Die Bio-Branche wird oft als progressiv und fair gesehen – kämpft sie doch auf vielen Ebenen für gerechtere Bedingungen in Handel und Landwirtschaft. Doch welches Bild zeichnet sich, wenn man die Geschlechtergerechtigkeit in der Landwirtschaft und unter den Bios genauer betrachtet?
Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2020 arbeiteten in Deutschland insgesamt rund 937.000 Menschen in der Landwirtschaft, davon waren nur etwas mehr als ein Drittel weibliche Arbeitskräfte. Wie eine Agri-Experts-Umfrage unter Frauen in der Landwirtschaft zeigt, arbeiten rund 16 Prozent von ihnen in Vollzeit, neun Prozent in Teilzeit, 29 Prozent sind selbstständig und beachtliche 39 Prozent der weiblichen Arbeitskräfte haben kein vertragliches Arbeitsverhältnis und arbeiten teilweise sogar unentgeltlich, etwa in Familienbetrieben.
Mit rund einem Drittel sind Frauen nach BioHandel-Recherchen in den Bundes- und Landesvorständen der Bio-Anbauverbände Demeter, Bioland, Naturland und Biokreis vertreten – im Bund Naturkost Naturwaren (BNN) und im Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sind es je 20 Prozent. Zu der Situation in deutschen Bio-Unternehmen gibt es keine Erhebungen.
Was beim Blick auf die genannten Zahlen auffällt, sticht vielen Branchenvertreterinnen auch beim Besuch von Konferenzen, Workshops oder Seminaren subjektiv ins Auge. „Es sind wenig Frauen auf den Veranstaltungspodien“, beobachtet Christine Brandmeir, Bereichsleitung Gremien und Ehrenamt bei Bioland, immer wieder. Brandmeir ist eine der Initiatorinnen, die im Herbst 2018 ein loses Netzwerk für Frauen in der Bio-Branche ins Leben gerufen haben. Seitdem haben sich interessierte „Bio-Frauen“ mehrfach auf Veranstaltungen wie der BioFach und den Öko-Feldtagen sowie auf zwei digitalen Treffen zum lockeren Austausch zusammengefunden. Dabei stand bisher vor allem das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund.
Wozu die Bio-Branche ein solches Netzwerk braucht
Durch die rege Teilnahme an den Treffen wuchs bei den Initiatorinnen der Gedanke, mehr als nur lose Treffen aus dem Netzwerk zu machen. Dieser Wunsch wurde auch seitens der Teilnehmerinnen geäußert, nachdem beim letzten großen Online-Treffen im Dezember 2021 andere Frauen-Netzwerke vorgestellt wurden. Mit der Inspiration wie ein professionelles Netzwerk funktionieren kann, ging es zu Beginn des Jahres mit acht Frauen in konkretere Planungen für das „BioFrauenNetz“. Dabei wurden Ziele definiert und Ideen zu möglichen Netzwerkformaten wie etwa gemeinsamen Online-Kaffeepausen, regionalen Arbeitsgruppen und Mentoringprogrammen erarbeitet.
Im Fokus des Aufschlags stand die Frage, wozu es überhaupt ein solches Netzwerk braucht – denn häufig wird die Dynamik der gegenseitigen Unterstützung außerhalb des direkten Arbeitsplatzes unterschätzt. Ergebnis der Planungsrunde waren die folgenden Zielsetzungen:
- Aufbau eigener Netzwerke durch gegenseitiges Kennenlernen
- Austausch zu Problemen, Herausforderungen, Hürden
- Förderungsmöglichkeiten
- Gegenseitige Unterstützung
- Kompetenzen stärken, ausschöpfen und weitergeben
- Geschlechtergerechte Sprache in der Branche fördern
- Geschlechtergerechte Arbeitsstrukturen etablieren beziehungsweise stärken
- Persönlichkeitsentwicklung
- Mehr Sichtbarkeit für Themen wie Care-Arbeit, Frauen in Führungspositionen, etc. schaffen, etwa durch Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Branche
Um nun im Hinblick auf die erarbeiteten Perspektiven gemeinsam aktiv zu werden und mehr Frauen für das Netzwerk zu gewinnen, sind bereits zwei weitere große Treffen im Rahmen der Öko-Feldtage Ende Juni und der Biofach Ende Juli 2022 geplant – konkrete Termine und Programme der Treffen sind derzeit noch nicht bekannt. Mehr Informationen zu den Veranstaltungen sowie den Möglichkeiten mitzuwirken, gibt es bei Ansprechpartnerin Christine Brandmeier (christine.brandmeir"at"bioland.de).
Im Gespräch
Christine Brandmeir, Bereichsleitung Gremien & Ehrenamt bei Bioland, über die Perspektiven des BioFrauenNetz
Frau Brandmeir, wie kommt es, dass so viele Frauen in der Bio-Branche tätig sind und sie in Führungsebenen, Betriebsleitungen und auf Veranstaltungspodien trotzdem eher unterrepräsentiert sind?
Es wird viel dazu geforscht, wieso der Unterschied im Geschlecht zu Unterschieden in der Arbeitswelt führt. Viele Prozesse laufen unbewusst ab und haben damit zu tun, wie wir uns als Männer und Frauen bzw. Menschen wahrnehmen, welche Vorbilder uns prägen, wie wir gefördert werden und welche Ziele wir verfolgen.
Wie kann sich daran etwas ändern?
Interessant sind Ansätze, die unbewusste Entscheidungsmechanismen reflektieren und korrigieren, z.B. anonyme Bewerbungsverfahren. Aber es geht auch darum, die Kommunikations- und Entscheidungskultur zu verändern. Ich finde es wichtig, dass wir etwa Meetings so gestalten, dass sich alle Beteiligten einbringen können und sichtbar werden.
In welcher Form kann ein Netzwerk zu solchen Veränderungen beitragen?
Sich aufeinander beziehen können, weil frau sich kennt, vertraut und unterstützt – das ist das Netzwerk-Potenzial. Wir wollen uns nicht als Wagenburg im Geschlechterkampf verstehen, sondern neue Wege gehen. Das Netzwerk soll Möglichkeiten eröffnen, sich in unserer Branche kraftvoll zu bewegen und souverän mitgestalten zu können.
Wie soll sich das Netzwerk künftig weiterentwickeln?
Ich wünsche mir, dass sich uns noch viele Frauen anschließen. Erfolgreich wird das BioFrauenNetz sein, wenn sich Mitstreiterinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Branche einbringen und mithelfen, Angebote zu organisieren. Zum Beispiel wollen wir demnächst eine Konferenz organisieren, wo wir unterschiedliche Themen, die Frauen betreffen, diskutieren und gesellschaftspolitisch voranbringen wollen.
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