Wie kann sich die Bio-Branche zukunftsfest machen? Die Antwort liegt zu einem großen Teil auf den Feldern und Äckern, wo unsere Lebensmittel ihren Ursprung haben. Klimatische Veränderungen beeinflussen nicht nur die Qualität der Waren, sie bestimmen auch den Versorgungsgrad mit und damit letztlich den Preis für Lebensmittel. Die zunehmenden Extremwetterlagen bringen immer mehr Unsicherheiten in dieses System. Die Branche reagiert auf verschiedene Weise.
Ein Beispiel ist der Biohof Bolten an der deutsch-niederländischen Grenze. Im Frühjahr fiel dort ein Drittel des üblichen Jahresniederschlags. „Wir sind enorm betroffen“, sagt Seniorchef Willi Bolten. „Ich bin seit 50 Jahren Landwirt, aber so habe ich das nie erlebt.“ Die Feuchtigkeit hat Pilzkrankheiten „völlig unbeherrschbar gemacht – auch für konventionelle Landwirte“. Bei den Kartoffeln hat der Bioland-Hof nachgepflanzt. Ob das reichen wird, die Hauptkunden zu beliefern, muss sich zeigen.
Probleme abfedern und Chancen flexibel nutzen
Was nun? „Wir werden die Schlagkraft erhöhen“, antwortet Bolten. Der Maschinenpark wird erweitert, „damit wir in der kurzen Zeit, die oft nur bleibt, mehr schaffen“. Außerdem kooperiert der Hof mit einem Bio-Kollegen. Indem sie sich gegenseitig Flächen verpachten, verteilen sie den Anbau über einen Umkreis von 30 Kilometern. Bolten erklärt: „Das hat uns bei den Kartoffeln, ihm beim Getreide geholfen, denn die Ereignisse waren sehr lokal: hier hat es geschüttet, sechs Kilometer weiter nicht.“ Und wenn man Reis statt Kartoffeln pflanzt? Er winkt ab, dafür sei „das Ganze zu unstet“. Zudem ist er überzeugt: „Wir werden auch wieder trockene Jahre bekommen.“ Deshalb planen die Boltens trotz der aktuellen Nässe, die Beregnungskapazitäten zu erweitern.
Trockenheit führe auch die konventionelle Landwirtschaft an ihre Ertragsgrenzen beobachtet Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik und Kommunikation bei Bioland: „Das Düngen auf optimale Erträge hin funktioniert nicht mehr, das zeigen die letzten Jahrzehnte. Trotz Züchtungsfortschritt gibt es dort keine Ertragszuwächse. Die Pflanze hat zwar mehr Potenzial, aber sie kann es nicht entwickeln.“ Die Wasserversorgung sei hier der entscheidende Faktor.
Aber auch die milderen Winter führen zu Problemen. Wehde weiß von den eigenen Betrieben, „dass heimische Schädlingsarten nicht mehr absterben – und neue einwandern, wie die Kirschessigfliege“ Sie mag neben Kirschen auch rote Trauben oder weiche Beeren. Man kann versuchen, sie durch feine Netze auszusperren. „Ein Riesenaufwand, der diese Kulturen viel teurer macht und leider oft dazu führt, dass Betriebe den Anbau ganz einstellen“, sagt Wehde.
Den Praktikern zufolge überwiegen die negativen Auswirkungen des Klimawandels, doch wo es Chancen gibt, nutzen sie diese. So ist den Boltens im Norden der Kohl oft schon ab Mitte Oktober erfroren, aufgrund der steigenden Jahresdurchschnittstemperaturen können sie ihn nun bis Februar ernten.
Auch Landwirte in anderen Regionen reagieren auf die sich verändernden Umwelteinflüsse und bauen mehr wärmeliebende Pflanzen wie heimische Hirse, Sonnenblumen oder Hartweizen an. Andere setzen auf Leguminosen wie etwa Soja. Wehde verweist auf die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: „Wir sollten tierische Proteine halbieren und dafür mehr pflanzliche konsumieren.“ Vor diesem Hintergrund brauche es „viel mehr heimische Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse“.
Je wärmer, desto teurer
Die veränderten Wetterbedingungen treffen nicht nur Landwirtinnen und Landwirte, sie beeinflussen auch die Lebensmittelpreise im Handel. In einer aktuellen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Europäischen Zentralbank untersuchte ein Forschungsteam, ob sich steigende Temperaturen auf Lebensmittelpreise auswirken. Ein Ergebnis: Die Preise erhöhen sich stärker in Ländern, die bereits durch den Temperaturanstieg beeinträchtigt sind – etwa aufgrund von Dürre oder Schädlingsbefall. „Je wärmer, desto höher der Preis“, erläutert Mitautorin Friderike Kuik im Deutschlandfunk und betont, „der Effekt kehrt sich auch nicht wieder um“.
Für Ihre Studie analysierte das Forschungsteam auch das Trockenjahr 2022: Die Hitze verursachte demnach in der Eurozone einen Inflationseffekt bei Lebensmitteln von knapp einem Prozent. Viel preistreibender aber waren der russische Krieg gegen die Ukraine und die Energiekrise – so betrug die Inflation bei Lebensmitteln insgesamt neun, im Jahr darauf sogar elf Prozent. Die „normale“, jährliche Preissteigerung liegt bei etwa zwei Prozent. Kuik und ihre Kollegen gehen von einer „Nahrungsmittelinflation bis 2035 von jährlich um 3,2 Prozentpunkte“ aus und schätzen, dass dies „die Gesamtinflation um 1,18 Prozentpunkte“ antreiben wird.
„Wir sollten tierische Proteine halbieren und dafür mehr pflanzliche konsumieren.“
Heike Kuhnert, Agrarwissenschaftlerin am Thünen Institut, plädiert für eine „Pluralität der Lösungen“: Einerseits müsse man mit dem LEH zusammenarbeiten, andererseits „die regionalen Graswurzelbewegungen“ stärken. Mit Blick auf die starke Position von LEH und Discount sagt sie: „Wir haben in Deutschland einen sehr hohen Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel. und der Preis spielt in der Verbraucherkommunikation eine zentrale Rolle, auch bei Bioprodukten.“ Dieses hohe Preisbewusstsein für Lebensmittel werde sich auch kaum verändern. Für Heike Kuhnert liegt die Herausforderung darin, über die verschiedenen Absatzkanäle Wertschöpfungsketten vom Acker bis zum Regal aufzubauen, die für alle Beteiligten auskömmlich seien.
Das Problem: „Saisonarbeiter in manchen europäischen Ländern erhalten nur einen Bruchteil von unserem Mindestlohn – wie sollen heimische Erzeuger da mithalten und wirtschaftlich arbeiten?“, fragt Wehde. Im weltweiten Vergleich sind lokal überflutete oder verdorrte Äcker Peanuts. Andere Länder wie Spanien, wo in vielen Regionen über Monate hinweg Dürre herrscht, trifft es gerade viel härter. Trotz Ernteausfällen können Händler bislang in der Regel alles von irgendwo her importieren. Preistreibend sind nur Knappheiten und weltweite Probleme. Dazu gehört der Klimawandel jedoch durchaus.
Umweltkosten konsequenter internalisieren
Für Alexander Beck von der Assoziation ökologischer Lebensmittelherstellerinnen und -hersteller (AöL) steht fest: „Um ein nachhaltiges Lebensmittelsystem resilient etablieren zu können, muss es teurer werden. Wir müssten sehr viel konsequenter Umweltkosten internalisieren können.“ Wenn etwa handwerkliche Brötchen einer deutschen Bäckerei teurer seien als „Import und Aufbacken gefrosteter Teiglinge aus Ostpolen, dann stimmt etwas nicht“. Auf die Politik könne man nicht zählen, so Beck. Die nehme weder ihre Lenkungsfunktion der Marktwirtschaft wahr, noch stärke sie die Ernährungswende. Europa sei in der Lage, sich selbst zu versorgen, auch mit ökologischen Anbausystemen, ist Beck überzeugt, „aber nur in Kombination mit einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten“.
Mehr Bewusstsein für Selbstwirksamkeit
Wie viel echten, „ökoregenerativen“ Anbau es gibt, weiß Stephan Paulke, Geschäftsführer der Egesun-Marke Morgenland. Für die Produkte werden Waren von Erzeugern aus 29 Ländern weltweit importiert. Paulke zufolge sind darunter etliche, die ihre Methoden an die jeweiligen Standorte angepasst haben. Etwa Mischanbau von Cashew und Mango in Afrika. Ein Win-win-Projekt, denn die Mischkultur ermöglicht eine effizientere Ressourcennutzung vor allem beim Wasser. Dass Mangos und Cashews zu unterschiedlichen Zeiten geerntet werden, sorgt zudem für 200 Dauerarbeitsplätze. Dennoch passiert es manchmal, dass Produkte nicht geliefert werden können. Und dann? Bisher musste Morgenland keine Strafzahlungen für die Nichteinhaltung von Lieferverpflichtungen leisten. Paulke schätzt seine Kundschaft dafür: „Es ist immer möglich, gemeinsam Lösungen zu finden“.
Für die Zukunft sieht Stephan Paulke die Biobranche insbesondere vor zwei Aufgaben gestellt: Als erstes sei mehr politisches Engagement nötig. Paulke betont, Bio-Unternehmen sollten sich stärker organisieren und ihre Interessen selbstbewusster vertreten. Zweitens gelte es, gemeinsam und mit allen Mitteln der Kommunikation „das Bewusstsein zu stärken, dass jeder und jede mit dem Einkauf etwas bewegen kann“.
„Wir müssen neue Ansätze testen“
Dr. Heike Kuhnert, Extremwetterlagen, Ernteausfälle, Klimawandel – was macht Bio zukunftsfest?
Die aktuelle Herausforderung lautet, einen ‚Mind-Change‘ zu schaffen. Also: Nicht versuchen das Kommende zu bekämpfen und das Alte zu bewahren, sondern das Bewahrenswerte erkennen und gleichzeitig vieles neu zu denken. Die Regionen und Standorte sind sehr unterschiedlich und auch unterschiedlich betroffen. Das gilt für die Landwirtschaft insgesamt. Im konventionellen Bereich sind auf bestimmten Standorten die hochintensiven Produktionssysteme an eine Grenze gekommen. Wenn man Probleme wie Krautfäule oder Fuchsschwanz auf dem Acker nicht mehr durch Pestizide lösen kann – muss man neue Wege gehen.
An was denken Sie?
Zunächst kann jeder Betrieb prüfen: Wie lässt sich das Risiko streuen? Etwa über die Änderung von Fruchtfolgen, die Weiterentwicklung von Betriebszweigen oder Erzeugnissen. Wenn meine Felder langfristig nicht befahrbar sind, muss ich sie vielleicht mit anderen Kulturpflanzen bewirtschaften. All das sind unternehmerische Entscheidungen, die jeder Betrieb auf seinem Standort individuell treffen muss.
Was kann diese Denkwende anstoßen – die Politik? Die Forschung?
Hier ist nicht der Staat in erster Linie gefragt. Wir sind an einem Punkt, wo Öko- wie konventionelle Betriebe und deren Beratung – aber auch wir Forscher fachübergreifend und unter Einbeziehung der Praxis – gemeinsam neue Ansätze testen und Lösungen finden müssen. Wir müssen lernen, über die gesamte Kette systemischer zu denken. Der zentrale Ansatzpunkt dafür ist, miteinander in den Dialog zu kommen.
„Um ein nachhaltiges Lebensmittelsystem resilient etablieren zu können, muss es teurer werden.“
Ob die Kundschaft da mitgeht? Beck erinnert an die Wurzeln des Bio-Gedankens: Vollwert und alternatives Wirtschaften. Zeitgemäß aufgefrischt lässt sich damit durchaus punkten. Der Demeterhof Live2Give etwa hat 2022 den Bundespreis ökologischer Landbau für sein wegweisendes Mulchsystem bekommen. Von Jungbauern noch im Studium konzipiert hat es sich zur zusätzlichen Einnahmequelle für den Gemüsehof entwickelt. Im Hofladen gibt es ausschließlich Vollwert-Produkte. Gesundheit ist hier der Claim. Beck freut sich über Erfolgsgeschichten der jungen Generation. Die stoße viel an, gerade was „ökoregenerative Landwirtschaft“ betrifft, denn: „Wir haben auch Biostandorte, die ausgezehrt sind und keine guten Humusgehalte haben“. Beck wünscht sich eine permanente Weiterentwicklung – und dass man sich nicht von Nestlé und Co. mit deren vermeintlich „regenerativer Landwirtschaft“ an die Wand spielen lässt.
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