Es ist eine Zahl mit vielen Nullen: „Im Namen aller 11.200.000.000.000.000.000 Insekten des Landes“ ruft Bioland die Politik und Landwirtschaft dazu auf, wirksam gegen das Insektensterben vorzugehen. Dafür hat der Anbauverband die Insektenlobby gegründet, die er vergangene Woche gemeinsam mit offiziell vorgestellt hat.
„Wir möchten so viele Menschen wie möglich erreichen und sie als Mitglied der Lobby gewinnen“, sagte Bioland-Vorstand Jan Plagge. „Sie sollen zur Stimme der Insekten werden und dazu befähigt, aktiven Insektenschutz zu leben und umzusetzen.” Dazu seien in den nächsten Jahren zahlreiche Maßnahmen geplant. Als Beispiel nannte Plagge die aktuelle Kampagne „Hier brummt die Vielfalt“, bei der Bioland unter anderem über Social-Media-Aktionen auf die Lage der Insekten aufmerksam mache. „Unsere Höfe zeigen dabei, wie Insektenschutz in der Landwirtschaft aussehen kann und was den Unterschied macht, wenn Konsument*innen zu Bio anstatt zu konventionell erzeugten Lebensmitteln greifen.”
Zur Insektenlobby gehört unter anderem die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast. „Insekten sind systemrelevant, ohne sie geraten unsere Lebensgrundlagen ins Wanken“, sagte die ehemalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. „Die aktuell steigenden Lebensmittelpreise müssen uns ein Warnsignal sein. Wenn wir das Artensterben und die Klimakrise nicht aufhalten können, so wird das Ernährungssystem mit weitaus größeren Herausforderungen konfrontiert sein.“
„Es wird Zeit für eine Insektenlobby!“
Mit Verweis auf „zahlreiche Lobbyist*innen“, die daran arbeiteten, „das auf teuren Pestiziden und künstlichen Düngemitteln fußende agrarindustrielle System zu beschützen“, forderte Künast „eine klare Kurskorrektur und den konsequenten Ausbau des Ökolandbaus. Es wird Zeit für eine Insektenlobby!“
Katharina Schertler, Naturschutzexpertin bei Bioland, unterlegte die Dringlichkeit eines Richtungswechsels mit Zahlen: „Insekten sind für uns immens wichtig. Jährlich sind sie weltweit an der Erzeugung von Nahrungsmitteln im Wert von mehr als 153 Milliarden Euro beteiligt und sie bestäuben über drei Viertel unserer Nutzpflanzen. Derzeit erleben wir jedoch einen fatalen Rückgang dieser Klasse. Bis zu 75 Prozent der Biomasse sind bereits in Teilen Deutschlands verschwunden.”
Zwar liege Schertler zufolge der größte Hebel in der Landwirtschaft, da diese neben 30 Prozent Waldfläche rund 50 Prozent der Flächennutzung in Deutschland ausmache, doch die Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbraucher sei dennoch sehr wichtig. Das bestätigte Reinhard Witt, Präsident des Naturgarten-Vereins. Einen Schlüssel, insbesondere für Privatpersonen, sieht er in der Verwendung von mehr heimischen Wildpflanzenarten. „Jedes Stückchen mit echten heimischen Wildblumen – sogar mitten in der Stadt – hilft unseren Wildpflanzen und Tieren zu überleben.“
„Eine echte Lobby ist dafür da, denen eine Stimme zu geben, die bisher keine haben. Das wollen wir gemeinsam mit so vielen Menschen wie möglich ändern und richten unsere Forderungen ganz klar auch an die Politik”, sagte Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik bei Bioland. Die Forderungen der Insektenlobby im Einzelnen:
- Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen ihre Flächennutzung ändern: Landwirtschaft und alle Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung für die Nutzung von Flächen haben
- Die Politik muss öffentliche Leistungen der Landwirte für mehr Biodiversität und intakte Ökosysteme ausreichend honorieren
- Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in ökologisch empfindlichen Gebieten sowie auf öffentlichen und privaten Flächen
- Einführung einer Abgabe auf Pestizide
- Erstellung eines wirksamen politischen Gesetzesrahmens, der den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide im Pflanzenschutz als letzte Wahl vorgibt
- Zulassungsstopp für Pestizide mit breiter Wirkung in Kleingewässern
- Verbot aller Totalherbizide, wie bspw. Glyphosat
- Verpflichtende flächengebundene Tierhaltung
- Abgabe für synthetischen Stickstoffdünger
- Förderung der Strukturvielfalt in Agrarlandschaften
- Förderung der Insektenvielfalt in Siedlungsräumen
- Intensivierung der Forschung und des Monitorings
- Einführung eines umfassenden Ökosystemschutz im Grundgesetz, als “Rechte der Natur”
- Systematische Anpflanzung heimischer Wildpflanzen:
- alle 10 Meter ein kleiner Wildpflanzenlebensraum bis zu 10 Quadratmeter. Z.B.: Balkon, Fassadenbegrünung, Wildblumenbeet
- alle 100 Meter ein Wildpflanzenlebensraum bis zu 100 Quadratmeter. Z.B.: Naturgarten, öffentliches Grün, Biodiversitätsdach
- alle 500 Meter ein großer Wildpflanzenlebensraum bis zu 500 Quadratmeter. Z.B.: öffentlicher Park, großer Naturgarten, großes Biodiversitätsdach - Vernetzung und Verbindung der Wildpflanzenlebensräume durch naturnahe Straßenränder, Bahndämme, Wegränder
(mis)
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