Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Bio-Branche

Die Kunden von heute – und morgen

sie stehen? Service, Service, Service, plus Qualität! Praxistipps und Ideen für den Umgang mit Kunden im besten Alter.

Über 55-Jährige werden immer zahlreicher und kaufkräftiger – und sind trotzdem als Zielgruppe kaum im Fokus. Worauf sie stehen? Service, Service, Service, plus Qualität! Praxistipps und Ideen für den Umgang mit Kunden im besten Alter. // Text: Sylvia Meise

Umarmung gratis – damit könnte der Naturkostladen Kornecke in Höhr-Grenzhausen jetzt werben. Vor kurzem nämlich spielte sich an der Kasse Folgendes ab: Samstagvormittag, der Laden war randvoll, trotzdem nahm sich Inhaberin Judith Schiesser Zeit, eine Kundin zum Abschied zu drücken. Was danach kam freut sie immer noch: „Plötzlich fragt der Begleiter meiner Bekannten die ältere Dame neben ihm:, ‚Möchten Sie auch eine Umarmung?‘“ Klar, wollte sie und wurde herzlich gedrückt. Nicht alltäglich. Dass aber solche Glücksmomente möglich sind, „liegt an der freundlichen Grundstimmung bei uns“, ist die Inhaberin überzeugt. Nicht umsonst gehörte sie mit der Kornecke zu den „Bester Bioladen“-

Ein Herz für Oldies

Ältere stellen nicht nur bei ihr einen beträchtlichen Anteil der Kundschaft. Ein Teil davon sind Ur-Kunden aus den Anfangstagen – andere aus dieser Altersgruppe kommen erstmals. Was bewegt sie in den Laden zu kommen? Wie gewinnt man sie dauerhaft als Kunden? Und: Gibt es Überschneidungen mit dem Einkaufsverhalten der Jüngeren?

Aktuelle statistische Erhebungen dazu gibt es kaum, Antworten und Anregungen von Unternehmensberatern, Ladengestaltern und Bioladnern dagegen schon. Der demografische Strukturwandel ist ja längst Realität. Hier drei Beispiele aus der Praxis:

Keine Preisdiskussionen mit älteren Kundenübrigens nie

Der bereits erwähnte Naturkostladen Kornecke liegt im alten Ortsteil von Höhr-Grenzhausen. Inhaberin Judith Schiesser hat das 50 Quadratmeter große Geschäft erst im vergangenen Jahr übernommen – und weiß mittlerweile, dass viele Ältere nicht unbedingt wegen Bio kommen, „sondern weil wir hier der einzige Nahversorger sind.“ Preisdiskussionen gebe es mit den Älteren übrigens nie.

Was diese Kundengruppe besonders schätzt? „Wir nehmen uns Zeit. Wir haben zwar Stufen vorm Eingang – aber da helfen wir, wenn nötig. Wir tragen auch mal den Einkauf nach Hause oder bringen, was sie vergessen haben. Das ist für uns selbstverständlich.“ Darüber hinaus ist der gelernten Buchhändlerin wichtig, „die Menschen zu sehen und ihre Geschichte zu kennen.“

Das kann herausfordernd sein – eine Stammkundin etwa wird zunehmend vergesslich. Neulich wollte sie Kaffee, dabei hatte sie gerade erst zwei Pakete gekauft. Vorsichtig fragte die Ladnerin, ob wirklich schon alles aufgebraucht sei? Oje und Nein. Die Kundin war dankbar fürs Mitdenken.

Begegnungsstätte mit Frischeangebot und Bistrobereich

Der Biomarkt Greger ist über 400 Quadratmeter groß und im finanziell gut ausgestatteten Westteil der Stadt Kassel gelegen. Rund die Hälfte der Kundschaft sei 55 plus, schätzt Inhaber Hans-Georg Greger. Was kennzeichnet sie? „Die gucken nicht so auf das Geld, sie wollen Qualität und eine nette Atmosphäre beim Einkaufen.“ Mit seinem Konzept aus Begegnungsstätte und Frischeangebot (vor allem Käse, Gemüse und Fleisch) plus Bistrobereich zieht er 600 bis 700 Kunden täglich an. Dabei gibts reichlich Konkurrenz: Darunter Denn’s, Edeka und Tegut. Eine Alnatura-Filiale hat er eröffnen und wieder schließen sehen.

Nachdem ihm klar wurde, dass sein Laden als Treffpunkt beliebt ist, ließ er aufs Einwickelpaper von Käse und Fleisch das Motto drucken: „Hier trifft man nette Leute“. Das Einkaufsverhalten der Älteren hat seiner Beobachtung nach große Schnittmengen mit dem der unter 30-Jährigen. Keine Convenience, viel Frisches. Die 30 bis 45-Jährigen dagegen, die berufstätig sind und wenig Zeit haben, „greifen unter der Woche oft zu Fertigprodukten – und machen am Wochenende ein Kochevent mit Freunden.“

Die Solidarischen

Die B2-Biomärkte in Rottweil und Balingen gehören mit ihren Bistros zu einem Regionalverbund von Gärtnerei, Catering, Lieferservice und Internetshop. Das Balinger Geschäft bietet mit 950 Quadratmetern Ladenfläche nicht nur Einkaufswagen-, Rollator- oder Kinderwagenlenkern viel Platz, sondern auch die Möglichkeit, Waren auf Augenhöhe zu platzieren. Großes Plus: Kein Produkt steht so, dass Kunden es nicht erreichen oder gar nicht erst wahrnehmen können.

Seit zehn Jahren haben Kunden die Möglichkeit, Anteile in Form von Genussrechten zu erwerben – und damit den Ausbau und die Planungssicherheit der Kooperative zu fördern. Das macht Kunden zum Teil der Community. Der Balinger Marktleiter Louis Bergunde zählt auf, was die ältere Kundschaft sonst noch schätzt: „Wir sind barrierefrei, jeder wird herzlich begrüßt, wir nehmen uns Zeit, tragen den Einkaufskorb zum Auto oder liefern Ware nach Hause.“ Es gibt auch eine Kooperation mit der Apotheke in der Nähe, die nehmen für gemeinsame Kunden Ware mit. Ganz wichtig sei auch das Beschwerdemanagement – etwa wenn gewünschte Ware nicht lieferbar ist.

In den B2-Bistros gibt es zudem extra größere Tische, damit Ältere mittags nicht allein sitzen, erzählt Bergunde. Das funktioniert? „Ja, das ist richtig schön, wenn Geschäftsleute, Jugendliche und Ältere am Tisch sitzen und ganz spontan ins Gespräch kommen.“

Einkaufen ist Teilhaben

So unterschiedlich die Beispielläden sein mögen, sie alle sind attraktive Anlaufstellen. Warum das so wichtig ist, zeigt der Blick auf die jüngsten Umfragen durch Schrot[&]Korn oder im Auftrag des BNN:

Über die Hälfte der 2018 von Schrot[&]Korn befragten Leser waren zwischen 50 und 70 Jahre alt (56%), 2016 lag ihr Anteil noch deutlich niedriger (45%). Je älter, desto häufiger in der Woche gehen Kunden einkaufen – ab 50 Jahre täglich. Was sie dann wollen, sind Produkte, die nachhaltig, gesund, fair und regional sind.

Eine Online-Studie, die Biopinio für den BNN durchgeführt hat, wollte unter anderem wissen, wo Bio gekauft wird. Von den 1.338 Befragten kauften: 11 Prozent in Inhabergeführten Läden, 63 Prozent bei Bio-Supermärkten, 7 Prozent in einer Drogerie und 13 Prozent in einem Supermarkt ihre Bioprodukte. Als Informationskanal nutzen fast alle das Internet, oft via Facebook – und werden gerne per E-Mail auf dem Laufenden gehalten.

Großeltern- und Enkelgeneration kaufen den Zahlen nach ähnlich ein. Ladner beobachten, dass beide Gruppen zu kleinen Gebinden und unverarbeiteter Ware greifen. Im Bioladen decken sie sich gerne mit Grundnahrungsmitteln wie Brot, Milch, Käse, Kaffee und Tee ein. Außerdem mit Obst, Salat und Gebäck. In Kassel legen sie laut Hans-Georg Greger „großen Wert auf Gemüse, Fleisch und Käse – und kochen selbst.“

In den B2-Läden dagegen kommen die im Bistro frisch zubereiteten und in Gläser abgefüllten Mittagessen sehr gut an, darunter Hühnerfrikassee, Bruderhahncurry oder Möhrensuppe. Wer selbst kocht, greift zur hausgemachten Gemüse- oder Hühnerbrühe.

Die Konsumprofis

Nebeneffekt ist natürlich die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Das könnte Schule machen, aber bitte nicht als „Seniorenteller“. Auch „Senioren“-Veranstaltungen kann man sich schenken. Man sollte sich klar machen, welches Bild von Menschen über 55 Jahren man hat. Gelingt die Kundenansprache nicht, liegt es vielleicht an überholten Klischees. Die Lebensentwürfe und Bedürfnisse der 55- bis 75-Jährigen sind vielfältig. Manche stehen am Ende des Berufslebens, sind ausgebrannt und wollen ihre Ruhe haben. Andere haben oder suchen neue Herausforderungen. In dieser Altersgruppe gibt es viele Großeltern, sozial Engagierte oder Menschen, die nochmal eine Ausbildung machen. Vielleicht als Yogalehrerin – ihnen kann man Ayurveda-Produkte verkaufen, andere 55-Jährige wollen lieber traditionelle Produkte.

Wer, was, wie? Das erfährt man nur, wenn man mit den Kunden redet. Wie wäre es mit einem Kochevent oder einem Quartiersabend? Die meisten Oldie-Boomer jedenfalls sind selbstbewusster, gesundheitsorientierter und kaufkräftiger als je eine Generation vor ihnen in diesem Alter.

Wer diese Vielfalt im Blick hat, kann mit Sonderaktionen experimentieren. Hochwertige Kosmetik etwa kommt bei Frauen ab 55 gut an. Warum also nicht regelmäßig (nicht nur vor Weihnachten) Naturkosmetik-Angebote für diese Altersgruppe als Blickfang zusammenstellen? Auf einer Schreibtafel kann dann stehen, wozu man anregen möchte: „Das gönn ich mir heute Abend!“ – „Blütenglück für alle Sinne“ – „Das schenke ich meiner Freundin“.

Gesundheit ist das Thema

Auch wenn man das Thema Alter nicht ins Zentrum stellen sollte, Gesundheit ist ein Dauerbrenner. Wie altersgerechte Ernährung aussieht, wird etwa Hersteller Rapunzel oft gefragt. Aktionstische hierfür kann man mit Leinöl, Nüssen und Frühstücksbreien bestücken – und die Produkte dann nicht nach Geschmacksrichtung, sondern nach Bedürfnissen und Farben dekorieren. Orange-Gelb gegen den Winterblues, Rot fürs Wohlfühlen, grün für Gesundheit – und dazu Körbe mit Smoothies und frischem Obst als Hingucker. Auch hier kann auf Tafeln, Tellern oder Brettchen eine Botschaft stehen: „Powerfrühstück für Powerfrauen“, „Das braucht der Körper jetzt!“ oder „Heiß, stärkend, köstlich“.

Beraten sollte man 55-Plusser übrigens nur, wenn man wirklich Ahnung hat. Sie fühlen sich sonst für blöd verkauft und kommen nicht wieder. Also: Weg mit den Senior-Klischees – her mit dem Herz für Oldies!

Ausgezeichnet Generationenfreundlich

Die Prüfkriterien für das Zertifikat des Handelsverbands Deutschland – HDE e.V.

  • Kunden können bequem einkaufen
  • barrierearmer Zugang zum Geschäft
  • gute Ausleuchtung
  • mögliche Gefahrenstellen sind markiert
  • rutschfeste Böden
  • breite Gänge
  • gut lesbare Preise und
  • Auszeichnungen
  • gute Beratung und
  • Ausschilderung,
  • Sitzgelegenheit zum
  • Ausruhen.

Die Zertifizierung erfolgt über regionale Handelsverbände – Preis nach Ladengröße (bspw. 130 Euro bis 200 m2, 275 Euro bis 2500 m2).

Mehr unter www.generationenfreundliches-einkaufen.de


Bisher kaum im Fokus

Der Anteil der 55- bis 75-Jährigen steigt konstant, sie stellen mittlerweile fast die Hälfte der Gesellschaft. Trotzdem sind sie kaum im Fokus. Vielleicht, weil sie keine homogene Gruppe von Menschen sind. Zu diesem Ergebnis kam schon vor zehn Jahren das Sinus-Institut in Heidelberg. Sinus-Marktforscherin Silke Borgstedt skizzierte und differenzierte acht Gruppen, von denen vier – etwa ein Drittel der Älteren – besonders interessant für die Biobranche sind: Allen voran die sozialökologisch Orientierten – um die sieben Prozent der Bevölkerung – das sind die Stammkunden der Bioläden. Darüber hinaus sind auch Performer, Liberal-Intellektuelle und Hedonisten empfänglich für Gesundheitsthemen, Genuss und Wellness.

Die meisten haben bereits geerbt und verfügen dazu über eine stattliche Rente. Nach aktuellen Statistiken können sie im Jahr mehr als 22.000 Euro ausgeben – viel mehr als junge Familien.

Die demografischen Zahlen zeigen außerdem, dass diese Altersgruppe noch eine Lebenserwartung von 20 bis 25 Jahren hat.


„Kunden brauchen keine Wohnzimmer-Atmosphäre

Ladenexperte Daniel Kükenhöhner über die Wirkung von Licht und Akustik, wo Wohlfühlkiller lauern und warum Toiletten ein I-Tüpfelchen sein können.

Was macht einen Bioladen für die ältere Kundschaft attraktiv?

Der größte Joker ist der zwischenmenschliche Bereich. Seit zwei, drei Jahren sehen wir diese Weiche: Entweder man geht auf Fläche, Masse und stellt sich dem Preiswettbewerb des konventionellen LEH – oder man macht den Laden zur Begegnungsstätte des Wohnviertels. Es ist ja kein Zufall, dass man ältere Kunden oft zu den Haupteinkaufszeiten trifft.

Da hat man früher gefragt: Müssen Oma oder Opa ausgerechnet jetzt einkaufen?

Genau. Sie müssen nicht, sie wollen. Klar, könnten sie entspannter einkaufen, wenn der Laden leer ist, aber dann treffen sie ja niemanden. Wir sind soziale Wesen – und an diesem Punkt sind inhabergeführte Läden den großen Filialisten oft überlegen. Dass man diese Zielgruppe in den Fokus nimmt, heißt übrigens nicht, dass man nicht auch andere Kunden im Laden begrüßen will. Je klarer die Botschaft, desto größer die Chance auf nachhaltigen Erfolg.

Welche Botschaft wäre das?

Oft sind es Details, die zeigen, dass man sich mit den Bedürfnissen der Kunden beschäftigt. Platz zum Abstellen des Rollators etwa, eine Stockhalterung am Einkaufswagen. Auch eine Leselupe ist gut. Alternativ kann man Preisschilder und Infos größer drucken – die Hersteller jedenfalls reagieren bislang nicht mit adäquater Packungsgestaltung. Es gibt viele Ideen. – Jeder Ladner sollte für sich entscheiden, was zum jeweiligen Geschäft und zur tatsächlichen Zielgruppe passt.

Die Kunst ist ja, den eigenen Laden aus Kundensicht wahrzunehmen. Das gilt übrigens auch für die Verzehrbereiche, die jetzt überall eingerichtet werden. Ob die Kunden nach dem Einkaufen hier verweilen wollen – und so den Umsatz erhöhen – hängt davon ab, ob sie sich wohlfühlen.

Wo lauern die Wohlfühlkiller?

Wesentliche Punkte sind Licht und Akustik. Einkaufswägen auf Fliesen- oder Steinböden etwa erzeugen eine unangenehme Geräuschkulisse. Hier gibt es die Möglichkeit, einen schalldämpfenden Belag in Bioqualität aufzutragen. Das geht schnell, ergibt eine neue Optik und ist sogar für die Mitarbeiter angenehmer, weil der Boden weniger hart ist. Geräusche sollten weder zu laut, noch zu dumpf sein; das Licht nicht zu grell aber auch nicht zu düster. Kunden brauchen keine Wohnzimmer-Atmosphäre, sonst könnten sie ja gleich zuhause bleiben. Die richtige Mischung erfordert durchaus Fingerspitzengefühl. Das betrifft übrigens auch die Toilette. Wer ein Bistro hat, sollte eine bereitstellen, das gehört zum Service. Wenn diese dann auch noch schön gestaltet ist, kann das ein I-Tüpfelchen sein.

Und wie sieht so ein I-Tüpfelchen aus?

Für einen Münchener Gastronom haben wir eine gestaltet, die sehr gut ankommt. Es gibt dort Musik, angenehmen Duft, ein Lichtspiel an der Decke – und die Fliesen sind symmetrisch verlegt, sodass das Auge sich ausruhen kann. Neben dem Service und der Qualität des Speisen-Angebots wirken sich auch Details wie diese auf die Motivation von Kunden aus, wiederzukommen.


Interview: Sylvia Meise

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