Mals, im Juni 2014: Das ganze Dorf im nördlichen Vinschgau ist auf den Beinen. An vielen Stellen hängen die Einwohner Transparente und Poster auf. Sie appellieren damit an die Mitbürger, für ein Pestizidverbot auf dem Gemeindegebiet zu stimmen. Was war passiert? Immer mehr Apfelplantagen wurden in den Jahren zuvor im Vinschgau angelegt, und zwar bei überwiegend konventioneller Bewirtschaftung. Schwaden von giftigen Sprühnebeln, die die Apfelbauern im Frühjahr und Sommer einsetzen, nahmen stetig zu. Viele Bürger fühlten sich zunehmend unwohl mit diesen Aerosolen, die nicht nur in den Plantagen verbleiben, sondern mit jedem Windhauch auch auf Wanderwege und in den Ort getragen werden. Um dem entgegenzuwirken, gründeten einige Aktive im Jahr 2013 eine Bürgerinitiative – mit dem Ziel, eine Volksabstimmung gegen Pestizideinsatz in den Gemeindegrenzen herbeizuführen.
Im Juli 2014 wurde dann tatsächlich abgestimmt, trotz etlicher Hindernisse. Das Ergebnis war eindeutig: 76 % der rund 5.000 Einwohner stimmten dafür, dass die 250 km² umfassende und auf über 1.000 Höhenmetern gelegene Gemeinde künftig frei von Pflanzenschutzmitteln bleiben soll. Den Text, der den Bürgern vorgelegt wurde, findet man auch heute noch auf der Internetseite der Gemeindeverwaltung. In der entscheidenden Passage heißt es: „ … der Einsatz sehr giftiger, giftiger, gesundheitsschädlicher und umweltschädlicher chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel und Herbizide“ ist „auf dem Gemeindegebiet nicht zugelassen.“
Pestizidverordnung kommt Komplettverbot gleich
Rund zwei Jahre später, am 29. März 2016, votierte der Malser Gemeinderat zugunsten einer Pestizidverordnung, die den rechtlichen Rahmen für die Ökologisierung in der Landwirtschaft vorbereiten sollte. (Das Online-Magazin Salto berichtete darüber). Zwar sieht diese kein allgemeines Pestizidverbot vor, sondern die Untersagung der giftigsten Pestizidklasse. Da jedoch für alle Pestizidanwendungen eine Abstandsregelung von 50 Metern vorgeschrieben wird, käme dies einem Komplettverbot gleich. Denn die Parzellen seien in der Regel klein, so Ulrich Veith von der Südtiroler Volkspartei (SVP) und seit 2009 Bürgermeister von Mals. Zudem solle es regelmäßige Rückstands-Messungen geben, die weitere Möglichkeiten eröffnen, tätig zu werden.
Am 24. Mai 2016 jedoch kassierte das Bozener Landesgericht die Volksabstimmung vom Sommer 2014 als rechtswidrig. Allerdings konnte diese Entscheidung der gemeindlichen Verordnung nichts anhaben. Diese hatte sich nämlich nicht explizit auf den Volksentscheid bezogen. Auf Unmut stößt die Verordnung weiterhin bei einigen konventionellen Obstbauern – und eben auch bei der Landesregierung, die keinen Präzedenzfall zulassen möchte.
Unterstützung erhalten die Pestizidgegner hingegen auch, und zwar aus ganz Europa. Das Umweltinstitut München hat im März eine Online-Petition auf den Weg gebracht, über 20.000 Unterschriften sind bislang zusammengekommen. „Der Südtiroler Landtag sollte den Gemeinden z.B. über Abstandsregelungen für den Pestizideinsatz die Möglichkeit eröffnen, den Pestizid-Verbrauch zu reduzieren und zu beenden“, fordert Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik beim Umweltinstitut.
Wer sich dem Aufruf im Internet anschließt, bekommt postwendend eine vorgefertigte Antwort vom Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, dem die Unterschriften automatisch zugeschickt werden. Darin bedankt er sich für das Schreiben und betont, dass Südtirol „seit Jahrzehnten den Schutz der Umwelt und die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel im Fokus hat.“ Und weiter heißt es: „Südtirol ist ein Vorreiter in der biologischen Produktion. Nahezu jeder zweite Bio-Apfel in Europa kommt aus Südtirol.“
Doch damit belässt es Kompatscher nicht. Die Informationen des Umweltinstituts seien „in weiten Teilen falsch bzw. durch extreme Vereinfachungen gekennzeichnet.“ Laut dem Landeshauptmann ist von Anfang an klar gewesen, dass die Gemeinde in diesem Bereich keine Zuständigkeit hat, weil die nationale und europäische Gesetzgebung greift. „Die Gemeindepolitik hat beschlossen, sich darüber hinwegzusetzen und trotzdem eine Volksbefragung abzuhalten. Nun scheitert die Gemeinde an der Umsetzung eines Versprechens, das von Anfang an unhaltbar war. Die Verantwortung dafür der Landesregierung zuzuschieben, ist falsch.“
Gesetzesänderung erst nach dem Beschluss von Mals
Das sieht Karl Bär vom Umweltinstitut München gänzlich anders. Fakt sei, dass die Landesregierung erst Anfang 2016 mit dem Gesetz zu Bestimmungen auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes tätig geworden sei. „In Artikel 7 hat sie festgelegt, dass die Gemeinden nicht für den Pestizideinsatz zuständig sein sollen.“ Es habe daraufhin einen Antrag aus der Opposition im Südtiroler Landtag gegeben, der das Recht der Gemeinden, aktiv zu werden, stärken wolle.
„Das neue Gesetz ist der Hintergrund unserer Aktion. Die Landesregierung hat damit gezielt verhindern wollen, dass das Malser Projekt erfolgreich wird.“ Bleibt noch die Frage, in wie weit hier EU-Recht gilt. Dazu erklärte die EU-Kommission auf Anfrage des belgischen EU-Abgeordneten Bert Staes, es sei Aufgabe der Regionen sowie der Mitgliedsländer, die Rahmenbedingungen zu definieren. Dazu gehöre auch die Beschränkung des Pestizideinsatzes auf weniger gefährliche Mittel, so wie sie im integrierten Anbau verwendet wird.
Auch Bürgermeister Ulrich Veith sieht einen erheblichen Dissens zu Landeshauptmann Kompatscher: „Die Gemeinden sind in Italien unabhängige öffentliche Körperschaften. Allerdings müssen natürlich auch wir uns an die Gesetze halten. Wir glauben das auch getan zu haben: Der Bürgermeister ist in Italien der oberste Hüter der Gesundheit der Bürger und der öffentlichen Sicherheit.“ Veith sieht sich also für das Wohlergehen in seiner Gemeinde zuständig und handelt in deren Interesse.
Immer mehr Bio-Betriebe in Mals
Derzeit sei noch ein Verfahren in Bozen anhängig, das von Gegnern der Verordnung angestrengt wird. Doch schon längst werde die Verordnung in Mals umgesetzt, sagt Veith. Für Anlagen im Obstbau bestehe, so der Bürgermeister, eine Übergangsfrist von zwei Jahren. „Diese läuft im April 2018 aus. Dann müssen sie umgestellt werden. Neue Anlagen müssen bereits jetzt nach den Richtlinien des biologischen Landbaus bewirtschaftet werden.“ Die Entwicklung in Mals sei insgesamt sehr positiv. „Es entstehen immer mehr Bio-Betriebe, auch in der Viehwirtschaft.“ Allerdings seien auf Gemeindeebene noch keine konkreten Zahlen erhoben worden. Auch in Sachen Bio-Verbrauch tue sich Erfreuliches. „Wir haben alle Küchen der Kindergärten bereits vor zwei Jahren auf Bio umgestellt. In der Schüler-Mensa beträgt der Anteil ca. 70 Prozent Bio und regional.“ Der eingeschlagene Weg müsse konsequent weiter verfolgt werden. „Wir werden sensibilisieren, motivieren aber auch kontrollieren und, wenn notwendig, strafen“, kündigt der Bürgermeister an.
Dorothea Steiner, die gemeinsam mit ihrem Mann Friedrich das Bio-Hotel Panorama in Mals betreibt, unterstützt die Initiative für Pestizidfreiheit. Die Entwicklung könne jedoch nur Schritt für Schritt verlaufen, sagt sie. Den Bauern müsse genügend Zeit für eine Umstellungsphase eingeräumt werden. Mit dem eigenen Vorleben, aber auch mit Beratung, könne man ihnen zur Seite stehen. Der Erfolg sei aber schon greifbar, stellt Steiner fest. „Immer mehr Obst- und Viehbauern in der Umgebung satteln um“.
Mitmachaktion des Umweltinstituts München: „Unterstützt die Pestizidrebellen von Mals“
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