Die Bohlsener Mühle wächst – und das auch Dank der finanziellen Hilfe von vielen privaten Investoren. Über die Crowdfinancing-Plattform Finnest haben Anleger dem Hersteller von Bio-Getreide und -Gebäck rund zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Mit dem Geld aus der Finanzierungskampagne will die Bohlsener Mühle den Kauf eines „ebenfalls im Segment Premium Bio-Müllereiprodukte tätigen deutschen Unternehmens“ mit circa 65 Mitarbeitern teilfinanzieren, wie dem Kampagnen-Informationsblatt zu entnehmen ist. Der Kaufpreis liegt demnach im einstelligen Millionenbereich. Sollte die Übernahme scheitern, wird das Geld der Crowd-Anleger für den Aufbau der geplanten vierten Backstraße verwendet, auf der ab Ende des Jahres Dauergebäck produziert werden soll.
Crowdfunding vs. Crowdfinancing
Im Gegensatz zu Crowdfunding, bei dem es eher um Spenden oder symbolische Gegenleistungen geht, stellt beim Crowdfinancing eine Masse an Menschen (engl. Crowd) einem Unternehmen Geld zur Verfügung und erhält dafür einen geldwerten Gegenwert, etwa in Form von Zinszahlungen.
Die Ausweitung der Produktionskapazitäten ist auch deshalb notwendig, weil die Bohlsener Mühle seit 2019 kontinuierlich ihr Angebot im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel ausbaut. „Die Strategie, bis 2018 auf den Naturkostgroßhandel als Multiplikator für die eigenen Werte und das Storytelling zu bauen, erweist sich angesichts des sich ändernden Konsumverhaltens der stark wachsenden Biokäufergruppe und der daraus resultierenden Anforderungen sowohl an den Fachhandel als auch an den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel als überholt“, schreibt die Bohlsener Mühle auf der Finnest-Webseite.
Bauck, Voelkel und Biovegan arbeiten bereits mit Crowd-Geld
Dort konnten sich seit dem 26. Januar Anleger mit einem Mindestbetrag von 1.000 Euro und einem Wunschzinssatz von bis zu sieben Prozent um ein Investment bewerben. „Bereits nach 48 Stunden waren Angebote über eine Gesamtsumme von einer Million Euro eingegangen“, teilte die Bohlsener Mühle mit. Rund eine Woche vor dem offiziellen Ende der Bieterfrist am 9. März lagen dem Unternehmen Gebote in einem Gesamtwert vor, der die anvisierten 1.999.000 Millionen Euro überstieg. Die Kampagne wurde daraufhin vorzeitig geschlossen. Wie viele Anleger sich an der Crowd-Finanzierung insgesamt beteiligt haben und wie viele davon letztlich zu welchem Zinssatz einen Zuschlag erhalten werden, wollte man in Bohlsen nicht kommentieren.
Mit der Öffnung für Investitionen durch Kleinanleger geht die Bohlsener Mühle einen Schritt, den vor ihr schon etliche andere Bio-Unternehmen gegangen sind. Bauck Naturkost etwa hat sich 2019 für den Bau seiner rund 20 Millionen Euro teuren Mühle für glutenfreie Haferprodukte eine Million Euro über eine Crowdinvesting-Kampagne besorgt. Bereits zwei Jahre zuvor hat der Natursafthersteller Voelkel 1,5 Millionen Euro von hunderten Anlegern für eine neue Mehrweglinie eingesammelt. Und der Backzutatenhersteller Biovegan hat bereits zwei Kampagnen hinter sich, für ein Anti-Plastik-Programm im Unternehmen und für die Stärkung einer Bio-Kooperative in Madagaskar, von der Biovegan Bourbon-Vanille bezieht.
Alle drei Unternehmen eint, dass sie sich, wie nun auch die Bohlsener Mühle, über Finnest zusätzliches Kapital beschafft haben. Das Unternehmen aus Österreich bezeichnet sich selbst als „der größte Crowd-Marketing Anbieter für die Bio-Branche im gesamten deutschen Sprachraum“ und ist regelmäßiger Teilnehmer der weltweiten Bio-Leitmesse Biofach.
Schwarmfinanzierungen bieten zahlreiche Vorteile
Um sich über Finnest Geld zu beschaffen, geben die Unternehmen Nachranganleihen über mehrere Jahre an die Anleger aus. Das hat für sie gleich mehrere Vorteile: Den maximalen Zinssatz, den sie ihren Investoren jährlich zahlen müssen, legen sie selbst fest. Darüber hinaus kommen sie über die Crowd in der Regel schneller an benötigtes Geld, als das bei bürokratielastigen Bankkrediten der Fall ist. Umgekehrt hilft das von einem Schwarm an Menschen bereitgestellte Geld dabei, die Eigenkapitalquote zu stärken und schafft so bessere Voraussetzung für die Aufnahme eines zusätzlichen Bankdarlehens.
Ein weiterer Vorteil ist, dass Unternehmen Besitzern von Nachrangdarlehen keine Zinsen überweisen oder die investierte Summe zurückzahlen müssen, solange sie ein negatives Eigenkapital aufweisen oder sie dadurch in die Insolvenz rutschen würden. Sollten sie dennoch Pleite gehen, müssen sich Besitzer von Nachrangdarlehen mit ihren Forderungen weit hinten in der Schlange der Anspruchsberechtigten anstellen, da zunächst diejenigen Gläubiger bedient werden, deren Forderungen nicht nachrangig sind. Damit laufen die Schwarm-Anleger Gefahr, dass das gesamte Geld verteilt ist, bevor sie an der Reihe sind.
Um das Risiko der Investoren zu minimieren, schaut sich Finnest die Unternehmen, die auf der Plattform um Geld werben wollen, genau an. Während Konkurrenten wie Kapilendo, Seedmatch oder Conda mit ihren Crowdfinance-Angeboten zumindest in den Anfängen eher Start-ups im Blick hatten, fokussieren sich die Betreiber von Finnest seit ihrer Gründung 2014 auf die Finanzierung von etablierten Mittelständlern, die mindestens zehn Millionen Jahresumsatz machen und seit mindestens zehn Jahren erfolgreich am Markt sind.
Nur Unternehmen, „die über konstantes, jahrelanges Wachstum, ausreichend Eigenkapitalbasis, nachhaltige Ebitda-Ergebnisse, ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell sowie eine stabile Eigentümerstruktur und ein zum Unternehmen passendes Management verfügen“, können laut Finnest auf der Plattform um Geld werben. Die Österreicher nehmen dafür eine Gebühr von 2,75 Prozent auf die Darlehenssumme.
Produktgutscheine statt Zinszahlungen
Ein solch guter Leumund hat Wirkung: 2020 sammelten Unternehmen auf Finnest in 15 Kampagnen durchschnittlich rund eine Million Euro an Kapital ein. Dabei investierten Anleger der Plattform zufolge im Schnitt rund 6.400 Euro. Der Durchschnittszins lag im vergangenen Jahr laut Finnest bei 6,1 Prozent.
Ein positiver Nebeneffekt der Crowd-Finanzierung sind die Marketingeffekte, die damit einhergehen. Denn mit solchen Finanzierungsprojekten können Unternehmen zusätzliche Aufmerksamkeit generieren und so im besten Fall neue Kunden gewinnen. Finnest etwa wirbt mit seiner „großen Reichweite“ und „den begleitenden PR-Aktivitäten“, die die Markenbekanntheit der Unternehmen steigern könnten. Und bei der Konkurrenzplattform Kapilendo heißt es: „Durch die Aktivierung privater Anleger wird eine Vielzahl von potentiellen Kunden auf die Produkte des Unternehmens aufmerksam und die Reichweite und der Bekanntheitsgrad über die eigenen Möglichkeiten hinaus deutlich erhöht.“
Mindestens ebenso wichtig ist aber auch eine weitere Begleiterscheinung der Schwarmfinanzierung: Wer Geld in ein Unternehmen steckt, bindet sich in der Regel noch stärker an dieses und dessen Produkte. So sieht man das auch in Bohlsen: „Wir sind davon überzeugt, dass es im Interesse aller liegt, wenn große Investitionen von vielen Menschen getragen werden, die darüber einen direkten Bezug zu einem Unternehmen wie der Bohlsener Mühle und unserem Investitionsvorhaben herstellen und erleben können“, sagt Co-Geschäftsführer Mathias Kollmann.
Die Verbundenheit mit dem Bio-Pionier ist für einige Investoren so groß, dass sie sich die Zinsen für ihr Darlehen nicht aufs Bankkonto überweisen, sondern in Form von Gutscheinen für Produkte der Bohlsener Mühle auszahlen lassen. „Etwa fünf Prozent der Investitionssumme basiert auf Geboten, die sich die jährlichen Zinsen in Naturalien auszahlen lassen wollen“, sagt Ingke Alsen, die bei dem Mittelständler die Unternehmenskommunikation leitet. Zumindest teilweise dürfte das auch daran gelegen haben, dass es bei der Gutschein-Alternative nochmal 50 Prozent auf den finalen Zinssatz gab.
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