Wenn der Bio-Absatz vor allem vom Preis abhängt und es anstelle eines Marktwachstums lediglich zu einer Umverteilung kommt – wie geht’s dann weiter für den Lebensmittelhandel? Wer gewinnt, wer verliert, und welche gemeinsamen Strategien aller Händler könnte es geben, um Bio zu Wachstum zu verhelfen? Das Netzwerk Good Food Collective brachte Vertreter aus Fach- und Einzelhandel in einer Diskussionsrunde zum Thema „Transformationskraft Retail – Bio-Wachstumspotenziale ohne Limits?“ zusammen.
Thematisch gegliedert wurde die Veranstaltung aus der Reihe „SustainableFutureLab“ (s. Kasten) durch bewusst provokant formulierte Thesen wie „Handel ist ein degeneratives System“, „Top-Erfolgsfaktor von Drogerie und Discount ist nicht der Preis“ und „Die größte Macht, das Ernährungssystem zu transformieren, hat der Handel“. Wir haben prägnante Aussagen der Teilnehmenden zusammengefasst.
Dieser Artikel ist Teil 2 einer dreiteiligen Serie zu den Diskussionen, die im „SustainableFutureLab“ auf der Biofach 2025 geführt worden sind. Die Biofach organisiert dieses Events gemeinsam mit verschiedenen Partnern und ist Co-Host der Veranstaltungsreihe. In dieser Serie schreiben wir über die Veranstaltungen, die von Nora Taleb und Julian Stock vom Good Food Collective (GFC) konzipiert und umgesetzt worden sind.
- Teil 1: Bio zwischen Lifestyle und Planetary Health
- Teil 2: Bio-Wachstumspotenziale ohne Limits
- Teil 3: Die finanzielle Zukunft der Agrar- und Ernährungssysteme
„Jeder Player hat seine Berechtigung“, betonte Hans Martin Hermann, Geschäftsführer Corporate Affairs bei Lidl. Die Bio-Pioniere hätten die Bio-Welle angestoßen, doch der Bio-Fachhandel habe seine Grenzen. Der Discount hingegen könne nicht beraten, sehr wohl aber viele Menschen in Kontakt mit Bio bringen. Lidl setze auf ein „Nebeneinander der Warengruppen – von Bio und konventionell“, sagte Hermann. Das Potenzial von Bio könne so vergrößert werden. Er betonte aber auch: „Der deutsche Kunde ist sehr preissensibel.“ Die Käuferloyalität bei Lebensmitteln sei nicht hoch, es fehle außerdem an „Ernährungsbildung“.
Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin beim Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), kritisierte die permanente „Billig ist gut“-Kommunikation. „Wir müssen zu einem Kulturwandel kommen, oder es wird sich nichts ändern“, sagte sie. „Richtig billiges Bio“ sei das falsche Signal. Sie stimmte mit Hermann jedoch darin überein, dass Bio ins Bewusstsein gebracht werden müsse: „Es steht und fällt damit, die Menschen zu erreichen“, formulierte sie das Ziel, das auch der BNN habe.
Jäckel erinnerte an den Ur-Gedanken der Bio-Bewegung: eine Gegenbewegung zur Lebensmittelwirtschaft zu bilden. Die Wünsche der Kundinnen und Kunden habe man dabei teilweise außer Acht gelassen. „Moralisierend und mit dem Zeigefinger“ habe man Druck aufgebaut. „Wir verstehen das heute besser“, sagte Jäckel. Nun sei „eine gute Transformationsbewegung“ im Gange.
„DM steht für eine Demokratisierung von Luxus. Wir haben die gesamte Gesellschaft in den Läden.“
DM-Geschäftsführerin Kerstin Erbe sprach von der DM-Markenstrategie mit dem Ziel einer „Demokratisierung von Luxus“. „Wir wollen alle erreichen, wir bedienen alle, und wir haben die gesamte Gesellschaft in den Läden“, sagte sie. Das Teuer-Image von Bio versuche DM zu korrigieren. „Wir setzen stark auf den Genuss“, so Erbe.
„Bio überall“ sieht der Kommunikationsleiter des Bio-Fachhändlers Dennree, Lukas Nossol, positiv, wie er betonte. Den Auftrag des Discounts sieht er in der Grundversorgung. „Wir haben keine Kunden verloren und keine Umverteilung festgestellt.“ Auch Nossol sieht das Wissen über Ernährung in der Gesellschaft kritisch: „Das Bildungsniveau macht mir Sorgen“, sagte er. Nicht immer sei der Geldbeutel der Grund, der Menschen von Bio abhalte. Auch Studierende mit wenig Budget kämen in die Denns-Läden und entschieden ganz bewusst, wofür sie es ausgeben.
Edeka-Kauffrau und Vorstandsvorsitzende des Vereins Bioland Verarbeitung & Handel, Theresia Quint, sieht den Lebensmitteleinzelhandel noch nicht optimal dafür aufgestellt, auch als Bio-Händler zu fungieren. „Der Handel hat nicht gelernt, dass ein Bio-Markt anders geführt werden muss“, sagte sie. Es bestehe das Risiko eines „Vertrauensbruchs zu Bio“.
„Wir wissen seit 1985, dass wir vor die Wand fahren. Kleine Schritte sind nett, aber es braucht viel drastischere Maßnahmen.“
Einigkeit in der Runde herrschte beim Thema „wahre Preise“. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn, appellierte, die externen Kosten zu internalisieren und Bio-Produkte von der Mehrwertsteuer auszunehmen. Wäre das der Fall, „dann wäre Bio günstiger“ und es entstünde ein „ehrliches und faires Gefüge“.
„Wir wissen seit 1985, dass wir vor die Wand fahren“, resümierte Stephan Rüschen mit Blick auf den Klimawandel. „Kleine Schritte sind nett, aber es braucht viel drastischere Maßnahmen.“ Der Handel ist seiner Meinung nach „der Gatekeeper, er hat eine Verantwortung.“ Denn: Die Kaufentscheidung eines Kunden setze die Entscheidung des Handels voraus. Und Theresia Quint ergänzte: „Der Verbraucher muss wissen, dass er die Macht hat.“
„Es ist Wahnsinn“, bestätigte Kerstin Erbe: „Das, was zukunftsfähig ist, ist zu teuer.“ Sie zitierte die Forderung der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen: „Wir müssen der Natur einen Preis geben.“
Doch welcher Preis könnte das sein? Darum geht es in Teil 3 unserer Berichterstattung über die Diskussionen im „SustainableFutureLab“ auf der Biofach 2025, der am Mittwoch, 13. März 2025 auf BioHandel erscheinen wird. Dort sprachen die Teilnehmenden darüber, wie Betriebe der Ökobranche auch finanziell davon profitieren können, dass sie einen positiven Beitrag für das Ökosystem leisten.
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