Als bekannt wurde, dass Demeter eine Partnerschaft mit Kaufland plant, musste der Naturkostfachhandel schon schwer schlucken. Aber die Aufregung hielt sich in Grenzen, weil es nur rund 280 Warenhäuser in Deutschland sind, die bald mit der Premium- Marke des Ökolandbaus ausgestattet werden. Jetzt sind es mit mehr als 3.000 Discounter-Filialen, deren Bio-Sortimente künftig das Bioland-Logo tragen sollen, sogar deutlich mehr als die rund 2.500 Bioläden und Bio-Supermärkte.
Praktisch jeder Bioladen hat dadurch einen neuen Wettbewerber um die Ecke, der Bio-Käufer mit Produkten des täglichen Bedarfs in Bioland-Qualität eindecken kann. Über die Lidl-Eigenmarke zudem noch zu einem erwartbar günstigen Preis.
Existenz ist gefährdet
Kein Wunder, dass sich Naturkosteinzelhändler wie Mario Blandamura, Geschäftsführer des Bio-Marktes Paradieschen in Linsengericht, angesichts dieser Entwicklung Sorgen machen. „Ich sehe das als große Gefahr und wir müssen hoffen, dass wir in 20 Jahren diesen inhabergeführten Bioladen noch haben. Es kann sein, dass wir komplett verschwinden werden“, sagte er dem HR-Fernsehen.
Auch Michael Sendl, Bioland-Bauer und Chef von BioMichl in Weilheim, ist alles andere als begeistert von der Partnerschaft mit Lidl. Als Bioland- Delegierter habe er sich gegen die Zusammenarbeit ausgesprochen und geht davon aus, dass viele Bioland-Bauern genauso denken. „Der Wert der Bioland-Marke geht durch Lidl verloren“, sagt er und lässt durchblicken, dass er nicht mehr gewillt ist, für die Marke zu werben: „Wer mit Bioland wirbt, stellt sich auf eine Stufe mit Lidl“, betont er (s. Interview Seite 14). Sendl sieht nicht mehr ein, warum er noch Geld in einen Verband stecken soll, der „nichts“ für den Fachhandel getan habe, aber bei Lidl-Anfragen hyperaktiv werde.
Enttäuscht ist auch Volker Schmidt-Sköries, als Betreiber der Vollkornbäckerei Kaiser einer der größten Bioland-Getreideverarbeiter. Er habe die Marke Bioland mit aufgebaut und bei Mitarbeitern und Kunden stets für den Verband geworben. „Jetzt habe ich das Gefühl, 40 Jahre für Lidl gearbeitet zu haben“, sagt er.
Schmidt-Sköries sieht im Gegensatz zu Bioland-Präsident Jan Plagge keinen geläuterten Discounter, der nun mit aller Kraft nachhaltig werden will, sondern Kaufleute, die auf einen Trend aufspringen. Der Wachstumsmarkt Bio sei für Lidl wegen seiner Margen interessant, mehr nicht.
Wie Sendl überlegt er, den eigenen Namen stärker in den Vordergrund zu stellen. Die Einführung von Billig-Brot bei den Discountern habe im konventionellen Bereich zum Bäcker-Sterben geführt. „Wenn Lidl Bioland-Brot auf die Billig- Schiene setzt, wird es auch für die Bio-Bäcker schwierig“, warnt er und verweist auf hohe Getreidepreise, die er seiner Erzeugergemeinschaft zahle. Auch die sei gegen die Bioland-Lidl-Partnerschaft.
„Wir hängen uns auf“
Auf die Frage nach Konsequenzen aus dem Bioland- Lidl-Deal war die erste Reaktion von Axel Bergfeld, Inhaber von drei Bioläden in Bonn und Bad Godesberg: „Wir hängen uns auf“. Die nach Suizid-Absichten klingende Antwort ist jedoch nur eine pragmatische Reaktion auf die neue Partnerschaft des Anbauverbandes. Denn eigentlich hatte Bergfeld vor, nach Umbau und Erweiterung seiner Filiale in Bad Godesberg die Konterfeis von Bioland-Bauern und -Produzenten in seinem Laden aufzuhängen. Stattdessen will er jetzt sich und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellen – und mit Fotos aus dem Ladenalltag die Personen zeigen, die Bergfeld’s Biomarkt in den Augen der Kunden seit mehr als 25 Jahren einzigartig und unverwechselbar machen.
Bergfeld setzt um, was angesichts der Biomarken-Flucht in den LEH von Beratern immer wieder empfohlen wird: sich auf eigene Stärken besinnen und die auch kommunizieren. „Wir als Laden sind die Marke“, sagt er und zeigt sich frisch motiviert.
Relativ entspannt sieht Raoul Schaefer-Groebel, Betreiber des Kult-Ladens Momo in Bonn, den Bioland-Lidl-Deal. Der Bio-Pionier hat schon in den 80er Jahren mit einer Verbandsmarke bei Tengelmann leben müssen. Und Demeter-Partner sei er nie geworden, „weil mir das alles zu schwammig ist“. Abgefunden habe er sich auch mit der Tatsache, dass sich sein Haus- und Hoflieferant, Naturland-Bauer Andreas Klose, jetzt bei Rewe als Testimonial einsetzen lässt. Fachhandelsmarken, die sich Konzernen zuwenden, listet er aus. Bei den Anbauverbänden ist das schwieriger. Und so stehen auf den eigenen Abfüllungen (noch) die Verbandsnamen drauf, auch Bioland.
Wie es sich anfühlt, wenn um die Ecke vergleichbare Bio-Produkte günstiger angeboten werden, weiß er durch die mehrjährige Konkurrenz durch Alnatura: „Einige meiner Kunden kaufen die Waren, bei denen ich preislich nicht mithalten kann, bei Alnatura. Sie dürfen dafür solange auf unserem Parkplatz stehen bleiben. Mal sehen, ob das alles gutgeht, sonst werde ich eines Tages Schrotthändler auf La Gomera.“
Für Axel Bergfeld ist die Auflösung der Strukturen kein Grund zur Sorge, weil die Ware nicht mehr die alles überragende Rolle beim Lebensmitteleinkauf spiele: „Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung suchen die Menschen nach sozialen Kontakten und einer glaubwürdigen Community“. Gesucht werde persönliche und ehrliche Zuwendung und ein Gemeinschaftserlebnis im alltäglichen Leben.
Gerade bei jungen Leuten, die eigentlich mit ihrem Handy glücklich zu sein scheinen, sieht Bergfeld dieses Bedürfnis. In seiner Bonner Filiale in Uni-Nähe beobachte er einen großen Zuspruch: „Die Studenten wollen vielfältige Kleinstrukturen und lieber viele kleine Läden als einen großen. Der „Hunger nach Beziehungen“ lasse sich im Bioladen realisieren: „Wir sind ein analoger Treffpunkt im Viertel und verstehen uns als Teil einer lebendigen, urbanen Lebenskultur.“
Bioladen als Lebensort
Beziehungen ist auch das Stichwort für Sascha Damaschun, Geschäftsführer des Großhändlers Bodan. Er empfiehlt, die Beziehungen zu den Erzeugern und Verarbeitern zu intensivieren. Statt Verbandssiegel als Marketing-Instrument zu verwenden, rät er, die Beziehungen zu den Personen auszugestalten.
In einer weiteren Stufe könnten die Endverbraucher mit in diese Beziehung einbezogen und an der Produktentwicklung aktiv beteiligt werden. Dies müsse gegenüber dem Endverbraucher kommuniziert werden. „Dann wird der Bioladen wieder zum echten Lebensort, der nicht nur zur Warenpräsentation dient, sondern als Community, nach dem Motto: Das ist mein Laden, das ist meine Welt.“
Auch für Dennree ist die Partnerschaft offenbar kein Drama: „Den Wunsch der Bioland-Landwirte, mit dem Lebensmittel-Discount Handelsbeziehungen einzugehen, können wir nachvollziehen. Die Folgen dieses Schritts im Einzelnen werden sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen“, sagt Marketing-Chef Lukas Nossol. Und weiter: „Gleichzeitig erkennen wir, wie wichtig die eigenen Qualitätsgrundsätze und Prinzipien des Fachhandels sind – unabhängig von Siegeln und Labels. Hier erkennen unsere Kunden und Partner, dass Bio für uns Überzeugung und eine Lebenseinstellung ist. Im Fachhandel kommt eben jeder Euro einem Sinn zugute.“ Mit den Bioland-Landwirten verbinde Dennree eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die bis zu den Anfängen des Verbandes zurückreiche.
Auch bei der hauseigenen Agrofarm Eichigt, mit 4.000 Hektar, ein vergleichsweise großer Bioland-Betrieb, soll sich nichts ändern: „An den aktuell bestehenden Verbindungen und Partnerschaften wird festgehalten.“
Reichen die Rohstoffe?
Auch wenn der Facheinzelhandel jetzt wenig Lust verspürt, mit dem Bioland-Siegel zu werben: Die Ware soll natürlich weiter verfügbar sein. Doch reichen die Mengen, wenn ein Discounter als großer Abnehmer dazukommt? Im Jahr 2014 hatte Jan Plagge noch beklagt, dass Bioland seit fünf bis sechs Jahren einem Versorgungsengpass hinterherlaufe. Seither ist die Zahl der Betriebe um 26 Prozent und die der Anbaufläche um 38 Prozent gestiegen.
Weil offenbar noch viel Bioland-Ware konventionell vermarktet wird, ist die Erweiterung der Vertriebswege eine Chance, sie jetzt als Bioland- Ware zu vermarkten. Doch die Frage, die Bioland-Bauern umtreibt, lautet, wie intern geregelt werden kann, dass am Ende nicht nur Betriebe in der Größenordnung von Westhof Bio in Schleswig-Holstein oder Benjamin Wagner auf Reichenau zum Zuge kommen.
Verhandeln auf Augenhöhe
Ernst Fröber, Mitglied der Geschäftsleitung der PEMA Vollkorn Spezialitäten Heinrich Leupoldt KG, im Fachhandel durch die Marke Frankenkorn bekannt, sagte bio-markt.info, dass sein Unternehmen im konventionellen Bereich bereits mit Lidl zusammenarbeite. Im Bio-Bereich habe es bislang lediglich Aktionen unter der Lidl-Eigenmarke gegeben. Er habe die Kooperation zunächst skeptisch gesehen, denke aber, dass auf Augenhöhe verhandelt wird und faire Preise gezahlt werden. Wegen der zahlreichen Betriebs-Umstellungen sei eine Belieferung Lidls mit Bioland-Ware möglich. Die Marke Frankenkorn soll aber dem Fachhandel erhalten bleiben.
Auch der Öko-Bauer Reinhard Nagel aus Hessen sieht die neue Kooperation zwischen Lidl und Bioland positiv. Dem Hessischen Rundfunk sagte er, dass er nicht glaube, dass Lidl einen großen Preisdruck ausüben wird: „Ich glaube nicht, dass der Lidl uns die Pistole auf die Brust setzt und sagt, ihr müsst zu den Konditionen arbeiten, das müssen wir nicht. Dafür haben wir dann auch andere Schienen.“
Welche Schienen das einmal sein sollen, muss sich noch zeigen. Kein
Witz: Bei Differenzen zwischen den ungleichen Vertragspartnern soll eine
Ombudsstelle vermitteln.
Immerhin: Zum Start der Vermarktung von Bioland-Produkten Anfang November verlangte Lidl für ein Kilogramm Bioland-Äpfel aus Deutschland/Südtirol 3,15 Euro – mehr als Denn‘s und tegut. Dort kosteten lose Demeter-Äpfel 2,99 Euro pro Kilo, Denn‘s verlangte ebenfalls nur 2,99 Euro für deutsche Bioland- und Demeter-Ware. Bei Aldi kostete das Kilo EU-Bio-Äpfel aus Italien 3,32 Euro (im Gebinde á 600 Gramm 1,99 Euro, bei Lidl 1,89 Euro). Für die Discounter ist also noch viel Luft nach unten.
Im Gespräch mit Michael Send (BioMichl): „Der Wert der Marke Bioland geht verloren“
Michael Sendl, Bioland-Bauer und Bio-Supermarkt-Betreiber, sieht die Partnerschaft zwischen dem Anbauverband und Lidl kritisch. Als Delegierter stimmte er mit Nein.
Wie hast du von dem Beschluss zugunsten einer Partnerschaft mit Lidl erfahren?
Ich war bei der Entscheidung dabei und bin eine von drei Gegenstimmen. Der Beschluss wurde mit großer Mehrheit der Delegierten-Versammlung getragen, obwohl ich glaube, dass viele Bioland-Bauern damit nicht einverstanden sind. Ich bin der Meinung, die Befürworter können die Tragweite ihres Beschlusses nicht ermessen.
Was ist denn aus deiner Sicht die Tragweite?
Wenn Lidl mit Bioland wirbt, wird das Warenzeichen entwertet. Der Fachhandel hat die Marke Bioland groß gemacht. Ich selbst habe 35 Jahre mit meinem Bioland-Hof und meinem Laden dazu beigetragen. Jetzt geht der Wert der Marke verloren.
Dass heißt, du würdest notfalls auch auf die Marke Bioland verzichten?
Ich brauche Bioland nicht. BioMichl ist hier in der Region eine Marke. Wenn ich künftig noch mit Bioland werbe, stelle ich mich auf eine Stufe mit Lidl. Das will ich vermeiden. Aber was ich genau mit dieser neuen Situation mache, ist noch offen.
Warum wollen Bioland-Bauern denn jetzt unbedingt an Lidl liefern?
Der einzige Grund, den ich erkenne ist, dass sie der größte Verband bleiben wollen. Wenn Bioland nicht Partner von Lidl geworden wäre, dann hätte es womöglich Naturland gemacht. Die anderen Verbände sind keinen Furz besser.
Gibt es denn genügend Bioland-Rohware, um sowohl den Fachhandel als auch den LEH und Lidl als Discounter zu versorgen?
Ich weiß nur, dass Demeter-Ware ständig knapp ist, aber der Demeter-Verband immer neue Partnerschaften eingeht. Diese Gefahr besteht auch beim Anbauverband Bioland.
Du gehst also davon aus, dass Lidl nur ein Partner von vielen im konventionellen Bereich sein wird?
Vor ein, zwei Jahren wurde bei Bioland eine Vollzeitstelle eingerichtet, um eine Kooperation mit Edeka Süd auf die Beine zu stellen. Das Geld hätte der Verband auch zugunsten des Fachhandels einsetzen können. Ich fordere schon seit Jahren Engagement von Bioland für den Bio-Fachhandel, aber nichts passiert.
Was kann der Fachhandel tun, wenn Bioland aus Angst vor Vertragsstrafen Ware für Lidl zurückhält und dadurch die Ware knapp wird?
Er muss ähnliche Verträge schließen. Der Fachhandel darf es sich nicht bieten lassen, B-Ware oder gar nichts zu bekommen.
Bioland-Präsident Jan Plagge glaubt an die Nachhaltigkeitsbestrebungen von Lidl. Wie siehst du das?
Wenn der Discounter nachhaltig werden wollte, hätte er sich längst
von der Massentierhaltung getrennt und auf das Kupieren von
Schweineschwänzen verzichtet. Zwei Prozent Bio-Anteil am Gesamtsortiment
reichen nicht aus, um nachhaltig zu sein, auch wenn diese Produkte in
Bioland-Qualität angeboten werden.
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