Für zahlreiche gentechnisch veränderte Lebensmittel könnte in Zukunft die Deklarationspflicht wegfallen. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Verordnungsentwurf der Kommission hervor, der dem BioHandel vorliegt. Pflanzen, die mit neuen Gentechniken (NGT), wie etwa dem Gentechnikverfahren Crispr/Cas, entwickelt werden, sollen dem Entwurf zufolge künftig in zwei verschiedene Kategorien eingestuft werden:
Unter „Kategorie 1“ sollen dem Entwurf zufolge NGT-Pflanzen fallen, die auch natürlich vorkommen oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden können und keine Eigenschaften aufweisen, die sich negativ auf die Nachhaltigkeit auswirken können. Für sie sieht der Entwurf kein Zulassungsverfahren und damit auch keine Risikoprüfung vor, sie müssen lediglich angemeldet werden.
NGT-Pflanzen der „Kategorie 1“ unterliegen damit nicht den geltenden EU-Vorschriften zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Ausgenommen von dieser Regelung sollen NGTs sein, die resistent sind gegen Herbizide. Sie sollen auch weiterhin der GVO-Verordnung unterliegen.
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) geht aufgrund den „sehr breit gewählten Kriterien für die Einstufung in diese Kategorie (Kategorie 1, d. Red.)“ davon aus, „dass ein Großteil der künftigen NGT-Pflanzen in diese Kategorie fallen werde.
Crispr/Cas
Die sogenannte Genschere setzt gezielt bei Genen an, die eine bestimmte Funktion erfüllen. Bei dem Verfahren wird der Genstrang an einer bestimmten Stelle durchtrennt, anschließend repariert das zelleigene System diese Lücke wieder. Dadurch entstehen Veränderungen im Erbgut, die auch auf natürliche Weise auftreten können. Auch artfremde Gene lassen sich mit Crispr/Cas in eine Pflanze einbauen (Transgenese).
Alle anderen NGT-Pflanzen fallen in die „Kategorie 2“. Sie sollen ein „angepasstes“ Zulassungsverfahren inklusive Risikoprüfung durchlaufen und werden auch weiterhin als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet. Der BÖLW kritisiert unter anderem, dass der Entwurf hier „Erleichterungen“ im Vergleich zum bisherigen Verfahren vorsehe.
Grundsätzlich hält die Verordnung nur dann eine umfassende Risikobewertung für erforderlich, wenn es vorab „plausible Hinweise“ auf Risiken gebe. Außerdem würde durch die geplante Verordnung dem BÖLW zufolge das Monitoring möglicher Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit deutlich reduziert.
Unabhängig von der Kategorie: In der Bio-Landwirtschaft soll die Verwendung von Gentechnik weiterhin verboten sein. Neben einem öffentlichen Transparenzregister zur GVO-Verwendung sieht der Kommissions-Vorschlag ebenfalls eine Kennzeichnung für Saatgut vor, für das NGT verwendet wurde. Dadurch sollten Züchter und Bio-Landwirte zumindest theoretisch in der Lage sein, die Verwendung von Sorten zu vermeiden, die mit NGTs gewonnen wurden.
Bioland begrüßt, dass die EU-Kommission auch den Einsatz neuer Gentechniken bei Bio untersagt. Gleichzeitig kritisiert der Verband, dass Fragen der Patentierung in dem Entwurf „gänzlich außen vorgelassen werden“. Klar sei, so der Verband in einer Stellungnahme, dass die neue Gentechnik Patente befeuere – nicht nur auf Sorten, sondern vor allem auf genetische Eigenschaften wie etwa auf bestimmte Resistenzeigenschaften von Wildsorten. Pflanzliche Eigenschaften könnten nur dann patentiert werden, wenn sie durch ein technisches Verfahren erzeugt werden können. „Damit fallen dann aber alle Sorten, auch die herkömmlich gezüchteten Sorten mit
diesen patentierten Eigenschaften, unter das Lizenzsystem der Agrochemie", warnt der Verband. „Es geht vor allem um ein sehr lukratives Geschäftsmodell für Agrochemie-Konzerne“, sagt Bioland-Präsident Jan Plagge.
Die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres bezeichnet den Gentechnik-Entwurf als „Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit“, der Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen treibe. „Der Großteil aller künftig mit Gentechnik manipulierten Pflanzen soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet werden. Einzig auf der Saatgut-Ebene soll es eine Deklaration geben“, so Andres.
Entscheidungskriterien „völlig willkürlich gewählt“
Nicht nachvollziehbar ist für die BÖLW-Vorständin außerdem, wie zwischen den beiden Kategorien unterschieden werden soll. Die Entscheidungskriterien, ob Gentechnikpflanzen zulassungspflichtig sein sollen oder nicht, „sind völlig willkürlich gewählt“, so Tina Andres. „Damit würde sich die EU-Kommission von der seit Jahrzehnten etablierten wissenschaftsbasierten Zulassung verabschieden.“
Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) begrüßt zwar, dass die EU-Kommission auch neue Gentechnik in der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft verbieten will. Gleichzeitig kritisiert der Verband den Vorschlag aus Brüssel, „den dafür notwendigen Schutz aus bisher geltenden Koexistenzregelungen (Schutz gegen Gentechnik-Kontaminationen, d. Red.), Rückverfolgbarkeit und Transparenz abzuschaffen“. Der Entwurf sieht vor, dass die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, selbst Maßnahmen zu treffen, um Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Pflanzen zu vermeiden.
BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel zufolge stelle dieses Vorgehen das Verursacherprinzip auf den Kopf. „In der Konsequenz würde das für die Unternehmen der Bio-Branche einen deutlich höheren Aufwand in der Sicherung der Qualität von Bio-Lebensmitteln bedeuten. Zudem erhöht sich dadurch die Gefahr der Kontamination von Bio-Produkten mit neuer Gentechnik aus der konventionellen Landwirtschaft“, kommentiert sie den Entwurf.
„Es kann nicht sein, dass gerade die Unternehmen, die versuchen neue Gentechnik zu vermeiden, die Kosten für die Gewährleistung der Gentechnikfreiheit ihrer Produkte zu tragen haben“, so Kathrin Jäckel. Der Grünen-Abgeordnete Karl Bär befürchtet, dass der zusätzliche Aufwand, mit dem sich Landwirte vor Kontamination etwa durch von Wind verwehte Samen schützen müssten, „das Ende der ökologischen Landwirtschaft“ bedeuten würde, wie er der Nachrichtenagentur dpa sagte.
EU-Kommission sieht „erhebliche Nachfrage“ nach NGT-Pflanzen
Karl Bärs Grünen-Kollege im Europaparlament, Martin Häusling, verweist auf „zahlreiche Wissenschaftler und zahlreiche Forschungsprojekte“, die zeigten, dass jeder direkte Eingriffe in das Genom einer Pflanze unvorhergesehene Auswirkungen haben könne und ein viel höheres Risiko berge als konventionelle Züchtung.
Auch der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) sieht in den geplanten Regeln für NGT eine akute Bedrohung für alle, die gentechnikfreie Lebensmittel produzieren wollen. Für Verbands-Geschäftsführer Alexander Hissting stellt sich die Frage, wie Erzeuger und Hersteller in Zukunft sicherstellen sollen, „dass keine Gentechnik in ihre Produkte gelangt, wenn die nicht mehr gekennzeichnet werden müsste?“.
Die EU-Kommission begründet ihren NGT-Entwurf unter anderem mit einer weltweiten „erheblichen Nachfrage“ nach solchen Pflanzen. Diese hätten das Potenzial, einen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Agrar- und Ernährungssystem zu leisten.
Im Zuge der Farm-to-Fork-Strategie als Teil des Europäischen Green Deal sieht die Kommission NGTs als ein mögliches Instrument zur Steigerung der Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit, „vorausgesetzt sie sind sicher für Verbraucher sowie Umwelt und kommen der Gesellschaft als Ganzes zugute“, heißt es in dem Entwurf.
Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina vertritt den Standpunkt, dass das Risiko neuer Pflanzenzüchtungen nicht danach beurteilt werden sollte, mit welcher Methode diese erzeugt worden seien. Stattdessen sollte es bei einer Risikobewertung in erster Linie darum gehen, welche spezifischen Eigenschaften diese Züchtungsprodukte haben.
„Die EU-Kommission muss diesen unausgegorenen und Verbraucher-feindlichen Vorschlag jetzt unbedingt zurückziehen und grundlegend überarbeiten.“
Anfang Juli will die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Gentechnik-Neuregelung offiziell vorstellen. Anschließend verhandeln die EU-Staaten sowie das Europaparlament darüber, was wohl noch zu Änderungen am Gesetzestext führen wird. Sollte der Entwurf in seiner derzeitigen Form rechtskräftig werden, würde es künftig drei unterschiedliche Gentechnik-Regelungen im Bereich Land- und Lebensmittelwirtschaft geben:
- Die bereits bestehenden Regeln für „alte“ Gentechnik mit Fremd-Genen (Transgenese)
- Regelungen für NGT-Pflanzen der „Kategorie 1“
- Regelungen für NGT-Pflanzen der „Kategorie 2“
Dem BÖLW zufolge sei diese Neuregelung ein „bürokratischer Alptraum“ für die Land- und Lebensmittelwirtschaft. Der Verband kritisiert außerdem, dass der Entwurf keine sogenannte „Opt-out“-Möglichkeit beinhalte. „Anders als bei bisherigen GVO sieht der Vorschlag vor, dass die EU-Staaten auf ihrem Gebiet den Anbau oder die Verwendung von NGT-Pflanzen nicht einschränken oder verbieten dürfen, die sogenannte ,Opt-Out Option‘ soll also für die neuen GVO nicht gelten.“
Die bisherige Rechtsgrundlage für die Gentechnikgesetzgebung ist die Richtlinie 2001/18/EG (Freisetzungsrichtlinie), die von den Mitgliedstaaten der EU in nationale Gesetze übertragen werden musste. In Deutschland ist das das Gentechnikgesetz (GenTG).
„Die EU-Kommission muss diesen unausgegorenen und Verbraucher-feindlichen Vorschlag jetzt unbedingt zurückziehen und grundlegend überarbeiten“, fordert Tina Andres. Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Europa wolle keine Gentechnik auf dem Teller oder auf dem Acker; „vor allem aber wollen die Menschen selbst entscheiden dürfen, was sie essen“, so Andres
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