Gemeinsam voneinander lernen, um sich weiterzuentwickeln und mehr positiven Impact zu generieren – und es laut kommunizieren. Vereinfacht gesagt ist das das Anliegen des Good Food Collective (GFC). Das Netzwerk beschreibt sich selbst als einen interdisziplinären Zusammenschluss von Akteurinnen und Akteuren der Lebensmittelbranche, die die Vision einer solidarischen und ökologischen Gesellschaft teilen. Mit gegenseitiger Hilfe wollen sich die aktuell knapp 100 zum großen Teil noch jungen Bio- Lebensmittelunternehmen gemeinsam weiterentwickeln – ökologisch, sozial, ökonomisch und auch mittels Kampagnen öffentlich positionieren.
Nach dem das GFC kurz nach seiner Gründung 2019 durch die beiden Impact-Start-ups Selo Beverages und Conflict Food von der Corona-Pandemie ausgebremst wurde, will es jetzt durchstarten. Der Kopf hinter dem Kollektiv ist heute Julian Stock, der sich als bei der Agentur Blood neben der Nachhaltigkeitsberatung von Unternehmen darum kümmert, das GFC voranzubringen.
Der 41-Jährige ist seit rund zehn Jahren in der Impact-Branche unterwegs. Zuvor arbeitete er in der Automobilindustrie, dann kam die Sinnkrise, gefolgt von einem Neustart. Über die vegane Ernährung entdeckt er die Nachhaltigkeit als Ganzes.
Für Alnatura beschäftigte sich Julian Stock sieben Jahre lang unter anderem mit Sortimenten, Kommunikation und Kampagnenmanagement. Dort hatte er bereits viel zu tun mit Food-Start-ups und ist so „in die junge wilde Szene hineingeraten“, wie er sagt. Wahrscheinlich geht er auch deshalb undogmatisch und offen an die Bio-Branche heran. „Mir geht es nur um die Sache“, sagt er. Und: „Es braucht Pioniere und Start-ups für den Wandel.“
„Was die einen wissen, kann den anderen helfen.“
BioHandel: Julian Stock, welche Kriterien müssen Unternehmen erfüllen, damit sie Teil des Good Food Collective werden können?
Julian Stock: Niemand ist perfekt und muss es auch bei uns nicht sein. Aber unsere Mitglieder müssen einen Willen haben, sich weiterzuentwickeln und ihr Nachhaltigkeitsengagement ehrlich und konsequent voranzutreiben. Unser Mitgliedsantrag basiert auf dem Schnelltest der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Die Mitglieder bewerten sich dabei selbst. Hinzu kommen noch GFC-eigene Kriterien, weil die GWÖ sich nicht auf Lebensmittel bezieht. Dann schauen wir uns die Bewerbung an und entscheiden nach dem Vier-Augen-Prinzip.
Wie trägt euer Netzwerk zur Weiterentwicklung der Mitlieder bei?
Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig inspirieren und uns voranbringen. Die Best-Practice eines Unternehmens soll im GFC zur Common Practice werden. Was die einen wissen, kann den anderen helfen. Durch diese Weiterentwicklung findet auch eine Festigung und bessere Differenzierung der einzelnen Marken statt. Beispielsweise trifft bei uns Bio auf Fairtrade und beide haben so die Möglichkeit voneinander zu lernen und so zu Bio-Fairtrade zu werden. Letztlich geht es darum, gemeinsam Probleme zu lösen und mehr zu bewegen.
Wie finanziert sich das Good Food Collective?
Wir erheben einen obligatorischen Mitgliedsbeitrag, der Richtwert liegt bei 500 Euro pro Jahr. Außerdem arbeiten wir an einem Fundraising-Konzept – und insgesamt am richtigen Organisationsmodell, damit wir unsere Arbeit am sozial-ökologischen Wandel langfristig leisten können.
Können auch Unternehmen Mitglied werden, die mit Nachhaltigkeit bislang nichts am Hut haben, aber haben wollen?
Das GFC versteht sich ganz klar als Nachhaltigkeitsnetzwerk und hat daher hohe Ansprüche – auch um die Balance unter den Mitgliedern zu gewährleiten. Schließlich haben wir beispielsweise mit der Bohlsener Mühle, Fairfood Freiburg oder Fairafric Unternehmen in unserem Netzwerk, mit einem sehr starken Nachhaltigkeitsengagement in vielen Dimensionen. Eine bestimmte Qualität setzen wir daher voraus und vor allem eine klare Haltung. Nachhaltiges Handeln muss aus Überzeugung geschehen, nicht, weil es ein wachsender Markt ist. Wir wollen die Speerspitze der Nachhaltigkeit abbilden und wir wollen die Unternehmen mitnehmen, die Trends setzen, vorausgehen und damit beispielhaft sind für die gesamte Foodbranche. Allerdings können wir interessierten Unternehmen, die noch nicht so weit sind, anbieten, sie beim Thema fit zu machen, damit sie unsere Kriterien erfüllen.
„Mega-Trends wie Vegan oder Nachhaltigkeit als Lifestyle wurden viel zu lange ignoriert und der konventionelle Markt hat das einfach übernommen.“
Auf seiner Webseite listet das GFC seine „Kollektivmitglieder“ aus. Dort stehen viele Food-Start-ups aber kaum Bio-Pioniere, die man aus dem Naturkostfachhandel kennt.
Das stimmt. Ich hätte gerne noch viel mehr als die derzeit sechs etablierten Fachhandelsmarken bei GFC. Ich sehe nämlich ein riesiges Potenzial darin, dass die alten Hasen von den jungen Wilden lernen können und umgekehrt. Das ist ein wechselseitiges Profitieren: Die Bio-Branche braucht frischen Wind und die Start-ups brauchen Kompetenz. Ich erkenne aber leider auch, dass insbesondere bei den größeren Marken diese Notwendigkeit der Kooperation nicht gesehen wird.
Inwiefern könnten die „alten Hasen“ von den „jungen Wilden“ lernen?
Ein konventioneller Unternehmer von veganen Produkten hat mal auf die Frage geantwortet, warum er nicht bio produziert: Der Markt erfordert das überhaupt nicht. Das Beispiel zeigt, wie schwer es Bio hat, gegen das Vegan-Thema anzukommen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Bio-Marken ein geiles veganes Sortiment anbieten. Da könnte man beispielsweise mit Foodtech-Unternehmen zusammenarbeiten, die nach Bio-Standards produzieren. Aber das ist von den großen Bio-Unternehmen verschlafen worden. 2014 gab es noch nichts Veganes im konventionellen Handel. Wenn man etwas Veganes oder Vegetarisches haben wollte, ist man in den Bioladen gegangen. Das war die erste Adresse. Damals hätte viel mehr investiert werden müssen.
Es braucht Hero-Produkte. Aber die fehlen im Vegan-Sortiment der Bioläden. Und auch wenn Start-ups nicht unbedingt besser produzieren können, besser kommunizieren können sie auf alle Fälle. Bei allem Respekt für die Arbeit der Pioniere: Es herrscht teilweise eine Arroganz in der Branche und die Überzeugung, dass das Wachstum einfach weitergeht. Mega-Trends wie Vegan oder Nachhaltigkeit als Lifestyle wurden viel zu lange ignoriert und der konventionelle Markt hat das einfach übernommen. Start-ups bewegen sich viel selbstverständlicher in diesem neuen Umfeld. Davon sollten die Pioniere lernen und sich modernisieren.
Wollen junge Vegan-Hersteller lieber in den LEH?
Die konventionellen Händler und Drogerien mit ihrer Marktmacht und ihren Budgets haben eine große Attraktivität. Denn auch Start-ups müssen skalieren und Mengen absetzen, die über den Fachhandel teilweise einfach nicht machbar sind. Auf der anderen Seite ist der Fachhandel immer dafür bekannt gewesen, Zusammenarbeit auf Augenhöhe anzustreben und echte, langfristige Partnerschaften einzugehen. Das hat den Fachhandel schon immer attraktiv gemacht und ist meiner Meinung nach immer noch ein absoluter Bonus.
Doch vor allem von den größeren Bio-Händlern hört man immer wieder, dass dort das Einkaufsverhalten sehr konventionell geworden ist. Dass genauso nach wenigen Monaten ausgelistet wird, wenn ein Produkt nicht funktioniert. Dass ein Produkt ohne Kommunikation ins Regal gestellt wird und für Aktionen noch bezahlt werden soll. Damit verliert man Attraktivität, weil man zusätzlich dazu nicht die Absatzmöglichkeiten bieten kann wie der konventionelle Handel, wo ganz andere Massen bewegt werden. Alle Brands mögen den Fachhandel. Sie sagen aber auch, dafür müsste viel mehr passieren. Viel mehr bessere und langfristige Zusammenarbeit.
„Der Fachhandel sollte viel mehr zu einer Innovationsmaschine werden und ganz klar kommunizieren: In den Markt kommen Bio-Produkte nur über den Fachhandel.“
Was würde denn funktionieren?
Der Fachhandel sollte viel mehr zu einer Innovationsmaschine werden und ganz klar kommunizieren: In den Markt kommen Bio-Produkte nur über den Fachhandel. Der Fachhandel macht euch erst stabil genug, damit ihr dem konventionellen Markt gewachsen seid. Dazu gehören beispielsweise Entwicklungsarbeit, Beratung, gemeinsame Aktionen und Kommunikation. Das bringt Exklusivität und Strahlkraft der Start-ups, differenziert den Fachhandel aber umgekehrt. Und wenn die Marken irgendwann in den LEH gehen, kommen ohnehin ständig neue nach.
Welche Eigenschaften hat die perfekte Marke?
Haltung, echtes Engagement, Demut, Willen zur Weiterentwicklung, zur Zusammenarbeit, zur Veränderung. Entweder man hat das Feuer, wirklich etwas zu tun, oder eben nicht.
Können eigentlich auch Fleischhersteller Mitglied bei euch werden?
Auch wenn unser Fokus auf bio-veganen Unternehmen liegt: In einer modernen Ernährung geht es nicht darum, 100 Prozent bio oder 100 Prozent vegan zu leben. Das ist für die wenigsten leistbar und einfach unrealistisch. Mit diesem Anspruch sprechen wir nicht den Mainstream an, den es braucht, um eine nachhaltige Ernährungswende hinzubekommen.
Mit Dogmatismus holen wir Leute nicht ab, sondern mit tollen Produkten und Lösungen, beziehungsweise Alternativen, die Spaß machen – von Menschen entwickelt, die Bock haben, was zu verändern und nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Die Menschen sollen mit dem richtigen Griff ins Regal ohne Umwege einen Beitrag zum sozial-ökologischen Wandel leisten. Bei tierischen Produkten geht es ja um „möglichst wenig – und wenn, dann in der richtigen Qualität“. Ein Fleisch-Unternehmen müsste weit über Bio-Standards hinausgehen, dann könnte es theoretisch auch Mitglied werden. Es ist aber nicht unser Fokus.
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