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Bio vs. regenerativ: Ökolandbau unter Druck

Die regenerative Landwirtschaft ist derzeit in aller Munde: Sie macht Böden wieder fruchtbar, bindet dabei CO2 im Boden und sorgt für mehr Artenvielfalt. Bio kann all das und noch viel mehr, ist aber nicht so sexy. Das könnte gefährlich werden.

Der weltweit größte Lebensmittelhersteller Nestlé will bis 2025 20 Prozent und bis 2030 50 Prozent seiner wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer Landwirtschaft beziehen. 2023 seien es schon 15 Prozent gewesen, verkündete der Konzern stolz im April und fügte hinzu, was die regenerativen Maßnahmen alles bewirken: „Die Methoden sollen insbesondere den Boden schützen und verbessern, die biologische Vielfalt fördern, Vieh und Land wieder miteinander verbinden, den Wasserkreislauf schützen und das Wohlergehen von Gemeinschaften fördern“. Klingt gut.

Auch viele andere Konzerne der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft versprechen eine regenerative Landwirtschaft: So hat sich Pepsico verpflichtet, regenerative Praktiken auf sieben Millionen Hektar einzuführen. Der Agrarhändler Cargill will dies bis 2030 auf zehn Millionen Hektar umsetzen.

Laut einer Studie des Investorennetzwerks Fairr vom Herbst 2023 betonten 50 von 79 untersuchten großen Agrifood-Unternehmen, dass regenerative Landwirtschaft eine Lösung für Klimawandel und Artensterben sei. Doch zwei Drittel dieser 50 Konzerne hatten keinerlei quantifizierbare Ziele angegeben. Die drei oben genannten waren da noch positive Beispiele.

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Eine gefährliche Form von Greenwashing

„Aus Sicht der multinationalen Konzerne hat die regenerative Landwirtschaft einen großen Vorteil. Der Begriff ist bisher weder geschützt, noch gibt es eine international oder national eindeutige Definition“, erklärt die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Ökologie & Landbau“.

Die meisten Konzerne verstünden darunter „nur eine konservierende Bodenbearbeitung mit Pestizid- und Mineraldüngereinsatz, garniert mit Zwischenfrüchten und Blühstreifen“. Das könne ja einige Vorteile für den Boden bringen, heißt es in einem Positionspapier des Biodachverbandes Ifoam Organics Europe. Und weiter: „Doch dies als die beste landwirtschaftliche Lösung zur Bekämpfung der Klima- und Umweltkrise und des fortschreitenden Verlusts der biologischen Vielfalt zu präsentieren, ist eine Form von Greenwashing.“ Und zwar eine gefährliche.

Wer braucht noch Bio, wenn Nestlé, Bayer & Co. Böden fruchtbar machen und die Artenvielfalt retten?

Eine Kritik, die immer wieder laut wird: Die Agrarindustrie versuche, den schillernden Begriff „regenerativ“ zu kapern, um die notwendige Transformation der Landwirtschaft zu bremsen und ihr konventionelles Geschäftsmodell zu retten. Gleichzeitig bringe sie den Begriff gezielt gegen Bio in Stellung. Frei nach dem Motto: Wer braucht noch Bio, wenn Nestlé, Bayer & Co. Böden fruchtbar machen und die Artenvielfalt retten?

Geschäftsidee multinationaler Konzerne

Der Begriff „regenerative Landwirtschaft“ wurde in den 1980er Jahren von dem Bio-Pionier Robert Rodale in den USA geprägt. Regenerativ war für ihn ein Biolandbau, der den Boden in den Mittelpunkt stellt und sich dadurch auch positiv auf andere Umweltbereiche und die Gesellschaft auswirkt.

Lange Zeit galt regenerativ als eine Art Bio-Plus und genoss wenig Aufmerksamkeit. Das änderte sich, als mit dem Pariser Klimagipfel von 2015 der Humusaufbau in der Landwirtschaft in den Mittelpunkt der Debatte rückte und zu einer Geschäftsidee wurde. Multinationale Konzerne kamen auf die Idee, mit Carbon-Farming-Zertifikaten Geld zu verdienen und sich damit als Klimaschützer zu profilieren.

2019 gründeten 19 Weltkonzerne eine Koalition für alternative Landwirtschaftspraktiken und nannten sie „One Planet Business for Biodiversity“ (OP2B). Sie vermieden das Wort Ökolandbau und führten stattdessen „regenerative Landwirtschaft“ als Basisbegriff ein. Seither hat sich die regenerative Zweiteilung in eine weitgehend im Ökolandbau verankerte Graswurzelbewegung und eine von der Agrar- und Ernährungsindustrie getriebene Instrumentalisierung des Begriffs entwickelt.

Was heißt regenerativ?

Der Knackpunkt ist die Frage, ob synthetische Stickstoffdünger, Glyphosat als Standardherbizid im pfluglosen Anbau sowie gentechnisch verändertes Saatgut regenerativ sein können? Aus Sicht der großen Konzerne, die von genau diesen Inputs leben, lautet die Antwort „Ja!“. So spricht etwa Nestlé in seinen regenerativen Rahmenrichtlinien von integriertem Pflanzenschutz.

Dieses Prinzip, wonach vorbeugende und nicht-chemische Pflanzenschutzmaßnahmen kombiniert und vorrangig genutzt werden, ist in der EU seit 2009 für die konventionelle Landwirtschaft verbindlich – und wird kaum beachtet. Damit ist klar: Nur der Ökolandbau verzichtet auf Kunstdünger sowie synthetische Pestizide und ist gentechnikfrei.

Auch im Ökolandbau ist noch nicht alles gut

Mehr Gemeinsamkeiten zwischen regenerativ und Bio gibt es bei den Maßnahmen, die Humus aufbauen können und deshalb als regenerativ bezeichnet werden: Den Boden minimal, also ohne Pflug bearbeiten; Zwischenfrüchte und Untersaaten anbauen, damit der Boden möglichst oft bedeckt ist; vielseitige und diverse Fruchtfolgen inklusive Leguminosen anbauen; Hecken oder Agroforstflächen anlegen, die Tierhaltung in den Pflanzenbau integrieren.

Während sich konventionelle Betriebe da oft erst auf den Weg machen (was gut ist), ist vieles davon im Biolandbau übliche Methode. Deshalb sind die Humusgehalte auf Bioflächen im Schnitt auch höher als auf konventionell bewirtschafteten. Bei einigen dieser Maßnahmen ist jedoch im Biolandbau noch Luft nach oben. So gilt etwa das Pflügen immer noch als bestes Mittel gegen mehrjährige Unkräuter wie Disteln.

Regenerativer Landbau im Netz

Hinzu kommt, dass Ziele „wie der Erhalt der Artenvielfalt, der Bodenschutz oder das Schließen regionaler Kreisläufe auch im Ökolandbau zugunsten ökonomischer Interessen immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden“, konstatieren die beiden Ökolandbau-Professoren Jürgen Heß und Christian Vogl in einem Fachbeitrag. Ihr Fazit: Die Debatte um die regenerative Landwirtschaft „sollte Anstoß für Biobetriebe sein, ihr Bewirtschaftungssystem weiterzuentwickeln“, was in zahlreichen Fällen bereits geschehe. Allerdings kosten solche regenerativen Maßnahmen (konventionell und bio) die Landwirte erst einmal Geld.

Bei Bio kommt hinzu, dass die Umstellung auf pfluglosen Anbau leichte Ertragsrückgänge mit sich bringt. Also müssten die Erzeuger für ihre regenerativen Produkte mehr Geld erlösen – und die Verbraucher bereit sein, mehr dafür zu zahlen. Das können Sie nur, wenn sie solche Lebensmittel auch erkennen und die Auslobung für glaubwürdig halten.

Regenerativ-Siegel und bio-regenerativ Standard

Der auch im Ökolandbau tätige Zertifizierer Control Union bietet konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben und deren Abnehmern eine Zertifizierung namens Regenagri samt Logo für die Werbung an. Nach Firmenangaben wurden bereits 250.000 Betriebe zertifiziert, die zusammen eine Fläche von 1,3 Millionen Hektar Land bewirtschaften. Die Schwerpunkte liegen auf Baumwolle aus Indien und der Türkei sowie auf Kaffee und Soja aus Brasilien.

Mit Illicafé wurde eine erste auch in Deutschland bekannte Kaffeemarke zertifiziert. Künftig werden also Produkte aus zertifiziert regenerativer Landwirtschaft mit Pestiziden, Mineraldünger und Gentechnik in Konkurrenz zu Bioprodukten antreten – und die Verbraucher verwirren.

„Bio sollte als wesentliche Grundlage für eine regenerative Landwirtschaft dienen.“

Elizabeth Whithlow, Geschäftsführerin der Regenerative Organic Alliance

Als Antwort auf solche Bestrebungen haben in den USA der Naturkosmetikhersteller Dr. Bronner‘s, das Outdoorunternehmen Patagonia und das Rodale Institut einen bio-regenerativen Standard samt Zertifizierung ins Leben gerufen.

„Bio sollte als Untergrenze und nicht als Obergrenze für eine klimafreundliche Landwirtschaft betrachtet werden und als wesentliche Grundlage für eine regenerative Landwirtschaft dienen“, sagte dazu Elizabeth Whithlow, Geschäftsführerin der Regenerative Organic Alliance, der Trägerin des ROC-Standards (Regenerativ Organic Certified). Ihr zufolge ist Kalifornien bereits dabei, regenerative Landwirtschaft für Förderprogramme rechtlich verbindlich zu definieren. Dies werde auch global einen starken Einfluss haben.

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EU: Ökolandbau als Grundlage für Regenerativ-Siegel

In der EU wird die noch nicht ganz verabschiedete Green Claims-Richtlinie auch für Werbung mit dem Begriff „regenerativ“ gelten. Dies könnte zu klareren Vorgaben und Standards führen, womöglich auch zu zahlreichen Prozessen, wie aktuell zum Begriff „Klimaneutral“.

Ifoam Organics Europe hat für die anstehenden Diskussionen folgende Position: „Regenerative Praktiken in der konventionellen Landwirtschaft zu fördern, ist löblich. Für die Verwendung von regenerativ in Markennamen oder als Zertifizierung sollten zumindest die derzeitigen gesetzlichen Anforderungen für den ökologischen Landbau als Grundlage dienen“. Oder kurz gesagt: Bio ist das bessere Regenerativ.

„Bio ist erst der Anfang“

Julius Palm

Im Gespräch mit Julius Palm, Leiter des Bereichs Strategie und Marke bei Followfood

Für Followfood reicht Bio nicht. Warum?
Ich habe mit Landwirtinnen und Landwirten gesprochen, die seit 40 Jahren an ihrem Standort Bio oder sogar Verbandsanbau betreiben. Sie berichten von sinkender Bodenfruchtbarkeit und geringerer Wasserhaltekapazität. Das heißt: Bio ist erst der Anfang und reicht allein nicht aus, um unsere Lebensmittelversorgung zukunftssicher aufzustellen.

Was braucht es sonst noch?
Wir brauchen eine regenerative Praxis, bei der trotz der landwirtschaftlichen Nutzung die Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität und Wasserhaltekapazität zunehmen. Bio ist hier nachweislich besser als konventionell, schafft es aber nicht zuverlässig, Boden und Biodiversität aufzubauen. Deshalb brauchen wir einen regenerativen Ökolandbau.

Was tun Sie als Hersteller dafür?
Wir verpflichten uns, von jedem verkauften landwirtschaftlichen Followfood-Produkt ein Prozent des Abgabepreises an den Handel, jedoch jährlich mindestens 100.000 Euro in unseren Bodenretter-Fonds zu investieren und damit Betriebe beim Wandel zu unterstützen.

Nestlé will viel Geld in regenerative Landwirtschaft investieren. Gut so?
Regenerativ wird der nächste Evolutionsschritt der Nachhaltigkeit sein. Für rein profitorientierte Lebensmittelhändler ist es die Chance, ohne wirkliche Veränderung des bisherigen Wirtschaftens, die gleichen Alleinstellungsmerkmale wie Bio zu kommunizieren und damit einen ähnlichen Preispunkt zu erhalten.

Welche Folgen hätte das für Bio?
Das würde den Marktzugang für Bio maßgeblich erschweren und das Nischendasein zementieren. Entweder die Öko-Branche prägt den Begriff „regenerativ“, oder sie verliert weiter Alleinstellungsmerkmale.

Was wäre die Lösung?
Es braucht eine klare Abgrenzung durch eine Zertifizierung mit Bio als Baseline. Bio-Plus sozusagen. Zudem ist regenerative Ökolandwirtschaft zu komplex, um ihre Mehrwerte nur über das Produkt zu kommunizieren. Auch für die Green Claims-Initiative der EU wird eine Zertifizierung notwendig, da regenerative Ökolandwirtschaft sonst gar nicht beworben werden kann.

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