Wie eng waren die Verbindungen zwischen den Vertretern der biodynamischen Landwirtschaft und dem Nationalsozialismus? Das gerade erschienene Buch „Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit“ bringt pünktlich zum 100. Geburtstag des biodynamischen Landbaus neue Erkenntnisse in die Diskussion. Seit 2020 gingen die drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Dr. Jens Ebert, Dr. Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel umfassend und wissenschaftlich der Frage nach einer NS-Belastung der biodynamischen Bewegung nach.
In Auftrag gegeben hatten die Studie der Demeter e.V., die Biodynamic Federation Demeter International und die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum – Freie Hochschule für Geisteswissenschaft. Finanziert wurde das Forschungsprojekt von den drei Auftraggebern sowie der Software AG Stiftung, der Edith Maryon Stiftung und dem Rudolf Steiner Fonds.
Material aus Archiven, Nachlässen und dem NS-Überwachungsapparat
Wie viel braunes Gedankengut steckte also in den grünen Köpfen der Biodynamiker? Und wie kam es dazu, dass die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ausgerechnet während der NS-Zeit einen „mächtigen Schritt vorwärts“ gemacht hat, wie die Anthroposophen Erich Thierfelder und Hellmut Bartsch seinerzeit konstatierten?
Um diese Frage zu beantworten, haben die Autorinnen und Autoren zahlreiche Quellen ausgewertet, die es zu den damals rund 2.000 Personen, die sich zu den Biodynamikern zählten, gibt. Dazu zählen unter anderem mehr als 10.000 Seiten aus dem NS-Überwachungsapparat, zudem Unterlagen aus mehr als 30 weiteren Archiven und Nachlässen.
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Auch wenn die biodynamische und die nationalsozialistische Bewegung zeitgleich entstanden und für diese Zeit typische Auffassungen teilten, wie etwa Kritik an der zunehmenden Rationalisierung des Lebens: Die Lösungsansätze beider Bewegungen waren höchst unterschiedlich.
Keine Zustimmung zu den zentralen NS-Ideologemen
„Überrascht“ waren die Wissenschaftler unter anderem davon, „dass in unserer Textanalyse von biodynamischen Schriften, selbst in jenen Texten, die nach 1933 explizit an NS-Stellen adressiert wurden, keine Zustimmung zu den zentralen NS-Ideologemen – Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Imperialismus und der Vernichtung ,unwerten‘ Lebens – enthalten sind“.
Gleichwohl steht für die Autorinnen und Autoren außer Frage, „dass die Mehrzahl der biodynamischen Mitglieder im Jahr 1933 mit der Gleichschaltung und Eingliederung ihrer Organisation in den NS-Apparat einverstanden war“. Sie zogen das der einzigen Alternative vor: der Selbstauflösung ihrer Bewegung.
Stattdessen konstatieren die Wissenschaftler institutionelle Kooperationen der biodynamischen Landwirtschaft mit dem NS-System. Belegt ist, dass sowohl Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess als auch SS-Reichsführer Heinrich Himmler große Sympathien für den biodynamischen Landbau hatten.
Insbesondere Hess sei es zu verdanken gewesen, dass die biodynamische Bewegung im NS-Regime nicht zerschlagen wurde. Bereits in den 1920er-Jahren wurden Rudolf Steiner und die Anthroposophie massiv von völkisch-nationalen Kräften attackiert. Und auch nachdem die NS-Führung 1941 den Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise und damit den biodynamischen Landbau offiziell verboten hatte, wurde dieser unter der Aufsicht von Himmlers SS im Umfeld von Konzentrationslagern weiterbetrieben.
Komplexe, widersprüchliche Positionen und Verhaltensweisen
Unter den Vertreter der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise waren solche aus dem links-liberalen Spektrum genauso wie solche, die ideologische Schnittmengen mit dem NS aufwiesen. Zur letzteren Gruppe zählte den Autoren zufolge eine der Schlüsselfiguren jener Zeit: Erhard Bartsch, der unter anderem den Demeter-Wirtschaftsbund führte und ab 1933 den gegründeten Biodynamischen Reichsverband führte.
Bartsch vertrat der Studie zufolge „keine antisemitischen Positionen“ und auch seine Schriften blieben „in weiten Teilen erstaunlich unberührt“ von nationalsozialistischen Zeiteinflüssen, auch wenn sie an Funktionäre des Regimes gerichtet waren. Dennoch, so die Autoren, unterstützte er bis zu seiner Verhaftung im Sommer 1941 den nationalsozialistischen Staat und „verehrte die ‚Persönlichkeit‘ Aldolf Hitlers“.
Die komplexen, widersprüchlichen Positionen und Verhaltensweisen der Vertreter der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise zeigt die Studie an zahlreichen Stellen auf. Beispielsweise wurden jüdische Mitglieder aus dem Biodynamischen Reichsverband ausgeschlossen, gleichzeitig fanden Jüdinnen und Juden aber auch Zuflucht vor Verfolgung in biodynamischen Betrieben.
Widerstand gegen die mächtigen Agrarchemiekonzerne
Den widersprüchlichen Opportunismus der Biodynamiker für das Nazi-Regime erklären die Autoren insbesondere mit deren „Mission zur Rettung des Bodens und dem Willen, der Wirtschaftsweise als Idee und in der Praxis zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen“. Dabei ging es ihnen auch um den Widerstand gegen die mächtigen Agrarchemiekonzerne – allen voran in Gestalt der I.G. Farben.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die übergroße Mehrheit der Anhänger und Vertreter der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise keine Nationalsozialisten waren. Gleichwohl seien viele von ihnen, wie zahllose weitere Deutsche, Opportunisten einer menschenverachtenden Diktatur gewesen – wenn auch mit dem Ziel, eine besseres, nachhaltiges Landwirtschaftssystem zu etablieren.
Als einziger Biodynamiker musste sich Franz Lippert nach 1945 einem Entnazifizierungsverfahren stellen und wurde, wie die Mehrheit der Deutschen, freigesprochen. Lippert war einer von sechs Fachkräften, die von der SS rekrutiert wurden, um bei biodynamischen-gärtnerischen Versuchen im KZ Dachau mitzuwirken. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass den Biodynamikern zumindest bewusst gewesen sei, dass sie für ein verbrecherisches System arbeiteten. Das Ausmaß der Verbrechen, so die Wissenschaftler, dürfte ihnen allerdings nicht bekannt gewesen sein.
Der Wille zum Neuanfang
Bereits kurz nach Ende des 2. Weltkriegs betonten Vertreter der biodynamischen Gesellschaft ihren Willen zu einem Neuanfang. Sie gründeten den Forschungsring für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise und distanzierten sich damit vom ehemaligen Reichsverband. Dessen wichtigste Funktionäre, Erhard Bartsch und Franz Dreidax, sollten im Forschungsring keine Funktion mehr einnehmen.
Auch der heutige Demeter-Verband hat eine klare Position zu den Geschehnissen der Vergangenheit: „Als ideelle Nachfahren der damaligen biodynamischen Protagonisten nehmen wir unsere Verantwortung ernst und distanzieren uns von der aktiven Kollaboration einiger Biodynamiker, speziell von deren Mitwirken in den landwirtschaftlichen Anstalten der SS in Konzentrationslagern“, so Demeter-Vorstand Alexander Gerber. „Wir verurteilen zudem die versuchte Anbiederung mit Größen des NS-Systems und den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem biodynamischen Reichsverband.“
Darüber hinaus betont Gerber: „In der Anthroposophie ist das Gegenteil von Rassismus angelegt. Heute distanziert sich die Satzung des Demeter-Verbandes ausdrücklich von Rechtsextremismus und Rassismus.“ Als weltweite und in unterschiedlichsten Kulturen und Religionen aktive Bewegung trete der Verband extremistischen und ausschließenden Gedanken oder Praktiken entschieden entgegen. Grundlage sei der humanistische Entwicklungsanspruch der Anthroposophie, so der Demeter-Vorstand.
Die Studie als Buch
„Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure, Verbindungen, Haltungen“. Von Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel. Metropol Verlag. 477 Seiten. 34 Euro. Auch als E-Book erhältlich (27 Euro).
Kommentare
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diese Form der Aufarbeitung wurde ja auch langsam Zeit.