer Blase aktiv zu werden“ und um weitere Kundschaft zu werben. Er regte an, neue und soziale Medien stärker zu nutzen und Fachzeitschriften auch außerhalb des Fachhandels zu platzieren.
Zudem brachte er den Vorschlag ein, die Regionalmessen an einem separaten Tag für Endverbraucher und -verbraucherinnen zu öffnen. Anfallende Mehrkosten könnten durch den Verkauf der Produkte vor Ort gedeckt werden. „Das wäre eine super Möglichkeit für Herstellende, Interessierten aus der jeweiligen Region die Besonderheiten echter Bio-Produkte nahezubringen“, sagte Siebert. Das könne neue Kundschaft zum Nachkauf in die Märkte der Region bringen.
Die Zielgruppe schärfen und das Sortiment umbauen
Michael Radau äußerte sich zunächst kurz zur Lage seines Unternehmens. Seit Anfang November befinde man sich in einem Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung. In Kürze werde darüber entschieden, wie es weitergeht. „Ich bin optimistisch, dass die Gläubiger unserem umfangreichen Plan (zur Sanierung, d. Red.) zustimmen“, so Radau.
Für die Branche konstatierte der Superbiomarkt-Chef: „Wir haben es versäumt, auf unsere Kunden zuzugehen, als sie in Zeiten von Corona vermehrt zu uns kamen, und ihnen zu zeigen, was wir außer gesunden Produkten noch alles an Mehrwert bieten.“ Auch Radau glaubt nicht, dass Bio für alle machen zu wollen, die Lösung ist. Denn beim Preiskampf könne man nur verlieren. Mehr Erfolg verspricht sich Radau davon, die Zielgruppe zu schärfen und das Sortiment so umzubauen, dass es sich vom konventionellen Lebensmitteleinzelhandel abhebt.
Für herausfordernd, aber notwendig, hält Michael Radau zudem eine bessere Kommunikation der Werte. Außerdem sei bei vielen Dingen außerhalb der Sortimentswelt eine Kooperation sinnvoll und denkbar.
Fazit der BioWest wie auch schon der Ost: Bio alleine reicht nicht mehr! Die Branchen-Akteure ringen aktuell um einen neuen Platz in der Handelslandschaft – und sind guten Mutes, dass ihnen das gelingt.
Am 10. September findet die BioSüd in Augsburg statt. Am 17. September öffnet die BioNord am neuen Standort in Hamburg ihre Tore.
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