Christian Eichert, wie viel Prozent Bio haben wir 2030?
Wir haben heute eine größere Dynamik als vor 20 Jahren, als die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast das Ziel von 20 Prozent Bio ausgerufen hatte. Es werden heute schneller größere Zuwächse erzielt. Aber die Erreichung der 30 Prozent sind mit den aktuellen politischen Leitplanken utopisch. Ich erlebe mit großem Bedauern die Zaghaftigkeit des grün geführten Bundeslandwirtschaftsministeriums und würde mir hier ein ähnliches Engagement wünschen, wie es Bundesminister Robert Habeck bei der Wirtschafts- und Energiepolitik vormacht.
Welche Stellschrauben müssen gedreht werden, damit 30 Prozent erreicht werden?
Wir müssen europaweit Mitstreiter finden, um die fehlgeleitete europäische Agrarförderpolitik zu verändern. Ein entscheidender Hebel ist der agrarpolitische Förderrahmen, der so umgestaltet werden muss, dass ökologisch erzeugte Lebensmittel günstiger sind als konventionelle Produkte mit ihren immensen Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Folgekosten müssen den konventionellen Billigprodukten angelastet werden. Dazu gehört auch, dass lang diskutierte Maßnahmen wie etwa die Stickstoffsteuer endlich umgesetzt werden.
Was wäre das Ziel?
Das Zielbild ist eine Welt, in der die politischen Leitplanken dafür sorgen, dass sich nur noch sehr reiche Menschen konventionelle Produkte leisten können. Bio wäre dann das neue Normal. Der Markt würde mitziehen.
Zur Person
Als Mitinhaber der Agentur Blumberg berät Christian Eichert Bio-Unternehmen und entwickelt Strategien für die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft. Vor seiner Agentur-Zeit war der Agrarökonom Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg und unter anderem mitverantwortlich für den Aufbau der bundesweiten Marketingabteilung des Verbandes. In dieser Zeit handelte er mit Edeka Südwest die ersten Rahmenverträge mit dem LEH aus. Die spätere Kooperation von Bioland mit Lidl kam auch Dank seiner persönlichen Beziehung zu dem Discounter zustande.
Apropos konventionelle Anbieter: Wie umstrittenen war seinerzeit der Bioland-Deal mit Lidl innerhalb des Verbands?
Größer waren die Ängste, Befürchtungen und damit auch Widerstände beim Deal mit Edeka Südwest sieben Jahre zuvor. Aber wir haben damals mit einem sehr guten Vertrag bewiesen, dass es ein Riesengewinn für die Bioland-Wertegemeinschaft war und ist. Der Deal mit Lidl war dann nicht mehr ganz so umstritten, weil wir zuvor schon eine gute Grundlage und Vertrauen gelegt haben in die konventionelle Struktur. Für uns hat sich die Frage gestellt: Gestaltest du selbst oder wirst du gestaltet? Und da hat sich Bioland dafür entschieden, selbst zu gestalten. Auch um nicht in eine Falle zu treten wie Österreich, wo der Handel die Bio-Marken trägt und nicht die Verbände selbst.
War Lidl vom Gesamtkonzept Bio überzeugt oder nur vom wirtschaftlichen Potenzial?
Der Kontakt mit Lidl entstand aufgrund persönlicher Beziehungen zu einem Kind der Bio-Branche, das dort in leitender Position tätig ist. Darüber sind wir mit Ansprechpartnern zusammengebracht worden, denen wir eine hohe intrinsische Motivation, das Thema Bio voranzutreiben, abgenommen haben.
„Abgesehen von der Ökologie fehlt mir bei den anderen Disziplinen häufig der Nachweis, wo Bio messbar besser ist.“
Zurück zum Bio-Fachhandel: Welche weiteren Themen hat die Branche vor der Brust?
Zentral werden in Zukunft messbare und klar kommunizierbare Klimaschutzmaßnahmen sein. Bio als Verkaufsargument allein wird nicht mehr genügen, Stichwort: Meta-Label. Da würde ich mir wünschen, dass die Bio-Branche versucht, das proaktiver mitzugestalten und sich nicht fatalistisch mitgestalten lässt. Damit meine ich auch den BÖLW und die IFOAM, die hier mehr in eine gestaltende Rolle kommen sollten anstatt regelmäßig „nein“ zu sagen.
Mit dem BNN spricht sich ein großer Bio-Verband für den Planet-Score aus.
Die bisherigen Meta-Labels werden meiner Meinung nach nur Zwischenlösungen sein. Sie sind ganz gut, aber noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Deswegen wäre die Branche gut beraten, hier aktiv ihre Handschrift reinzubringen. Bio ist mal angetreten, um der Beste im Zehnkampf zu sein. Aber abgesehen von der Ökologie fehlt mir bei den anderen Disziplinen häufig der Nachweis, wo Bio messbar besser ist.
Ein Beispiel?
Es gibt nur wenige Vorzeigeunternehmen in der Branche, die konsequent Klimaschutz und Klimakommunikation in allen Geschäftsbereichen mitdenken und ihr Wirken kontinuierlich optimieren. Was gelingende Klimakommunikation angeht, geben zum Teil konventionelle Unternehmen das Tempo vor. Ich würde mir wünschen, dass die Bio-Branche hier aufholt.
„Wir sind nicht aggressiv genug beim Herausstellen, wie schädlich das andere System ist.“
Was kann der Fachhandel der Kommunikation großer Konzerne entgegensetzen?
Der Sektor braucht deutlich mehr Schwung bei der Herausstellung des Mehrwerts von 100 Prozent Bio, insbesondere in Abgrenzung zu konventionellen Strukturen. Das ist umso wichtiger, weil mit Edeka ein konventioneller Händler mit seinem sehr gelungenen Fachhandelsangebot Naturkind bereits zum reinen Bio-Händler wird. Was Bio anbelangt, ist das mit Abstand das Fundierteste, das bislang aus konventionellen Strukturen entstanden ist.
Kann da eine staatliche Bio-Kampagne helfen?
Ich glaube, so eine Kampagne würde Bio nicht mehr helfen als den konventionellen Strukturen auch. Und sie wird schon gar nicht das Merkmal 100-Prozent-Bio herausstellen können. Stattdessen müsste so eine Kampagne aus dem Sektor heraus konzipiert und finanziert werden und mit deutlich mehr Wumms vonstattengehen wie das, was die BNN-Kampagne „Öko statt Ego“ mit sich bringt.
Wie geht es besser?
Besonders beim Thema Social Media, ein Bereich, der immer wichtiger wird für das Gewinnen und Halten von Kunden, hat die Branche deutliches Entwicklungspotenzial. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Bio-Pioniere ihre vergangenen Unternehmensgewinne bereits in diesen Bereich investiert hätten.
Und inhaltlich?
Die Abgrenzung zu Konventionell muss noch viel deutlicher stattfinden. Denn auch wenn das für uns Ökos unvorstellbar ist: Viele Kunden kennen tatsächlich noch nicht den Unterschied. Dazu gehört auch, die drastischen Folgen konventioneller Bewirtschaftung der Gesellschaft vor Augen zu führen. Die Bio-Branche ist viel zu brav an diesem Punkt. Wir sind nicht aggressiv genug beim Herausstellen, wie schädlich das andere System ist. Diese Botschaft kann kein Bundeslandwirtschaftsministerium übernehmen. Das muss der Sektor selbst in die Hand nehmen.
„Die Grundherausforderung für die Branche liegt darin, ihre Logistik effizienter zu machen.“
Warum fehlt es dem Fachhandel an kommunikativer Schlagkraft?
Der Wettbewerb innerhalb der Branche ist ein Grund, warum gemeinschaftliche Kampagnen in der Vergangenheit nie wirklich erfolgreich waren. Jeder macht sein eigenes Ding. Ein Manko ist die mangelnde Kooperationsbereitschaft, gemeinsam Geld in die Hand zu nehmen.
Was müsste sich ändern?
Die Grundherausforderung für die Branche liegt darin, ihre Logistik effizienter zu machen. Erst dann gäbe es überhaupt eine finanzielle Grundlage für eine breit getragene Kommunikationskampagne. Da ist gerade viel in Bewegung, was hoffentlich auch irgendwann dazu führen wird, dass ein Hofladen nicht mehr von drei verschiedenen Bio-Großhändlern beliefert wird. Von einer Lösung dieser strukturellen Defizite hängt das Wohl und Wehe und damit die Zukunft der Naturkostbranche ab.
Das lässt sich nicht mal eben so lösen. Hat die Branche so viel Zeit?
Zeit ist weniger ein Problem als Geld. Es wird zu Strukturbrüchen und Veränderungen kommen. Schon heute haben wir innerhalb des Fachhandels große Player, die konventionelle Strukturen kopieren, was Logistik und teilweise auch die Einkaufsmentalität anbelangt. Mein Wunsch wäre es, dass die Menschen, die Bio mit Haltung und Überzeugung machen, zu einer neuen, gemeinschaftsgetragenen Kommunikation finden und auf dieser Grundlage ihre Kund:innen von 100 Prozent Bio begeistern. Denn Bio kann die besseren Geschichten erzählen.
In einer älteren Version dieses Interviews hatten wir einen Fehler. Dort haben wir in einer Frage formuliert, dass der BNN und das Bündnis enkeltaugliche Landwirtschaft konventionelle Lebensmittelunternehmen auffordern, einen Schadensausgleichsfonds zu befüllen für die Kosten, die durch chemisch-synthetische Pestizide aus der konventionellen Landwirtschaft verursacht werden. Das ist falsch. Richtig ist, dass die beiden Organisationen ihre Forderung an die Hersteller von Pestiziden richten. Weil damit der ursprüngliche Bezug der Antwort nicht mehr stimmt, haben wir sowohl Frage als auch Antwort aus dem Interview entfernt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. Die Redaktion
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